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Analyse: Quo vadis Klimapolitik? Bürgerperspektiven auf Politikoptionen in Energie und Verkehr

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Zusammenfassung

Die Dekarbonisierung des Verkehrs- und Stromsystems ist ein weitreichender Transformationsprozess, der erhebliche Veränderungen für die Menschen mit sich bringt. Er kann nur als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gelingen, die aus Betroffenen Beteiligte macht und Interessen sowie Vorstellungen von Bürgerinnen und Bürgern berücksichtigt. Wirksame Beteiligung im Forschungs- und Politikprozess sind bei der Verkehrs- und Stromwende deshalb unabdingbar. Unterschiedliche Formate, wie Befragungen und Deliberation erlauben es, die Einstellungen aus einem Querschnitt der Gesellschaft zu Politikoptionen zu untersuchen und Betroffene somit an der Entwicklung dieser partizipieren zu lassen.

In dieser Analyse untersuchen wir in zwei parallel durchgeführten Befragungen im Rahmen der Ariadne Bürgerdeliberation und einer repräsentativen Panelbefragung die Haltung der Bürger:innen gegenüber verschiedenen Politikoptionen in den Bereichen Verkehr und Strom. Das Ziel war hierbei durch die vergleichende Betrachtung besser zu verstehen, welche Optionen gesellschaftlich mitgetragen werden (und welche nicht) und aus welchen Gründen. Die Verbindung beider Zugänge bietet eine umfassende Perspektive auf die gesellschaftliche Trägerschaft der Energie- und Verkehrswende. Die Bürgerinnen und Bürger sprachen sich in beiden Bereichen – Strom und Verkehr – für möglichst gerechte und effektive politische Optionen aus.

Die Mehrheit der Befragten ist bereit, Veränderungen mitzutragen, wenn gewährleistet wird, dass alle Menschen und vulnerable Gruppen Zugang zu bezahlbarer Mobilität und Energieversorgung haben. Dies spiegelt sich in der Wahrnehmung von Stärken der verschiedenen Optionen und dem Wunsch, das Beste aus den Welten und Pfaden zu kombinieren.

Für die Energie- und Verkehrswende insgesamt zeigen die Bürger:innensichten die Wichtigkeit einer Politik auf, die sich sowohl an sozialen als auch ökologischen Auswirkungen orientiert. Der klimafreundliche Umbau des Energiesystems wird von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit in Deutschland getragen und die Menschen sind bereit, sich bei der Umsetzung aktiv zu engagieren. Bei der Frage der Art der Gestaltung wird von den Bürger:innen mehrheitlich eine dezentrale Energieversorgungsstruktur bevorzugt. Damit sind jedoch sowohl Hoffnungen als auch Sorgen verbunden. In der Verkehrswende ist den Menschen eine faire Teilhabe an Mobilität wichtig, dass also die verschiedenen Mobilitätsbedürfnisse diverser gesellschaftlicher Gruppen berücksichtigt werden. Neben der sozialen Gerechtigkeit spielt in der Verkehrswende auch die Klimawirkung – also die Effektivität von Maßnahmen – eine zentrale Rolle für die gesellschaftliche Trägerschaft. Trotz verbleibendem Diskussionsbedarf der beteiligten Bürger:innen zu konkreten Umsetzungsfragen zeigen die Ergebnisse die Bereitschaft sich mit den Auswirkungen politischer Optionen auseinanderzusetzen und dadurch Wandel nicht primär als Bedrohung und Sorge, sondern als Chance auf ein inklusiveres und attraktiveres Zusammenleben zu sehen.

Eine Voraussetzung für einen wissenschaftlich informierten Lernprozess ist, das Wissen zu Politikoptionen und deren Auswirkungen für die breite Gesellschaft zugänglich und erfahrbar zu machen. Sowohl wissenschaftlich fundierte Informationsangebote als auch verständigungsorientierte Diskussionen sind effektive Formate, um dies zu ermöglichen. Letztlich lebt auch dieser Lernprozess von der Bereitschaft eigene Annahmen zu hinterfragen und sich für neue bzw. andere Argumente zu öffnen, die einem bisher als wenig relevant oder kaum nachvollziehbar erschienen.

Zudem unterstreicht diese Analyse, dass in wissenschaftlich gut informierten Prozessen Bürger:innensichten eine wertvolle Ressource und Chance für eine besser gesellschaftlich abgestimmte und damit tragfähigere Klimapolitik darstellen. Aus Bürger:innensicht sollten diverse Wertvorstellungen, Bedürfnisse und Interessen bei der Umsetzung der Transformationen Eingang finden. Deswegen braucht es nach Meinung der Autorinnen und Autoren dieser Analyse einen Weg, wie die Politik über diese informiert wird – eine vielversprechende Möglichkeit hierfür ist die Befähigung von Bürger:innen zur politischen Mitbestimmung durch ein möglichst heterogenes Spektrum an Beteiligungsformen. Aus dieser Sicht stellt der Einbezug von Bürger:innensichten eine Chance für eine tragfähigere, an den Bedürfnissen der Bürger:innen orientierte Politik dar.

1. Einleitung

Angesichts der Klimakrise hat sich Deutschland ambitionierte Ziele gesetzt, deren Erreichung tiefgreifende Veränderungen in vielen Bereichen der Gesellschaft erfordern. Die klimafreundliche Transformation heutiger Energie- und Verkehrssysteme bringt neben neue Infrastrukturen, Technologien und Geschäftsmodelle gleichzeitig auch politische Aushandlungsprozesse mit sich. Dabei verändert sie das gewohnte Landschaftsbild, die Wohnumgebung und neue Lebens- und Verhaltensweisen der Menschen werden erforderlich. Die Debatte zur Umsetzung der Strom- und Verkehrswende ist jedoch meist geprägt von Sorgen, dass als wirksam erachtete Klimaschutzmaßnahmen politisch aufgrund mangelnder Unterstützung in der Bevölkerung nicht durchsetzbar seien. In der Diskussion um gesellschaftlich tragfähige Lösungen treffen widerstreitende Interessen und Wertvorstellungen zu einer effektiven, effizienten und gerechten Ausgestaltung eines klimafreundlichen Energie- und Verkehrssystems aufeinander. Daran anknüpfend stehen in dieser Analyse folgende Fragen im Mittelpunkt: Welche politischen Wege sehen Bürgerinnen und Bürger als wünschenswert und tragbar an? Aus welchen Gründen werden bestimmte Ansätze kritisch bewertet oder abgelehnt? Welchen Einfluss haben Argumente und Informationen zu einzelnen Politikpfaden auf bestehende Einstellungen und Überzeugungen der Menschen? Darauf aufbauend wollen wir einen Beitrag zur Debatte leisten, wie ein Lernprozess zwischen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft ermöglicht werden kann.

Zur Beantwortung dieser Fragen wurden im Rahmen des Kopernikus-Projekts Ariadne einerseits zwei Bürgerkonferenzen zum Strom- bzw. Verkehrssektor im November 2021 abgehalten sowie vor und nach den Konferenzen zu den dort diskutierten Politikoptionen in Form von sogenannten Energiewelten und Verkehrspfaden Befragungen durchgeführt (Treichel et al. 2022, Blum et al. 2022). Andererseits wurden diese Politikoptionen von einer repräsentativen Stichprobe der deutschen Bevölkerung im Zuge einer Online-Befragung des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers bewertet, einer im jährlichen Rhythmus durchgeführten Online-Panelstudie zu den Themen Energie- und Verkehrswende (Wolf et al., 2021, 2022). Beide Formate erlauben es, die Einstellungen aus einem Querschnitt der Gesellschaft zu Politikoptionen zu untersuchen und Betroffene somit an der Entwicklung dieser partizipieren zu lassen (Chilvers et al., 2021).

