Adobe Stock / Rawpixel.com

Hintergrund: Der Lernprozess mit Bürgerinnen und Bürgern an der Schnittstelle Wissenschaft-Politik-Gesellschaft im Kopernikus-Projekt Ariadne (2020-2023)

pdf
Open Publikation

Zusammenfassung

Im Kopernikus-Projekt Ariadne wurden zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger aus ganz Deutschland in einem Forschungs- und Lernprozess zur Verkehrs- und Stromwende beteiligt. Dieser Lernprozess eröffnete neue Begegnungs- und Reflexionsräume, in denen Forschende und Bürger:innen über verschiedene Politikoptionen zur Energie- und Verkehrswende diskutieren konnten. Die Interaktion regte dazu an, die unterschiedlichen Perspektiven der Menschen in die Forschungsprozesse zu integrieren. Der Prozess zeichnete sich durch eine hohe Perspektivenvielfalt aus. Aus demokratischer Sicht ist eine Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Schnittstelle Wissenschaft-Politik-Gesellschaft doppelt sinnvoll: inhaltlich, um Politikmaßnahmen vorausschauend und auf einer breiten Basis von Perspektiven und Betroffenheiten zu gestalten; prozessual, um das gegenseitige Vertrauen zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik zu stärken, insofern ein respektvolles Miteinander ermöglicht wird sowie Ergebnisverwertung und Erwartungsmanagement ineinandergreifen. Partizipation von Bürger:innen in der Forschung ist Ausdruck gelebter Demokratie und kann dazu beitragen, dass demokratie- und wissenschaftsfeindliche Bewegungen nicht erstarken (BMBF 2023).

Gleichwohl ist der Erfahrungsschatz zu partizipativer und transdisziplinärer Forschung noch vergleichsweise jung und nicht umfassend systematisiert. Folglich konnte das Forschungskonsortium nur begrenzt auf Erfahrungen zu ähnlichem methodischen Vorgehen zurückgreifen. In der Konsequenz gab es einige Herausforderungen in der Beteiligung der Menschen an der Forschung zu bewältigen. Aufgrund unterschiedlicher Rollenverständnisse, Planungshorizonte, der Breite an wissenschaftlichen Institutionen sowie unterschiedlichen methodischen Ansätzen der Disziplinen fehlte es zeitweise an einem klaren Bild zu den Zielen der einzelnen Beteiligungsphasen und der Ownership auf Seiten einiger Forschenden, zumal sie in andere Projekttätigkeiten mitunter stark eingebunden waren. In Bezug auf die Teilnehmenden war es nicht leicht Personen zu gewinnen, die der Klimapolitik eher skeptisch gegenüberstehen, was aber für eine Deliberation, die möglichst die Breite der gesellschaftlichen Debatte reflektieren soll, wichtig ist. Hinzu kam die Covid-19-Pandemie, die das Gesamtkonzept des Beteiligungsprozesses stark beeinflusste – analog geplante Veranstaltungen mussten entweder digital erfolgen oder mit Mundschutz, was in der zwischenmenschlichen Kommunikation für den Vertrauensaufbau nachteilig ist. Trotz der Herausforderungen zeigte sich eine hohe Zufriedenheit bei den Bürgerinnen und Bürgern, die durch den Prozess sozial und inhaltlich dazu lernten. Die Mehrheit von ihnen gab an, sich auch in Zukunft in ähnlichen Projekten engagieren zu wollen. In der Wissenschaft wurde durch die Beteiligung die Fähigkeit gestärkt, komplexe wissenschaftliche Annahmen verständlich an Gesellschaft und Politik zu kommunizieren und eigene normative Annahmen zu reflektieren. Auch hier gab es eine hohe Bereitschaft, sich wiederholt in ähnliche Prozesse einbringen zu wollen.

Die Beteiligung von Bürger:innen in der Forschung erfordert eine passende Konzeption, Koordination und Moderation sowie interne gemeinsame Zielsetzungen, Iterationen und Kommunikation. Ziele und Qualitätskriterien guter Beteiligung müssen von Anfang an kommuniziert und fortlaufend überprüft werden. Dazu zählt auch die Diskussion unterschiedlicher Verständnisse von Beteiligung und ein integrierendes Erwartungsmanagement. Ergebnisse sowohl aus Forschung als auch aus der Deliberation müssen verständlich und visuell dokumentiert werden. Sie sind wichtige Bezugspunkte für gesellschaftlich breit diskutierte Themen im dynamischen Wandel und helfen der Verständigung der verschiedenen Akteursgruppen. Damit zukünftige partizipative und transdisziplinäre Projekte gelingen, braucht es ausreichend Ressourcen, um den neuen Forschungsansatz zu erproben und weiterzuentwickeln. Wichtig sind Transfer- und Schnittstellenmanager:innen, gute Moderation, Zeit für gemeinsame Reflektion der Forschungs- und Deliberationsergebnisse sowie grafische Unterstützung der zu vermittelnden Inhalte.

1. Einführung

Komplexe Herausforderungen im Bereich der Klima- und Energiepolitik erhöhen seit einiger Zeit in demokratischen Systemen den Bedarf an einem lebhaften öffentlichen Diskurs und Orientierungswissen für Politik, um zu möglichst guten kollektiven Entscheidungen zu kommen. Dabei spielen vielfältige Werte, gesellschaftliche Normen und Einstellungen zu politischen Optionen eine Rolle, die es auszutarieren und auszuhandeln gilt. Das Kopernikus-Projekt Ariadne fußt auf der Annahme, dass eine auf robuste Handlungsstrategien ausgerichtete Energiewendeforschung von einer frühzeitigen Verständigung zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik profitiert. Dazu gehört explizit der Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern, da sie als Alltags- und Praxisexpert:innen wichtiges Wissen in den Lernprozess einbringen und Orientierung dazu bieten, warum sie welche Politikoptionen für wünschenswert und machbar halten, und was in weiteren Entwicklungen und der Kommunikation in die Öffentlichkeit zu beachten ist. Die Berücksichtigung einer Vielfalt an Argumenten im Diskurs über die Gestaltung der Zukunft hat zugleich einen demokratischen Mehrwert, sowohl auf der Input- als auch auf der Output-Seite, und regt die Gesellschaft an, sich mit möglichen sozialen, ökologischen und ökonomischen Auswirkungen auseinanderzusetzen. In Forschungsprojekten, die an der Schnittstelle Wissenschaft und Politik angesiedelt sind, werden üblicherweise Stakeholder aus Politik, Wirtschaft und organisierter Zivilgesellschaft einbezogen. Der Anspruch des Projekts Ariadne ist hingegen, auch „ganz normale Bürgerinnen und Bürger“ in einen Lernprozess zu politischen Optionen und deren möglichen Auswirkungen zu integrieren. In den Themenbereichen Stromwende und Verkehrswende wurden dazu in der ersten Projektphase (2020-23) zufällig ausgewählte Menschen über knapp drei Jahre an der Konzeption von möglichen evidenzbasierten Politikoptionen beteiligt.

Um die Qualität des Lernprozesses sicherzustellen und Feedback bereits während der Umsetzung aufzunehmen, beinhaltete der Lernprozess eine empirische Begleitforschung. Diese erfolgte durch die Sozialwissenschaftlerin Dr. Mareike Blum im Rahmen der MCC-Arbeitsgruppe „Wissenschaftliche Assessments, Ethik und Politik“ unter der Leitung von Adj. Prof. Dr. Martin Kowarsch. Die Begleitforschung umfasst sowohl qualitative Daten aus Interviews und teilnehmender Beobachtung als auch quantitative Daten aus Umfragen. Folgende Fragen sollen im Rahmen dieses Berichts aus Begleitforschungssicht beantwortet werden: Wie wurde der Lernprozess umgesetzt und von den Beteiligten wahrgenommen? Was ist gelungen und warum? Welche Herausforderungen gab es zu beobachten? Dieser Bericht möchte damit eine umfassende Dokumentation zum „Rohmaterial“ der Begleitforschung bieten, deren tiefere wissenschaftliche Analyse und Auswertung in separaten Fachartikeln erfolgt.

Das Dokument ist wie folgt strukturiert: Nach einem kurzen Überblick in Kapitel 2 zum Ablauf der Bürgerbeteiligung im Projektkontext, werden in Kapitel 3 die theoretischen Annahmen und Methoden bezüglich des Deliberationsprozesses erläutert. Kapitel 4 widmet sich der Präsentation der Forschungsergebnisse, wobei der Schwerpunkt auf Prozessgerechtigkeit und den Lernprozessen der verschiedenen Beteiligten liegt. In Kapitel 5 erfolgt eine Diskussion des Prozesses anhand von Leitfragen sowie die Darstellung einiger beobachteter Herausforderungen und daraus abgeleiteten Empfehlungen.

2. Hintergrund

2.1 Ablauf des Lernprozesses

Die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am Ariadne-Lernprozess startete im November 2020, wenige Monate nach Projektbeginn. Vorab erfolgte zunächst die öffentliche Ausschreibung für einen Dienstleister zur Umsetzung des Deliberationsprozesses (Konzeption, Zufallsauswahl, Moderation und operative Organisation der Beteiligung). Nach Abschluss des Ausschreibungsverfahrens wurde der Auftrag an das Unternehmen ifok GmbH vergeben, welches dann fortlaufend in engem Austausch mit dem Koordinationsteam des MCC zusammenarbeite. Der Beteiligungs- und Lernprozess lässt sich in 3 Phasen gliedern: In Phase (1) wurde in neun Fokusgruppen (vier zur Stromwende, fünf zur Verkehrswende) in Erfahrung gebracht, was Menschen bei der Umsetzung der Verkehrs- und Stromwende wichtig ist, welche Probleme sie sehen und welche Ziele und Werte es in ihren Augen zu beachten gilt. Auf Basis der Ergebnisse aus der ersten Phase wurden in Phase (2) Politikoptionen im Projekt konzipiert. Für die Verkehrswende waren es vier Zukunftspfade und für die Stromwende zwei Stromwelten. Dies diskutierten jeweils ca. 50 Teilnehmende auf zwei Bürgerkonferenzen. Phase (3) diente der vertiefenden Diskussion über die Auswirkungen der bis dahin von den Bürgerinnen und Bürgern bevorzugten Politikoptionen, der Weiterentwicklung der Politikoptionen und der Formulierung von Kernbotschaften. Diese Botschaften wurden im Rahmen des abschließenden Bürgergipfels gemeinsam mit Stakeholdern aus Politik, Wirtschaft und der organisierten Zivilgesellschaft reflektiert. Die folgende Abbildung zeigt die drei Meilensteine der Beteiligung anhand der großen türkisen Punkte: Fokusgruppen, Bürgerkonferenzen und Bürgergipfel (in Kombination mit vorgeschalteten, vertiefenden Online Deliberationen zur Vorbereitung).

Zeitlicher Ablauf der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern Projekt im Ariadne

Abbildung 1: Zeitlicher Ablauf der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern im Projekt Ariadne (eigene Darstellung)

2.2 Projektkontext

Im Folgenden wird der Kontext des Gesamtprojekts im Verhältnis zum Beteiligungsprozess beschrieben, wofür die Projektleitung und -struktur sowie die disziplinäre Ausrichtung dargestellt wird. Das Projekt Ariadne ist ein großes Verbundprojekt und eines der vier Kopernikus-Projekte, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert werden. In der ersten Projektphase von Ariadne (2020-2023) waren 26 wissenschaftliche Partnerinstitutionen beteiligt (siehe auch vollständige Liste der Partner). Das Projekt Ariadne war in dieser Phase in vier übergreifende Cluster organisiert: (1) Policy Unit, (2) Systemanalyse, (3) Politikinstrumente und (4) Governance. Des Weiteren gab es sieben thematische Arbeitspakete beziehungsweise sektorale Fokusanalysen (AP 5 – AP 11), in welchen zwei die Interaktion mit Bürger:innen vorgesehen hatten: Verkehrswende und Ausbau Erneuerbare Energien im Strommarkt (Abbildung 2).

Das Projekt war in zwölf Arbeitspakete (AP) unterteilt inkl. AP 0 zur Koordination. Wie in der Abbildung veranschaulicht, arbeiteten Forschende zu Mobilität (AP 7) und Strom & Erneuerbare Energien (AP 10) in einem iterativen Prozess mit zufällig ausgewählten Bürger:innen.

Abbildung 2: Governance-Struktur des Kopernikus-Projekts Ariadne (eigene Darstellung)

Die im Rahmen des Projekts erstellte Szenarienanalyse für Deutschland mit konkreten Transformationspfaden zur Klimaneutralität 2045 und umfassendem Modellvergleich hatte einen sehr hohen Stellenwert; sie wurde von AP 2 (Systemanalyse) koordiniert (Ariadne Szenarien 2021, 2022). Die dort integrierten Sektormodelle zu Verkehr und Strom wurden ohne Iteration mit Bürger:innen erarbeitet (siehe Projektkontext, 3.1), es gab aber personelle Überschneidungen: Die Forschenden der Arbeitspakete zu Verkehr (AP 7) und Strom (AP 10) waren sowohl in die Szenarienarbeit (ohne Bürger:innen) involviert, als auch parallel in die Deliberation und Co-Creation1Co-Creation bezieht sich im Dokument auf verschiedene Ansätze zur gemeinsamen Erarbeitung von Wissen durch Bürger:innen und Wissenschaft. von Politikoptionen mit Bürgerinnen und Bürgern. Die Begleitforschung bezieht sich auf den letzteren Prozess mit Bürgerbeteiligung.

3. Theoretische Annahmen und Methoden

3.1 Soziales Lernen und Deliberation

Das Ziel der Bürgerbeteiligung ist es, einen sozialen deliberativen Lernprozess zu Politikoptionen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik zu ermöglichen. Soziales Lernen bedeutet, dass Personen gemeinsam mit anderen ein intersubjektives Verständnis einer Situation (z.B. einer politischen Frage) aufbauen können (Muro und Jefferey 2008). Soziales Lernen wird hier definiert als „der Prozess der Formulierung von Themen, der Analyse von Alternativen und der Diskussion von Entscheidungen, der es den Beteiligten ermöglicht, über ihre eigenen und die Werte, Orientierungen und Prioritäten anderer im Rahmen einer integrativen Deliberation nachzudenken“ (Daniels und Walker 1996, neu formuliert von Muro und Jeffery 2008). Inhaltliches Lernen bezieht sich wiederum direkter auf das Gelernte rund um Politikoptionen an sich.

Auf welchen deliberationstheoretischen Annahmen beruht die Beteiligung im Projekt Ariadne? Und warum gibt es im Rahmen des integrierten Assessmentprozesses von Ariadne eine Bürgerbeteiligung? In der Diskussion um eine effektive, effiziente und gerechte Ausgestaltung eines klimafreundlichen Energie- und Verkehrssystems sind wissenschaftliche und technische Expertise, aber auch nichtakademisches Erfahrungswissen unabdingbar. Da hier auch widerstreitende Interessen und gesellschaftliche Wertvorstellungen aufeinandertreffen, ist deren Einbezug gleichermaßen erforderlich, um aus gesamtgesellschaftlicher Sicht zu sinnvollen und langfristig tragfähigen Lösungen zu kommen. Wertvorstellungen lassen sich nie gänzlich aus wissenschaftlichen Assessments heraushalten; sie sind vielmehr eng darin verwoben, was sowohl technokratische wie auch dezisionistische2Das dezisionistischen Modell geht nach den wissenschaftstheoretischen Vorstellungen Max Webers von einer scharfen Trennung von Sach- und Wertaussagen aus, also der Trennung der Funktionen von Sachverständigen und politischen Akteuren. Dabei ignoriert der Dezisionismus Beziehungen zwischen verfügbaren Techniken und praktischen Entscheidungen und beschränkt die öffentliche Mitwirkung der Gesellschaft auf die Legitimation der Führungsgruppen. (siehe Politikberatung | bpb.de) Ansätze der wissenschaftlichen Politikberatung äußerst problematisch erscheinen lässt (Kowarsch, 2016 Kap. 5). Folglich müssen kontextspezifische wie auch fundamentalere, allgemeinere Wertvorstellungen systematisch in die wissenschaftsinformierte Suche nach den besten Politikoptionen integriert werden.

Eine gemeinsame Deliberation – das heißt, der moderierte, schrittweise, ergebnisoffene Austausch von Argumenten – zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik eignet sich hierfür besonders gut angesichts der Komplexität und Unsicherheit dieser Herausforderungen (Curato et al., 2017). Überzeugungen und Einstellungen zu konkreten Politikoptionen können durch die deliberative Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie mit anderen gesellschaftlichen Sichtweisen bei den Teilnehmenden besser reflektiert werden und sich stark ändern (Curato et al., 2017). Ein solcher Deliberationsprozess kann einen wertvollen sozialen Lernprozess über die konkreten, jeweils mit den Wertvorstellungen verknüpften Vor- und Nachteile politischer Handlungsalternativen ermöglichen und dadurch den – oft eingeengten und unsachlichen – politischen Diskurs gewinnbringend und wirksam beraten (Kowarsch, 2016, Kap. 6). Da der Zweck die politischen Mittel nicht heiligt, ermöglicht ein solcher Prozess eine gemeinsame kritische Reflexion und gegebenenfalls Revision nicht nur der Politikoptionen selbst, sondern auch von den anfänglichen politischen Zielsetzungen, falls gravierende Nebenwirkungen und Risiken der besten Umsetzungsoptionen erwartbar sind.

Basierend auf diesen theoretischen Überlegungen – ausgearbeitet in Form des philosophischen „Pragmatic-Enlightened“ Modells (PEM) wissenschaftlicher Politikberatung (Edenhofer & Kowarsch, 2015; Kowarsch, 2016) – ist es das Hauptziel der Beteiligung im Ariadne-Projekt, einen gemeinsamen, offenen, wohlstrukturierten Lernprozess zu Politikoptionen zu ermöglichen – statt etwa konsensuale Empfehlungen zu erarbeiten, Akzeptanz vorgegebener Lösungen zu befördern oder gar einen Bürgerentscheid anzustreben. Leitfragen waren in der ersten Projektphase entsprechend: Welche politischen Wege für den Umbau des Verkehrs- und Energiesystems sehen die Menschen nach dem wohlinformierten, mehrstufigen Lernprozess als wünschenswert und tragbar an? Aus welchen Gründen werden bestimmte alternative Ansätze kritisch bewertet oder abgelehnt? Dieser Prozess der deliberativen und partizipativen Wissenskoproduktion zu bestehenden und gegebenenfalls neu koproduzierten Politikoptionen und deren gesellschaftlich relevanten Auswirkungen aller Art sollte einerseits individuelles Lernen in allen beteiligten Akteursgruppen (einschließlich der Wissenschaft) ermöglichen. Anderseits sollte der Prozess dabei helfen, das kollektive Verständnis von den verfügbaren Politikoptionen innerhalb der Gesellschaft zu verbessern, womit dann der öffentliche politische Diskurs wirksam geprägt werden könnte (Riousset et al., 2017). Um eine wissenschaftsinformierte Deliberation auch mit Nichtfachleuten zu ermöglichen, müssen die relevanten wissenschaftlichen Annahmen und Erkenntnisse zu den komplexen Politikoptionen möglichst visualisiert werden, was in Ariadne beispielsweise in Form von Broschüren und einer Tablet-App (s. Kap. 4.3.1) erfolgte. Neben der primären „epistemischen“ Zielsetzung des partizipativen Lernprozesses – der Bereitstellung von verbessertem Orientierungswissen für politische Entscheidungstragenden – hatte die frühzeitige und durchlaufende Aufnahme und Integration der Perspektiven und Vorstellungen von zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern in die Wissensproduktion von Ariadne ferner auch zum Ziel, die wissenschaftliche Politikberatung von Ariadne ein Stück weit pluralistischer und damit demokratisch legitimer zu machen, indem Partizipation idealerweise im Sinne einer ernsthaften Wissenskoproduktion auf Augenhöhe ermöglicht wird.

Deliberation hat einen hohen Anspruch an Prozessgerechtigkeit, welche auf Aspekte wie Machtfreiheit, Gewaltfreiheit, Offenheit, Inklusion und Öffentlichkeit abstellt (Graf et al., 2018; Habermas, 1992). Um den Prozess möglichst demokratisch zu gestalten, sollten alle Bürgerinnen und Bürger theoretisch die gleiche Chance haben, sich zu beteiligen. Hierbei sagt die Zusammensetzung der Teilnehmenden eines Verfahrens etwas über seine gesellschaftliche Repräsentativität aus (Nanz & Fritsche, 2012, S. 26). Es ist hilfreich, eine möglichst große argumentative Vielfalt im Prozess vertreten zu haben, um den gesellschaftlichen Diskurs gut abzubilden. Auch das hat Rückschlüsse auf den Auswahlprozess. Schließlich bedarf es einer grundlegenden Zufriedenheit der final ausgewählten Teilnehmenden mit dem Prozess: Nur, wenn sie sich gerecht behandelt fühlen und Vertrauen in die involvierten Akteure haben, werden die Teilnehmenden offen für neue Argumente und den Diskurs sein. Dazu gehört eine respektvolle inhaltliche Verständigung auf Augenhöhe sowie eine aktive – auch inhaltliche – Rolle der Menschen im Prozess. Für einen fairen Prozess sollten sowohl Bürger:innen als auch Forschende ownership (Eigenverantwortung, Identifikation, Agency) bezüglich des Lernprozesses innehaben. Der Begriff Agency beschreibt die Fähigkeit, das Vermögen beziehungsweise die Macht einer Gruppe oder eines Individuums, „wirksam in die gesellschaftlichen Verhältnisse einzugreifen und diese zu lenken“ (Posselt, 2003). Im Deutschen wird Agency mit Handlungsfähigkeit, Handlungsvermögen oder Handlungsmacht übersetzt (Posselt, 2003).

Überdies gibt es die berechtigte Hoffnung, dass diese wissenschafts- und werteinformierte, lernorientierte Deliberation ohne jeglichen Konsenszwang dennoch zu einer gewissen Bewertungs-Konvergenz bezüglich zentraler Politikoptionen führen könnte – durch die wechselseitige Verständigung und die Entwicklung neuer, den diversen Wertvorstellungen der Akteure gegebenenfalls besser Rechnung tragenden Politikoptionen. Eine solche Konvergenz hinsichtlich konkreter Politikoptionen trotz weiterbestehender tieferer Wertekonflikte kann aus demokratischer Sicht äußerst wertvoll sein angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Spaltung zu Fragen der Klima- und Energiepolitik in vielen westlichen Ländern.

Ferner könnten gemäß der Literatur weitere positive, indirektere Effekte einer solchen partizipativen Deliberation über Politikalternativen durchaus auch ein größerer gesellschaftlicher Zusammenhalt, mehr Toleranz sowie gewachsenes Vertrauen in Institutionen der Politik und Wissenschaft sein, unter anderem durch das bessere wechselseitige Verständnis und die Ausrichtung der Deliberation auf das Gemeinwohl (Curato et al., 2017; Kenter et al., 2016).

3.2 Beteiligungs- und Lernansatz im Projekt Ariadne: Ansatz und Methoden

Box 1: Wer lernt was von wem?
Forschende aus unterschiedlichen Instituten und zufällig ausgewählte Bürger:innen bildeten eine Lerngemeinschaft, die wünschenswerte und tragfähige Lösungswege zur weiteren Gestaltung der Energiewende erarbeitete. Im Kontext der Ariadne-Bürgerbeteiligung erforderte dies einen Verständigungsprozess, der unterschiedliche Wissenstypen integriert: wissenschaftliche Erkenntnisse mit dem Erfahrungs- und Alltagswissen der Menschen. Es ist folglich kein einseitiger Lernprozess, der lediglich Forschungsergebnisse in Richtung Bürger:innen vermittelt, sondern auch Alltags- und Erfahrungswissen der Menschen in die Forschungsarbeiten einbezieht (vgl. Dietz, 2013)

Im Projekt Ariadne wird angestrebt, dass Forschende und Bürger:innen durch soziale Interaktion voneinander lernen und iterativ ein gemeinsames Ergebnis erarbeiten. Deliberatives Lernen erfordert eine Offenheit bezüglich der inhaltlichen Ergebnisse und beinhaltet keinen Konsenszwang. Basierend auf der Theorie der Deliberation ist jedoch wie oben beschrieben eine Annäherung der Positionen durch den Austausch und durch die gemeinsame Prüfung der Argumente möglich, so dass sich durch die Diskussion inhaltliche Schnittmengen herausbilden. Als Ergebnis stehen gemeinsam erarbeitete und begründete Schlussfolgerungen zu alternativen Politikoptionen, die sowohl Konsense als auch Dissense abbilden und als Hinweise zur weiteren Ausgestaltung politischer Maßnahmen genutzt werden können.

Basierend auf Annahmen der Deliberation mit Bürgerinnen und Bürgern wird im Projekt Ariadne das Ziel verfolgt, einen möglichst fairen, inklusiven und transparenten Lernprozess zu ermöglichen und eine hohe Repräsentativität der Perspektiven der beteiligten Menschen zu erreichen. Wie beim Prinzip der gelosten Demokratie und Bürgerräte wurde eine deutschlandweite, zweistufige Zufallsauswahl der teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger entlang von soziodemografischen Kriterien durchgeführt, um ein möglichst repräsentatives Mini-Public zu bilden, in der unterschiedlichste Lebenswelten und gesellschaftliche Diskurse vertreten sind (Curato & Farell, 2021; Goodin, 2008; Goodin & Dryzek, 2006).

Für die Glaubwürdigkeit und Wirkung eines deliberativen Prozesses ist der Umgang mit den Ergebnissen wichtig. Im Kontext der Beteiligung in Ariadne bedeutete dies den Anspruch, dass die Anliegen von Bürgerinnen und Bürgern innerhalb des Forschungsprojekts Gehör finden und ernst genommen werden. Außerdem wurde Anschlussfähigkeit an aktuelle politische Debatten sowie am Ende des Projekts eine Interaktion mit politischen Akteuren zu den Ergebnissen der Beteiligung als Teil des Lernprozesses an der Schnittstelle Wissenschaft-Gesellschaft-Politik angestrebt.

Abbildung 3 veranschaulicht, wie soziales und inhaltliches Lernen eine gleichberechtigte Rolle im Ariadne-Lernprozess spielten. Die angestrebten Ergebnisse („Was bringt’s?“) haben daher zwei unterschiedliche Ausprägungen. Soziales Lernen auf der Beziehungsebene ermöglicht einen neuen Erfahrungsraum, in dem Perspektivwechsel stattfinden können und sich Menschen als politisches, aktives Subjekt erleben können. Die inhaltliche Ebene findet durch den (deliberativen) Austausch von Argumenten statt, bei dem neues Wissen über politische Handlungsoptionen und deren Auswirkungen im Dialog mit der Wissenschaft erarbeitet wird. Darauf resultiert eine neue Qualität von Orientierungswissen, welches eine möglichst breite argumentative Vielfalt abbildet.

Abbildung 3: Veranschaulichung der theoretischen Annahmen zu sozialem Lernen in Forschungsprojekten an der Schnittstelle Wissenschaft-Politik-Gesellschaft (eigene Darstellung)

Abbildung 4 illustriert, wie Deliberation, soziales Lernen und das dabei enstehende Wissen über Politikoptionen aufeinander aufbauen. Zudem veranschaulicht die Abbildung, das alle Stränge zu den Auswirkungen des Lernprozesses beitragen. So ermöglicht die Deliberation mit Bürger:innen an der Schnitstelle Wissenschaft-Gesellschaft-Politik Auswirkungen auf politische Systeme, soziale Netzwerke sowie Individuen. Der Fokus der Begleitforschung lag im Bereich Soziales Lernen. Dies erfordert, dass die beteilgten Akteure ein neues kongnitives, relationales und epistemisches Verständnis entwickeln und dadurch ihre bisherigen Erfahrungen und Wissensstände anpassen beziehungsweise erweitern.

Abbildung 4: Deliberation ermöglicht soziales Lernen und Ko-Kreation von Wissen, was individuell und systemisch wertvolle Auswirkungen haben kann. Eigene Darstellung basierend auf Brymer (2018).

3.3 Dimensionen des Lernprozesses

Die Dokumentation und Reflektion des Ariadne-Beteiligungsprozesses verläuft entlang von drei Dimensionen und zehn Kriterien sowie dazugehörigen Fragen, die sich an den theoretischen Grundlagen eines deliberativen, sozialen Lernprozesses im Projekt Ariadne orientieren (vgl. Kowarsch 2016). Die Kriterien wurden abgeleitet aus der Literatur des sozialen Lernens, der Deliberationsforschung sowie Forschung zu transdisziplinären beziehungsweise interdisziplinären Projekten (Chwalisz, 2020; Curato et al., 2021; Defila & Di Giulio, 2015; Dienel & Rieg, 2019; Freeth, 2019).

1. Prozessgerechtigkeit

  • Inklusion und Auswahl: Wer partizipiert und warum? Wie wurde ausgewählt?
  • Befähigung und Glaubwürdigkeit: Wurden Menschen dazu befähigt, einen Unterschied zu machen
  • Ownership: Hatten Bürger:innen und Forschende eine Eigenverantwortung, Identifikation und
  • Agency (Handlungsfähigkeit und -macht) gegenüber dem Prozess?
  •  Macht: Welche Machstrukturen spielten eine Rolle und wurden als herausfordernd empfunden?

2. Inhaltliches und soziales Lernen

  • Neues Verständnis: Haben Bürger:innen und Forschende ein neues Verständnis des Politikbereichs entwickelt? Haben beide Zielgruppen ein neues Verständnis voneinander entwickelt?
  • Methoden der Wissensvermittlung und Deliberation: Durch welche Methoden wurden Lernmöglichkeiten geschaffen?

3. Konzeption, Ziele, Transparenz

  • Ziele und Prozessverständnis: Welche Veränderungen sollen durch den Prozess erreicht werden? Gibt es ein gemeinsames Verständnis von Prozesszielen und Rollen?
  • Outputs: Welche konkreten Outputs sollen entstehen und was passiert mit diesen?
  • Koordination, Moderation, Timeline: Wer koordiniert und moderiert den Prozess und organisiert die Schnittstellenarbeit? Wer wählt Teilnehmende und Themen aus? Wie ist die Timeline konzipiert und erlaubt dies eine Kontinuität des Lernprozesses?
  • Dokumentation und Transparenz: Wie werden erarbeite (Zwischen-)Ergebnisse dokumentiert und zugänglich gemacht?

3.4 Methoden der Begleitforschung

Eine Begleitforschung (oder Accompanying Research) meint die Rolle einer forschenden Person innerhalb transdisziplinärer Wissenschaftsprojekte, wie zum Beispiel in Reallaboren oder Wissens-Co-Creation, und kann je nach Kontext unterschiedlich ausgeprägt sein (Röhling, 2019, S. 75). Eine Begleitforschung zeichnet sich neben der Wissensgenerierung besonders durch die Kooperation mit anderen Forschenden innerhalb des Projekts aus: „(…) accompanying researchers and the other researchers become part of the same process they are co-creating and co-experiencing“ (Defila & Di Giulio, 2018, S. 100). Das heißt, die Begleitforschung nimmt eine Mehrfachrolle im Projekt ein, welche mit „Wissen-Schaffen, Prozess-Beobachtung und Gestaltung (durch direkte Interaktion)“ beschrieben werden kann (Röhling, 2019, S. 75). Eine Begleitforschung unterscheidet sich in ihrer Zielsetzung von einer Evaluation. Während eine Begleitforschung das Ziel der Gestaltung und Reflexion verfolgt, zielt eine Evaluation auf die Beurteilung und Bewertung eines Projekts oder Prozesses ab (Röhling, 2019).

Die Begleitforschung der Beteiligung von Bügerinnen und Bürgern im Projekt Ariadne war formativ, das bedeutet, sie nahm während des Prozesses eine beratende Rolle ein. Formative Begleitforschung ist „ein Ansatz des Forschens über das Forschen, welcher über, mit und für ein kollaboratives interdisziplinäres Team lernt“ (Freeth, 2019). Die Beobachtung der Beteiligung sowie die direkte Interaktion mit dem Koordinationsteam und den Forschenden bot die Gelegenheit, das Feedback der Teilnehmenden zeitnah und fortlaufend im Team zu diskutieren und zu reflektieren.

Im Folgenden werden die Methoden der empirischen Sozialforschung beschrieben, die für die Datenerhebung verwendet wurden. Die Begleitforschung umfasste insgesamt 31 Befragungen anhand von Fragebögen, 81 Interviews, teilnehmende Beobachtungen interner Planungsprozesse sowie einen Großteil der Veranstaltungen mit Bürgerinnen und Bürgern (13 von 17). 69 Interviews wurden mit Teilnehmenden geführt (32 nach Fokusgruppen, 7 nach Co-Creation-Workshops und 30 nach Bürgerkonferenzen). Sieben Interviews wurden mit Forschenden geführt (drei nach Fokusgruppen, zwei vor den Online-Deliberationen und eines nach dem Bürgergipfel). Fünf Interviews wurden mit Personen des Prozess-Koordinationsteams geführt (drei nach Fokusgruppen, zwei vor Online-Deliberationen). Teilnehmende Beobachtung ist eine sozialwissenschaftliche Methode, die es erlaubt, das zwischenmenschliche Verhalten und Auswirkungen von Handlungen zu beobachten. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die forschende Person persönlich an den sozialen Interaktionen, die Gegenstand ihrer Forschung sind, teilnimmt.

Der Großteil der Fragen an die Bürgerinnen und Bürger in den Fragebögen (hauptsächlich online) hatte ein Spektrum von sechs Antwortmöglichkeiten, von denen drei Ablehnung und drei Zustimmung ausdrückten (1 = „stimme überhaupt nicht zu“ bis 6 = „stimme voll und ganz zu“). Fragen mit anderen Skalen werden direkt mit unterhalb der Abbildung gekennzeichnet. Im Fließtext wird die Zustimmung beziehungsweise Ablehnung durch Mittelwerte (zum Beispiel M=5,8) angegeben; es handelt sich hierbei um die durchschnittliche Zustimmung beziehungsweise Ablehnung aller Befragten. Je höher der Wert, desto höher die durchschnittliche Zustimmung.

Um zu prüfen, ob sich Einstellungen bezüglich der Politikbereiche verändert haben, wurden empirische Daten einer Vorher-Nachher-Befragung sowie zur Selbsteinschätzung von Lerneffekten in Form von Interviews nach den Veranstaltungen analysiert. Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und in einer qualitativen Inhaltsanalyse mit Hilfe der Unterstützung der Software MAXQDA (Mayring, 2000) ausgewertet.

Die 31 Befragungen (davon 13 Vorher-Nachher-Befragungen) anhand von Fragebögen wurden im Rahmen von 17 Veranstaltungen zwischen November 2020 und März 2023 durchgeführt; dies umfasst acht Veranstaltungen zur Verkehrswende, sieben zur Stromwende und zwei gemeinsame. Nach jeder Veranstaltung wurde eine Feedback-Umfrage durchgeführt, in der unter anderem die Zufriedenheit mit der Veranstaltung und der Möglichkeit, sich selbst einzubringen, abgefragt wurde. Fragen bezüglich der Ergebnisse (outcomes) waren nur Teil der letzten beiden Befragungen (Ende März 2023). Alle Befragungen waren freiwillig und anonymisiert.

Um Lerneffekte zu prüfen, wurden vor und nach zentralen Veranstaltungen die Einstellungen der teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger in Interviews abgefragt. Im Anschluss an die Bürgerkonferenzen wurden die Einstellungen zu den Politikoptionen von den anwesenden Teilnehmenden gemeinsam vor Ort ausgefüllt, was eine relativ hohe Rücklaufquote erzielte (79 %, n=81). Nach den Bürgerkonferenzen wurde internes Feedback abgefragt (n=16). Dies umfasst Antworten der Moderation (n=10), des Projekt-Teams (n=4), eines Experten und einer anonymen Person. Die Fragebögen enthielten stets auch offene Fragen beziehungsweise die Möglichkeit, selbst formulierte Antworten hinzuzufügen. Basierend auf dem offenen Feedback sowie dem Stand der Forschung werden in der Diskussion Herausforderungen des Prozesses reflektiert.

4. Ergebnisse des Ariadne Beteiligungs- und Lernprozesses

4.1 Übersicht der Akteure im wechselseitigen Lernprozess

Der Wissens-Co-Creation-Prozess wurde als iterativer, gegenseitiger Lernprozess vor allem zwischen Bürger:innen und Wissenschaftler:innen konzipiert (Kap. 3). Bürgerinnen und Bürger lernten während der Fokusgruppen, den Bürgerkonferenzen und den Online-Deliberationen voneinander und von der Wissenschaft. Die Ariadne-Wissenschaft lernte von den Bürger:innen in den jeweiligen Phasen dazwischen, insbesondere über die Dokumentationen und Reflexion darüber. Durch den Austausch auf dem Bürgergipfel erhielten zudem Stakeholder aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft Impulse. Das Unternehmen ifok GmbH, zuständig für die Zufallsauswahl und die Organisation, Durchführung und Moderation der verschiedenen Dialogformate zwischen Bürger:innen und Forschenden, trug mit seinen Erfahrungen in der Bürgerbeteiligung ebenfalls zum Lernprozess bei und erfuhr darüber hinaus neue Erkenntnisse aus der Forschung (siehe Abb. 5). Die Forschenden der Arbeitspakete waren verantwortlich für die Bereitstellung der verschiedenen Politikoptionen sowie deren Implikationen auf Basis verschiedener Modellierungen und der Ergebnisse der unterschiedlichen Dialogformate mit den Teilnehmenden. Sie lernten mehr über die Perspektiven der Bürgerinnen und Bürger, neue Methoden und konnten selbstreflektiert eigene Annahmen im Rahmen ihrer Forschung hinterfragen und gegebenenfalls modifizieren. Die Policy Unit fungierte als Schnittstelle zwischen teilnehmenden Arbeitspaketen, ifok, den Bürger:innen sowie dem Gesamtprojekt. Ihr oblag die Ergebnissicherung sowie der Transfer in die APs und wieder zurück in die Dialogformate mit den Bürger:innen. Des Weiteren war sie hauptverantwortlich für konzeptionelle Überlegungen zur Durchführung und Umsetzung einzelner Formate des Lernprozesses, auch mit Blick auf die Wirkung in die politische Öffentlichkeit sowie weitere Stakeholder.

Abbildung 5: Verschiedene Akteursgruppen lernen voneinander im Ariadne-Beteiligungsprozess (eigene Darstellung).

4.2 Durchführung und Bewertungen

4.2.1 Wer partizipierte?

Wissenschaft

Im Bereich Strom und Erneuerbare Energien (AP 10) waren neun wissenschaftliche Institute am Ko-Produktionsprozess mit Bürger:innen beteiligt:

  • Geleitet wurde das Arbeitspaket vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE).
  • Weitere wissenschaftliche Partner waren: Technische Universität München (Lehrstuhl für Umwelt- und Klimapolitik), Hertie School of Governance Berlin (Centre for Sustainability), Research Institute for Sustainability (RIFS), vorherh IASS], Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU), Stiftung Umweltenergierecht (SUER), Technische Universität Darmstadt (Institut für Politikwissenschaft), Fraunhofer Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG) (Zentrum für Integrierte Energieinfrastrukturen).
  • Die Koordination (Policy Unit) und Begleitforschung des Prozesses wurde vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) durchgeführt.

Im Bereich Verkehr und Mobilität (AP7) waren vier wissenschaftliche Institute beteiligt.

  • Geleitet wurde das Arbeitspaket vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
  • Weitere wissenschaftliche Partner waren das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und das Research Institute für Sustainability (RIFS, vorher IASS).
  • Die Koordination (Policy Unit) und Begleitforschung des Prozesses wurde vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) durchgeführt.

Bürgerinnen und Bürger

Insgesamt wurden 177 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger im Rahmen des Projekts beteiligt (siehe Abbildung 6). Die Zufallsauswahl wurde in zwei Schritten vollzogen. Zunächst wurden Menschen per Melderegister und Telefonnummer zufällig ausgewählt und kontaktiert. Aus dem Pool der Interessierten wurde dann basierend auf soziodemografischen Kriterien wie Geschlecht, Alter und Bildung eine für Deutschland möglichst repräsentative Gruppe zusammengestellt. Im Folgenden wird der Ablauf der Zufallsauswahl für die Fokusgruppen, die Bürgerkonferenzen und den Bürgergipfel nochmals detaillierter dargestellt.

Abbildung 6: Auswahl der Bürger:innen im Ariadne-Beteiligungsprozess (eigene Darstellung).

Regionale Fokusgruppen 2021

Zum Auftakt der Bürgerbeteiligung im Zeitraum von November bis Dezember 2022 fanden neun regionale Fokusgruppen als Online-Veranstaltungen statt. In diesen Fokusgruppen hatten insgesamt 88 Teilnehmende die Möglichkeit, in ihren jeweiligen lokalen Kontexten von Mobilität und Infrastruktur darüber zu sprechen, was ihnen bei der Strom- und Verkehrswende wichtig ist. In dieser Hinsicht war die erste Runde der Fokusgruppen bewusst darauf ausgerichtet, Probleme und Zielaspekte zu sammeln und war noch nicht als deutschlandweite Deliberation über Handlungsalternativen geplant. Die Entscheidung, diese Treffen online abzuhalten, ergab sich aufgrund der Corona-Pandemie und ermöglichte eine regionale Durchführung in kleineren Gruppen. Die Zusammenstellung der Ariadne-Fokusgruppen basierte dafür auf dem bundesdeutschen Zensus von 2011. Die Personen erhielten abhängig von der Länge der Veranstaltung eine Aufwandsentschädigung sowie, bei Teilnahme vor Ort, eine Pauschale für Reisekosten und Hotelübernachtung. Die Diskussion sollte einen möglichst offenen Raum bieten, um die Pluralität der Problem- und Zielvorstellungen diskutieren und aufnehmen zu können. Die Zusammensetzung der Teilnehmenden der Fokusgruppen sollte die Gesamtheit der Bevölkerung möglichst in ihrer Vielfalt abbilden.

Fokusgruppen: 88 Teilnehmenden
10Städte in ganz Deutschland wurden ausgewählt; je 5 pro Themenbereich geplant – bei Stromwende nur 4 durchgeführt
10 x 600Personen wurden zufällig aus den Melderegistern gezogen (ab 16 Jahren, Geschlecht, Alter) und eingeladen
141Personen meldeten sich mit Interesse zurück
101Personen aus neun Städten wurden nach Geschlecht, Alter, Bildung ausgewählt und eingeladen
88Personen nahmen online teil
[Verkehr: 46, Strom: 42]
Tabelle 1: Rekrutierungsprozess der Teilnehmenden der Fokusgruppen

Für die Fokusgruppen im Themenbereich Verkehrswende wurden die Orte Herne, Hamburg, Salzgitter, Ludwigshafen und Tangermünde vorausgewählt. Für den Themenbereich Stromwende wurden Bergrheinfeld, Stuttgart, Lingen, Demmin und Halle ausgewählt. Leitende Kriterien für die Auswahl waren die Größe der Städte, eine ausgewogene Verteilung über ganz Deutschland sowie verkehrliche oder energie-infrastrukturelle Besonderheiten, zum Beispiel Herne als Großstadt und Transitregion mit engen verkehrlichen Verknüpfungen zu benachbarten Städten. Die vierstündigen Fokusgruppen fanden abends unter der Woche statt (16.30 Uhr bis 20.30 Uhr), finanzielle Unterstützung für Kinderbetreuung wurde angeboten. Die Anzahl der Teilnehmenden lag zwischen sechs und elf Personen. Ab zehn Personen wurden die Bürgerinnen und Bürger in zwei Kleingruppen aufgeteilt (Blum et al. 2021).

Die Zufallsauswahl wurde von der Kommunikations- und Strategieberatung ifok koordiniert, die dies mit den Daten von örtlichen Melderegistern durchführte. Die zufällig gezogene Stichprobe umfasste insgesamt 6.000 Personen: 10 Städte mit je 600 zufällig ausgewählten Personen ab 16 Jahren (Siehe Tab. 2 und Abb. 6). Jüngere Menschen sowie Menschen mit Hauptschulabschluss wurden bewusst überproportional gezogen und kontaktiert, da diese sich aus Erfahrung sehr wenig zurückmelden.

Die Bürgerinnen und Bürger wurden mit einem Brief zu den Fokusgruppen eingeladen. Aufgrund der relativ geringen Rücklaufquote von 2,4 % war die Diversität der Gruppen im Bereich Bildung und Geschlecht mäßig – im Bereich Alter hingegen zufriedenstellend. Insgesamt war ein Drittel der Teilnehmenden zwischen 16 und 34 Jahre alt. Im Themenbereich Verkehrswende nahmen verteilt auf fünf Fokusgruppen insgesamt 46 Menschen teil. 61 % der Teilnehmenden waren männlich, 39 % weiblich. Das Durchschnittsalter lag insgesamt bei 42 Jahren, wobei die Altersspanne der Teilnehmenden zwischen 17 und 76 Jahren lag. Ein Großteil der Teilnehmenden (72 %) besaß einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss, danach folgte Abitur oder Fachhochschulreife mit 11 %. Der Bereich Stromwende war mit 42 Teilnehmenden verteilt auf vier Fokusgruppen etwas kleiner. Hier waren 57 % der Teilnehmenden männlich und 42 % weiblich. Das Durchschnittsalter war mit 40 Jahren etwas niedriger als im Bereich Verkehr, wobei die Altersspanne der Teilnehmenden bei 16 bis 72 Jahren lag. Auch im Bereich Energie besaßen mit 60 % die meisten Teilnehmenden einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss, 14 % besaßen das Abitur/die Fachhochschulreife. Eine teilnehmende Person besaß keinen Abschluss. Besonders in ländlich gelegenen Gemeinden war die Rücklaufquote niedrig. In Demmin meldeten sich nur zwei Personen zurück, so dass diese Fokusgruppe abgesagt wurde.