Die Besonderheit der vorliegenden Studie liegt in der zeitgleichen und einheitlichen Erfassung der Bürgerperspektiven in Bürgerdeliberation und Panelbefragung anhand jeweils themenspezifischer Befragungsinstrumente für den Verkehrs- und Stromsektor. Neben der Bewertung der Politikoptionen wurden dabei auch Lernprozesse bei den Bürgerinnen und Bürgern untersucht. Ausgehend von der Annahme, dass sich Überzeugungen und Einstellungen gegenüber Politikoptionen sowohl durch das Bereitstellen wissenschaftlich fundierter Informationen über erwartete Auswirkungen dieser (siehe Panel-Befragung „Sozialer Nachhaltigkeitsbarometer“) (Chaiken et al., 1989; Petty & Cacioppo, 1986) als auch durch den zusätzlichen deliberativen Austausch1 In Deliberationen können durch das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen relevanten Diskursen und dem gemeinsamen Erörtern spezifischer Fragen politische Optionen hinterfragt, verknüpft und argumentativ weiterentwickelt werden (Dryzek & Niemeyer 2008). über diese Informationen in Gruppendiskussionen ändern können (siehe Begleitforschung zur Ariadne Bürgerdeliberation) (Huitema, 2010; Pahl-Wostel, 2009; Dunlop and Radaelli, 2013), und somit Lernen2Lernen wird hier definiert als „Aktualisierung von Überzeugungen auf der Grundlage gelebter oder erlebter Erfahrungen, Analysen oder sozialer Wechselwirkung.“ (Dunlop and Radaelli 2013, S. 599). stattfindet, wurden den Befragten in beiden Erhebungen ausführliche Beschreibungen über die gesellschaftlichen Effekte der untersuchten Energiewelten und Verkehrspfade dargeboten. Eine derartige Analyse ist unseres Wissens in Bezug auf die Einstellungen von Bürger:innen in Deutschland neuartig und bietet die Möglichkeit (1) verallgemeinerbare Aussagen zu den Ergebnissen aus den Bürgerkonferenzen zu treffen, (2) den Vergleich empirischer Ergebnisse zur Erwünschtheit von Politikoptionen aus qualitativer und quantitativen Beteiligungsansätzen (3) auf Basis der Panelbefragungen differenziertere Aussagen bezüglich der Haltung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen vorzunehmen.

Dieser Bericht widmet sich dem Vergleich der deskriptiven Ergebnisse der Erhebungen im Zuge der Bürgerkonferenzen und der Online-Panelbefragung. Diese sich gegenseitig ergänzende Analyse der Ergebnisse aus den Bürgerkonferenz- bzw. Panelbefragungen ermöglicht neben der Darstellung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Stichproben, die Identifikation relevanter Themen und Spannungsfelder bei der Umsetzung der Politikoptionen und dient somit als Seismograf für die gesellschaftliche Trägerschaft der Energie- und Verkehrswende. Genauer geht es um einen Vergleich der in beiden Ansätzen erhobenen Bürger:innensichten und ihrer Änderungen rund um die sogenannten Ariadne-Bürgerkonferenzen:

Energiewelten und Verkehrspfade

Die untersuchten Politikoptionen für den Strom- und Verkehrssektor wurden von Ariadne-Forschenden auf Basis aktueller Forschungsergebnisse sowie der in Fokusgruppen von Bürgerinnen und Bürgern identifizierten Problem- und Zielvorstellungen erarbeitet (siehe Blum et al. 2021). Im Transformationsfeld Verkehr handelt es sich dabei um vier Pfade, die im Folgenden kurz beschrieben werden (die Informationen zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Befragung befinden sich im Anhang):

Pfad 1:Regulierung durch Ordnungsrecht”: Zentrales Merkmal dieses Pfades ist die Orientierung am Ordnungsrecht. Das Ordnungsrecht setzt den Schwerpunkt auf rechtliche Gebote und Verbote, um klimapolitische Ziele zu erreichen. Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor sollen möglichst schnell und weitgehend durch elektrische Fahrzeuge ersetzt werden. Leitend ist eine erhebliche Begrenzung der Neuzulassungen von Fahrzeugen mit Diesel- oder Benzinmotor. Diese werden begleitet von Geschwindigkeitsbeschränkungen und weiteren Maßnahmen wie zum Beispiel Fahrverboten für Fahrzeuge mit Diesel- oder Benzinmotor und einem Verbot für innerdeutsche Flüge.

Pfad 2:Digitalisierung und diverse Technologien”: Zentrales Merkmal dieses Pfades ist eine Offenheit für verschiedene Technologien zum Antrieb von Fahrzeugen (Verbrenner, E-Mobilität, synthetische Kraftstoffe, welche zum Beispiel durch Ethanol oder Wasserstoff hergestellt werden). Der Pfad setzt auf neue Innovationen zum Beispiel bei der Digitalisierung und beim autonomen Fahren. Gesetzliche Regeln für den Verkehrssektor werden kritisch gesehen. Anreize (z.B. geringere KFZ-Steuer für klimafreundliche Fahrzeuge) werden verbotsorientierten Ansätzen vorgezogen. Ergänzt werden die Maßnahmen durch einen moderaten CO2-Preis.

Pfad 3: „Lenkung mit einem hohen CO2-Preis”: Zentrales Merkmal dieses Pfades ist ein relativ hoher CO2-Preis im Mittelpunkt der Klimapolitik: Dieser steigt auf 300 Euro pro Tonne CO2 bis zum Jahr 2030 (im Jahr 2021 liegt der CO2-Preis bei ca. 25 Euro pro Tonne CO2 im Verkehrssektor3Deutsche Bundesregierung 2023: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/klimaschutz/weniger-co2-emissionen-1810636.). Benzin und Gas würden teurer, was zu einem Rückgang von Verbrenner-Fahrzeugen führen soll. Weitere Instrumente werden nur flankierend eingesetzt. Auch Flugreisen würden aufgrund des CO2-Preises deutlich teurer und somit unattraktiver, während Bahnreisen günstiger würden.

Pfad 4: „Wandel hin zu Neuer Mobilität”: Zentrales Merkmal dieses Pfades ist eine weitreichende Umgestaltung des gesamten Verkehrssystems. Dieser Ansatz sieht weniger Flächen für Autos vor, gleichzeitig soll die fuß- und fahrradfreundliche Infrastruktur ausgebaut werden. Es entstehen neue, geteilte Formen der Mobilität (wie Car-Sharing). Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) und Fuß- und Radverkehr stehen im Mittelpunkt der Verkehrsplanung. Die Antriebstechnologie der Fahrzeuge spielt eine untergeordnete Rolle.

Im Transformationsfeld Stromwende wurden folgende zwei Welten, die gegensätzliche, potentielle Entwicklungspfade beschreiben, bewertet (für Informationen zu den präsentierten gesellschaftlichen Auswirkungen siehe Anhang):

Dezentrale Welt: In einer dezentralen Energiewelt wird Strom aus Erneuerbaren Energien vor allem in kleinen, in ganz Deutschland verteilten Solaranlagen und kleineren Windenergieparks an Land und auf See erzeugt. Sonne und Wind stehen nicht durchgängig zur Verfügung. Deshalb wird der Energieverbrauch, auch mithilfe von digital gesteuerter Vernetzung so gesteuert, dass der Strom möglichst sofort nach seiner Erzeugung verbraucht wird. Zentrale Akteure in dieser Welt sind private Haushalte sowie bürgerschaftlich getragene Projekte und Genossenschaften, die das Energiesystem als Stromerzeugende, aber auch als Stromverbrauchende mitgestalten.

Zentrale Welt: In einer zentralen Energiewelt werden erneuerbare Erzeugungsanlagen dort aufgebaut, wo am meisten Energie produziert werden kann und gleichzeitig die Kosten der Erzeugung am günstigsten sind. Aufgrund des hohen Ausbaubedarfs müssten zudem auch weniger ertragreiche Standorte bebaut werden. Um die großen Erzeugungsmengen aufzunehmen, werden zentrale Speicher gebaut. Das Übertragungsnetz wird ausgebaut. Zentrale Akteure in dieser Welt sind große Unternehmen, welche die größeren und vergleichsweise teureren Erzeugungsanlagen bauen und betreiben können.