Bürgerkonferenzen 2021

Bürgerkonferenzen: 102 Teilnehmende
1500Personen bekundeten bei der Telefonauswahl ihr Interesse und erhielten eine Einladung per E-Mail [Verkehr: 775 + Strom: 725]3Durchführung der Zufallsauswahl von ifok. Zur Methode der Zufallsauswahl siehe auch Allianz Vielfältige Demokratie 2017; BaWü 2021; Bürgerrat Deutschland’s Rolle in der Welt 2021.
293Meldeten sich an und teilten ihre sozio-demografischen Angaben mit [Verkehr: 138; Strom: 155]
+17Teilnehmende der Fokusgruppen waren interessiert erneut teilzunehmen und wurden ausgewählt (Verkehr: 7, Strom: 10); alle waren eingeladen
130Personen wurden ausgewählt und eingeladen (je 65)
102Personen nahmen vor Ort teil [Verkehr: 54; Strom: 48
Tabelle 2: Rekrutierungsprozess der Bürgerkonferenzen  

Um dem Beteiligungsprozess ein Maß an Kontinuität zu geben, wurde den Teilnehmenden der regionalen Fokusgruppen die Möglichkeit gegeben, an den Bürgerkonferenzen teilzunehmen. 17 Personen meldeten sich dafür zurück. Die Großzahl der Teilnehmenden der Bürgerkonferenzen wurde aber per Telefon ausgewählt. Hierfür wurden deutschlandweit weitere Personen über zufällig generierte Telefonnummern kontaktiert (40 % Festnetz und 60 % Mobil). Anhand von soziodemografischen Kriterien (Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund, Bundesland, Größe des Wohnorts) wurden 130 Personen aus dem Pool von 300 Personen ausgewählt, die ihre Teilnahme an den Bürgerkonferenzen rückbestätigten. Aufgrund der neu anrollenden Corona-Welle im Oktober 2021, die zur Planungszeit nicht vorhersehbar war, gab es einige kurzfristige Absagen. Final nahmen insgesamt 102 Personen an den Bürgerkonferenzen teil; 54 zur Verkehrswende, 48 zur Stromwende. Die Mehrheit der ausgewählten Personen nahm bei den Bürgerkonferenzen zum ersten Mal in dem Beteiligungsprozess des Projekts Ariadne teil (83 %). Von den Teilnehmenden aus den Fokusgruppen nahmen 17 Personen auch an den Bürgerkonferenzen teil. Sie fungierten als Botschafter:innen für den bisherigen Prozess und wurden so verteilt, dass sich in jeder Kleingruppe mindestens jeweils eine Person von ihnen befand.

Die Zusammensetzung bezüglich Geschlecht, Alter, Bundesland und Wohnort (Stadt/Land) war relativ repräsentativ im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Im Bereich Bildungsabschlüsse waren Menschen mit Hochschulabschluss mit 50 % (statt 18 % in der Gesamtbevölkerung) überrepräsentiert (siehe Ergebnisbericht Strom und Verkehr) und entsprechend andere Bildungsabschlüsse unterrepräsentiert. Alle Teilnehmenden erhielten eine Aufwandsentschädigung sowie eine Pauschale, um Fahrt- und Hotelkosten abzudecken.

Online-Deliberation 2023

Online-Deliberation: 33 Teilnehmende
102Teilnehmende der Bürgerkonferenzen wurden eingeladen [Verkehr: 54; Strom:48]
51Meldeten sich zurück [Verkehr: 29; Strom: 22] und wurden eingeladen.
47Personen nahmen online mindestens an einer Online-Veranstaltung teil [Verkehr: 26; Strom: 21]
33Personen nahmen an beiden Online-Veranstaltungen teil [Verkehr: 18, Strom 15]
Tabelle 3: Rekrutierungsprozess der Online-Deliberation

Aus dem Pool der bisherigen Teilnehmenden der Bürgerkonferenzen inklusive derer aus den regionalen Fokusgruppen wurden alle Personen eingeladen an den beiden Runden der Online-Deliberation teilzunehmen, d.h. 54 Personen zur Verkehrs- und 48 zur Stromwende. Da es bei den Online-Deliberationen um die Vertiefung der Maßnahmen sowie der Formulierung von Kernbotschaften ging, wurden keine neuen Teilnehmenden rekrutiert. Hierbei handelte es sich um jeweils dreistündige Abend-Termine, zu denen sich genau die Hälfte anmeldete. 51 Bürger:innen bekundeten ihr Interesse und wurden dann auch final eingeladen. 47 Personen davon nahmen an mindestens einer und 33 an beiden Veranstaltungen teil.

Die Zusammensetzung war aufgrund der kleineren Gruppengröße weniger repräsentativ als bei den Bürgerkonferenzen. Der Männeranteil lag zum Beispiel bei 57 %. Bezüglich des Bildungsabschlusses verfügten 62 % der Teilnehmenden über einen Hochschulabschluss; 28 % hatten einen Realschulabschluss oder eine abgeschlossene Ausbildung. 11 % hatten einen Migrationshintergrund. Menschen mit geringem Einkommen waren aus Sicht der beteiligten Forschenden zu wenig in der Online-Deliberation zur Stromwende vertreten. In zukünftigen Veranstaltungen sollte bei der Auswahl der Teilnehmenden darauf besonders geachtet und gegebenenfalls gegengesteuert werden. Um ein besseres Bild über die Hintergründe der Teilnehmenden zu erhalten, wurden im Bereich Verkehr 16 Personen zu ihrem im Alltag meist genutzten Verkehrsmittel befragt: Davon fuhren 25 % meist mit dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), 19 % mit dem Rad oder E-Bike und 44 % nutzten vornehmlich ein Auto (davon zwei Drittel ein Verbrenner- und ein Drittel ein Elektrofahrzeug).

Bürgergipfel 2023

Bürgergipfel: 105 Teilnehmende
177beteiligten Bürger:innen, die seit Beginn des Projektes mindestens ein Mal dabei waren, wurden eingeladen [Verkehr: 94, Strom: 83]
36 (+3)Bürger:innen des Ariadne-Prozesses nahmen teil [21 Verkehr, 15 Strom]
+ 3 Begleitpersonen
39  Vertretende aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft nahmen teil
18Forschende nahmen teil
9Personen aus dem Ariadne-Team nahmen teil
Tabelle 4: Rekrutierungsprozess der Bürgergipfel

Im Gegensatz zu den vorangegangenen Bürgerdialogformaten ging es beim Bürgergipfel nicht um die Erarbeitung neuer Inhalte. Stattdessen hatte der Gipfel die Funktion, den Prozess nach außen zu öffnen und die Ergebnisse in den politischen Diskurs zu Strom- und Verkehrswende einzubringen. Somit lag der Schwerpunkt auf dem Austausch zwischen den Ariadne-Bürger:innen und Stakeholdern aus Politik und Verwaltung, Verbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen: Insgesamt nahmen 105 Personen am Bürgergipfel teil. Davon 36 Bürger:innen und 39 Personen aus dem Bereich Politik & Verwaltung (10 Personen), Wirtschaft (18 Personen) und organisierte Zivilgesellschaft (18 Personen). Bei den Bürgerinnen und Bürgern waren 45 % der Teilnehmenden weiblich und 55 % männlich; bei Stakeholdern und Wissenschaft waren 50 % männlich und 50 % weiblich. Ein Großteil der anwesenden Bürgerinnen und Bürger (89 %) hatte 2021 an den Bürgerkonferenzen teilgenommen; 72 % nahmen sowohl an den Bürgerkonferenzen als auch an den Online-Deliberationen 2023 teil. Es waren 4 Personen anwesend, die lediglich an den Fokusgruppen zum Auftakt des Prozesses im Herbst 2020 teilgenommen hatten.

Seitens Politik und Verwaltung waren Vertretende drei unterschiedlicher Parteien anwesend sowie aus drei Ministerien (Bundesministerium für Wirtschaft und Klima, Bundesministerium für Digitales und Verkehr und Bundesministerium für Bildung und Forschung). Zudem nahm ein Vertreter des Umweltbundesamtes teil.

Für den Bürgergipfel wurden freiwillige Bürgerinnen und Bürger aus den Online-Deliberationen gebeten, die Ergebnisse beim Bürgergipfel vorzustellen und gemeinsam mit Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in Panel-Diskussionen zu diskutieren, die sich jeweils wie folgt zusammensetzen: zwei Bürger:innen, eine Person aus dem zuständigen Fachministerium (Bundesministerium für Wirtschaft und Klima beziehungsweise Bundesministerium für Digitales und Verkehr), jeweils eine Person aus dem Bereich Wirtschaft/Verbände (Bundesverband Windenergie e.V. – BWE beziehungsweise Verband Deutscher Verkehrsunternehmen – VDV) und organisierte Zivilgesellschaft (Bündnis Bürgerenergie beziehungsweise Verbraucherzentrale Bundesverband vzbv).

4.2.2 Zufriedenheit

Die folgende Tabelle 5 gibt einen Überblick über die wahrgenommene Zufriedenheit der teilnehmenden Bürger:innen und Forschenden während der unterschiedlichen Prozessphasen. Sie basiert auf der Auswertung von Befragungen und Interviews und beinhaltet eine Interpretation der Begleitforschung.

 Bürgerinnen und BürgerWissenschaft
FokusgruppenInsgesamt waren 78 % der Befragten sehr oder größtenteils zufrieden mit den Fokusgruppen. Ebenso gaben die meisten an, dass ihre Erwartungen erfüllt (71 %) beziehungsweise übertroffen (13 %) wurden. Eine Person kommentierte: „Mehr Kommunikation dieser Art zwischen Forschung/Politik und Bürger. Ich glaube da konnte jeder etwas mitnehmen.In den Interviews mit Forschenden wurde zum Teil Bedauern ausgedrückt, dass man nur eine sehr kleine Rolle als Input-Gebende gespielt habe und wenig Möglichkeit für soziale Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern bestand. Der Auftakt war bewusst als geschützter Raum für Bürger:innen konzipiert, daher waren Forschende bei den Kleingruppendiskussionen nicht anwesend und wurden bei Bedarf in den virtuellen Raum hinzugebeten, was von circa der Hälfte der Kleingruppe genutzt wurde.
Co-Creation-WorkshopsDie teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger waren sehr beziehungsweise größtenteils zufrieden (M= 5,0). Teilnehmende, die interviewt wurden, schätzten die direkte Interaktion mit der Wissenschaft. Zudem wurde es als positiv empfunden, dass die Diskussion im Vergleich zu den Fokusgruppen etwas konkreter wurde und auch über mögliche Handlungsoptionen gesprochen wurde. Zwei Personen gaben an, dass die Vorträge schwer verständlich und sehr detailliert waren und wünschten sich eine besser aufbereitete Wissensvermittlung.Die Forschenden meldeten eine mittlere Zufriedenheit zurück (M=4,7) und einige fanden den Workshop nur begrenzt hilfreich (M=3.6). Ein leitender Wissenschaftler gab an, „nichts Neues“ für die eigene Forschung erfahren zu haben, sondern eher eine Bestätigung der bisherigen Annahmen. Eine andere leitende Person empfand den Vorbereitungsprozess rund um den Workshop als sehr positiv, dieser habe geholfen, eigene Annahmen im Lichte der Bürgersichten zu reflektieren.
Bürger-
konferenzen
Die Zufriedenheit seitens der Teilnehmenden mit den Bürgerkonferenzen war ebenfalls hoch bis sehr hoch. Ein Großteil gab an, dass die eigenen Erwartungen erfüllt (68 %) beziehungsweise übertroffen (20 %) wurden. Eine Person kommentierte: „Ich fand es gut, mit anderen Leuten zu reden und über ein mir eigentlich fast fremdes Thema zu diskutieren.“In den Interviews beschrieben die Forschenden ihre Erfahrung bei den Bürgerkonferenzen als wertvoll und bereichernd. Bei der Stromwende-Konferenz wurde die Vielfalt der Perspektiven und der Austausch mit einem Querschnitt der Gesellschaft abseits der wissenschaftlichen Blase als horizonterweiternd erlebt (Interview, Wissenschaft, 2022).
Online
Deliberationen
Mit den Online-Deliberationen im Januar/Februar 2023 waren 89 % der beteiligten Bürger:innen sehr beziehungsweisegrößtenteils zufrieden (M=5,4). Ein Großteil der Befragten gab an, dass eigene Erwartungen erfüllt (85 %) beziehungsweise übertroffen wurden (19 %). Eine Person kommentierte: „Die Kommunikation und die Diskussionen gestalteten sich trotz des Online-Formats und der kürzeren Zeit als überraschend produktiv.“ (Teilnehmende Person, Verkehr 2023)Die meisten beteiligten Forschenden waren eher zufrieden oder größtenteils zufrieden, zwei Personen waren eher unzufrieden (M=4,5). Im Verkehr lag die Zufriedenheit mit durchschnittlich 4,3 deutlich niedriger als bei Strom (M=5,0). Von den 13 teilnehmenden Forschenden gaben 100 % an, dass sie auch zukünftig Lust auf Deliberation mit Bürgerinnen und Bürgern hätten. Kritisch wurde zurückgemeldet, dass die Online-Deliberationen mit einem verhältnismäßig hohen Aufwand verbunden sei und es schwierig sei, die komplexen Themen mit all den impliziten Annahmen zu vermitteln. Es gab jedoch auch viele positive Reaktionen, zum Beispiel „Ich bin positiv überrascht und erfreut, mit welcher Qualität und Vielfalt diskutiert wurde“.
BürgergipfelDie Teilnehmenden waren insgesamt sehr zufrieden mit dem Bürgergipfel (M=5,8). Unter den 28 Befragten gab es nur zwei negative Bewertungen zur Veranstaltung. Die Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse und der Vortrag zur Rolle von Bürgerräten zählten zu den beliebtesten Programmpunkten. Die professionelle Organisation und Moderation sowie der Austausch wurden besonders wertgeschätzt. 93 % der befragten Bürger:innen hätten Lust, auch zukünftig an ähnlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Zudem mache das Format den Teilnehmenden Lust auf Demokratie (M=5,6).Seitens der Stakeholder wurde ebenfalls eine hohe Zufriedenheit zurückgemeldet (M=5,5). Zu den beliebtesten Programmpunkten zählten neben der Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse ebenfalls der Vortrag zur Rolle von Bürgerräten und der Prozessrückblick der Begleitforschung. 89 % der Befragten hätten Lust, erneut an einer ähnlichen Veranstaltung teilzunehmen. Die Vielfältigkeit und die Professionalität des Prozesses wurden besonders gelobt. Die Stakeholder waren sich einig, dass das Format Lust auf Demokratie mache (M=5,7; 100 % Zustimmung).    
Tabelle 5: Zufriedenheit bei Bürger:innen und Forschenden
Daten: Mittelwerte auf einer Skala von 1 (trifft überhaupt nicht zu), 2 (trifft größtenteils nicht zu), 3 (trifft eher nicht zu), 4 (trifft eher zu), 5 (trifft größtenteils zu) bis 6 (trifft voll und ganz zu) sowie Interviews, die mit Beteiligten im Nachgang geführt wurden.

4.2.3 Moderation

Die Moderation durch die verschiedenen Personen der ifok GmbH wurde in allen Veranstaltungen sehr positiv bewertet und hat die Verständigung der Teilnehmenden unterstützt (siehe Tabelle 6). Die Moderation wurde als freundlich, sehr klar, gut vorbereitet und inklusiv beschrieben. Bürgerinnen und Bürger bemerkten mehrfach positiv, dass die Moderation darauf geachtet habe, dass alle zu Wort kommen. Eine Person hob die Bemühungen der Moderation hervor, alle einzubeziehen und die Diskussionen in den Fokusgruppen anzuregen:

„Die Moderation hat das gut gemacht. Sie haben darauf geachtet, dass jeder in der Gruppe eine bestimmte Zeit zu Wort kommt, um seine Meinung zu äußern. Und sie sorgten für Triggerpunkte, um die Leute anzuregen, wieder etwas zu sagen.“ (Teilnehmende der Fokusgruppe, Lingen 2020)

Die Diskussionen wurden überwiegend als ausgeglichen wahrgenommen. Laut den Teilnehmenden hatten alle die gleichen Möglichkeiten, sich einzubringen und die Diskussionen waren geprägt von einem respektvollen, inhaltlichen Austausch, bei dem unterschiedliche Argumente und Ansichten willkommen waren. Durch die teilnehmende Beobachtung lässt sich dies bestätigen: Insbesondere die Methode der Deliberation – verständigungsorientierte Diskussionen in Kleingruppen – ermöglichte interaktive Diskussionen.

In den Kleingruppen war die Atmosphäre respektvoll und die Motivation der Teilnehmenden hoch, was das Ergebnis der Begleitforschung durch die Auswertung des Feedbacks und durch ihre teilnehmende Beobachtung zeigt. In beiden Kontexten wurden die Veranstaltungen unter Corona-Bedingungen mit Maskenpflicht durchgeführt, was viele als anstrengend empfanden. Die Diskussionen in Kleingruppen wurden so moderiert, dass Bürgerinnen und Bürger durch gezielte Rückfragen unterstützt wurden, ihre Positionen zu begründen. Zudem wurden sowohl persönliche als auch gesellschaftliche Auswirkungen der Politikoptionen diskutiert. Alle Diskussionsergebnisse wurden an Pinnwänden dokumentiert.

Auf dem Bürgergipfel wurden die offene Diskussionskultur und die hohe thematische Kompetenz der delegierten Bürgerinnen und Bürger bei der Diskussion der Ergebnisse gelobt. Die Teilnehmenden im Publikum hatten keine aktive Rolle und konnten lediglich über ihre Smartphones Fragen stellen, die die Moderation zum Teil aufgriff. Eine inklusive Fishbowl-Diskussion, wie seitens der Policy Unit vorgeschlagen und auch im Programm so vorgesehen war, hätte mehr Interaktion ermöglicht. In dieser Diskussionsmethode bleibt ein Stuhl oder Platz auf dem Podium frei, so dass sich einzelne Personen aus dem Publikum hinzugesellen können, um mitzudiskutieren oder Fragen zu stellen. Dass die Fishbowl nicht so funktionierte, lag zum einem an dem digitalen Fragetool Slido sowie am Raumaufbau. So fehlte eine Bühne und ein leerer Stuhl, wie bei einer Fishbowl normalerweise vorgesehen ist. Die Panel-Teilnehmenden standen an einem Pult, zu dem sich Teilnehmende aus dem Plenum hätten dazu stellen können. Diese Möglichkeit wurde jedoch kaum genutzt und auch durch die Moderation wenig gefördert, da oft Bezug auf das digitale Fragetool genommen wurde.

Während Tabelle 6 den Vergleich der wahrgenommenen Zufriedenheit von Bürger:innen und Forschenden als Akteursgruppen ermöglicht, stellt die Tabelle 7 im Folgenden die Bewertung der Prozessqualität durch die beteiligten Bürgerinnen und Bürger dar. Sie umfasst neben der wahrgenommenen Zufriedenheit auch Voraussetzungen einer gelungenen Deliberation, wie zum Beispiel faire Redeanteile und die Möglichkeit, sich selbst aktiv einzubringen. Auf einer Skala von 1 bis 6 konnten die Befragten ihre Zustimmung oder Ablehnung bezüglich unterschiedlicher Fragen zum Prozess ausdrücken. Je höher der Mittelwert, desto höher ist die durchschnittliche Zustimmung beziehungsweise Zufriedenheit der Befragten.

FokusgruppenWorkshopsBürgerkonferenzenOnline DeliberationBürgergipfel
Anzahl der Befragungen4Es handelt sich um Mittelwerte unterschiedlicher Stichproben; eine direkte Vergleichbarkeit ist daher nicht möglich. Die Rücklaufquoten liegen im Bereich von 65 %-80 % der jeweiligen Teilnehmenden [Fokusgruppen: 78 %, Bürgerkonferenz: 68 %, Online Deliberation: 70 %]92241
Zufriedenheit mit der Veranstaltung5,15,15,25,45,8
Zufriedenheit mit Moderation5Fokusgruppen und Workshop: Moderation hat Ansichten respektiert und ernst genommen, Bürgerkonferenzen: Die Moderation hat die Verständigung zwischen den Teilnehmenden unterstützt (5,3), Zufriedenheit Moderation (5,4)5,85,85,45,8
Ausgeglichene Diskussion5,44,35,6
Gleichberechtigtes zu Wort kommen5,4

5,65,7
Bemühen anderer, mich zu verstehen5,3

5,35,4
Zufriedenheit mit Möglichkeit sich selbst aktiv einzubringen5,05,45,6
Genügend Zeit und Offenheit für eigene, neue Ideen4,5
Bessere Nachvollziehbarkeit von Sichtweisen anderer4,74,95,4
Eigener Einfluss auf die Erreichung der finalen Ergebnisse4,9
Ansichten und Werte wurden in dem Prozess gehört und respektiert5,6
Das Format macht Lust auf Demokratie5,6
Tabelle 6: Prozessbewertungen durch Bürgerinnen und Bürger.
Daten: Mittelwerte auf einer Skala von 1 (trifft überhaupt nicht zu), 2 (trifft größtenteils nicht zu), 3 (trifft eher nicht zu), 4 (trifft eher zu), 5 (trifft größtenteils zu) bis 6 (trifft voll und ganz zu), – nicht erhoben.

4.3 Lernprozess

4.3.1 Wissenselemente als Basis des Lernprozesses

Im Ariadne-Beteiligungsprozess sollten verschiedene Sichtweisen sowie Wissenselemente unterschiedlichster Art (akademisch, politisch, Werteüberzeugungen, etc.) zusammengebracht werden, um wechselseitige Verständigung zu ermöglichen (Kap. 3). Wissen, das für den Prozess erarbeitet wurde beziehungsweise daraus resultierte, sollte eine hohe Qualität aufweisen, das heißt: Ergebnisse sollten gut begründet sein und die Vielfalt von Argumenten und gesellschaftlicher Wertevorstellungen abbilden. Diejenigen Wissenselemente des Lernprozesses, wie zum Beispiel die unten beschriebenen „Lern- & Explorationsmodule“, welche dazu dienten, Bürgerinnen und Bürger über den Sachstand der Wissenschaft zu informieren beziehungsweise ihnen damit eine Diskussionsgrundlage zu bieten, sollten transparent und nachvollziehbar sein. Damit Laien wissenschaftliches Wissen verstehen können, muss dieses aufbereitet werden – insbesondere visuell – und ein angemessener Umfang gewählt werden, so dass sich die Aufgabenstellung in gegebener Zeit bearbeiten lässt.

Sowohl bei der Konzeptualisierung der Probleme, als auch bei der Erarbeitung von Lösungen (Optionen) fand ein Austausch zwischen Forschenden und Bürger:innen im Rahmen eines iterativen Prozesses statt. Im iterativen Lernprozess waren folgende Faktoren für die Wissensvermittlung relevant: Umfang und Verständlichkeit, unterstützende Visualisierung, argumentative Vielfalt, nimmt Bezug auf Werte, Vermittlung Stand der Forschung (bei Inputs), Transparenz.

Wissenselemente und deren ZieleKritik/IrritationStärke
FokusgruppenLernmodule InputHinterfragen wissenschaftlicher Fakten für manche ungewohntKompakt und informativ
Narrative MethodeWirkte auf Einzelne zu lenkendIdentifikation mit Personen und Dilemmata
Bericht Fokusgruppen (Zwischen-)Ergebnisse für die Wissenschafthoher Aufwand für TeamHohe Qualität aufgrund hoher argumentativer Vielfalt
BürgerkonferenzenPolitikoptionen + Apps InputVermittlung auf Bürger-konferenzen zu frontalBasiert auf empirischen Modellen und zeigt Spektrum an Optionen auf
Berichte Bürgerkonferenzen (Zwischen-)Ergebnissehoher Aufwand für TeamHohe Qualität aufgrund hoher argumentativer Vielfalt
Online-DeliberationPersonas MethodeIdentifikation? zu viele Informationen auf einmalStadt-Land Dimension, Gerechtigkeit
Poster inkl. Kernbotschaften OutputWissenschaft: keine neuen Erkenntnisse?Überblick zu Ergebnissen und Prozess
Tabelle 7: Übersicht und Kurzbewertung der wissenschaftlichen Wissensvermittlung nach Phasen: es wurden sehr verschiedene Formate für die unterschiedlichen Prozessphasen genutzt.

Wissenselement 1: Lernmodule („Broschüre“)

Abbildung 7: Stromwende Broschüre. Quelle: Kopernikus-Projekt Ariadne

Die Teilnehmenden der Fokusgruppen erhielten eine Woche vorab eine gedruckte thematische Broschüre (Energiewendebroschüre, Verkehrswendebroschüre), die aus kurzen Texten, grafischen Darstellungen und Abbildungen bestand. Ziel der Broschüre war es, einen schnellen Überblick über das politische Thema und den aktuellen Wissensstand zu geben. Zudem sollten die Teilnehmenden durch offene Fragestellungen auf der letzten Seite der Broschüre zum Nachdenken angeregt werden, was für sie wichtig ist, und sie gleichzeitig dazu ermutigen, die Problemdarstellung der Wissenschaft zu hinterfragen und zu ergänzen. Laut Befragung wurde die Broschüre von allen Befragten gelesen oder angeschaut. Die Mehrheit bestätigte, dass die Broschüre sie zum Nachdenken über das Thema angeregt habe (56,7 %). Die Hälfte schätzte ihren eigenen Wissenszuwachs als hoch (12 %) oder eher hoch (37 %) ein. Mehrere Personen gaben an, dass das Thema für sie bereits vorher relevant war, sie also schon vorher darüber nachgedacht hatten.

Insgesamt äußerten sich die Teilnehmenden positiv über die Broschüre und bezogen sich auch während der Diskussionen in den Fokusgruppen und den Interviews häufig auf sie. Kommentare waren zum Beispiel:

Eine sehr schöne Übersicht, sicherlich sehr gut verständlich für die Öffentlichkeit.“
(Teilnehmende Person aus Ludwigshafen, 2020, Nachher-Befragung)

 „Mir hat die Broschüre sehr gut gefallen, eine modern gestaltete Informationsquelle mit gut verständlichen Fakten (Tabellen und Zahlen) und überraschenden Zahlen (zum Beispiel im kleinen Quiz)“ (Teilnehmende Person aus Salzgitter, 2020, Nachher-Befragung).

„(…) manchmal brauchen wir Impulse, um aufmerksamer zu sein. Auch diese Broschüre, da war nichts drin, was mich überrascht hat oder was ganz neu war – aber trotzdem, jetzt diese Statistiken wieder zu sehen, das war eine weitere Erinnerung (…), die wieder Gespräche im [persönlichen] Umfeld ausgelöst hat.“ (Teilnehmende Person aus Herne, 2020, Interview)

Bürgerinnen und Bürger wurden also bereits vor der ersten Veranstaltung zu einer eigenen Meinungsbildung angeregt. Zudem war es für einige hilfreich, bereits mit Bekannten oder Familienmitgliedern und somit über den Teilnehmendenkreis hinaus gemeinsam über das Thema und ihre Werteprioritäten zu diskutieren und nachzudenken.

Nicht allen Teilnehmenden gefiel der Stil der Broschüre: Einige wünschten sich einen technischeren Input (Teilnehmende aus Stuttgart und Bergrheinfeld, Interviews, 2020). Anderen missfielen die offenen Fragen, die auf Unsicherheiten in der Forschung hinwiesen (Teilnehmende, Lingen 2020). Dies kann aus Begleitforschungssicht ein Hinweis darauf sein, dass die Erwartung an die Wissenschaft häufig ist, Fakten zu präsentieren und Lösungen aufzuzeigen. Die Wissenschaft wird dabei eventuell als Akteur gesehen, an dem man sich orientieren und von dem man etwas lernen kann. Die Rolle von Wissenschaft, die einen Dialog auf Augenhöhe mit Bürgerinnen und Bürgern anstoßen möchte, um eigene Annahmen zu hinterfragen, scheint somit für viele ein neues, ungewohntes Konzept zu sein und bedarf entsprechend einer klaren, verständlichen Einführung zu Beginn des Prozesses.

Wissenselement 2: Narrative

Als Diskussionsgrundlage der Fokusgruppen dienten jeweils zwei Narrative (siehe Beispiel Box 2), die gemeinsam von ifok und der Ariadne Policy Unit entwickelt wurden: das waren Beispielgeschichten mit Alltagssituationen, die zum einen die Gegenwart illustrierten und zum anderen eine mögliche Zukunft skizzierten. Diese Narrativ-Methode unterstützte die Moderation in der Initiierung einer möglichst vielfältigen Diskussion. Dabei wurde in der Formulierung der Narrative, welche den Online-Gruppen vorgelesen wurden und gleichzeitig schriftlich sichtbar waren, darauf geachtet, diese nicht zu harmonisch und beschönigend zu formulieren, und sie ferner stets nur als Startpunkt einer Diskussion zu nutzen. Teilnehmende Personen teilten während der Fokusgruppendiskussion mit, welche Aspekte der Narrative sie positiv bewerteten, aber auch, was sie an den Formulierungen der Narrative irritierte oder störte (Blum et al. 2021, S.27).

Box 2: Die Verkehrswende von morgen?! (Zukunftsnarrativ)

Wir schreiben das Jahr 2035. Karla fährt mit einem autonomen Sharing-Auto morgens auf die Arbeit. Der Verkehr ist heute flüssig. Es gibt insgesamt weniger Autos auf den Straßen als früher und die breiten Fahrradwege sind voll mit Radfahrenden. Wo früher Parkplätze waren, gibt es heute breite Fußgängerwege. Neben ihr fährt ein voll besetzter elektrisch betriebener Bus vorbei. Karlas Fitnessuhr hatte ihr eigentlich vorgeschlagen, heute das Leih-Fahrrad zur Arbeit zu nehmen, um ein paar nötige Fitnesspunkte zu sammeln, doch Karla entschied sich dagegen. Es regnet schließlich und während der Fahrt ins Büro will sie noch schnell ein Geburtstagsgeschenk für ihre Tochter Ayla bestellen, die sie am Wochenende mit einem Besuch überraschen möchte. Auf der Fahrt findet sie außerdem ein günstiges Bahnticket nach Süditalien für ihren Sommerurlaub. Aufs Fliegen verzichtet sie schon seit Jahren. Ihre Tochter Ayla ist glücklich auf dem Land und kommt inzwischen mit Hilfe eines gut ausgebauten ÖPNV auch relativ leicht in den nächsten Supermarkt, zum Sport, oder zu den Freizeitaktivitäten ihrer Kinder. Bei gutem Wetter nutzt sie für solche Wege auch gerne ihr E-Bike.

Zukunftsnarrativ, Quelle: Blum et al 2021

Eine Person beschreibt die Arbeit mit der Methode wie folgt: „Am Anfang habe ich gedacht, was soll das denn werden? Ich fand es schon ein bisschen eigenartig, aber im Nachhinein habe ich mich davon überzeugen lassen, dass es eine ganz gute Methode ist, weil die Texte doch ganz unterschiedlich gelesen werden und dann unterschiedliche Aspekte angesprochen werden, was ich so gar nicht vermutet hätte.“ (Teilnehmende Person Halle, 2020)

Aus Sicht der Begleitforschung bestand die Stärke der Methode darin, dass die Kurzgeschichten Charaktere beinhalteten und Dilemmata thematisierten, mit denen sich die Teilnehmenden identifizieren konnten. Die argumentative Vielfalt der Diskussionen war daher sehr hoch.

Wissenselement 3: Ergebnisse der Fokusgruppen

Abbildung 8: Beispiel Themenbereiche und Kategorien Verkehrswende aus dem Synthesebericht (Blum et a. 2021)

Die Fokusgruppen wurden protokolliert und im Anschluss qualitativ jeweils getrennt nach Strom und Verkehr im Synthesebericht (Blum et al. 2021) ausgewertet. Basierend auf den Methoden des argumentativen mapping und situativen mapping (nach Clarke 2012) wurden die von den teilnehmenden Bürgerinnen und Bürgern genannten Argumente jeweils entlang von 16 Themenbereichen geordnet und wiederum in drei Dimensionen gruppiert. Zu jedem der 16 Themenbereiche wurden die unterschiedlichen Argumentationslinien beschrieben, die die Diskussionen prägten – diese umfassen sowohl veränderungsorientierte als auch status-quo-orientierte Aussagen (Blum et al. 2021). Das Ziel dieser qualitativen Ergebnissynthese war es, das breite Spektrum an Problem- und Zieldimensionen abzubilden, welche in den Diskussionen zur Sprache kamen. In den Ergebnisberichten der Fokusgruppen wurden dazu Wertedimensionen explizit aufgezeigt, wie zum Beispiel soziale Gerechtigkeit/Fairness, Selbstbestimmung/Freiheit, Komfort, Sicherheit oder Gesundheit. Die Analyse und Synthese der über 2.000 Seiten langen Wortprotokolle war sehr ressourcenaufwendig. Bei zukünftigen Prozessen könnten Forschende aktiv in eine systematische Ergebnissicherung eingebunden werden, was deren Identifikation (ownership) und inhaltliche Kenntnis der Bürgersichten erhöhen könnte beziehungsweise auch deutlich macht, welche Aspekte durch vorangegangene wissenschaftliche Arbeiten bereits bekannt und welche neu hinzugekommen sind.

Wissenselement 4: Explorationsmodule (Tablet-Apps) mit Politikoptionen

Die Forschenden erfuhren mittels des Syntheseberichts sowie Online-Treffen mit der Policy Unit, welche Problem- und Zieldimensionen die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger als besonders wichtig identifiziert hatten und glichen diese mit ihrer bisherigen Forschungsagenda ab. Basierend darauf entwickelten die Arbeitsgruppen jeweils unterschiedliche Politikoptionen. Jede Option umfasste ein Bündel von Maßnahmen, um die verkehrs- beziehungsweise energiepolitischen Ziele Deutschlands zu erreichen. Die Politik-Optionen setzten jedoch jeweils verschiedene Schwerpunkte in der Umsetzung. Es flossen drei Arten von Wissenselementen ein:

  1. Akademisches Wissen: Existierende Forschung aus Arbeitsgruppen inkl. Theorien, Annahmen, Methodenwissen zu Szenarien/Modellen sowie Daten, die im Kontext der Verkehrs- und Stromwende relevant sind
  2. Nicht-akademisches Wissen: Problem- und Zieldimensionen der Bürgerinnen und Bürger
  3. Wissen zum aktuellen politischen Kontext: aktuelle politische Rahmenbedingungen und diskutierte Optionen

Von Mai bis September 2021 wurden im Kontext des Beteiligungsprozesses Szenarien auf Basis der Politikoptionen von den Projektpartnern Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (Fraunhofer IEE) und Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt – Institut für Verkehrsforschung (DLR) erarbeitet. Bezüglich der Stromwende konzipierte die Arbeitsgruppe zwei Energiewelten entlang des Spektrums Zentralität beziehungsweise Dezentralität. Diese schafften eine Diskussionsgrundlage, um Werte wie Teilhabe, Mitbestimmung und Versorgungssicherheit abzubilden, welche den Bürgerinnen und Bürgern besonders wichtig waren. Für die Verkehrswende konzipierte die Arbeitsgruppe vier Zukunftspfade: (1) Regulierung mit Schwerpunkt auf Ge- und Verboten zur Umgestaltung des Verkehrssystems, (2) Digitalisierung und Technologien mit Augenmerk auf Innovationen wie Förderung synthetischer Kraftstoffe und autonomes Fahren, (3) Markt/CO2-Preis mit einem hohen CO2-Preis als Leitinstrument und (4) Neue Mobilität mit einer weitreichenden Umgestaltung des Verkehrssystems. Diese beiden Energiewelten beziehungsweise vier Verkehrspfade (siehe auch Annex III für eine nähere Beschreibung) und ihre Auswirkungen wurden in einer Tablet-App (siehe Abb. 9), den sogenannten Explorationsmodulen, visualisiert, um sie den Bürgerinnen und Bürgern verständlich aufzubereiten. Die Policy Unit erstellte einen Großteil der Struktur und Texte dieser Explorationsmodule, während die Arbeitsgruppen Daten zu Auswirkungen, Zielerreichung und Konfliktlinien beitrug. Ein externer Dienstleister realisierte im Austausch mit den Forschenden und der Wissenschaft die Konzeption und Darstellung der Explorationsmodule (siehe Ariadne-Website).

Abbildung 9: Beispielansichten Explorationsmodul Verkehrswende. Quelle: Kopernikus-Projekt Ariadne

Ein positiver Nebeneffekt war, dass die Module online zugänglich sind und zum Beispiel von Schulen genutzt werden können. Die Entwicklung der Module bedeutete jedoch einen sehr hohen Arbeitsaufwand und Ressourceneinsatz. Zudem bestand zeitlicher Druck, sie für die fest terminierten Bürgerkonferenzen fertigzustellen, da die wissenschaftlichen Analysen länger dauerten als geplant, diese jedoch die Grundlage für die Explorationsmodule darstellten.

Die Explorationsmodule (Tablet-Apps) erhielten größtenteils positives Feedback der Bürgerinnen und Bürger in den Umfragen. In den tiefergehenden Interviews gab es gemischtes Feedback. Die Hälfte der Befragten fand, dass sich die App als sehr bis größtenteils positiv auf die Qualität der Kleingruppendiskussion ausgewirkt habe. Über zwei Drittel stimmten voll und ganz beziehungsweise größtenteils zu, dass die App ein hilfreiches Nachschlagewerk sei; knapp zwei Drittel stimmten zu, dass die Nutzung Spaß gemacht habe. In den Interviews war auffallend, dass die Verkehrs-App deutlich positiver und hilfreicher wahrgenommen wurde als die Strom-App. Einige Teilnehmende beschrieben jedoch auch Schwierigkeiten, sich anfangs zurechtzufinden oder fühlten sich durch die Struktur eingeengt. Der Großteil der Teilnehmenden empfand die Pfade jedoch als hilfreiche Diskussionsgrundlage, die der Diskussion eine Struktur gab und Orientierung bot („gutes Gerüst“). Die zwei Energiewelten der Stromwende seien „eine klare Diskursvorlage, aus der heraus in Mischformvarianten gedacht werden konnte“ (Kommentar in Feedback Umfrage 2021).

Abbildung 10: Feedback zu Pfade und Welten. Quelle: Eigene Darstellung

Dass das Explorationsmodul Verkehr besser bewertet wurde als das für Strom kann unterschiedliche Ursachen haben. Zunächst ist das Thema „Stromwende“ weiter entfernt von der Lebenswelt der meisten Menschen als das Thema Verkehr. Es war herausfordernd, wissenschaftliche Daten, zum Beispiel zum Netzausbau oder zur Verteilung von Windkraftanlagen, so aufzubereiten, dass sie allgemein verständlich sind und der Einzelne dazu in der Lage, Alternativen zu bewerten (Interview Policy Unit 2021). Im Verkehr wurden die Pfade unter anderem in Anlehnung an den aktuellen politischen Diskurs konzipiert, der Bürgerinnen und Bürgern Orientierung in Bezug auf Wertvorstellungen bot: der Pfad „Regulierung“ spricht den Wert Kontrolle und Vertrauen in Regeln und Gesetze an, der Pfad „Digitalisierung und Technologien“ spricht die Werte Freiheit und Selbstbestimmung an, der Pfad „Markt/CO2-Preis“ spricht Werte wie Effizienz und Vertrauen in Märkte an und „Neue Mobilität“ spricht Werte wie Offenheit für Veränderung, Klimaschutz und Gemeinschaft an. Zudem sind die zwei Energiewelten eine geringe Anzahl an Alternativen, während vier Zukunftspfade im Bereich Verkehr es für die Bürgerinnen und Bürger einfacher machten, sich selbst im diskursiven Spektrum zu verorten.

Wissenselement 5: Ergebnisse der Bürgerkonferenzen

Die Diskussionen der Bürgerkonferenzen erfolgten größtenteils in Kleingruppen an Tischen mit 8 Bürger:innen. Ergebnisse der Tischdiskussionen wurden durch Fotos der Pinnwände dokumentiert und im Anschluss verschriftlicht. Im Bereich Verkehr waren es zum Beispiel acht Tischgruppen, die Verkehrspfade unter verschiedenen Fragenkomplexen (zum Beispiel persönliche sowie gesellschaftliche Vor- und Nachteile) über drei Runden diskutierten. Die Synthese der Ergebnisse basierte auf einer qualitativen Analyse der tischübergreifenden Argumente, Ideen und Hinweise. Die Ergebnisberichte sind online abrufbar (Blum et al. 2022, Treichel et al 2022). Die argumentative Vielfalt der Diskussionen wurde angemessen abgebildet und die Werte-Dimensionen, die bereits aus der Analyse der Fokusgruppen entstanden waren, dienten der Interpretation und Kategorisierung der Ergebnisse. Es zeigte sich, dass die Zuständigkeiten im Vorfeld nicht klar genug abgestimmt wurden, weshalb die Begleitforscherin die Ergebnissicherung und Auswertung übernommen hat. In Zusammenarbeit mit Katja Treichel-Grass von der Policy Unit wurden zwei Berichte zu den Bürgerkonferenzen verfasst. Eine Herausforderung im Projekt waren die unterschiedlichen Erwartungshaltungen an die Qualität und Nachvollziehbarbarkeit der Ergebnisse.

Abbildung 11: Präsentation auf Online-Deliberation über Auswertung der Deliberation. Quelle: Kopernikus-Projekt Ariadne

Folgende Wissenselemente wurden nach den Bürgerkonferenzen durch die Wissenschaft aufgenommen, um die Diskussion in einem letzten Schritt zu vertiefen.

1. Akademisches Wissen:
Verkehr: Szenarien und Daten zum Verkehr (DLR) sowie Ökobilanz (PIK)
Strom: Szenarien und Daten zum Netzausbau (Fraunhofer IEE)

2. Nicht-akademisches Wissen: Priorisierte Politikoption und Feedback der Bürgerinnen und Bürger:
Verkehr: Fokus auf „Neue Mobilität“; soziale Gerechtigkeit und Stadt-Land-Unterschiede
Strom: Fokus auf Dezentrale Welt (Solarausbau); Teilhabe aller, Flächen schonen, politisch-aktuelle Diskussion („Osterpaket“ der Bundesregierung 2022)

Wissenselement 6: Personas (Beispielhaushalte)

Zur Vertiefung der Politikoptionen wurden durch die Policy Unit und ifok im Austausch mit einigen Forschenden drei Personas, also Beispielhaushalte konzipiert, die unterschiedliche Einkommensverhältnisse, Alter und Anzahl an Familienmitgliedern haben: es gab eine Familie mit geringem Einkommen, eine sehr reiche Frau sowie ein Rentnerpaar mit mittlerem Einkommen. Jede Persona hat zwei Ausprägungen: einmal in der Stadt und einmal auf dem Land (siehe Beispiel Abb. 12). Das Ziel der Personas war es, für den Bereich Verkehr die Auswirkungen des Pfades Neue Mobilität und des darin inkludierten CO2-Preises von 180 €/t noch konkreter zu machen (siehe Abb. 13). Ein Wissenschaftler aus dem Bereich Verkehr erklärt die Intention wie folgt:

„Diese Personas hatten wir uns überlegt, um eine stärkere Identifizierung zu bekommen, weil ja jede Bürgerin, jeder Bürger seine eigene Lebensrealität hat und seine eigenen Mobilitätsmuster und Entscheidungen. Mit diesen Personas, die wir uns überlegt haben, wollen wir auch die Wirkungen auf die jeweiligen Personas darstellen, und ein bisschen die Diskussionen zum Beispiel Fokus Stadt-Land besser zu leiten, dass sie sich noch ein bisschen besser vorstellen können, was eigentlich genau aus dem Pfad folgt.“ (Interview, Wissenschaft, 2022).

Abbildung 12: Beispiel einer Persona-Beschreibung (die weiteren 2 Personas befinden sich im Anhang). Quelle: Kopernikus-Projekt Ariadne

Im Bereich der Stromwende fungierten die Personas insbesondere zur Veranschaulichung von Beteiligungs- und Teilhabemöglichkeiten beim Ausbau von Erneuerbaren Energien sowie den Implikationen von Solardachpflichten. Die meisten Forschenden bewerteten die Personas als „eher hilfreich“ bei der Vermittlung der politischen Optionen und deren Auswirkungen. Der Umfang der Informationen, die mittels der Personas präsentiert wurden, war hoch für die vergleichsweise kurze Zeit der Diskussion. Die Personas schufen einen zum Teil zahlenbasierten Ausgangspunkt für die Diskussion; jedoch wurde beobachtet, dass sich einige Bürgerinnen und Bürger noch mehr Durchschnittspersonen anstatt einen Extremfall gewünscht hätten (Kommentar der Wissenschaft, Befragung 2023). Gleichwohl können Extremfälle genutzt werden, um ein breites Verständnis der Implikationen einer Politikoption zu erhalten. In diesem Fall wurde gezeigt, dass eine viel mit dem PKW fahrende „einkommensstarke Single-Frau“ mehr Alternativen zur Verfügung stehen, um ihr Verhalten zu ändern als einkommensschwachen Haushalten, wie beispielsweise die Vermeidung von CO2-Preis-Ausgaben durch den Kauf eines E-PKW.