2. Methoden und Datenerhebung

2.1 Befragungsdesign & Rekrutierung

Zur Untersuchung der Forschungsfragen wurden zwei themenspezifische Fragebogeninstrumente entwickelt. In Struktur und Umfang sind beide Instrumente gleich aufgebaut. Sie umfassen jeweils einen allgemeinen Teil mit Einstellungsfragen zur Strom- beziehungsweise Verkehrswende, soziodemographischen Fragen sowie einen speziellen Teil mit geschlossenen und offenen Bewertungsfragen zu den zwei Energiewelten (1. dezentral, 2. zentral) beziehungsweise vier Zukunftspfaden im Verkehr (1. Regulierung durch Ordnungsrecht, 2. Digitalisierung und diverse Technologien, 3. Lenkung mit starkem CO2-Preis, 4. Wandel hin zu Neuer Mobilität). Die Darbietung der Welten bzw. Pfade erfolgte in randomisierter Reihenfolge. Die Bewertungen der Welten bzw. Pfade wurden jeweils im Anschluss an deren Beschreibung in unveränderter Abfolge erfasst. Diese umfassten a) die Erwünschtheit (überhaupt nicht wünschenswert (-4) bis sehr wünschenswert (+4)), (b) Gründe für dieses Urteil (offene Frage) sowie (c) Bewertungen hinsichtlich der Dimensionen Bürgernähe, Gerechtigkeit und Wirksamkeit (semantisches Differential von -3 bis +3, in randomisierter Reihenfolge). Schließlich wurde (d) die Präferenz im Vergleich zu den übrigen Optionen abgefragt („forced choice”). Unter den Experimentalbedingung (Treatment) im Rahmen der Panelbefragung wurden vor den Abfragen zusätzlich zur Beschreibung der Welten bzw. Pfade noch die gesellschaftlichen Auswirkungen der einzelnen Politikoptionen tabellarisch dargestellt (siehe Anhang).

Tabelle 1: Überblick Studiendesign

Die Befragungsinstrumente wurde in Zusammenarbeit von MCC und RIFS auf Basis der in Ariadne für die Strom- und Verkehrswende formulierten Politikpfade sowie dem Befragungskonzept des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers der Energie- und Verkehrswende (SNB) entwickelt (für methodische Details siehe Fischer et al., 2022). Im Vorfeld der eigentlichen Befragung wurde die Tauglichkeit der Fragebögen mit Hilfe kognitiver Interviews sowie eines quantitativen Pretests (Vorbefragung) (n = 114) überprüft (vollständige Fragebögen siehe Ariadne-Webseite). Die Teilnehmenden der Vorbefragung wurden über das forsa.omninet-Haushalts-Panel rekrutiert. Bei forsa.omninet handelt es sich um ein von forsa aufgebautes, für die deutsche Bevölkerung repräsentatives Online-Panel mit derzeit rund 100.000 Personen.

Die Rekrutierung der Teilnehmenden der Hauptbefragungen in den Bürgerkonferenzen bzw. der Panelbefragung erfolgte auf zwei unterschiedliche Arten: (1) Für die Bürgerkonferenzen wurden Bürger:innen aus ganz Deutschland durch einen professionellen Dienstleister per zufällig generierter Telefonnummer ausgewählt (60% mobil, 40% Festnetz) (siehe Annex III). Es nahmen 102 Personen an den Bürgerkonferenzen teil: 48 im Bereich Stromwende, 54 im Bereich Verkehrswende. Insgesamt nahmen 81 Teilnehmende vollständig an den Vorher-Nachher-Befragungen teil, was einer Rücklaufquote von knapp 80% entspricht. Bei der Verkehrswende-Konferenz in Würzburg waren dies 45 (von 54) Teilnehmenden. Bei der Stromwende-Konferenz in Kassel waren es 36 (von 48) Personen. Durch eine zweistufige Zufallsauswahl entlang von soziodemografischen Kriterien wurde ein möglichst repräsentatives Mini-Public gebildet, in dem unterschiedliche Lebenswelten und gesellschaftlich relevante Diskurse vertreten waren (Goodin 2008, 11, Goodin & Dryzek 2006, Farell et al. 2019).

(2) In einer weiteren Stichprobe (Stromwende: n = 2.255; Verkehrswende: n = 2.254) wurden Mitglieder des forsa.omninet-Panels befragt, die zuvor im Frühjahr 2021 an der ersten Befragungswelle des SNB teilgenommen haben (siehe Wolf et al., 2021; Fischer et al. 2022). Ziel der zeitgleich durchgeführten Befragungen war es einerseits, die in den Bürgerkonferenzen erfassten Einstellungen und Bewertungen an einer breiteren repräsentativen Bevölkerungsstichprobe hinsichtlich ihrer Verallgemeinerbarkeit zu überprüfen. Andererseits sollte untersucht werden, ob die verschiedenen Formen der Informationsdarbietung sowie Möglichkeiten der Reflexion und Deliberation in den moderierten Kleingruppen-Diskussionen im Gegensatz zur Online-Panel-Befragung zu unterschiedlichen Ergebnissen im Hinblick auf die Veränderung von Einstellungen, Positionen und Begründungen der Befragten führen.

Die Befragungen erfolgten in zwei verschiedenen Versuchsanordnungen. Zum einen wurden in einem Interventionsdesign die Teilnehmenden der Bürgerkonferenzen vor und nach den jeweiligen Veranstaltungen zu ihren Bewertungen der Politikpfade im Strom- und Verkehrssektor befragt (sog. Within-Subject-Design). Dabei wurde der entsprechende themenspezifische Fragebogen von den jeweiligen Konferenzteilnehmenden zweimal beantwortet Anhand dieses Within-Subject-Designs werden intraindividuelle Veränderungen der Einstellungen in Folge der umfassenden Informationen sowie moderierten Gruppendiskussionen über die dargestellten Politikszenarien untersucht.

Zum anderen wurde in der Online-Panelbefragung mit Hilfe eines Experiments mit zwei Gruppen (Kontroll- (KG) und Experimental-/Treatmentgruppe (TG)) bestehend aus verschiedenen Befragten (sog. Between-Subjects-Design) der Frage nachgegangen, welchen Einfluss die Bereitstellung von Zusatzinformationen über die gesellschaftlichen Auswirkungen der jeweiligen Politikpfade auf deren Bewertungen durch eine repräsentative Bevölkerungsgruppe haben. Zu diesem Zweck wurden die Teilnehmenden zufällig einer von vier Versuchsbedingungen zugeteilt: Bedingung 1 – Kontrollgruppe Energie (n = 1.129): diese Personengruppe erhielt nach den allgemeinen Einstellungsfragen zur Stromwende eine kurze Beschreibung der beiden Energiewelten; Bedingung 2 – Experimentalgruppe Energie (n = 1.126): den Befragten dieser Gruppe wurden zusätzlich zu der Beschreibung der Energiewelten Informationen über die jeweiligen gesellschaftlichen Auswirkungen präsentiert; Bedingung 3 – Kontrollgruppe Verkehr (n = 1.125): diese Gruppe erhielt nach den allgemeinen Einstellungsfragen zur Verkehrswende eine kurze Beschreibung der vier Zukunftspfade im Verkehr; Bedingung 4 – Experimentalgruppe Verkehr (n = 1.129): wie in Bedingung 3 wurden den Befragten dieser Gruppe zusätzlich Informationen über die jeweiligen gesellschaftlichen Auswirkungen der vier Pfade dargeboten.

2.2 Datenerhebung & Stichproben

Begleitforschung Bürgerdeliberation

In beiden Teilnehmendengruppen der Bürger:innenkonferenzen wurde die Fragebogenerhebung zu zwei Zeitpunkten durchgeführt. Die erste Befragung wurde jeweils eine Woche vor der Konferenz per E-Mail versendet, die zweite Erhebung erfolgte vor Ort am Ende der Konferenzen. Für die folgenden Analysen wurden ausschließlich die Bewertungen der Personen verwendet, die sowohl vor als auch nach der Konferenz an der Befragung der Begleitforschung teilnahmen.

Die Gesamtstichprobe (n = 81) umfasste zu 48,1% männliche und zu 51,9% weibliche Personen. Bezüglich des Alters war die Zusammensetzung in beiden Gruppen relativ repräsentativ im Vergleich zur Grundgesamtheit (18-24 Jahre: 8,6%; 25-34 Jahre: 17,3%; 35-49 Jahre: 21%; 50-64 Jahre: 38,3%; über 64 Jahre: 14,8%). Hinsichtlich der Bildungsniveaus waren Menschen mit hohen Bildungsabschlüssen überrepräsentiert. Die meisten Befragten besitzen einen Hochschulabschluss (56,8%), 22,2% haben Abitur/Fachhochschulabschluss, 13,6% einen mittleren Abschluss, 4,9% einen Hauptschulabschluss und 1,2% gingen noch zur Schule. Menschen aus unterschiedlichen Wohnlagen und Regionen waren Teil der Stichprobe: 45,7% der Teilnehmenden lebten zum Zeitpunkt der Erhebung in Großstädten, 19,8% aus mittelgroßen Städten, 18,5% aus Kleinstädten und 16% wohnten auf dem Land (<5.000 Einwohner). Im Anhang befindet sich eine Übersicht, in der die prozentualen Anteile in den Teilgruppen (Verkehrs- und Stromwende) dargestellt sind (siehe Tabelle im Anhang III).