Eine Rückmeldung der Online-Deliberationen war „teils sehr viel Stoff; sowohl Input durch die Wissenschaft als auch Themen in den Kleingruppen“ (Befragung, Wissenschaft 2023). Aus Sicht der Policy Unit, die die Diskussionen der Kleingruppen beobachtete, haben die Personas zu einer informierten und differenzierten Diskussion des Themas geführt. Der Umfang und Stil einer Diskussionsgrundlage, die einerseits fachliches Wissen vermitteln und verständlich kommunizieren soll, bleibt folglich eine Herausforderung in Deliberationsprozessen.

Abbildung 13: Beispielfolie aus der Präsentation der Forschenden (MCC Berlin) zu Optionen der Rückverteilung der CO2-Preis-Einnahmen auf die verschiedenen Personas mit jeweiliger Ausprägung Stadt/Land. Quelle: Kopernikus-Projekt Ariadne

Wissenselement 7: Kernbotschaften

Als Ergebnis des Deliberationsprozesses standen jeweils fünf Kernbotschaften (s. Anhang), die in Faltpostern näher erläutert wurden. Sie wurden vom Projekt-Team (Policy Unit und ifok) als Entwurf auf Basis der Ergebnisse der Fokusgruppe, Co-Creation-Workshops sowie Bürgerkonferenzen formuliert und gemeinsam mit der Wissenschaft und den Bürger:innen im Zuge der Online-Deliberation 2023 kommentiert, modifiziert und finalisiert.6Zu den Ergebnissen zählen zudem die Schlussfolgerungen zu den Themen der Online-Deliberation (CO2-Bepreisung und Neue Mobilität im Verkehr sowie Wind im Wald und Teilhabe bei Strom) (siehe Faltposter Stromwende und Verkehrswende). Es wurden bewusst wenige Kernbotschaften gewählt, um die für die Bürgerinnen und Bürger wichtigen Erkenntnisse öffentlich zu machen und ihnen eine hohe Sichtbarkeit zu geben, statt viele kleine Ergebnisse, die in der öffentlichen Debatte nicht selten verwässern. Im Bereich Verkehr wurde ersichtlich, dass für die Kernbotschaften die Werte Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, Inklusion und Fairness sowie Selbstbestimmung für die Bürgerinnen und Bürger im Vordergrund stehen und hier ein besonderes Augenmerk auf Stadt-Land-Unterschiede sowie unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen lag. Bei der Stromwende waren Gerechtigkeit, Fairness und Teilhabe beim Ausbau der Erneuerbaren Energien priorisierte Werte für die Kernbotschaften. Darüber hinaus sollte es leichter zugängliche Informationen geben sowie lokale Wertschöpfung eine besondere Rolle spielen.

Abbildung 14: Feedback zur Online-Deliberation. Quelle: Kopernikus-Projekt Ariadne

Alle beteiligten Forschenden der Online-Deliberation zur Verkehrswende gaben an, dass sie die Kernbotschaften vor dem Hintergrund der eigenen Forschung und aktueller politischer Debatten als relevant ansehen (M= 4,7). Kritisch bemerkt wurde der fehlende Erkenntnisgewinn: „hier wird eher der öffentliche Diskurs wiederholt“. Die Bürgerinnen und Bürger waren nach der Online-Deliberation größtenteils bis sehr zufrieden mit den Ergebnissen (M=5,1).

Die nach dem Bürgergipfel befragten Stakeholder (n=9) aus der organisierten Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft bewerteten die Relevanz der Ergebnisse im Bereich Verkehr etwas höher als im Bereich Strom (MVerkehr =5,3; MStrom= 4,9). Dies wurde damit begründet, dass die Diskrepanz zwischen der aktuellen Politik und den Empfehlungen der Bürgerinnen und Bürger im Bereich Verkehr deutlich größer ist und somit ein weiterer Impuls durch die Kernbotschaften gesetzt würde. In der Stromwende wurden Kernbotschaften erarbeitet, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen wie die von der im Herbst 2021 neu gewählten Regierungskoalition verabschiedeten Gesetze und Strategien aus dem sogenannten Osterpaket. Beispiele sind der Wunsch der Bürgerinnen und Bürger nach einer gerechteren Verteilung der Windenergieanlagen über alle Bundesländer einerseits und das Wind-an-Land-Energie-Gesetz andererseits, der Wunsch nach mehr finanzieller Beteiligung von Kommunen am Erneuerbaren-Energien-Ausbau und dazu §6 EEG 20237§6 EEG 2023 regelt, dass Anlagenbetreiber die Gemeinden, die von der Errichtung der Erneuerbare-Energien-Anlage betroffen sind, finanziell beteiligen. oder auch der stärkere Fokus auf Photovoltaik, der auch im Erneuerbaren Energien Gesetz (EEG) 2023 verankert ist. Aus Sicht der Deliberationsforschung stellt die Ähnlichkeit der Kernbotschaften zum öffentlichen Diskurs eine Stärke der diskursiven Repräsentativität dar. Der Unterschied zur allgemeinen öffentlichen (medialen) Debatte besteht darin, dass Bürgerinnen und Bürger in einer wohlinformierten Deliberation die Möglichkeit haben, ihre Ansichten weiterzuentwickeln, so dass sich zuvor heterogene Ansichten annähern und sich Schnittmengen dazu herausbilden.

4.3.2 Überblick zu sozialem und inhaltlichem Lernen bei Bürger:innen und Forschende

Folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Lernprozesse der beteiligten Forschenden und Bürger:innen aus Sicht der Begleitforschung basierend auf teilnehmenden Beobachtungen und Interviews. Es geht um die Frage, ob Bürger:innen und Forschende durch den Austausch im Projekt Ariadne ihre Einstellungen beziehungsweise Annahmen zu verschiedenen Politikoptionen verändert haben. Die Tabelle hat das Ziel, die wichtigsten Erkenntnisse zusammenfassen. Eine ausführlichere Erläuterung erfolgt in den darauffolgenden Abschnitten.

 Bürgerinnen und BürgerWissenschaft
FokusgruppenIn den Fokusgruppen gaben 63 % an, etwas Neues gelernt zu haben. Dies wurde durch wissenschaftliche Inputs und Antworten von Expert:innen ermöglicht, die eine Orientierung basierend auf dem aktuellen Stand der Forschung aufzeigten. In beiden Formaten wurde soziales Lernen durch Zuhören, Austausch und Verständigung angeregt. Einige Teilnehmende betonten nach den Fokusgruppen, dass sie die Sichtweisen aus unterschiedlichen Generationen in der Diskussion als bereichernd empfanden. In einer Vorher-Nachher-Befragung wurden die Antworten auf die Frage verglichen, was die Teilnehmenden bei der Gestaltung des Verkehrs beziehungsweise der Energieversorgung besonders wichtig finden.[8] Die qualitative vergleichende Analyse ergab, dass 59 % der Befragten ihre Sichten diesbezüglich in geringem Maße veränderten und 14 % ihre Sichten deutlich änderten.In der Phase, die auf die Fokusgruppen folgte (Jan 2021 – Juli 2021), hatte die Wissenschaft den Auftrag, die Problem- und Zieldimensionen der Bürgerinnen und Bürger in der Konzeption von Politikoptionen ihres Arbeitsbereichs zu berücksichtigen. Lernsituationen waren sowohl im Bereich Verkehrs- als auch im Bereich Stromwende zu beobachten. Im Bereich Verkehr waren zunächst nur drei Optionen konzipiert, die sich an einer Antriebswende orientieren und einen wichtigen Teil der Bürgersichten nicht abbildete: den Wunsch nach einer ambitionierten Mobilitätswende weg vom Individualverkehr hin zu Rad-, Fuß-, ÖPNV-Verkehr und Sharing-Mobilität. In einem iterativen Arbeitsprozess innerhalb des Ariadne-Teams nach den Fokusgruppen und der Co-Creation entschlossen sich die Forschenden, den Pfad „Neue Mobilität“ als zusätzliche Option zu konzipieren, der eine Mobilitätswende abbildet, welche auch Verhaltensänderungen der Bevölkerung erfordern würde. Die Forschungsgruppe Stromwende konzipierte basierend auf der Relevanz von Teilhabe, gerechter Verteilung von Chance und Lasten und Klimaschutz zwei Energiewelten: eine dezentrale und eine zentrale Welt.
Co-Creation
Workshop
 
Die Workshops wurden von den teilnehmenden Bürgerinnen und Bürgern geschätzt, weil diese mehr Zeit für direkten Austausch mit der Wissenschaft beinhalteten. 91 % der Befragten stimmten der Aussage zu, dass der Workshop zu einem gegenseitigen Verständnis zwischen Bürger:innen und Forschenden beigetragen hat. 91 % gaben an, dass sie durch die Teilnahme am Workshop neue Perspektiven kennen gelernt haben. 38 % gaben an, dass sie durch den Workshop eigene Annahmen hinterfragt haben.Als Bindeglied im iterativen Ping-Pong blieb der Workshop etwas hinter den Erwartungen des Prozess-Teams und der Wissenschaft zurück. Trotzdem wurde durch die Interaktion eine Reflexion inhaltlicher Aspekte angeregt: Eine Forscherin im Bereich Stromwende gab an, durch den Workshop erfahren zu haben, dass regionale Verteilungsgerechtigkeit beim Ausbau Erneuerbarer Energien ein kontroverses Thema sei, und fügte hinzu: „die genannten Kriterien nehme ich mit für die Entwicklung und Auswertung von Energieszenarien“ (Befragung 2021). Ein Verkehrsforscher reflektierte durch die Interaktion mit Bürgerinnen und Bürgern zum Thema E-Mobilität und soziale Gerechtigkeit, dass sich nicht alle Menschen neue elektrische Fahrzeugen leisten können und der einfache Umstieg somit nicht möglich sei (Befragung 2021).
Bürger-
konferenzen
Die Deliberation ermöglichte es dem Großteil der Teilnehmenden, sich ein differenziertes Bild von den Zusammenhängen und Vor- und Nachteilen der Politikoptionen zu machen. Ein klarer Lerneffekt war vom ersten auf den zweiten Tag zu beobachten; viele der Bürge:innen und Bürger hatten sich am zweiten Tag bereits Fachbegriffe angeeignet und waren in der Lage, sich mit der Komplexität der Politikoptionen auseinanderzusetzen. 78 % der Befragten stimmten voll und ganz beziehungsweise größtenteils zu, dass sie durch die Teilnahme an der Bürgerkonferenz die Vor- und Nachteile der Politikoptionen nun besser einordnen können (M=5,1). Im Bereich Verkehr änderten 50–67 % der Personen die separaten Pfad-Bewertungen und knapp die Hälfte (47 %) veränderte ihre Pfadpräferenz. Im Bereich Strom änderten 56–67 % der Befragten die separaten Bewertungen der Energiewelten und 28 % veränderten ihre Präferenz (siehe Blum et al. 2023 sowie die Flussdiagramme im Anhang). Nach den Bürgerkonferenzen stimmten über 70 % der Aussage zu, dass sie ein besseres Verständnis ihrer eigenen Werte bezüglich der Verkehrs- beziehungsweise Energiewende erlangt haben. (Fokusgruppen: 82 %, Bürgerkonferenzen 76 %). In beiden Bereichen kristallisierte sich ein von der Mehrheit der Bürger:innen präferiertes Maßnahmenbündel heraus auf Basis der Deliberationsergebnisse plus Umfragen: Dezentrale Welt in der Stromwende, Neue Mobilität in der Verkehrswende.Einen Mehrwert sahen die beteiligten Forschenden in der persönlichen Begegnung und in den resultierenden neuen Impulsen zum Thema gesellschaftliche Trägerschaft und Akzeptanz von Szenarien beziehungsweise politischen Optionen. Die Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern war aus ihrer Sicht hilfreich für die Frage, welche Maßnahmen der Transformation mitgetragen werden würden und wo und aus welchen Gründen die größten Herausforderungen und Probleme gesehen werden. Zudem wurden eine neue Methode und neue Rollen ausprobiert. Folgendes Zitat beschreibt die positive Erfahrung eines beteiligten Wissenschaftlers der Stromwende: „Das war sehr bereichernd und als Format sehr wertvoll, dass man selber in einer passiveren Rolle ist. Von dem Konzept werde ich in eine andere Rolle gezogen: Ich bin nicht derjenige, der sagt, das ist richtig, das ist falsch, sondern ich bin für Erklärung und für Fragen da, soll mich aber bewusst zurückhalten.“ (Ariadne-Wissenschaftler Stromwende, 2022) Im Bereich der Stromwende bestand ein wichtiger Lernmoment darin, dass die Forschende ein integriertes Bürgerszenario konzipierten, welches das von den Bürgerinnen und Bürgern präferierte Szenario „dezentrale Welt“ mit dem Ergebnissen der Bürgerkonferenz modifizierte und konkretisierte.
Online-DeliberationenDurch die Online-Deliberation vertieften die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger ihre Kenntnisse zu einzelnen Maßnahmen der präferierten Politikoptionen, wie zum Beispiel Trends in Deutschland im Verkehrsbereich im Vergleich zum Verkehrspfad „Neue Mobilität“ oder im Bereich Strom zu den neuen Regelungen des Erneuerbaren Energien Gesetzes von 2023 in Bezug auf die Kommunale Beteiligung nach §6 EEG. Bemerkenswert ist der Anstieg des Selbstvertrauens, sich aktiv in eine Diskussion bezüglich des Themas einzubringen. Eine Person kommentierte: „Häufiger derartige co-kreative Ansätze anbieten. Damit fühle ich mich als Bürger ernst- und wahrgenommen. Das fetzt und macht Laune auf Demokratie.“ (TN Online Deliberation Stromwende, 2023).Rund zwei Drittel der beteiligten Forschenden (69 %) haben durch ihre Teilnahme an den Online-Deliberationen eine neue Methode der Wissensgenerierung kennengelernt, auf die sie auch zukünftig zurückgreifen würden. Ebenso viele gaben an, neue Denkanstöße erhalten zu haben. 28 % haben ihre bisherigen Ansichten zum Thema Strom/Verkehr hinterfragt. 85 % gaben an, neue Sichtweisen kennengelernt zu haben. Es gab jedoch auch kritische Rückmeldungen einzelner Personen, die die Fragen zum Lernprozess im Rahmen der Online-Deliberation deutlich negativer bewerteten als die übrigen Forschenden.
 Bürgerinnen und BürgerStakeholder
BürgergipfelEine zentrale Erkenntnis für viele Teilnehmende des Bürgergipfels war, „dass Bürger etwas bewegen können“ – denn die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger machte die positive Erfahrung, von Vertretenden der Ministerien und Verbänden gehört zu werden und beteiligt zu sein (Befragung 2023). Beteiligungsformen wie Bürgerräte (und Deliberation mit Bürgerinnen und Bürgern) wurden als Horizonterweiterung im Spektrum der politischen Meinungsbildung beschrieben, die laut den Teilnehmenden mehr zum Einsatz kommen sollten.Die Verbände gaben nach der Diskussion der Ergebnisse ein sehr positives Feedback. Ein Vertreter beschrieb die Diskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern als „Rückenwind“ für seine Arbeit. Da Verbände und Bürger:innen in deliberativen Formaten bisher wenig Interaktion hatten, lässt sich dies als neue, konstruktive Interaktion beschreiben. Vertretende beider Ministerien waren vor Ort und argumentierten mit den Bürgerinnen und Bürgern. Die Ergebnisse wurden als „relevant“ bezeichnet – jedoch bleibt offen, ob die Ergebnisse tatsächlich in weitere politische Prozesse oder Vorhaben einfließen. Die Ausstellung sowie die Explorationsmodule sind im Nachgang zum Bürgergipfel erneut auf anderen Veranstaltungen genutzt worden.
Tabelle 8: Feedback der Bürger:innen, Forschende und Stakeholder zum Lernprozess

4.3.3 Lernprozess der Bürgerinnen und Bürger

In diesem Abschnitt werden verschiedene Aspekte des Lernens auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger genauer beleuchtet. Der Fokus liegt dabei auf Veränderungen von Einstellungen, die über Befragungen erhoben wurden. Zunächst wird die Bedeutung der Vielfalt im Teilnehmendenkreis beleuchtet und anschließend auf die Bewertungen der Politikoptionen über den Verlauf der verschiedenen Bürgerbeteiligungsformate eingegangen. Ebenfalls berücksichtigt werden die Reflexion der eigenen Werte bei den Bürgerinnen und Bürger sowie ihr Gefühl der Selbstwirksamkeit.

Generationenübergreifender Diskurs in den Fokusgruppen und Co-Produktions-Workshops

Abbildung 15: Feedback zu Fokusgruppen. Quelle: Kopernikus-Projekt Ariadne

Durch die gewichtete Zufallsauswahl war die Altersstruktur der Teilnehmenden der Fokusgruppen relativ repräsentativ für Deutschland (siehe Annex I). Somit kamen verschiedene Generationen intensiv ins Gespräch. Teilnehmende aus unterschiedlichen Fokusgruppen beschrieben den Lernprozess wie folgt:

„Ich denke, dass die Sichtweise der jüngeren Generationen auch nochmal eine andere ist. Es geht also doch deutlich mehr in die Richtung: Wir müssen da jetzt endlich was tun als bei mir vielleicht.(Teilnehmende Person Fokusgruppe Halle, 2020)

„Es waren doch etliche Sachen, über die man wieder nachdenken kann. Zum Beispiel die Frage zu den Wasserstoff-Autos. Wer weiß, wie die Entwicklung da von statten geht in nächster Zeit. Dann mit den jungen Leuten – da waren einfach Denkanstöße, die ich da für mich mitgenommen habe.“ (Teilnehmende Person Fokusgruppen Herne, 2020)

Ein jüngerer Teilnehmer beschreibt, dass das Zuhören von Argumenten und Sichtweisen älterer Teilnehmenden seine Empathie für die Bedürfnisse von Menschen mit anderen Lebensrealitäten gestärkt hat:

Ich habe noch ein bisschen liberalere Ansichten kennengelernt: Was sind die Auswirkungen für andere, für die Mitmenschen? Man muss – was ich inzwischen denke – noch mehr auf die Personen selber eingehen, als ich zuerst geschätzt hätte. Weil, was man häufig nicht bedenkt, ist das die Individuen verschiedene Bedürfnisse haben. Aus meiner Sicht: Ich habe keine Kinder, ich muss derzeit nicht 100 km zur Arbeit fahren, ich habe keine Frau, die da wohnt und ich da hinreisen muss. Diese Aspekte vergisst man dann gerne, weil man dieses Bedürfnis selber nicht hat und bezieht es dann erst mal nicht mit ein für die Verkehrswende.“ (Teilnehmende Person Fokusgruppe Tangermünde, 2020)

63 % der Befragten gaben nach den Fokusgruppen an, dass sie durch ihre Teilnahme etwas Neues gelernt haben. Verschiedene Faktoren ermöglichten hier soziales Lernen:8N=68 Personen, Mehrfachnennung sowie offene Antwortmöglichkeit möglich. Die Thematisierung von Werten durch die Moderation (Warum den Bürgerinnen und Bürger bestimmte Aspekte besonders wichtig sind) (43 %), das Anschauen und Lesen der Broschüre (34 %), die Beispielgeschichten und der Austausch dazu (26 %) und die Antwort eines Experten beziehungsweise einer Expertin (24 %). Im offenen Kommentarfeld gaben einige zusätzlich an, dass sie durch den Austausch mit anderen Teilnehmenden etwas gelernt haben (7 %).

Die Konfrontation mit neuen Perspektiven, die durch die Vielfalt der Teilnehmenden im Prozess vorhanden war, wurde sehr positiv gesehen:

„Ich denke, dass es [in der Diskussion] immer einige Leute gab, die genau die gegenteilige Meinung zu mir hatten. Wenn man in seiner eigenen Blase über diese Themen spricht, dann haben meistens alle die gleiche Meinung. Deshalb finde ich es so interessant, dass die Leute genau das Gegenteil meinen. Das war spannend!“ (Teilnehmende Person Co-Creation-Workshop im Mai; Lingen 2021)

Veränderte Bewertungen der Politikoptionen durch Deliberation

Die Teilnehmenden wurden vor und nach der Bürgerkonferenz gebeten, die vier Zukunftspfade und zwei Energiewelten auf einer Skala von +4 (sehr wünschenswert) bis -4 (überhaupt nicht wünschenswert) zu bewerten. Der Vorher-Nachher-Vergleich der individuellen Pfad- und Welten-Bewertungen zeigt, dass sich jeweils ca. zwei Drittel der Bewertungen veränderten haben. Folgendes Flussdiagramm veranschaulicht die Vorher-Nachher-Einstellungsänderungen am Beispiel des Pfades „Regulierung“.

Abbildung 16: Befragung Bürgerkonferenz: Sankey-Diagramm der Einstellungsänderung zu Pfad Regulierung im Vorher-Nachher-Vergleich. Bei den Befragten handelt es sich um Teilnehmende der Verkehrswende-Konferenz (n=45) Die X-Achsen zeigen die Bewertungen (+4) sehr wünschenswert bis -4 (überhaupt nicht wünschenswert). Die Dicke der Balken zeigt an, wie viele Personen damit gemeint sind. Unten die Prozentzahlen machen deutlich, dass alle grauen Balken keine Veränderung bedeuten, alle grünen Balken bedeuten verbesserte Bewertung und alle roten Balken bedeuten schlechtere Bewertung.9Für eine detailliertere Beschreibung des Research Designs siehe auch Blum et al. (2023): Quo-vadis Klimapolitik? Bürgerperspektiven auf Politikoptionen in Energie und Verkehr, https://ariadneprojekt.de/publikation/quo-vadis-klimapolitik-buergerperspektiven-auf-politikoptionen-in-energie-und-verkehr/ Quelle: Eigene Darstellung

Eine teilnehmende Person der Stromwende-Konferenz beschreibt ihren Reflexionsprozess wie folgt:

Ich würde auf jeden Fall sagen, dass ich meine Einstellung durch die Teilnahme geändert habe. Als ich hingekommen bin, habe ich gedacht, auf jeden Fall müsste es die Dezentrale Welt sein. Dadurch, dass man jetzt gesehen hat, was das für Probleme mit sich bringt und wie aufwändig das auch ist für jeden Einzelnen, würde ich nicht mehr sagen, auf jeden Fall nur die. Sondern, wie es halt möglich ist, also was halt auf jeden Fall auch durchgeführt wird, sollte eine Mischung sein.“ (Teilnehmende Person der Stromwende-Konferenz, 2021)

Abbildung 17: Feedback der Teilnehmenden zum Pfad „Neue Mobilität“

Reflexion eigener Werte

Wie bereits im Theorieteil dargestellt, lässt sich die Entwicklung von evidenzbasierten Politikpfaden nicht von Werten trennen. Die Deliberation von Politikoptionen mit Bürgerinnen und Bürgern kann der Wissenschaft dabei helfen, sich ihrer eigenen normativen Annahmen bewusst zu werden. Es geht demnach im Lernprozess sowohl um das eigene Wertebewusstsein als auch darum, die Wertvorstellungen der anderen Beteiligten besser zu verstehen und nachzuvollziehen – und Wertvorstellungen in konkrete Politikbewertungen zu übersetzen. Zitate von Teilnehmenden geben Aufschluss über Reflexionen, die eine tiefere Werteebene berührt haben. Im Anschluss wird die Wirkung des Prozesses auf die involvierten Ariadne-Forschenden dargestellt (s. Anhang IV).