Panelbefragung

Parallel zu den in Würzburg und Kassel veranstalteten Bürger:innenkonferenzen erfolgte eine deutschlandweite Online-Umfrage im Zeitraum vom 18. November bis 6. Dezember 2021. Diese wurde durch das Markt- und Meinungsforschungsinstitut forsa unter Leitung des RIFS umgesetzt. Der Fragebogen wurde von insgesamt 4.509 Personen vollständig beantwortet (Bruttostichprobe: 6.715; keine Teilnahme: 1.280; Abbruch: 926).

Aus der 1. Befragungswelle des SNB im Frühjahr 2021 liegen umfangreiche Daten zu den soziodemographischen Merkmalen der befragten Personen vor (zur Übersicht siehe Tabelle 22 im Anhang). 44,0% der Teilnehmenden sind weiblich und der Altersdurchschnitt der Stichprobe lag bei 56,0 Jahren (Standardabweichung (SD)= 15,6). Den größten Anteil (44,2%) stellt die Altersgruppe der über 60-Jährigen. Rund jede(r) Fünfte (20,7%) verfügt über einen Volks-/Hauptschulabschluss, 38,4% über einen Realschulabschluss, 38,3% über Fach- oder allgemeine Hochschulreife und die übrigen 2,7% sind noch in Ausbildung bzw. machten keine Angabe. Hinsichtlich der Einkommensverteilung ist die Mehrheit der Befragten (51,0%) mit mittlerem Einkommen, 13,5% sind Einkommensarme, 16,3% sind Einkommensschwache und 14,1% sind aus der einkommensstarken Mitte und 5,1% sind Einkommensreichen (siehe Kategorisierung nach Niehues, 2017). Im Vergleich zur Grundgesamtheit ist die Stichprobe etwas älter, höher gebildet und verfügt durchschnittlich über ein etwas höheres Einkommen als die in Deutschland lebende Bevölkerung über 18 Jahren.

3. Ergebnisse Verkehrswende

Im folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse zur Bewertung der Verkehrspfade beschrieben. Diese wurden zum einen hinsichtlich ihrer allgemeinen Erwünschtheit, der wahrgenommenen Bürgernähe (im Sinne der Orientierung an Bedürfnissen und Präferenzen der Bürgerschaft), Gerechtigkeit und Wirksamkeit (im Sinne der Erreichung des Ziels eines klimaneutralen Verkehrssystems) bewertet. Zudem wurden die Befragten gebeten, den von ihnen präferierten Pfad unter den dargestellten vier Politikoptionen auszuwählen. In den Darstellungen werden die Antworten aus der Vorher- und Nachher-Befragungen der Bürger:innenkonferenzen (Kap. 3.1 und 3.3) bzw. aus der Kontroll- und Experimentalgruppe Verkehr der Panelbefragung (Kap. 3.2 und 3.4) gegenübergestellt.

3.1 Bürger:innenkonferenz Verkehrswende: Bewertungen der Verkehrspfade

Erwünschtheit

Die Befragung der Konferenzteilnehmendenn zeigt, dass der Pfad Neue Mobilität mit deutlichem Abstand durchschnittlich am positivsten bewertet wird (siehe Abb. 1, Panel A). Den zweithöchsten Zustimmungswert erzielt der Pfad Digitalisierung, gefolgt von den Pfaden Regulierung und CO2-Preis. Die Pfade CO2-Preis (vorher und nachher) und Regulierung (vorher) erhielten eine relativ niedrige Zustimmung. Der Vorher-Nachher-Vergleich verdeutlicht, dass sich die Zustimmung aller Pfade nach der Konferenz leicht erhöhte. Am deutlichsten ist hierbei der Mittelwertunterschied des Vorher-Nachher-Vergleichs für den Pfad Regulierung (+0,73 Einheiten). Die Streuung (Standardabweichung) der Bewertungen nahm bezüglich aller Pfaden ab, was zeigt, dass sich die Einstellungen der Teilnehmenden durch die Deliberation angenähert haben (Pfad 1: -0,65 Einheiten; Pfad 2: -0,38 Einheiten; Pfad 3: -0,15 Einheiten; Pfad 4: -0,56 Einheiten).

In der differenzierten Betrachtung der Vorher-Nachher-Antworten werden die Richtung und der Grad der individuellen Einstellungsänderungen sichtbar (siehe Abb. B). Über alle Pfade hinweg veränderten rund zwei Drittel der Befragten ihre Bewertung der untersuchten Politikoptionen. Die Veränderungen bewegten sich im Bereich zwischen +/-1 und +/-2 Skalenpunkten. Je nach Pfad unterscheiden sich die Anteile der Personen, die im Laufe der Konferenz ihre Einstellungen geändert haben: Tabelle 2 zeigt, dass insgesamt knapp die Hälfte (Pfad 4) bis ca. drei Viertel der Befragten (Pfad 1, 2 und 3) ihre Pfadbewertung veränderten. Zu den Veränderungen zählen sowohl bessere als auch schlechtere Bewertungen. Dies deckt sich mit der Beobachtung, dass sich während der Deliberation in Kleingruppen die Ansichten der Teilnehmenden annäherten und Teilnehmende Verständnis für Positionen und Sichtweisen anderer artikulierten (Notizen der Begleitforschung, Bürgerkonferenz Würzburg, 2021).

 Unveränderte BewertungBessere BewertungSchlechtere Bewertung
Pfad 1: Regulierung31%47%22%
Pfad 2: Digitalisierung31%40%29%
Pfad 3: CO2-Preis27%38%36%
Pfad 4: Neue Mobilität51%29%20%
Tabelle 2: Individuelle Einstellungsänderungen nach der Bürgerkonferenz
Abbildung 1: Befragung Bürgerkonferenz: Erwünschtheit und individuelle Einstellungsänderungen bezüglich des Verkehrspfades „Regulierung“. Quelle: Eigene Darstellung.
A) Mittelwerte Erwünschtheit Verkehrspfade im Vorher-Nachher Vergleich; B) Sankey-Diagramm der Einstellungsänderung zu Pfad Regulierung im Vorher-Nachher-Vergleich. Hinweis: Personen, die “weiß nicht/keine Angabe” angegeben haben, wurden in den Analysen ausgeschlossen. Bei den Befragten handelt es sich um Teilnehmende der Verkehrswende-Konferenz (n=45).

Präferenz

Rund die Hälfte der Befragten präferiert im direkten Vergleich den Pfad Neue Mobilität (siehe Abb. 2 A). Vor der Konferenz wird der Pfad Digitalisierung von 24% als Präferenz ausgewählt, nach der Konferenz sinkt der Anteil auf 11%. Der Pfad Regulierung wird nach der Konferenz um sieben Prozentpunkte besser bewertet. Der Pfad CO2-Preis wird sowohl vor als auch nach der Konferenz von rund 10% der Teilnehmenden als Präferenz angegeben (vorher 11%, nachher 9%). Während vor der Konferenz nur 2% für „keine der Optionen” stimmen, sind es am Ende 16%. Die Abbildung 2 B zeigt, dass knapp die Hälfte der Befragten ihre Pfad-Präferenz nach der Deliberation änderte.

Abbildung 2: Befragung Bürgerkonferenz: Präferenz und Individuelle Einstellungsänderungen bezüglich der Pfadpräferenz. Quelle: Eigene Darstellung
A) Präferenz im Vorher-Nachher Vergleich; B) Sankey-Diagramm der Einstellungsänderung zur Pfadpräferenz im Vorher-Nachher- Vergleich. Hinweis: Personen, die „weiß nicht/keine Angabe” angegeben haben, wurden in den Analysen ausgeschlossen. Bei den Befragten handelt es sich um Teilnehmende der Verkehrswende-Konferenz (n=45).