Abbildung 18: Feedback zu Klarheit über eigene Werte. Quelle: Eigene Darstellung

Basierend auf den Werte-Kategorien von Dietz (Dietz, 2015) und Schwartz (Schwartz, 2012) führte die Begleitforschung ein „Werte Mapping“ aus den Protokollen der Fokusgruppen durch (Blum et al. 2021). Werte, wie zum Beispiel Gerechtigkeit, Umweltschutz, Selbstbestimmung, Hedonismus oder Sicherheit wurden implizit in den Fokusgruppen- und Bürgerkonferenz-Diskussionen angesprochen, zum Beispiel durch Rückfragen wie „Wer kann sich E-Mobilität leisten?“ oder „Es ist lebensgefährlich, auf der Landstraße mit dem Rad zu fahren“. Durch Fragen nach den tieferliegenden Gründen von Kritik oder Zuspruch („Warum-Fragen“) lud die Moderation die Teilnehmenden dazu ein, Verknüpfungen zu ihren Wertevorstellungen herzustellen. An einigen Stellen fehlte jedoch die Zeit, die Reflexion zu vertiefen, was insbesondere bei der Bürgerkonferenz der Stromwende in Kassel rückgemeldet wurde. Zudem ist es grundsätzlich nicht leicht, das eigene Selbstverständnis zu erkennen und zu hinterfragen. Trotz dessen hat der gemeinsame Austausch zwischen den Bürger:innen und der Wissenschaft das Werte-Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger erhöht. Sowohl bei den Fokusgruppen als auch bei den Bürgerkonferenzen stimmten über 70 % der Aussage zu, dass sie nun ein besseres Verständnis ihrer eigenen Werte bezüglich der Verkehrs- beziehungsweise Energiewende erlangt haben (Fokusgruppen: 82 %, Bürgerkonferenzen 76 %). Die folgenden Zitate zeigen auf, dass der Beteiligungsprozess eine Reflexion von tieferliegenden Wertevorstellungen anregen konnte.

„Durch diese Corona-Krise ist man sowieso mehr ins Nachdenken gekommen: Wie will ich selber leben, welche Einschränkungen bin ich eigentlich bereit in Kauf zu nehmen, wieviel Freiheit lasse ich denn aus Rücksicht und wo sind meine persönlichen Grenzen erreicht? Was fehlt an gesellschaftlicher Diskussion über die Zukunft nach dieser Pandemie? Wollen wir wirklich alle so weiterleben? (…) Ich denke schon, dass wir [uns verändern] müssten. Aber mir fehlt die gesellschaftliche Diskussion darüber und der Mut in der Politik, das zu diskutieren.“ (Teilnehmende Person Fokusgruppe Herne, 2020)

„Ich denke schon, dass Nutzen und Lasten gleichmäßig verteilt werden müssen nach Leistungsfähigkeit. Da sind wir wieder bei dem Thema: was kann ich jedem Einzelnen zumuten und was nicht? Was ist gerecht? Aber das sind Diskussionen, die auch mit dazu gehören. (…) Welchen Wert hat es, dass ich da mein Auto vor der Tür habe, dass es dort Platz wegnimmt? Und dass ich irgendwo meinen Beitrag zu Belastungen liefere? Das muss man abwägen.“ (Teilnehmende Person Fokusgruppe Hamburg, 2020)

Selbstwirksamkeit, Selbstvertrauen und soziale Interaktion

Soziale, deliberative Lernprozesse zeichnen sich neben einer inhaltlichen Ebene vor allem auch durch eine Beziehungsebene aus. Denn soziales Lernen erfordert eine soziale Interaktion und gegenseitiges Zuhören. Durch den inhaltlichen und persönlichen Austausch entwickelt sich außerdem im Laufe des (Lern-)Prozesses ein Gefühl der Zugehörigkeit. In der Feedback-Befragung nach dem Bürgergipfel wurde die Frage gestellt: „Welche neuen Erkenntnisse nehmen Sie aus dem Bürgergipfel mit?“. Einige Rückmeldungen beziehen sich explizit auf die positive Erfahrung, gemeinsam etwas erarbeitet und erreicht zu haben. Folgende Antworten hatten einen direkten Bezug auf die positive soziale Interaktion:

  • Es ist erstaunlich, was Menschen, die sich vorher völlig fremd waren, erarbeiten können.
  • „Ein sehr positives Gefühl, Erinnerungen an nette Gespräche und eine tolle Atmosphäre.
  • „Ich habe neue Freunde gewonnen.“
  • „Dass die Welt doch aus mehr Optimisten als Pessimisten besteht und wir somit deutlich aktiver sein können.“

Etwa ein Drittel der Befragten beschreibt die Teilnahme am Prozess als positive und motivierende Erfahrung, die Mut gemacht hat und Zuversicht gibt, die Energiewende gemeinsam bewältigen zu können. 93 % können sich vorstellen, sich auch über das Projekt Ariadne hinaus im Kontext der Strom-/Verkehrswende zu engagieren (M=5,5). Ein Teilnehmer beschreibt seine Erkenntnis, „wie schwer es ist, Politik für alle zu machen, mit all den unterschiedlichen Interessenslagen und Bedürfnissen„. Weitere Rückmeldungen nach dem Bürgergipfel waren zudem:

  • „Auch als Bürger kann man was erreichen – viele interessante Aspekte gehört und Menschen kennengelernt.“
  • „Dass meine Meinung gehört wird.“
  • „Politisches Engagement ist sinnvoll, manchmal anstrengend, erweitert den eigenen Horizont und ist das Herz der Demokratie.“
  • „Ich möchte mich künftig privat mehr mit aktuellen Umweltthemen befassen. Weiterhin möchte in meinem Wohnort an künftigen Entscheidungen mitwirken (zum Beispiel bei Bürgerentscheiden), beziehungsweise häufiger meine Meinung zu Themen äußern (zum Beispiel bei Online-Abfragen).“
  • „Dass das Einbringen unterschiedlicher Erfahrungen und Perspektiven hilft, neue Sichtweisen und Lösungswege zu finden – Ich habe interessante Ansätze zum Thema Verkehr kennengelernt, die ich hier vor Ort einbringen kann.“
  • „Ich habe nun ein größeres Interesse an politischen, sozialen und Umwelt-Themen. Lust sich an Entscheidungsprozessen zu beteiligen.“
  • „Ich nehme mit, dass wir Bürger einen großen Sachverstand und Einfluss haben. Jedoch muss daran gearbeitet werden, dass die Ergebnisse entsprechend nachhaltig an Politik/Wirtschaft & Zivilgesellschaft übergeben werden.“

Auf den Bürgerkonferenzen gab es viele kritische Nachfragen der Bürgerinnen und Bürger zu der Ergebnisverwertung. Nach dem Bürgergipfel war die Zuversicht deutlich höher, denn eine Stärke des Gipfels bestand darin, dass einige Bürger:innen aktive Rollen inne hatten und direkt mit Vertretende aus den Stakeholdergruppen in die Diskussion kamen. Sie wirkten an der Ergebnisformulierung mit und stellten diese beim Bürgergipfel vor. Jeweils zwei Bürger:innen nahmen an der Diskussion der Ergebnisse teil und jeweils eine Person teilte Eindrücke zum Lernprozess in dem dafür vorgesehenen Veranstaltungsabschnitt. 93 % der Befragten gaben nach dem Gipfel an, dass ihre Teilnahme einen Einfluss auf die Erreichung der finalen Ergebnisse hatte (M=4,9). Auffallend ist, dass der Mittelwert von 4,9 deutlich niedriger ist als die mittlere Zustimmung zur Aussage „meine Ansichten und Werte wurden gehört und respektiert“ (M=5,6). Der Vorschlag wurde geäußert, dass die Ministerien nach einem Jahr Stellung dazu nehmen, was mit den Ergebnissen passiert ist. Jedoch ist dies im Rahmen des Projekts nicht vorgesehen. Ein Bürger schrieb: „Optimal wäre es, wenn das Verkehrsministerium direkt den Bürgerrat zum Thema Verkehrswende einberuft und über den gesamten Prozess Kontakt hält“. Auch von Seiten der Stakeholder-Vertretenden auf dem Panel wurde dieser Ansatz als wünschenswert hervorgehoben.

4.3.4 Lernprozess der Wissenschaft

In diesem Abschnitt geht es um den Umgang mit den Deliberationsergebnissen durch die Wissenschaft. Wie wurden Aspekte in den Forschungsprozess integriert? Welche Herausforderungen gab es? Was war anders und neu im Vergleich zu bisherigen Forschungsansätzen. Die Zusammenarbeit innerhalb des Projekts verlief überwiegend konstruktiv – sie war jedoch zeitweise immer wieder geprägt von Reibungen, Spannungen, Zeitdruck und Enttäuschungen (teilnehmende Beobachtung 2020–2023).

Reflexion von Annahmen im Forschungsprozess zwischen Fokusgruppen und Bürgerkonferenzen

Zunächst muss festgehalten werden, dass durch den systemischen Charakter des Projekts Ariadne personelle Überschneidungen zwischen verschiedenen Forschungsbereichen existierten und die Arbeit zum Beteiligungsprozess zeitweise zusätzlich zum Kerngeschäft der Forschenden stand, wissenschaftliche Analysen durchzuführen und Ergebnisse zu publizieren. Hemmende Faktoren für den Lernprozess seitens der Wissenschaft sind fehlende Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung und co-kreativen Ansätzen, Unsicherheit über Ergebnisse und deren Verwertung, überhöhte Erwartungshaltungen an das, was der Prozess leisten kann, und ganz besonders auch strukturelle Herausforderungen in Bezug auf die Anerkennung akademischer Leistungen, die sich bisher kaum an transdisziplinären Quantität- und Qualitätsanforderungen orientiert. Eine wichtige Rückmeldung war zudem, dass es sowohl genügend Stellenwert innerhalb des Projekts als auch zeitliche und finanzielle Ressourcen bedarf, um den verschiedenen Anforderungen ausreichend gerecht zu werden. Schließlich trugen Fluktuationen in den Forschungsteams ebenso dazu bei, dass ein kontinuierlicher Lernprozess von Beginn an nicht bei allen gegeben war.

Die persönliche Bereitschaft und Offenheit, sich einer anderen Denkweise und Methode zu widmen, ist aus Sicht einer beteiligten Person eine wichtige Voraussetzung für einen gelungenen Prozess (Interview Wissenschaft, 2022). Im Bereich der Stromwende war die Arbeitsatmosphäre geprägt von Offenheit, sodass mit Unterstützung der Policy Unit in der Konzipierung der Energiewelten einige neue Impulse eingeflossen sind (Interview Policy Unit, 2022). Bürgersichten wurden als hilfreich empfunden, um die Annahmen einzelner Kriterien in Modelle zu übersetzen. So waren zum Beispiel die Aussagen zu Datenschutz und Selbstbestimmung hilfreich für die Annahmen der Modelle zum Thema Verbrauchsflexibilisierung und Speicherung von Strom (in E-Pkw) oder auch zum Ausbau von Freiflächen-Photovoltaik entlang von Autobahnen und Schienen (Interview AP 10). Eine Wissenschaftlerin aus dem Bereich Stromwende beschrieb ihren Reflexionsprozess wie folgt: „Manchmal ist es eher so der Hintergrund, die Storyline, die man sich da für das Szenario überlegt, aber bei manchen Sachen kann man es schon konkretisieren“ (Interview Wissenschaft, 2021). Die Anleitung der Policy Unit, die Kommunikation der nächsten Prozess-Schritte und erforderlichen Zwischenprodukte lieferten ein hilfreiches „Korsett“, das den Forschenden Orientierung bieten sollte (Interview Policy Unit, 2021).

Im Bereich Verkehr wurde die Aufnahme der Sichtweisen der Bürgerinnen und Bürger in die laufende Forschung als schwierig und zum Teil unmöglich wahrgenommen. Die Verkehrsforschenden arbeiteten mit Modellen, deren Annahmen üblicherweise auf quantitativen, großen Datensätzen basieren, die sich am Status Quo (zum Beispiel aktuellen Kaufentscheidungen von Autos) orientieren. Die Ergebnisse der Fokusgruppen wurden als „nicht repräsentativ“ und „nicht belastbare Daten“ bewertet, da üblicherweise große Datensätze für die Modellierung herangezogen werden. Folgendes Zitat beschreibt die Herausforderungen aus Sicht eines involvierten Wissenschaftlers:

„Also für die Modelle ist es ein bisschen schwierig, (…) diese Bürgerbeteiligungsformate in die Modelle mit reinzubekommen, das heißt, irgendwelche neuen Parameter zu schätzen oder versuchen, die Modelle anzupassen. (…) Diese Modelle fußen ja meistens auf der ‚Mobilität in Deutschland‘10siehe https://www.mobilitaet-in-deutschland.de/, also diese riesengroßen Haushaltsbefragungen. (…) Was wir brauchen, sind quasi wirklich beobachtete Entscheidungen, Mobilitätsentscheidungen, oder auch Kaufentscheidungen. Was die Flottenmodellierungen angeht, müssten wir wissen, ab welchem Preis die Leute eher ein Elektrofahrzeug kaufen oder welche Hindernisse sie da noch sehen, wie man das am besten modellieren kann.“ (Ariadne-Wissenschaftler, Verkehr 2022)

Die Forschenden setzten sich mit den Ergebnissen der Fokusgruppen auseinander und kommentierten diese in einem internen Dokument. Sie hatten jedoch Schwierigkeiten, sich vorzustellen, wie sie die Bürgersichten in ihre Szenarienarbeit übersetzen oder integrieren könnten. Es entwickelte sich im folgenden Verlauf eine Parallelstruktur: die Verkehrs-Modellierungen für die Bürgerinnen und Bürger wurden abgekoppelt von den Gesamtszenarien des Projekts entwickelt, da die Bürgerdeliberation im Projekt einem anderen Ansatz und Timing folgten („Bürger-Track“).

Nach der Bürgerkonferenz, bei dem der progressive Pfad „Neue Mobilität“ am meisten Zustimmung durch die Teilnehmenden erhielt, kommentierten Forschende, dass Bürgerinnen und Bürger zwar ambitionierte Veränderungen in der Deliberation wählen, sich aber gesamtgesellschaftlich nicht so verhalten und stattdessen weiterhin Autos kaufen würden. Das Problem sei, dass Meinungen der Bürgerinnen und Bürger von medialen Diskursen geprägt werden, die nun zurück an die Wissenschaft gespielt würden. Ein Wissenschaftler bewertete die Ergebnisse der Bürger:innen daher vorsichtig und achtet weiterhin auf die Parallelität der beiden Formate: Wissenschaftlich erarbeitete Szenarien („Wissenschafts-Track“) und Deliberation von Optionen mit Bürgerinnen und Bürgern („Bürger-Track“). Da sich die Szenarien und Politikoptionen in vielen Aspekten ähneln, kann die parallele Arbeit trotzdem zu Reflexion eigener Annahmen angeregt haben.

Wirkung auf Kopernikus-Symposium 2022

Box 3: Reflexion der Wissenschaft zu Bürgerinnen und Bürger auf dem Kopernikus-Symposium 2022

„Ich gebe ein kurzes Blitzlicht als Zusammenfassung zu unserer Diskussion zum ‚Klimaneutralen Energiesystem‘. Gestartet sind wir mit einem Impuls aus der Kopernikus AG Regulierung, die inhaltlich auch die Broschüre widerspiegelt, die hier ausliegt (…). Für mich spannend war allerdings im Verlauf der Diskussion, die fachlich wirklich sehr versiert geführt wurde, dass wir mit fortlaufender Diskussion von den langfristigen Themen zu den naheliegenden kurzfristigen Themen gekommen sind, die uns alle beschäftigen; und wir ein paar sehr spannende Impulse auch von Bürgerinnen und Bürgern bekommen haben, die doch zum Nachdenken anregen. Und das hat man auch der Emotion in dem Raum auch wahrnehmen können. Das hat den ein oder anderen nochmal mehr zum Nachdenken gebracht, wie man denn jetzt in der heutigen Situation auch mit den kurzfristigen Bedürfnissen der Betroffenen umgehen muss und gleichzeitig aber die langfristigen Ziele nicht aus den Augen verliert. Das war eine Wendung in der gesamten Diskussion, die ich sehr bereichernd fand. Dies hat für viele für die anstehende Projektarbeit nochmal neue Impulse für die Zusammenarbeit gegeben. (Vertreter im Direktorium des Kopernikus-Projektes „ENSURE“, Kopernikus-Symposium am 28.9.2022)

Die Beteiligung einiger Bürgerinnen und Bürger beim Kopernikus-Symposium 2022 war zu Projektbeginn nicht geplant, stellte aber eine Möglichkeit dar, ihnen einen noch breiteren und tieferen Einblick in aktuelle, wissenschaftliche Diskussionen zu geben. Es förderte zudem den Austausch zwischen Bürger:innen und den Ariadne-Forschenden, die bisher keine Gelegenheit für eine direkte Begegnung hatten. Ein Forscher beschrieb die Interaktion zwischen Bürger:innen und Wissenschaft in einer Kleingruppen-Diskussion (Breakout-Session) als „spannendste[n] Teil“ des Prozesses, bei dem die akademische Debatte und das Denken in Modellen auf die Realität und Problemwelt der Bürgerinnen und Bürger traf (Ariadne-Forscher:in 1, 2022). Konkret meldete sich eine Bürgerin in einer Kleingruppen-Diskussion zu Wort, schilderte dabei ihre finanzielle Lebenssituation und hob hervor, dass die höheren Strom- und Gaspreise ein reales Problem darstellen, da sie am Ende des Monats kein Geld übrighat. Bei dem Rückblick im Plenum beschrieb der Sprecher der Gruppe die Interaktion mit den Menschen als bereichernde Erfahrung, die der Diskussion eine Wendung gab (siehe Box 3).

Abbildung 19: Selbsteinschätzung der Forschenden (n=13). Quelle: Eigene Darstellung

Selbsteinschätzung der Wissenschaft rund um die Online-Deliberation 2023

Nach den Online-Deliberationen wurden die beteiligten Forschenden zur ihrer Selbsteinschätzung des Lernprozesses befragt. Die Rücklaufquote liegt hier bei 100 % (13 von 13 Personen). 85 % der Forschenden stimmten der Aussage zu, durch ihre Teilnahme neue Sichtweisen kennengelernt zu haben (M=4,6), hierbei waren die Rückmeldungen aus dem Bereich Stromwende im Vergleich positiver (siehe Abbildung unten). Jeweils rund zwei Drittel (69 %) stimmten zu, dass sie neue Denkanstöße (M=4,4) erhalten und eine neue Methode der Wissensgenerierung erlernt haben, auf die sie auch in Zukunft zurückgreifen würden (M=3,9). 38 % der Befragten gaben an, dass sie ihre Ansichten zum Thema Verkehrs-/Stromwende durch ihre Teilnahme hinterfragt haben (M=2,9). Das heißt, Forschende beider Gruppen lehnten die Aussage „ich habe meine Ansichten zum Thema Strom-/Verkehrswende hinterfragt“ überwiegend ab (MVer=2,7 MSt=3,2). Die Ergebnisse zum Lernprozess werden in folgender Abbildung vergleichend dargestellt (Strom vs. Verkehr).


Im Vergleich wird deutlich, dass die Forschenden des Bereichs Stromwende durchschnittlich den persönlichen Lernprozess stärker bejahten als die Kolleg:innen aus dem Bereich Verkehr. Diese positive Wahrnehmung des Prozesses wurde durch einen Wissenschaftler des Arbeitspaketes Strom in einem Interview bekräftigt:

Ich finde es sehr bereichernd gegenüber der reinen Empirie und ich nutze hier Fragebögen. Aber auch ein Fragebogen spiegelt irgendwie die Komplexität nicht wider. (…) Bei einer Bürgerkonferenz merkt man, wie die Leute da ringen, und was es für Grautöne dazwischen gibt.“ (Interview Wissenschaft, Strom, 2022)

Laut eines Wissenschaftlers ist das Ansehen des Bürgerdeliberationsprozesses bei Projektpartnern gestiegen, die zuvor wenig Berührungspunkte damit hatten und bis dahin noch nicht genau einschätzen konnten, wozu die Bürgerformate dienen. Durch die positiven Erfahrungen der Bürgerkonferenz sei der Stellenwert, und „dass es ein gleichwertiges Thema wird“, in der Arbeitsgruppe gestiegen (Interview Wissenschaftler, Strom, 2022). Die Forschenden des Bereichs Verkehr bewerteten den Prozess weniger positiv. Die Ergebnisse der Bürgerkonferenz wurden zwar als wertvoll, aber wenig aussagekräftig beschrieben (Interview Wissenschaftler, Verkehr, 2022). Kritisch gesehen werden die ambitionierten Zukunftsvorstellungen der Bürgerinnen und Bürger vor dem Hintergrund aktueller Trends im Verkehrssektor, hier insbesondere die kontinuierlich steigenden PKW-Zahlen pro 1000 Einwohnenden. Dieses Argument wurde mit der „intention-behaviour-gap“ begründet, das heißt der in den Sozialwissenschaften viel diskutierten häufigen Diskrepanz zwischen einerseits hehren individuellen, zum Beispiel ökologischen Überzeugungen von Menschen, und andererseits der fehlenden praktischen Umsetzung in der eigenen Lebenspraxis.

Abbildung 20: Feedback der Forschenden. Quelle: Eigene Darstellung

Dennoch gaben in der Befragung nach den Online-Deliberationen alle dort beteiligten Forschenden an, dass sie Lust hätten, auch zukünftig an einem Deliberationsprozess mit Bürger:innen teilzunehmen.

5. Herausforderungen und Empfehlungen

Im Folgenden werden auf der Basis der Kriterien einige beobachtete Herausforderungen und Lernerfahrungen zum Prozess diskutiert, die für zukünftige Projekte dieser Art relevant erscheinen. Bewusst wird hier auf kritische Aspekte eingegangen. Dies soll jedoch die vielen erfolgreichen, innovativen Elemente und Ergebnisse des Deliberationsprozesses im Projekt Ariadne, welcher in einem nicht ganz einfachen Setting von knapp 30 Forschungspartnern stattfand, nicht in den Schatten rücken, sondern vielmehr Knackpunkte der Umsetzung herausarbeiten.

5.1 Prozessgerechtigkeit

Zufallsauswahl von Bürgerinnen und Bürgern

Die zufallsbasierte Auswahl der Bürgerinnen und Bürgern war eine Stärke des Prozesses, denn sie ermöglichte eine relativ hohe Vielfalt an unterschiedlichen Meinungen und Perspektiven im Prozess. Gleichwohl besteht eine der zentralen Herausforderung des Losverfahrens darin, die Gruppe der Nicht-Interessierten und jene mit Ausbildungsberufen (beziehungsweise ohne Studium) zu gewinnen, um noch mehr Vielfalt gesellschaftlicher Diskurse und Biografien zu beteiligen. Bürgerinnen und Bürger des Projekts Ariadne schlugen vor, Anreize zu schaffen, um alle Gesellschaftsschichten gleichermaßen einzubinden und die Neugier sowie das Interesse unterrepräsentierter Gruppen gezielt zu wecken. Konkrete Möglichkeiten bestehen ihrer Meinung nach zum einen in einer möglichst hohen Verständlichkeit des Einladungsschreibens sowie in der frühen und gut sichtbaren Kommunikation einer Aufwandsentschädigung. Zudem ist die transparente Kommunikation von Prozesszielen und Ergebnissen von Anfang an ausschlaggebend.

Ownership (Wissenschaft)

Bezüglich der Zufriedenheit der Wissenschaft mit dem Prozess zeigt sich ein geteiltes Bild. Einerseits wurde der Prozess als bereichernd wahrgenommen, vor allem aufgrund der Perspektivenvielfalt jenseits der eigenen Blase und der neuen Erfahrung von Wissenschaftskommunikation mit Politikrelevanz. Einige Rückmeldungen offenbarten jedoch Enttäuschung bezüglich des Prozesses, zum Beispiel darüber, dass kaum neue Erkenntnisse gewonnen wurden und im Verhältnis viel Zeit in den Prozess investiert wurde. Ein möglicher Grund könnte eine geringe ownership (Eigenverantwortung, Identifikation, Agency) der beteiligten Forschenden sein.

Die starke Prozesssteuerung durch die Policy Unit bot einerseits wertvolle Orientierung; wurde jedoch auch von Einzelnen als (effiziente) Top-down-Steuerung wahrgenommen. Dies könnte erklären, dass Forschende öfters die Grundannahmen des Prozesses nicht teilten beziehungsweise sich nur teilweise damit identifizieren konnten. Die schwankende Eigenverantwortung, Agency und Motivation seitens der Forschenden war aus Sicht des Koordinationsteams herausfordernd, da oft nicht gewiss war, wie viel Initiative und Bereitschaft eingeplant werden konnte beziehungsweise welche Schritte als zumutbar und sinnvoll erachtet werden. Im Laufe des Projekts verbesserte sich jedoch die Zugehörigkeit und Identifikation laut Aussagen leitender Forschenden.

Macht und Projektpolitik

  • Parallelität und Stellenwert

Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger hatte eine zweigeteilte Bedeutung im Gesamtprojekt: nach außen war sie eine sehr wichtige Komponente, innerhalb des Projekts war die Bedeutung unklar beziehungsweise weniger wichtig als andere Produkte und Formate. Mit dem Rational eines Lernprozesses, der im Mittelpunkt des Projekts stehen und einen sichtbaren Einfluss auf das Research Design der Forschenden haben soll, stellte diese Parallelität eine Herausforderung dar. Die Deliberation und Wissens-Koproduktion mit Bürger:innen bildeten den „Bürgerstrang“. Parallel dazu verliefen Aktivitäten an den Ariadne-Szenarien und weiterer Forschung sowie der parallele „Stakeholderstrang“ (siehe 2.2). Die im Vergleich zum Politik- und Stakeholderstrang relativ geringere Bedeutung des Bürgerstrangs – aus Sicht der Projektleitung – erhöhte sich im Laufe des Projekts etwas.

  • Qualitative Beteiligungs-Daten vs. Quantitative Forschung

Das Projekt hat einen starken politökonomischen Charakter und nutzte vor allem quantitative Methoden und Modellierungen, um zukünftige Handlungsoptionen im Rahmen der Energiewende zu entwickeln und in ihren Auswirkungen zu verstehen. Durch diese Ausrichtung bildet das Projekt nur einen Ausschnitt der Forschungslandschaft ab. Qualitative Methoden wurden in einigen Arbeitspaketen, wie auch zur Stromwende, nur ergänzend angewandt. Die Priorisierung von quantitativer Modellierung und Methoden und der relativ niedrige Stellenwert qualitativer Ergebnisse im Gesamtprojekt erschwerten das Verständnis, die Wertschätzung und somit die Integration von qualitativen Ergebnissen aus der Bürgerdeliberation. Die Bereitschaft, sich auf andere Methoden und Wissensformen einzulassen, war bei den Forschenden individuell unterschiedlich ausgeprägt.

  • Entscheidungen über knappe Ressourcen und konkurrierende Tätigkeiten

Die zeitlichen Ressourcen für die Arbeit im Rahmen der Beteiligung standen in Konkurrenz zu anderen akademischen Tätigkeiten. Im akademischen System werden Forschende primär anhand ihrer eingereichten Journal-Artikel und nicht nach ihren Beiträgen im Lern- und Beteiligungsprozess mit Bürgerinnen und Bürgern bewertet, was ein Anreizproblem für die Mitarbeit im Prozess darstellte. Es bestand eine implizite Hierarchie zur Relevanz der Bürgerdeliberation im Verhältnis zu anderen Tätigkeiten, die sich im Gesamtkontext des Projektes sowie im Kontext der beteiligten Institute auf die beteiligten Forschenden und Koordinierenden auswirkte. Wenn Prozessschritte mit hohem Arbeitsaufwand und geteilten Zuständigkeiten in unmittelbare Nähe rückten, erhöhte sich der Druck und die Anspannung im Projekt. Das Koordinationsteam war in einigen Situationen mit knappen zeitlichen Ressourcen der Forschenden konfrontiert und versuchte durch regelmäßige Treffen (zum Beispiel Jour fixe) eine Struktur für regemäßigen Austausch und Lernmöglichkeiten zu schaffen.

5.2 Methoden des inhaltlichen und sozialen Lernens

Wissensvermittlung

Trotz der innovativen visuellen Kommunikationsformate bestand eine zentrale Herausforderung darin, die wissenschaftliche Expertise in dem begrenzten zeitlichen Rahmen der einzelnen Dialogformate zu vermitteln, insbesondere in der zweiten und dritten Prozessphase, in der die von der Ariadne-Wissenschaft erarbeiteten Politikoptionen und deren antizipierte Auswirkungen vorgestellt wurden. Dies wurde besonders bei der Durchführung der Bürgerkonferenzen deutlich. Die wissenschaftlichen Vorträge beinhalteten eine hohe Informationsdichte und die einführende Vorstellung der Wissens-App mit den Auswirkungen der Politikoptionen lief frontal ab. Teilnehmende beider Konferenzen meldeten zurück, dass die Inputs zu lang waren, die frontale Wissensvermittlung zu Beginn wurde als „schleppend“ und „demotivierend“ beschrieben. Ein jüngerer Teilnehmer beschrieb den Zeitdruck während der Wissensvermittlung als „heftig“ und „relativ viel Input auf einmal“ (Interview Verkehr, 2021). Eine weitere Person sagte: „Es war schon fast zu viel, würde ich sagen. Es war vor allen Dingen sehr viel Frontalbeschreibung, es war sehr viel Lernen, bevor wir reden dürfen“ (Teilnehmende Person Verkehr, 2021).

Im Rahmen der Online-Deliberationen wurden Auswirkungen der Politikoptionen anhand von Beispielhaushalten dargestellt (siehe „Personas“ 3.3.4). Diese Methode wurde einerseits als hilfreich und veranschaulichend wahrgenommen, insbesondere bei der Vermittlung eines steigenden CO2-Preises und Rückverteilungsoptionen. Einige beteiligte Forschenden reflektierten andererseits, dass die Zeit angesichts der Informationsdichte knapp war, um die komplexen Zusammenhänge zu kommunizieren.

Sowohl bei den Bürgerkonferenzen als auch bei der Online-Deliberation äußerten Teilnehmende den Wunsch, sich inhaltlich vorbereiten zu können, zum Beispiel durch die vorgelagerte Zusendung der wissenschaftlichen Vorträge oder Impulspapiere, die die wichtigsten Inhalte vorstellen. Explizit wäre für eine inhaltliche Vorbereitung auf Seiten der Teilnehmenden vor den Bürgerkonferenzen die Zusendung der Wissensmodule (Tablet-App) gut geeignet. Während ein Akteur des Koordinationsteams an der Annahme festhielt, dass dies zu einem Gefälle der Wissensstände führe – da nur ein Teil der Personen davon Gebrauch machen würde, ist diese Position intern im Prozessteam immer wieder hinterfragt und besprochen worden. Denn auch durch die alleinige Vorstellung der Inhalte auf den Bürgerkonferenzen entstehen Gefälle, da nicht alle die gleiche Auffassungsgeschwindigkeit haben. Dieser Aspekt sollte in zukünftigen Beteiligungsformaten mit Bürger:innen und Wissenschaft nochmals geprüft werden.

Framing-Effekte

Eine generelle Herausforderung der Wissensvermittlung in Beteiligungsprozessen besteht darin, dass Framing-Effekte auftreten können, was vor allem dann problematisch ist, wenn es die Diskussion zu stark verengt und wichtige alternative Sichtweisen nicht vorkommen. Um dieser Herausforderung zu begegnen, sollte auf eine möglichst breite Expert:innenvielfalt sowie auf eine Kultur des Hinterfragens geachtet werden. Hierfür sollte das Verhältnis von Expert:innen-Input zu Kleingruppendiskussion so gestaltet sein, dass Inputs nicht zu viel Raum einnehmen und Teilnehmende genügend Zeit haben, die Rahmungen der Expertinnen und Experten zu hinterfragen und ihre eigene Meinung in der Diskussion zu entwickeln. Das war im Projekt Ariadne nicht immer gegeben. Umgekehrt ermöglichte die Einbettung der Bürgerdeliberationen in den großskaligen, relativ umfassenden, interdisziplinären Ariadne-Assessment-Prozess eine vergleichsweise breite und systematische Sicht auf das vorhandene wissenschaftliche Wissen zur jeweiligen Thematik.

Verschränkung von Plenum und Kleingruppendiskussion

Positives Feedback gab es zur Diskussion in den Kleingruppen in allen Beteiligungsformaten des Beteiligungsprozesses – sowohl online als auch physisch. Die Rolle der Moderation wurde hierbei als sehr unterstützend und fair gegenüber allen Argumenten empfunden. Die Verschränkung der Kleingruppendiskussionen mit der Gesamtgruppe ist jedoch nicht immer einfach. Es hat sich bewährt, hier Zeit einzuplanen, sodass Sprechende einer Tischgruppe rotieren können und anderen Tischen ihre Ergebnisse vorstellen können. Auch in den Online-Deliberationen funktionierte diese „World Café“-inspirierte Methode gut.

Der Meinungsbildungsprozess im großen Plenum funktionierte hingegen nur begrenzt, insbesondere bei der Konferenz zur Verkehrswende. Jede Kleingruppe diskutierte einen der Verkehrswendepfade. Es gab aber kaum Gelegenheit im Plenum, übergreifende Frage zu diskutieren und abzuwägen, welcher der vier Pfade oder welche Kombination am meisten Zustimmung im Gesamtplenum erfahren würde und warum. Einer Moderatorin fiel auf, dass die gegenseitige Vorstellung der Kleingruppen-Ergebnisse im Plenum nicht den gewünschten Austausch zur Folge hatte, denn „bei der Vorstellung der Ergebnisse im Plenum war die Gruppe insgesamt leider etwas zurückhaltend. Dadurch gingen einige spannende Diskussionen und Vorschläge verloren“ (Internes Feedback der Moderation, 2021). Teilnehmende der Stromwende-Konferenz beschreiben diese Herausforderung ebenfalls:

Die Interaktion oder Diskussion der ganz großen Gruppe, das kam kurz. Also es wurden zwar Fragen so beantwortet, die dann vorher elektronisch gesammelt wurden.“ (Teilnehmende Person, 2021)

Zuständigkeiten und Ergebnissicherung

Eine Herausforderung im Projekt waren die unterschiedlichen Erwartungshaltungen an die Qualität und Nachvollziehbarbarkeit der Ergebnisse. Die Methode der Ergebnissicherung, und welcher Output konkret herauskommen soll, sollten zukünftig frühzeitig mit dem jeweiligen Dienstleister und den beteiligten Forschenden abgestimmt werden. In den Fokusgruppen wurden Wortprotokolle der Diskussionen erstellt und im Anschluss argumentativ und anhand von Wertedimensionen geclustert. Dadurch entstand eine qualitativ hochwertige Auswertung der Diskussionen aus den neun verschiedenen Städten. Dieser Arbeitsschritt war jedoch sehr ressourcenintensiv. Alternativ könnten Teilnehmende der Fokusgruppen gegen Ende der Diskussion (unterstützt durch die Moderation) ihre priorisierten Problem- und Zieldimensionen gemeinsam als Gruppe festhalten. Bei den Bürgerkonferenzen war die größte Herausforderung, die Kleingruppenergebnisse zu integrieren, was dann im Anschluss durch das Koordinationsteam erfolgte. Bei der Auswertung und im weiteren Prozess diente die Bewertung von Politikoptionen am Ende der Deliberation (auf einer Skala von -4 nicht wünschenswert bis + 4 wünschenswert) als Interpretationshilfe. Zukünftig könnten Methoden und Follow-up-Formate erprobt werden, die es Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, selbst eine aktive Rolle im Dokumentieren und Zusammenfassen ihrer Ergebnisse einzunehmen, zum Beispiel in der Form einer Reviewer-Rolle. Zudem könnten Forschende dazu angehalten werden, sich während der Kleingruppendiskussionen Notizen zu den Argumenten und Sichtwesen der Menschen zu machen und den Auftrag erhalten, ihre Beobachtungen und lessons learned wenige Tage nach der Beteiligung intern zu präsentieren. Je genauer Daten zu verschiedenen Deliberationsthemen erhoben werden sollten, desto aufwändiger die Dokumentation. In Gruppendiskussionen kann dies so weit gehen, dass Stimmungen währen der Deliberation mit notiert werden, um zu verstehen, welche Themen sehr strittig waren. Die Nutzung der Dokumentationsergebnisse sollte im Verhältnis zum Aufwand der Dokumentation stehen. Hierfür ist die Klärung der Erwartungshaltungen sowie eine Verständigung darüber, was in den weiteren Forschungsprozess integriert werden kann, wertvoll.

5.3 Konzeption, Ziele und Transparenz

Konkurrierende Prozessziele und Prozessverständnisse

Im Prozess sind unterschiedliche Erwartungen, Werte und Ideen bezüglich der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürger im Projekt Ariadne aufeinandergetroffen, die mit unterschiedlichen Lern- und Rollenverständnissen verknüpft waren. Auch gab es zwischen den unterschiedlichen Disziplinen und leitenden Forschenden der Energie- beziehungsweise Verkehrswende-Forschung keinen Konsens darüber, welche Rolle Bürger:innen und Expert:innen einnehmen sollten. Folgende drei verschiedene Rollen- beziehungsweise Lernverständnisse konkurrierten manchmal miteinander: Erstens, die Annahme, Beteiligung solle primär ein Informationsdefizit ausgleichen, um die Akzeptanz der Menschen zu steigern. Hier werden Bürgerinnen und Bürger primär als Empfangende von Wissen gesehen, die von der Wissenschaft informiert und aufgeklärt werden. Dies entspricht der Logik des hierarchischen, einseitigen Lernens – die Wissenschaft bleibt hierbei in ihrer Expertenrolle. Zweitens können Menschen als sounding board (Resonanzboden) für die Wissenschaft und Politikberatung fungieren. In dieser Rolle werden Bürgerinnen und Bürger als Partner gesehen, denn sie helfen dabei auszuloten, für wie umsetzbar und wünschenswert konkrete Zukunftsszenarien und Politikoptionen gehalten werden. Im Rahmen einer Deliberation offenbart sich, wie die Menschen über ein bestimmtes Thema oder eine Frage denken. Fishkin (2021) beschreibt dies wie folgt:

 „(…) [eine Frage], die konkurrierende Argumente beinhaltet, Werte oder Ziele, die für die Öffentlichkeit wichtig sind. Möchte die Öffentlichkeit, wenn sie darüber nachdenkt, lieber Ziel X oder Y durch eine bestimmte Politik erreicht sehen? Ist sie der Meinung, dass ein bestimmtes Ziel oder Politikvorschlag den Aufwand und die Kosten wert ist, oder sollte stattdessen ein alternativer Ansatz gewählt werden? Das Ziel ist es, zu den abgewogenen Urteilen einer Gruppe zu gelangen, die die Meinung der Öffentlichkeit darüber, was getan werden sollte, glaubwürdig widerspeigelt.“ (Fishkin 2021, S. 20)

Drittens besteht im Kontext transdisziplinärer Forschung das Verständnis, dass Bürgerinnen und Bürger eine aktive Rolle in einem gegenseitigen Lernprozess haben sollten. Ansätze der Deliberation und Wissens-Koproduktion schlagen vor, dass unterschiedliche Akteure (zum Beispiel wissenschaftliche Expert:innen und Alltags-Expert:innen) sich inhaltlich austauschen und über gesellschaftliche Probleme und Lösungsvorschläge verständigen. Verständigung und gegenseitige Annäherung sollen durch epistemisches (inhaltliches) Lernen entstehen, das gleichzeitig auch tiefere persönliche Wertevorstellungen aller Beteiligten berührt (Kowarsch et al. 2016). Gemeinsam bearbeiten Forschende und Bürger:innen aktuelle gesellschaftspolitische Herausforderungen und suchen nach wünschenswerten Zielen und gangbaren Wegen.

Der Ariadne-Beteiligungsprozess hatte seitens der Policy Unit die dritte Vorstellung als Zielsetzung (theoretisch fundiert, wie in Kap. 3 beschrieben), jedoch war die Zeit für Austausch hierüber innerhalb des gesamten Ariadne-Teams gerade zu Beginn sehr knapp, und konkurrierende Vorstellungen unterschiedlicher Ariadne-Akteure kamen hier und da zum Tragen. Zukünftig sollte bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Projekt ein gemeinsames Verständnis mit allen Beteiligten erarbeitet werden, was die konkreten Ziele und Zielgruppen des Lernprozesses sind und welche Veränderung durch den Prozess angestrebt wird. Die Rollen von Bürger:innen, Forschenden und Koordinationsgremium sollten besprochen und klar kommuniziert werden. Zudem ist es förderlich, konkrete Wissens-Outputs zu Beginn zu kommunizieren und die Methode zu erläutern, wie diese erarbeitet werden. Wenn möglich, sitzt in den beteiligten Teams mindestens eine Person mit Erfahrung in ähnlichen Beteiligungsprozessen.

Koordination und Kontinuität

In der Forschungsgruppe zur Verkehrswende waren die Disziplinen Psychologie, Wirtschaftswissenschaften, Physik mit methodischer Expertise zu Data Science/Life-Cycle-Analyse und in der Forschungsgruppe zur Stromwende waren Ingenieurswissenschaften, Jura, Wirtschaftswissenschaften, Politikwissenschaft, Psychologie und Governance-Forschung vertreten. Dadurch, dass verschiedene Disziplinen im Prozess involviert waren, bedurfte es guter Koordination, Übersetzungsarbeit und Zusammenbindung. Die Policy Unit hatte hierbei ein zentrale Rolle: sie fungierte als koordinierende Schnittstelle zwischen Bürger:innen-Veranstaltungen, Ariadne-Wissenschaft, Begleitforschung und Öffentlichkeitsarbeit. Das Policy Unit-Team musste von Anfang an mehrere kommunikative sowie inhaltliche Aufgaben gleichzeitig erfüllen: (1) Prozess-Ziele vermitteln, (2) nächste Schritte im Prozess konzipieren und kommunizieren, (3) Forschende dazu motivieren und dabei unterstützen, Inhalte für die Bürger:innen-Formate zu erarbeiten und in adäquate Sprache zu übersetzen, (4) Ergebnisse der Bürger:innen-Diskussionen dokumentieren und (5) die Bearbeitung der Ergebnisse durch die Wissenschaft sicherstellen. Eine Person des Projekt-Teams verglich die Schnittstellen-Arbeit damit, mit fünf Bällen gleichzeitig zu jonglieren (Projekt-Team, 2022). Es empfiehlt sich daher, Puffer bei den Ressourcen einzuplanen, da in neuartig strukturierten Projekten häufig unerwartet mehr Koordinations- und Kommunikationsarbeit entsteht als zunächst erwartet. Aus den Interviews geht hervor, dass die koordinierende und integrierende Rolle der Policy Unit eine wichtige Vorrausetzung für die Umsetzung des Prozesses war:

„Da habe ich das Gefühl, dass die Policy Unit das gut macht, gut hinterher ist und die Sachen immer gut antreibt und zusammenbringt. Der Zeitaufwand ist nicht so locker (…), man muss da immer ständig dranbleiben, die Leute zusammenbringen etc. (…). Und umgekehrt müssen die Leute da auch mitmachen, das sind ja immer zwei Seiten.“ (Interview Wissenschaft, Strom 2020)

Das theoretisch-philosophische Modell (PEM) (s. Kap. 3) erforderte in der Umsetzung viel Koordination und eine Operationalisierung des Konzepts, welche von einem „learning by doing“ und fortlaufend nötigen Anpassungen in der Praxis geprägt war. Die konzeptionellen Rollen zwischen den koordinierenden Akteuren (Policy Unit, ifok, Begleitforschung) waren im Projekt aus Sicht der Begleitforschung nicht immer hinreichend klar aufgeteilt. Der Abstimmungsbedarf an den Schnittstellen war sehr hoch, was viele zeitliche und personelle Ressourcen beanspruchte. Zudem gab es während der ersten Hälfte des Projekts Fluktuation des Personals innerhalb des Koordinationsteams sowie in den Forschungsgruppen.

Bezüglich der Timeline ergab sich die Herausforderung, dass unterschiedliche Pools an Teilnehmenden bei Fokusgruppen, Bürgerkonferenzen, Online-Deliberationen und Bürgergipfel teilnahmen, was die Kontinuität erschwerte. Dies zeigte sich auch darin, dass nach einem Jahr nur 17 der 88 Teilnehmenden aus den Fokusgruppen auch an den Bürgerkonferenzen teilnahmen. Das heißt, nach einem Jahr musste erneut eine Zufallsauswahl durchgeführt werden, um einen entsprechenden Pool an Interessierten aufzubauen. Konzeptionell sollte vorab festgelegt werden, ob der Anspruch ist, eine Ad-hoc-Beteiligung zu mehreren Themen zu ermöglichen oder einen kontinuierlichen Lernprozess auf Basis des gleichen Pools an Personen durchzuführen, der inhaltlich aufeinander aufbauen kann.