Bürgernähe, Gerechtigkeit und Wirksamkeit

Der Pfad Neue Mobilität wird unter allen Politikoptionen im Hinblick auf die Aspekte Bürgernähe, Gerechtigkeit und Wirksamkeit am positivsten bewertet (alle Mittelwerte > 1,4). Der Pfad Digitalisierung erzielt in allen drei Dimensionen einen Mittelwert über 0,8 (alle M > 0,8). Bemerkenswert ist, dass die Pfade Regulierung und CO2-Preis zwar als relativ wirksam, aber als wenig gerecht und wenig bürgernah empfunden werden. Der CO2-Preis-Pfad erreicht bei Gerechtigkeit und Bürgernähe die niedrigsten Werte.

Abbildung 3: Befragung Bürgerkonferenz: Bewertung Verkehrspfade semantisches Differential. Quelle: Eigene Darstellung.
Hinweis: Angaben in Mittelwerten. Bei den Befragten handelt es sich um Teilnehmende der Verkehrswende-Konferenz (n = 45). Personen, die „weiß nicht/keine Angabe” angegeben haben, wurden in der Analyse ausgeschlossen. Die Daten zu den Adjektivpaaren vor der Bürgerkonferenz wurden aufgrund eines technischen Fehlers im Fragebogen nicht erhoben.

3.2 Panelbefragung: Bewertung der Verkehrspfade

Erwünschtheit und Präferenz

Unter den Teilnehmenden der Panel-Umfrage ist der Grad der Erwünschtheit der Zukunftspfade im Verkehr sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während in beiden Gruppen die durchschnittliche Resonanz der Pfade Digitalisierung und Neue Mobilität positiv ausfällt, werden die Pfade CO2-Preis und Regulierung mehrheitlich negativ bewertet (Abb. 4 A). Dabei gibt es jedoch deutliche Unterschiede zwischen der Kontroll- und Experimentalgruppe4Es gibt keine signifikanten Unterschiede zwischen Kontroll- und Experimentalgruppe in den zentralen soziodemographischen Merkmalen Geschlecht, Alter, Bildung, Ost-West, Einkommen sowie Parteiwahl (zur Übersicht siehe Tabelle A22 im Annex).: Während unter den Personen der Kontrollgruppe der Digitalisierungspfad am beliebtesten ist, bevorzugen die Befragten der Experimentalgruppeden Zukunftspfad Neue Mobilität. Weiterhin zeigt sich, dass Informationen über die jeweiligen gesellschaftlichen Auswirkungen in der Experimentalgruppezu besseren Bewertungen der Pfade Regulierung, CO2-Preis und Neue Mobilität im Vergleich zur Kontrollgruppe führen.

Dieses Antwortmuster wird durch die Ergebnisse zur Frage des bevorzugten Verkehrspfads bestätigt (Abb. 4 B). Die Hälfte der Befragten in der Kontrollgruppe gibt an, dass der Pfad Digitalisierung am ehesten ihren Vorstellungen zur klimafreundlichen Umgestaltung des Verkehrssystems entspricht, etwas weniger als ein Drittel der Pfad Neue Mobilität und weniger als jede(r) Zehnte präferiert die Zukunftspfade Regulierung oder CO2-Preis. Die Rangfolge der präferierten Verkehrspfade zeigt sich mit einer Ausnahme ebenfalls in der Experimentalgruppe. Dort erfährt der Pfad Neue Mobilität die meiste Zustimmung und mit einem Abstand von rund 10 Prozentpunkten folgt der Pfad Digitalisierung.

In beiden Gruppen werden die Bewertungen der Befragten von deren soziodemographischen Merkmalen und ideologischen Motiven beeinflusst. So ist die Ablehnung des Pfades Regulierung unter Personen im Alter zwischen 40 bis 60 Jahren, mit sehr niedrigem Einkommen aber auch wohlhabenden Haushalten, bei der Landbevölkerung und Wähler:innen der AfD und FDP besonders stark ausgeprägt. Unter den Befürworter:innen des Pfads Digitalisierung befinden sich überdurchschnittlich viele junge Menschen von 18 bis 29 Jahren sowie ältere Personen ab 60 Jahren, Personen mit hohem Einkommen, Bewohner:innen von kleineren bis mittelgroßen Städten und Anhänger:innen von FDP und CDU/CSU. Bei den Personen mit ausgeprägter Skepsis gegenüber dem Pfad CO2-Preis handelt es sich besonders häufig um Menschen im höheren Alter, mit (sehr) geringem Einkommen, die in ländlichen Gebieten leben, und die bei der letzten Bundestagswahl AfD, FDP oder CDU/CSU gewählt haben. Schließlich sind die Befürworter:innen des Zukunftspfads Neue Mobilität eher jung, wohlhabend, urban und Wähler:innen der Bündnis 90/Die Grünen, der Linken und SPD.

Abbildung 4: Panelbefragung: Erwünschtheit und Präferenz der Verkehrspfade. Quelle: Eigene Darstellung
A) Mittelwerte Erwünschtheit Verkehrspfade von Kontroll- und Experimentalgruppe; B) Prozentuale Häufigkeiten Präferenz Verkehrspfade von Kontroll- und Experimentalgruppe. Hinweis: Personen, die „weiß nicht/keine Angabe” angegeben haben, wurden in den Analysen ausgeschlossen. Bei den Befragten handelt es sich um Teilnehmer:innen des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers (Kontrollgruppe: n = 1.125; Experimentalmentgruppe: n = 1.129).

Bürgernähe, Gerechtigkeit und Wirksamkeit

Die Befürwortung der Politikpfade hängt auch damit zusammen, inwieweit diese als bürgernah, gerecht und wirksam wahrgenommen werden. In Abbildung 5 werden die durchschnittlichen Bewertungen der Pfade in diesen Dimensionen für die Kontroll-(KG)-und Experimentalgruppe (TG) getrennt dargestellt. Generell zeigt sich, dass die Urteile über die Verkehrspfade deren Grad der Erwünschtheit widerspiegeln: Die Zukunftspfade Regulierung und CO2-Preis werden über alle Merkmalskategorien hinweg negativer bewertet als die Pfade Digitalisierung und Neue Mobilität. Demnach wird der Pfad Regulierung als bürgerfern (MKG = -1,11; MTG = -0,96), ungerecht (MKG = -0,88; MTG = -0,71) und bedingt wirksam (MKG = -0,05; MTG = 0,07) angesehen. Etwas negativer fallen die Urteile zum Pfad CO2-Preis aus: dieser wird als besonders ungerecht (MKG = -1,41; MTG = -1,05) und bürgerfern (MKG = -1,37; MTG = -1,11) betrachtet. Zudem bewerten die Befragten den Pfad im Durchschnitt als unwirksam (MKG = -0,24; MTG = -0,17), um das Ziel eines klimaneutralen Verkehrssystems zu erreichen.

Die Bewertungen des Pfads Digitalisierung fallen durchweg am positivsten aus. Der Ansatz wird mehrheitlich als wirksam (MKG = 0,90; MTG = 0,33), gerecht (MKG = 0,64; MTG = 0,10) und bürgernah (MKG = 0,54; MTG = 0,16) wahrgenommen. Beim Verkehrspfad Neue Mobilität ergibt sich ein uneinheitliches Bild: während dieser hinsichtlich seiner Wirksamkeit (MKG = 0,45; MTG = 0,66) durchschnittlich positiv bewertet wird, fallen die Bewertungen in den Kategorien Gerechtigkeit (MKG = 0,07; MTG = 0,11) und Bürgernähe (MKG = -0,08; MTG = 0,08) moderat positiv beziehungsweise leicht negativ aus.

Im Vergleich der Gruppen zeigt sich, dass die Urteile über die Pfade in der Experimentalgruppe mit Ausnahme des Pfades Digitalisierung positiver ausfallen. Die bereitgestellten Informationen über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pfade haben folglich einen signifikanten Einfluss auf die Einstellungen der Befragten. Dies kann, wie im Pfad Digitalisierung zu sehen ist, auch zu negativeren Bewertungen führen.

Abbildung 5: Panelbefragung: Bewertung Verkehrspfade semantisches Differential. Quelle: Eigene Darstellung
Mittelwerte Bürgernähe, Gerechtigkeit und Wirksamkeit von Kontroll- und Experimentalgruppe; Hinweis: Personen, die „weiß nicht/keine Angabe” angegeben haben, wurden in den Analysen ausgeschlossen. Bei den Befragten handelt es sich um Teilnehmer:innen des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers (Kontrollgruppe: n = 1.125; Experimentalgruppe: n = 1.129). Die Antwortskala (-3 bis +3) wurde zur besseren Sichtbarkeit der Unterschiede verkürzt.