Glaubwürdigkeit und politischer Impact

Bürgerbeteiligung sollte die Teilnehmenden in die Lage versetzen, etwas zu bewirken – andernfalls könnte ein Prozess „Window-Dressing“ statt einer sinnvollen Beteiligung darstellen (Arnstein 2007, Elzinga 2008, 357). Von Window-Dressing (oder auch Feigenblattbeteiligung) wird dann gesprochen, wenn Beteiligung lediglich eine Dekorationsfunktion zugeschrieben wird, statt eine substantielle und einflussreiche Rolle zu haben. Die obigen Begleitforschungsergebnisse (Kap. 4) zeigen, dass die Bürgerinnen und Bürger die Art und Weise beeinflusst haben, wie die Forschenden Zukunftsoptionen der Verkehrs- und Stromwende im Rahmen des Prozesses konzeptualisiert haben. Während des Bürgergipfels hatte dies einen Einfluss darauf, wie die Politikoptionen gegenüber Interessenvertretenden und Ministerien vermittelt wurden.

Der Austausch zwischen den Bürger:innen und Akteuren aus Politik, Wirtschaft und organisierter Zivilgesellschaft  auf dem die erste Projektphase abschließenden Bürgergipfel[12] war aus mindestens zwei Gründen sehr wichtig: Zunächst wurden hierbei einige Bürgerinnen und Bürger besonders befähigt durch ihre Panel-Teilnahme an Debatten über die Energiewende in Deutschland teilzunehmen. Das zeigte des Weiteren, dass es sich lohnt, die tiefere Auseinandersetzung über alternative Zukünfte evidenzbasiert und sachlich mit der Gesellschaft zu suchen, statt nur auf Umfragen zu setzen. Ursachen und Hintergründe der Befürwortung oder Ablehnung bestimmter Alternativen und kommunikative Anforderungen an politische Maßnahmen können so besser verstanden werden.

Eine Herausforderung für die Glaubwürdigkeit des Ariadne-Projekts bestand darin, die Ziele des Ansatzes transparent zu erklären; denn faktisch war es primär eine auf die Forschung ausgerichtete Bürgerbeteiligung, die Anbindung an die Bundespolitik war eher indirekt. Daher ist es wichtig, Deliberation, die in der unmittelbaren politischen Sphäre (zum Beispiel in der französischen Klimaversammlung oder den Bürgerrat Klima) angedockt ist, von der Sphäre im Rahmen von politikberatender Forschung zu unterscheiden. In der politischen Sphäre richten sich Bürgerinnen und Bürger direkt an die Verwaltung oder politische Entscheidungstragende, die dann einen systematischen und verantwortungsbewussten Prozess zur Umsetzung von Empfehlungen sicherstellen müssen (Giraudet et al. 2021). Im Gegensatz dazu wenden sich die Ergebnisse der Bürgerdeliberation in einem Forschungsprojekt hauptsächlich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, deren Forschung zwar Politikempfehlungen liefern kann, jedoch keinen Einfluss über deren Nutzung im politischen Prozess hat. Politik hat zudem keinen Rechtfertigungszwang demgegenüber, sondern kann die Ergebnisse lediglich zur Kenntnis nehmen. Die Bürgerdeliberation von Ariadne war als deliberativer Prozess innerhalb eines politisch relevanten Forschungsprojekts an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft angesiedelt.

Eine weitere relevante Frage bezüglich der politischen Wirkung lautet: Haben relevante politische Akteure die Ergebnisse für sich genutzt und macht es für sie einen Unterschied in der wissenschaftlichen Politikberatung, ob wissenschaftliche Ergebnisse im Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern entstehen? Obgleich die Ergebnisse an Entscheidungstragende versendet und im Rahmen des Bürgergipfels mit Vertretenden aus Politik und Verwaltung, Wirtschaft sowie organisierter Zivilgesellschaft diskutiert wurden, ist der mittelfristige Impact ungewiss und schwer zu überprüfen, zumal politische Entscheidungen auf Basis verschiedener Foren, Papiere und Gespräche geformt werden. Rückmeldungen auf dem Bürgergipfel lassen jedoch die Vermutung zu, dass einige Ergebnisse des Prozesses die jeweiligen Akteure in ihren Perspektiven bestärken. Beispielhaft ist dafür die Offenheit der Bürgerinnen und Bürger gegenüber verschiedenen Maßnahmen der Verkehrswende und die Abkehr vom Wunsch und Statussymbol des eigenen PKWs, wie von zwei Vertretenden der Stakeholdergruppe Wirtschaft und organisierter Zivilgesellschaft hervorgehoben wurde. Im Bereich der Stromwende wurden im Verlauf der Ariadne-Bürgerdeliberation diskutierte Ideen auch auf politischer Ebene diskutiert und mit dem Osterpaket umgesetzt, weshalb die Ergebnisse eher bestärkend als verändernd wirken. Dazu zählen der verstärkte Ausbau von Photovoltaik auf Dächern und entlang von Schienen und Autobahnen, mehr finanzielle Beteiligung für Kommunen beim Ausbau der Erneuerbaren (EEG 2023 §6) sowie eine gerechte Verteilung von Windenergieanlagen über die Bundesländer durch das Wind-an-Land-Gesetz. Darüber hinaus könnte der Wunsch für einfacher zugängliche aktive Teilhabe und der Bedarf nach mehr, besser verständlichen und transparenten Informationen zum Stand des Ausbaus von Erneuerbaren Energien ihren Niederschlag in entsprechenden politischen Foren finden.

Die Ergebnisse von Beteiligungsverfahren fußen auf freiwilligem Engagement von Bürgerinnen und Bürger mit dem Ziel, Einfluss auf Entscheidungsprozesse auszuüben. Wenn aber bei teilnehmenden Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck entsteht, dass trotz der positiven Erfahrungen der Deliberation ein Beteiligungsverfahren folgenlos bleibt, wenden sie sich möglicherweise nicht nur vom laufenden Prozess ab, sondern bleiben mit einem negativen Gefühl zurück, was sich auch entsprechend auf das Vertrauen in Institutionen auswirken kann (Nanz 2012). Der Umgang mit den Ergebnissen ist den beteiligten Bürgerinnen und Bürgern wichtig und beeinflusst damit auch ihre Selbstwirksamkeit. Grundsätzlich ist dieser Aspekt für ein politikberatendes Projekt wie Ariadne herausfordernd, denn die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger hatte zwei Adressaten: zunächst die Forschenden und damit ihre Mitwirkung am Forschungsprozess. Der zweite Adressat sind indirekt Entscheidungstragende in der Politik. In welchem Rahmen die Ergebnisse von Ariadne politisch aufgegriffen werden, steht jedoch außerhalb des Wirkrahmens der Ariadne-Bürgerbeteiligung. Diesen Hintergrund zu erläutern und im Erwartungsmanagement aufzufangen, war nicht immer einfach.

Transparenz

Transparenz gehört zu den Qualitätskriterien guter Beteiligung. Sie meint den Zugang zu relevanten Prozess-Informationen und Transparenz zu konzeptionellen Entscheidungen gegenüber den Beteiligten. Eine weitere Dimension ist die Transparenz nach außen, so dass der Prozess auch für außenstehende Interessierte nachvollziehbar wird.

Die Transparenz gegenüber den teilnehmenden Bürgerinnen und Bürgern bezüglich der konkreten Ziele und angestrebten Ergebnisse des Prozesses sowie der Kontext des Gesamtprojekts waren in der ersten Phase grundsätzlich gegeben, aber nicht perfekt. Nach den Co-Creation-Workshops beschrieb eine Person die eigene Verwunderung wie folgt: „Was mir irgendwie gar nicht so bewusst war, dass so viele Institute und Universitäten mit dabei sind, wie zum Beispiel noch das Fraunhofer etc. Jetzt kommt mir gerade noch, dass bei Ariadne nicht alle bei Verkehrs- und Stromwende sind. Das war mir nicht bewusst.“ Einige Teilnehmende meldeten zudem zurück, dass die Eingrenzung des diskutierten Themas beziehungsweise der konkreten Fragestellung nicht klar genug kommuniziert wurde, zum Beispiel, dass es bei der Verkehrswende nur um den Personenverkehr ging – und nicht auch um den Güterverkehr, der aber im Rahmen des ersten Lernmoduls auch angeschnitten wurde.

Während Forschende sich zwischen den Beteiligungsformaten mit den Sichten und Argumenten der Bürgerinnen und Bürger auseinandersetzten, war die Nachvollziehbarkeit der iterativen Lernschritte für Außenstehende zum Teil herausfordernd. Insbesondere der Schritt, bei dem die Ariadne-Forschenden basierend auf den Ergebnissen der Fokusgruppen die Politikoptionen für die Strom- und Verkehrswende konzipierten, warf Rückfragen auf. Zudem war für einige Bürgerinnen und Bürger die (Vor-)Formulierung der Kernbotschaften zur Diskussion im Vorlauf des Bürgergipfels nicht voll und ganz nachvollziehbar. Sie wurden auf Basis der Ergebnisse der Bürgerkonferenzen entwickelt und nur mit jenen Personen abgestimmt, die in der letzten Phase noch aktiv beteiligt waren.

Transparenz zu den Zielen, konkreten Outputs und Prozessschritten ist wichtig für die Legitimität von Beteiligungsprozessen. Sind wichtige Informationen nicht zugänglich, können Teilnehmende Schwierigkeiten haben, Schritte im Prozess nachzuvollziehen. Ein wahrgenommenes Defizit an Transparenz seitens der Teilnehmenden kann zu Verwirrung, Vertrauensverlust oder Demotivation führen und sollte daher als konzeptionelle Querschnittsaufgabe systematisch einbezogen werden.

5.4 Empfehlungen

Die Beteiligung von Bürger:innen und soziales Lernen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft erfordert Räume für Austausch und soziale Interaktion, zum Beispiel in der Form von direkten Begegnungen und Frage-Antwort-Möglichkeiten. Da neue und ungewohnte Prozesse wie in Ariadne herausfordernd sein können und verschiedene Erwartungen wecken, ist von Anfang an Klarheit bezüglich der Ziele und Rollen sowie eine umfassende Kommunikation entscheidend. Frustration und aufkommende Fragen sind keine Anzeichen von Misserfolg, sondern natürliche Bestandteile eines Reflexions- und Suchprozesses, der häufig Veränderungen in Routinen und Verhaltensweisen erfordert.

Es ist wichtig, den Partizipationsprozess in die Projekt-Governance einzubetten und ein gemeinsames Verständnis für den Prozess zu Beginn zu entwickeln. Dies erfordert eine klare Klärung der Fragen: Warum werden Bürgerinnen und Bürger beteiligt? Welche Veränderung wird angestrebt? Welche Ergebnisse oder Mehrwerte werden erwartet? Welche Methoden werden verwendet? Die Kommunikation des Prozesses sowohl nach innen als auch nach außen ist von entscheidender Bedeutung, ebenso wie die Anbindung an die Politik und die Bereitstellung von Ressourcen für die Öffentlichkeitsarbeit.

Bei der Steuerung und Durchführung des Prozesses sollte dieser als ein flexibles „Korsett“ betrachtet werden, das sich im Verlauf des iterativen Prozesses anpassen lässt. Die Rolle der Policy Unit ist dabei von großer Bedeutung. Ein bewusster Umgang mit Macht- und Anreizstrukturen ist notwendig, ebenso wie die Anerkennung und Bereitstellung von Ressourcen für die Prozess-Steuerung und die Schnittstellenarbeit. Transparente Kommunikation über das Ziel des Prozesses und die Rolle der Beteiligten ist ebenfalls von großer Bedeutung.

Bei der Erstellung von Output und Outcome sollten konkrete Ergebnisse definiert werden, die aus jedem Schritt der Beteiligung hervorgehen sollen. Es ist wichtig sicherzustellen, dass die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses tatsächlich genutzt werden und einen Unterschied in der Politikberatung machen. Dies erfordert eine aktive Rolle der beteiligten Forschenden und Raum für die Entwicklung eigener Schwerpunkte.

6. Fazit

Die Ergebnisse der empirischen Begleitforschung haben gezeigt, dass durch die Beteiligung von zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern soziales Lernen innerhalb des Forschungsprojekts Ariadne stattgefunden hat. Die Mehrheit der teilnehmenden Personen wurde dazu angeregt, ihre Einstellungen zu überdenken beziehungsweise zu erweitern. Gleichzeitig war eine Annäherung der Ansichten innerhalb der Gruppen zu beobachten. Die Kombination aus gegenseitigem Lernen (peer learning) und dem Austausch mit wissenschaftlichen Expert:innen, die auch für Rückfragen zur Verfügung standen, wurde seitens der Teilnehmenden als bereichernde Erfahrung wahrgenommen.

Forschende erweiterten durch die Bürgerdeliberation das Wissen über die Werte und Begründungsebenen von Bürgerinnen und Bürgern, zum Beispiel die Relevanz sozialer Gerechtigkeit, inklusiver Infrastruktur und Teilhabe in der Strom- und Verkehrswende. Die beobachteten Spannungen im Projekt bestätigen die Resultate anderer Begleitforschungen, die zeigen, dass auch zwischenmenschliche Beziehungen, Machtverhältnisse und Eigenverantwortung (ownership) eine wichtige Rolle für Lernprozesse in kollaborativen, interdisziplinären Forschungsprojekten spielen (Freeth, 2019). Daher braucht es genügend personelle und zeitliche Ressourcen und die Bereitschaft aller Beteiligten, sich auf andere Disziplinen, Wissensformen und Methoden eizulassen.

Aus deliberativer, demokratischer Perspektive ist eine Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Schnittstelle Wissenschaft-Politik-Gesellschaft sinnvoll, da hierbei zusätzliche Alternativen und Aspekte aufgezeigt werden, die in der Lebenswelt der Menschen eine wichtige Rolle spielen und für die Gestaltung und Kommunikation zukunftsgerichteter Politikmaßnahmen von Bedeutung sind. Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern in der Forschung ist Ausdruck gelebter Demokratie und kann dazu beitragen, dass demokratie- und wissenschaftsfeindliche Bewegungen nicht erstarken (BMBF 2023). Die diskursive Vielfalt einer Deliberation mit Menschen, bei der Politikoptionen diskutiert werden, kann Forschende dazu befähigen, eigene oder allgemeine Annahmen und Selbstverständnisse zu hinterfragen und neue Räume für Ideen öffnen, da verschiedenes Wissen miteinander in Kontakt kommt. Dadurch, dass die Bürgerinnen und Bürger als Alltagsexpert:innen auftreten sollen, wird ihnen auch – anders als normalerweise „Wissenschaft erklärt, Bürger fragt“ – Expertise zugeschrieben und damit Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit gefördert. Durch diesen oder ähnliche Lernprozesse zwischen verschiedenen Wissenstypen, hier zwischen Wissenschaft und Bürger:innen, am Ende auch Stakeholder, werden die Weichen gestellt für eine zunehmende Pluralisierung von (Nachhaltigkeits-)Expertise. Eine neue Qualität der wissenschaftlichen Politikberatung kann entstehen, wenn Verständigung durch Deliberation bereits bei der Konzipierung von Politikoptionen gefördert wird. Werden diese Lernchancen weiterhin erprobt und genutzt, kann besseres Orientierungswissen entstehen und die Problemlösungskapazität des demokratischen Entscheidungssystems gesteigert sowie eine innovative, resiliente und wissenschaftsoffene Gesellschaft befördert werden (BMBF 2023).

Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern wird in der Folgephase (Ariadne 2) fortgesetzt und auf die Themen Verteilungswirkung von klimapolitischen Maßnahmen und Wärmewende erweitert. Verkehrspolitische Fragen zu Akzeptanz und Klimawirkung bleiben Teil der Bürgerdeliberation in Ariadne 2, die Stromwende hingegen nicht. Das erste Beteiligungsformat erfolgt im Frühsommer 2024 mit einer Bürgerkonferenz zu allen drei Themen.

Anhang


Der vorliegende Ariadne-Hintergrund wurde von den oben genannten Autorinnen und Autoren des Ariadne-Konsortiums ausgearbeitet. Die Analyse spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des gesamten Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider.
Die Inhalte der Ariadne-Publikationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erstellt.

Literaturangaben

Blum, M., Colell, A., Hoffmann, J., Karohs, K., Kowarsch, M., Krude, M., Saur, M., Thiel, H., (2021): Was ist uns wichtig bei Verkehrs- und Stromwende? Bürgerinnen und Bürger sprechen über Herausforderungen und Ziele. Kopernikus-Projekt Ariadne, Potsdam. https://ariadneprojekt.de/publikation/ariadne-report-fokusgruppen-verkehrswende_stromwende

Blum, M., Kowarsch, M., Treichel-Grass, K. (2022): Bürgersichten auf zukünftige Energiewelten – Ergebnisse der Ariadne-Bürgerkonferenz. Kopernikus-Projekt Ariadne, Potsdam. https://ariadneprojekt.de/publikation/report-ergebnisse-buergerkonferenz-stromwende

Blum, M., Kowarsch, M., Treichel-Grass, K. (2022): Sichten von Bürgerinnen und Bürger auf vier Zukunftspfade der Verkehrswende – Ergebnisse der Ariadne-Bürgerkonferenz. Kopernikus-Projekt Ariadne, Potsdam. https://ariadneprojekt.de/publikation/report-ergebnisse-buergerkonferenz-verkehrswende

Bundesministerium für Bildung und Forschung (2023): Partizipationsstrategie Forschung. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berlin. https://www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2023/partizipationsstrategie.pdf?__blob=publicationFile&v=1

Bundeszentrale für Politische Bildung (2023): Handwörterbuch des politischen Systems – Politikberatung. https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/202089/politikberatung/

Chwalisz, C. (2020): Good practice principles for deliberative processes for public decision making. In OECD, Innovative Citizen Participation and New Democratic Institutions. Catching the Deliberative Wave (S. 115–120). OECD Publishing. https://www.oecd-ilibrary.org/sites/b40aab2a-en/index.html?itemId=/content/component/b40aab2a-en

Curato, N., Dryzek, J. S., Ercan, S. A., Hendriks, C. M., & Niemeyer, S. (2017): Twelve Key Findings in Deliberative Democracy Research. Daedalus, 146(3), 28–38. https://doi.org/10.1162/DAED_a_00444

Curato, N., & Farell, D. (2021): Deliberative Mini-Publics: Core Design Features. Policy Press.

Curato, N., Farrell, D. M., Geissel, B., Grönlund, K., Mockler, P., Pilet, J.-B., Renwick, A., Rose, J., Setälä, M., & Suiter, J. (2021): Deliberative Mini-Publics: Core Design Features (1. Aufl.). Bristol University Press. https://doi.org/10.2307/j.ctv1sr6gw9

Defila, R., & Di Giulio, A. (2015): Integrating knowledge: Challenges raised by the “Inventory of Synthesis”. Futures, 65, 123–135. https://doi.org/10.1016/j.futures.2014.10.013

Defila, R., & Di Giulio, A. (2018): What Is It Good For? Reflecting and Systematizing Accompanying Research to Research Programs. GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society, 27, 97–104. https://doi.org/10.14512/gaia.27.S1.17

Dienel, L., & Rieg, T. (2019): Qualitätsstandards von Bürgerbeteiligungsverfahren mit Zufallsauswahl. In J. Sommer, Kursbuch Bürgerbeteiligung #3 (S. 191–206). Verlag Deutsche Umweltstiftung. https://www.bipar.de/kursbuch-buergerbeteiligung-3

Dietz, T. (2013): Bringing values and deliberation to science communication. Proceedings of the National Academy of Sciences, 110(Supplement 3), 14081–14087. https://doi.org/10.1073/pnas.1212740110

Dietz, T. (2015): Environmental Value. In T. Brosch & D. Sander (Hrsg.), Handbook of Value: Perspectives from Economics, Neuroscience, Philosophy, Psychology and Sociology (S. 329–350). Oxford University Press.

Edenhofer, O., & Kowarsch, M. (2015): Cartography of pathways: A new model for environmental policy assessments. Environmental Science & Policy, 51, 56–64. https://doi.org/10.1016/j.envsci.2015.03.017

Freeth, R. (2019): Formative accompanying research with collaborative interdisciplinary teams, Leuphana Universität Lüneburg. https://pub-data.leuphana.de/frontdoor/index/index/docId/953

Goodin, R. E. (2008): Innovating Democracy: Democratic Theory and Practice After the Deliberative Turn. Oxford University Press. https://doi.org/10.1093/acprof:oso/9780199547944.001.0001

Goodin, R. E., & Dryzek, J. S. (2006): Deliberative Impacts: The Macro-Political Uptake of Mini-Publics. Politics & Society, 34(2), 219–244. https://doi.org/10.1177/0032329206288152

Graf, A., Sonnberger, M., & Ruddat, M. (2018): Transformation gestalten oder verwalten? Zivilgesellschaft und Energiewende. In L. Holstenkamp & J. Radtke (Hrsg.), Handbuch Energiewende und Partizipation (S. 483–504). Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09416-4_30

Habermas, J. (1992): Faktizität und Geltung: Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats (Erstausgabe). Suhrkamp Verlag.

Kenter, J. O., Reed, M. S., & Fazey, I. (2016): The Deliberative Value Formation model. Ecosystem Services, 21, 194–207. https://doi.org/10.1016/j.ecoser.2016.09.015

Kowarsch, M. (2016): A Pragmatist Orientation for the Social Sciences in Climate Policy: How to Make Integrated Economic Assessments Serve Society. Springer International Publishing. https://doi.org/10.1007/978-3-319-43281-6

Nanz, P., & Fritsche, M. (2012): Handbuch Bürgerbeteiligung: Verfahren und Akteure, Chancen und Grenzen. Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn.

Posselt, G. (2003): Handlungsfähigkeit (D). Produktive Differenzen. Forum für Differenz- und Genderforschung: Glossar. https://differenzen.univie.ac.at/glossar.php?sp=26

Riousset, P., Flachsland, C., & Kowarsch, M. (2017): Global environmental assessments: Impact mechanisms. Environmental Science & Policy, 77, 260–267. https://doi.org/10.1016/j.envsci.2017.02.006

Röhling, H.-J. (2019): TRANSENS. Transdisziplinäre Forschung zur Entsorgung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland. https://www.transens.de/fileadmin/Transens/documents/Vorhabenbeschreibung/TRANSENS_BMWi-Vorhabenbeschreibung.pdf

Schwartz, S. (2012): An Overview of the Schwartz Theory of Basic Values. Online Readings in Psychology and Culture, 2(1). https://doi.org/10.9707/2307-0919.1116

Autorinnen & Autoren

Dr. Mareike Blum

Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change

Katja Treichel-Grass

Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change

Dr. Martin Kowarsch

Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change