3.3 Bürgerkonferenz Verkehrswende: Begründungen der Urteile

Bei der Vorher-Nachher-Befragung wurden Teilnehmende im Anschluss an jede Pfad-Bewertung gebeten, diese in eigenen Worten zu begründen. Für die Auswertung wurden die Antworten im ersten Schritt nach positiven und negativen Bewertungen geclustert; im zweiten Schritt wurden induktiv übergreifende Kategorien gebildet (Mayring & Fenzl, 2019). Die Begründungen vor und nach der Konferenz wurden im letzten Schritt verglichen, um Veränderungen zu erfassen. Die Unterschiede sind in der Tabelle unter „nur vorher” bzw. „neu nachher” aufgelistet. Bei allen vier Pfaden wird von den Bürgerinnen und Bürgern die Wichtigkeit von sozialer Gerechtigkeit betont. Besonders steigende Kosten für Verbraucher:innen werden als ungerecht angesehen. Dies betrifft sowohl den Kauf eines (klimafreundlichen) Autos, den sich Menschen mit geringem Einkommen nicht ohne weiteres leisten können, als auch steigende Kosten pro Fahrt. Eine große Mehrheit findet es daher wünschenswert, dass Alternativen zeitnah angeboten und eine klimafreundliche Verkehrsinfrastruktur (Radwege, Ladestationen, ÖPNV-Taktung) gebaut und betrieben wird.

Pfad 1: Regulierung

Teilnehmende, die den Pfad Regulierung als wünschenswert bewerteten, begründeten dies damit, dass politische Rahmenbedingungen effektiven und schnellen Klimaschutz bewirken. Freiwilligkeit allein reiche nicht aus, daher seien Ge- und Verbote notwendig, um alte Gewohnheiten aufzubrechen und gesellschaftlichen Wandel zu erreichen. Einige argumentieren zudem, dass der Pfad gerecht sei, da dessen Maßnahmen alle gleich betreffen – unabhängig vom finanziellen Status – und wenig Ausnahmen möglich seien. Der Vorher-Nachher-Vergleich zeigt, dass die skeptischen Begründungen zu Elektromobilität, die vor der Konferenz eine Rolle spielten, nach der Konferenz nicht mehr genannt werden. Negative Bewertungen des Regulierungspfades werden dadurch begründet, dass dieser die Bürger:innen zu stark bevormunde und keine selbstbestimmte Mobilität ermögliche. Zudem sei die Akzeptanz für diesen Pfad in der Gesellschaft eher niedrig. Auch hier wird die Skepsis bezüglich der Ökobilanz von E-Fahrzeugen nachher nicht mehr genannt, jedoch wird vor allem das Verbot von Verbrenner-Fahrzeugen kritisch gesehen. Solch ein Verbot sei ungerecht, da sich viele einen Umstieg auf ein teures Elektroauto nicht leisten könnten. Nach der Konferenz wurde der neue Punkte genannt, dass der ÖPNV-Ausbau im ländlichen Raum schwierig sei.

Tabelle 3: Befragung Bürgerkonferenz: Gründe der Befürwortung und Ablehnung von Pfad 1: Regulierung.

Pfad 2: Digitalisierung

Der Pfad Digitalisierung ist aus der Sicht vieler wünschenswert, da Innovationen zukunftsweisend sind und Fortschritt ermöglichen. Zudem böte der Pfad ein hohes Maß an Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bei der Verkehrsmittelwahl. Einige Befürworter:innen nennen jedoch auch problematische Aspekte an diesem Pfad: Kritisiert wird beispielsweise, dass in diesem Zukunftspfad Autos und nicht der öffentliche Nahverkehr subventioniert würden. Nach der Konferenz werden folgende Begründungen betont: Der Pfad kann dazu dienen, die Verkehrswende zu beschleunigen und sollte dabei jedoch nicht ausschließlich auf den Individualverkehr fokussieren. Der Pfad wird aus mehreren Gründen als nicht wünschenswert bewertet. Zum einen zweifelten einige dessen Wirksamkeit an, CO2-Emissionen effektiv zu reduzieren. Zudem werden künstliche Kraftstoffe als ineffizient angesehen. Das Konzept der Technologieoffenheit wird zudem kritisch hinterfragt und der Pfad als nicht genügend ambitioniert empfunden. Die Finanzierung von Innovationen wird jedoch als wichtige Ergänzung gesehen.

Tabelle 4: Befragung Bürgerkonferenz: Gründe der Befürwortung und Ablehnung von Pfad 2: Digitalisierung

Pfad 3: CO2-Preis

Personen, die den Pfad als besonders wünschenswert bewerten, heben vor allem das hohe Potential für Wandel hin zu nachhaltigerem Verkehr und dessen gerechte Wirkungsweise hervor, die auf dem Verursacherprinzip basiert. Gleichzeitig ist es aus Sicht der Befragten wichtig, dass die Sozialverträglichkeit des hohen CO2-Preises gewährleistet wird, zum Beispiel über einen sozialen Ausgleich bzw. Zuschuss für Haushalte mit niedrigem Einkommen. Befürworter:innen argumentieren außerdem, dass preisbasierte Instrumente zielführend sind, um Gewohnheiten, wie häufiges und langes Autofahren, aufzubrechen. Jedoch wird die Umsetzbarkeit des Pfades von einigen grundsätzlich in Frage gestellt – zum Beispiel von Menschen, die auf ihre Autos angewiesen sind und keine Alternativen haben (v.a. die Landbevölkerung), um ihr Verkehrsverhalten zu ändern. Einige Teilnehmer:innen sind der Ansicht, dass dieser Pfad nur in Kombination mit anderen Pfaden sinnvoll ist. Manche Personen sehen in diesem Pfad eine unfaire Belastung, denn die mit ihm verbundene Benachteiligung treffe die Falschen. Während wohlhabende Menschen weiterhin Auto fahren bzw. sich ein E-Auto leisten können, werden Menschen mit niedrigen Einkommen, angesichts fehlender Alternativen in ihrer Mobilität eingeschränkt. Ein weiterer Grund für die Ablehnung des Pfades ist ein generelles Misstrauen bezüglich preisbasierter Instrumente und der tatsächlichen Umsetzung möglicher Transferleistungen. Skeptiker:innen äußerten Misstrauen gegenüber dem Staat und dessen Umgang mit den Einnahmen des CO2-Preises: es wird angezweifelt, dass der Staat die Einnahmen zurückgeben und dies sozial gestalten würde.

Tabelle 5: Befragung Bürgerkonferenz: Gründe der Befürwortung und Ablehnung von Pfad 3: CO2-Preis

Pfad 4: Neue Mobilität

Der Pfad Neue Mobilität wird von einer großen Mehrheit als wünschenswert bewertet, da er die Lebensqualität durch mehr Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz erhöhen könne. Innenstädte profitieren aus Sicht der Befragten von Verkehrsberuhigung und einer niedrigeren Anzahl an Autos, die Lärm reduziert und mehr Raum für Begegnung schafft. Eine weitere Stärke des Pfads sei zudem, dass dieser Alternativen, Flexibilität und vielfältige Möglichkeiten böte. Positiv bewertet wird hierbei, dass der Pfad fuß- und fahrradfreundlich sei und eine Abkehr vom Auto bzw. Individualverkehr fördere. Zudem wird positiv gesehen, dass der Pfad dazu anregt, Mobilität grundlegend zu überdenken und einen umfangreichen Wandel anstoßen kann. Dies beinhaltet auch die Förderung neuer Technologien, wie den Umstieg von Verbrenner-Fahrzeugen auf Elektromobilität. Als Kritikpunkte werden genannt, dass der Pfad auf dem Land nicht umsetzbar sei bzw. der ländliche Kontext bisher nicht ausreichend mitgedacht wurde. Auch Pendler:innen würden nicht genügend berücksichtigt. Nach der Bürger:innenkonferenz wurde zudem hinzugefügt, dass Handwerker:innen und andere Dienstleistende weiterhin die Möglichkeit haben sollten, in Innenstädten zu parken. Ein neuer Kritikpunkt nach der Veranstaltung war, dass die Annahmen des Pfades zu unrealistisch seien, z.B. würden nicht alle Menschen bei Regenwetter aufs Fahrrad steigen.

Tabelle 6: Gründe der Befürwortung und Ablehnung von Pfad 4: Neue Mobilität

3.4 Panelbefragung: Begründungen der Urteile

Die Teilnehmenden der Panelbefragung wurden ebenfalls gebeten, ihr Urteil hinsichtlich der Erwünschtheit der Zukunftspfade im Verkehr zu begründen. Die Antworten dazu wurden in einem offenen Format erfasst und mittels der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (vgl. Mayring & Fenzl, 2019). Dabei wurden in einer ersten Kodierungsrunde aus den Antworten induktiv Kategorien gebildet. Diese ersten, nah an den originalen Antworten liegenden Kategorien, wurden in einer zweiten Überarbeitungsrunde in Oberkategorien zusammengeführt. Im Folgenden werden für alle vier Verkehrspfade die drei am häufigsten genannten Begründungskategorien getrennt nach befürwortenden (wünschenswert) und ablehnenden (nicht-wünschenswert) Bewertungen dargestellt und mit Beispielantworten (kursiv) unterlegt. Die Argumente der Personen, die eine neutrale Bewertung der Pfade vorgenommen haben, wurden für diese Analyse nicht berücksichtigt. Unterschiede in den Begründungen in Experimental- und Kontrollgruppe haben sich aufgrund der Oberkategorienbildung, die mit allgemeineren Begründungen einhergeht, nivelliert. Auf Oberkategorienebene zeigten sich keine oder nur geringfügige Unterschiede, so dass aus Platzgründen an dieser Stelle auf eine differenzierte Darstellung verzichtet wurde.

Pfad 1: Regulierung

Befürworter:innen des Pfades Regulierung nennen mit deutlichem Abstand als häufigsten Grund für dessen positive Bewertung, die Wirksamkeit für Klimaschutz und das Potential Verhaltensänderungen in der Bevölkerung zu fördern. Weiterhin werden die in diesem Pfad vorgesehenen verkehrspolitischen Maßnahmen für sinnvoll erachtet. Interessanterweise werden von den Fürsprecher:innen dieses Pfades auch kritische Aspekte hinsichtlich sozialer Ungleichheiten zwischen Stadt- und Landbevölkerung sowie ungerechter finanzieller Lastenverteilung zwischen wohlhabenden und einkommensschwachen Haushalten angemerkt.

Unter den Befragten, die dem Pfad Regulierung ablehnend gegenüberstehen, wird die eigene Position am häufigsten mit einer kritischen Haltung gegenüber paternalistischen Eingriffen des Staates begründet. Hierunter finden sich Aussagen, die eine allgemeine Skepsis gegenüber regulierenden Interventionen durch den Staat zum Ausdruck bringen. Zudem werden auch Alternativen zu Verboten, z.B. Anreize und Überzeugungsarbeit angeführt. Weiterhin erklären die Befragten ihre Ablehnung des Paternalismus mit dessen wahrgenommener Unwirksamkeit, Veränderungen anzustoßen. Am zweithäufigsten begründen die Befragten ihre ablehnende Bewertung mit Sorgen über damit zusammenhängende Ungerechtigkeiten entlang folgender Linien: Stadt-Land sowie Alters- und Einkommensunterschiede. Zudem bestehen Umweltbedenken, die sich entweder auf allgemein negative Umweltauswirkungen oder auf konkrete Fragen des Rohstoffabbaus und der Entsorgung bei der Batterieherstellung für Elektroautos beziehen.

Tabelle 7: Panelbefragung: Gründe der Befürwortung und Ablehnung von Pfad 1: Regulierung. Kategorien mit prozentualer Häufigkeit der Nennungen sowie Subkategorien und Beispielantworten.

Pfad 2: Digitalisierung

Unter den Befürworter:innen dieses Pfades finden sich am häufigsten Argumentationslinien, die man übergeordnet als Fortschrittsglauben kategorisieren kann. Hierbei wird häufig mit einem allgemeinen Wunsch nach mehr technologischem Fortschritt argumentiert. In diesem Zusammenhang wird einerseits angeführt, dass Deutschland in diesem Bereich Nachholbedarf habe. Andererseits wird die Ansicht vertreten, dass Deutschland über die nötigen finanziellen und technischen Ressourcen verfüge, um dieses Innovationsfeld voranzutreiben. Eine allgemeine Technologieoffenheit wird als notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für klimagerechte Mobilität gesehen. Insbesondere vor dem Hintergrund des gebotenen Tempos zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr, wird die Priorisierung technologischer Lösungen als unzureichend erachtet.

Die Kritiker:innen dieses Verkehrspfades bemängeln am häufigsten dessen geringe Klimaschutzwirkung. Neben der als zu niedrig bewerteten Emissionsminderungswirkung wurden Aspekte wie zu langsames Vorankommen beim Klimaschutz oder als zu gering wahrgenommener Änderungsdruck angeführt. An zweiter Stelle werden Umweltbedenken als Gegenargument für diesen Pfad genannt, der von den Befragten als energie- und ressourcenintensiv wahrgenommen wird. Schließlich werden unterschiedliche Gerechtigkeitsfragen als kritische Punkte dieses Pfades thematisiert. Hierbei argumentieren die Befragten insbesondere mit der Benachteiligung von älteren und einkommensschwachen Menschen sowie mit den zu hohen finanziellen Belastungen für die Landbevölkerung.

Tabelle 8: Gründe der Befürwortung und Ablehnung von Pfad 2: Digitalisierung. Kategorien mit prozentualer Häufigkeit der Nennungen sowie Subkategorien und Beispielantworten

Pfad 3: CO2-Preis

Häufigstes Argument der Befürworter:innen dieses Pfades ist die Klimaschutzwirkung und Lenkungswirkung eines hohen CO2-Preises. Trotz der grundsätzlichen Befürwortung des Ansatzes werden jedoch auch Bedenken hinsichtlich der ungerechten Belastung der Bevölkerung in der Stadt und auf dem Land geäußert. Die weiteren Antworten sind der Kategorie „Sonstiges” zugeordnet. Hierunter finden sich oftmals Bedingungen und Gestaltungsvorschläge, welche die Akzeptanz des Pfades aus Sicht der Befragten verbessern würden. Dazu zählen beispielsweise eine nach unterschiedlichen Bereichen differenzierte Besteuerung sowie eine zweckgebundene Verwendung der Einnahmen.

Die Argumente der Befragten, die diesen Pfad für nicht wünschenswert erachten, beziehen sich in erster Linie auf Gerechtigkeitsaspekte. Kritik konzentriert sich auf die wahrgenommene Ungleichbehandlung von Privatpersonen und Unternehmen, die ungleiche Belastung von einkommensschwachen und -starken Haushalten sowie der Bevölkerung in Städten und auf dem Land. Der Pfad wird von den Gegnern außerdem aufgrund der Sorge vor steigenden Mobilitätskosten und damit einhergehendem Verzicht abgelehnt. Überdies wird mit der deutlichen Erhöhung des CO2-Preises in diesem Verkehrspfad kein effektiver Klimaschutz verbunden.

Tabelle 9: Gründe der Befürwortung und Ablehnung von Pfad 3: CO2-Preis. Kategorien mit prozentualer Häufigkeit der Nennungen sowie Subkategorien und Beispielantworten.

Pfad 4: Neue Mobilität

Die Befürworter:innen dieses Pfades betonen am häufigsten die Notwendigkeit des Infrastrukturausbaus im Verkehrssektor und begrüßen ein besseres und günstigeres Angebot im öffentlichen Personennahverkehr. Neben der wahrgenommenen Wirksamkeit im Sinne des Klima- und Umweltschutzes argumentieren die Befragten mit der mit diesem Pfad verbundenen Abkehr vom motorisierten Individualverkehr (MIV). Trotz allgemeiner Zustimmung führen die Befürworter:innen jedoch auch Bedenken hinsichtlich verschiedener Gerechtigkeitsaspekte an. Hierbei wird insbesondere die mangelnde Berücksichtigung der Bedürfnisse älterer Menschen sowie der Landbevölkerung angemahnt.

Als Begründung ihrer Haltung werden von Gegner:innen dieses Pfades am häufigsten Bedenken hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit angegeben. Hierbei werden insbesondere die Benachteiligungen für ältere und kranke Menschen sowie einkommensschwache Familien auf dem Land betont. Weiterhin wird an dem Zukunftspfad kritisiert, dass für die Umsetzung dieses Ansatzes die nötige Verkehrsinfrastruktur fehle. Es besteht nur ein geringes Vertrauen, dass die Versäumnisse der Vergangenheit, beispielsweise beim Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, in absehbarer Zeit aufgeholt werden können. Schließlich wird dieser Pfad als schlichtweg utopisch und realitätsfern angesehen. Selbst wenn die Befragten hinter der Vision stehen, empfinden sie diesen Pfad als nicht umsetzbar und lehnen ihn deshalb ab. 

Tabelle 10: Gründe der Befürwortung und Ablehnung von Pfad 4: Neue Mobilität. Kategorien mit prozentualer Häufigkeit der Nennungen sowie Subkategorien und Beispielantworten

3.5 Zwischenfazit Verkehrswende

Zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr stehen der Politik unterschiedliche Optionen und Instrumente zur Verfügung. Der erste Teil dieses Berichts befasst sich mit Bürger:innenperspektiven auf mögliche Politikoptionen im Bereich Verkehr und Mobilität. Dabei lag der Schwerpunkt auf den Bewertungen vier unterschiedlicher Zukunftspfaden, den Begründungen der Urteile sowie den Lerneffekten in Folge von Gruppendiskussionen bzw. Informationen über die jeweiligen Pfadkonsequenzen.

Die hier vorliegende Studie zeichnet ein differenziertes Bild. Die Pfade Neue Mobilität und Digitalisierung werden in beiden Stichproben als sehr wünschenswert empfunden, wobei der Pfad Neue Mobilität klar präferiert wird. Ein Unterschied zwischen den Stichproben ist jedoch, dass die Pfade Regulierung und CO2-Preis im Umfrage-Panel als eher nicht wünschenswert empfunden werden, während die Mehrheit der Teilnehmenden der Bürgerkonferenz auch bereit wären, diese mitzutragen. Die Stärken und Schwächen der Pfade, die Teilnehmende in den Begründungen ihrer Urteile angaben, ähneln sich jedoch stark (für eine Übersicht siehe Tabelle 11). Als Unterschied konnte nur identifiziert werden, dass Argumente der höheren Lebensqualität bei den Panel-Befragten keine zentrale Rolle spielten, und der Aspekt des langsamen Infrastrukturausbaus bei den Teilnehmenden der Bürgerkonferenz kein prägendes Contra-Argument war.  Es ist interessant, dass Personen aus den verschiedenen Befragungsgruppen die gleichen Sorgen nennen, jedoch die Option unterschiedlich bewerten (positiv und negativ). Dies kann an unterschiedlicher Bewertung und Priorisierung von Sorgen liegen, die jedoch im Rahmen dieser Studie nicht erhoben wurden.

Tabelle 11: Eine Darstellung: Qualitative Übersicht der Stärken und Schwächen in beiden Stichproben basierend auf den Tabellen 3-10. Ein „+“ (grün unterlegt) steht für die Bezugnahme auf die Dimension. Ein blaues Feld steht für „keine Antworten mit Bezug auf dieses Argument“.

Die Ergebnisse bestätigen eine bereits bekannte Tendenz aus der Literatur zur Akzeptanz von Politikmaßnahmen: Bürger:innen sehen jene Optionen, die stärker auf Anreize setzen als wünschenswerter an als jene, die stärker auf Verbote und Sanktionen setzen (z.B. Drews & van den Bergh, 2016), insbesondere wenn diese das Verbrennerauto betreffen. Anreize umfassen in der Befragung zum einen alternative Infrastrukturen und mehr Raum für Begegnung (Neue Mobilität) sowie Komfort und Effizienz durch neue Technologien (Digitalisierung). Es zeigt sich, dass die beiden Verkehrspfade, die die Nutzung von Verbrennerautos vornehmlich durch rechtliche Ge- und Verbote (Pfad Regulierung) oder mittels einer hohen Bepreisung von fossilen Kraftstoffen (Pfad CO2-Preis) einschränken, weniger Zustimmung genießen als die Politikpfade, die stärker auf Anreize für klimafreundliche Mobilitätsoptionen setzen (Pfade Neue Mobilität und Digitalisierung). Erstere werden als deutlich bürgerferner, ungerechter und teilweise weniger effektiv zur Reduktion der Treibhausgasemissionen wahrgenommen.

Die Befürworter:innen der Pfade Neue Mobilität und Digitalisierung sehen insbesondere einen gut ausgebauten, bezahlbaren öffentlichen Personennahverkehr für alle sowie klimafreundliche Technologien als wichtige Voraussetzung für eine umfassende Abkehr vom motorisierten Individualverkehr. Dabei ist es den Menschen wichtig, dass die Gestaltung dieses Pfades sozial gerecht im Sinne der Chancengleichheit und Teilhabe erfolgt und die verschiedenen Mobilitätsbedürfnisse diverser gesellschaftlicher Gruppen beispielsweise von Stadt- und Landbewohner:innen berücksichtigt werden. Der Gerechtigkeitsaspekt ist sowohl bei Befürworter:innen und Gegner:innen ein zentraler Kritikpunkt an dem CO2-Preis und RegulierungsPfad.

Die Befragten befürchten aufgrund steigender Mobilitätspreise oder dem Verbot von Verbrennungsmotoren vor allem ungleiche Lastenverteilung und eingeschränkte Teilhabemöglichkeiten beispielsweise für einkommensschwache Haushalte sowie andere sozial benachteiligte Gruppen. Die Schaffung attraktiver und bezahlbarer Mobilitätsalternativen zum derzeit dominierenden motorisierten Individualverkehr sowie ein breit angelegter sozialer Ausgleich bei steigenden CO2-Preisen sind für viele eine notwendige Bedingung, bevor verkehrspolitische Maßnahmen die Nutzung klimaschädlicher Verkehrsträger einschränken.

In beiden Erhebungen finden wir Lerneffekte, die sich in Form von Einstellungsänderungen in Folge der Gruppendiskussionen (Bürgerkonferenz) oder durch Informationen über die Auswirkungen der Pfade (Panelbefragung) zeigen. Obgleich sich die Bewertungsniveaus in den Stichproben unterscheiden, sind interessanterweise in beiden Erhebungen gleichgerichtete Veränderungen bzw. Unterschiede zu beobachten. Am deutlichsten wird dies bei den Präferenzen für den Pfad Digitalisierung. Die Zustimmungswerte unterscheiden sich sowohl im Vorher-Nachher-Vergleich (Bürgerkonferenz) als auch bei der Gegenüberstellung von Kontroll- und Experimentalgruppe (Panelbefragung) signifikant. Das Wissen über die Auswirkungen dieses Pfades verringert seine Attraktivität zum Teil erheblich (siehe Kap. 3.1. und 3.2). In Anbetracht der von den Befragten abgegebenen Erläuterungen, scheint dies vornehmlich auf die Einsicht zurückzuführen zu sein, dass der Pfad Digitalisierung die 2030 Klimaziele nicht erreichen würde.

Die Ergebnisse dieser Studie sind eingebettet in die bisherigen Erkenntnisse zu Bürgersichten im Kontext des Projekts Ariadne: Sowohl die Diskussionsergebnisse der Ariadne-Bürgerkonferenz als auch die Ergebnisse des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers vermitteln eine klare Botschaft an die Politik: Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sprechen sich dafür aus, durch wirksame und sozial ausgeglichene Maßnahmen die Verkehrswende voranzubringen (Blum et al. 2022, Wolf et al. 2022). Eine Mehrheit sieht die Notwendigkeit einer weitreichenden und klimagerechten Umgestaltung des Verkehrssystems und sind vielfach dazu bereit, die notwendigen Veränderungen mitzutragen (Blum et al. 2022, Wolf et al. 2022).

Die Argumente der Befragten in den Begründungen ihrer Bewertungen zeigen, dass die Inbetrachtnahme und kritische Auseinandersetzung mit den Konsequenzen der Pfade keine eindeutige Präferenz für einzelne ordnungspolitische oder anreizbasierte Maßnahmen zum Ergebnis haben. Vielmehr besteht bei vielen die Ansicht, dass eine Kombination aus verschiedenen Instrumententypen eine effektive Gestaltungsform ist, um die Klimaziele in diesem Sektor zu erreichen. Im Konkreten geht es dabei um drei zentrale Aspekte: 1. Die Schaffung von attraktiven, klimafreundlichen Mobilitätsalternativen, die eine inklusive Teilhabe und Zugang für Mobilität für alle ermöglichen, 2. eine sozial gerechte Gestaltung verkehrspolitischer Instrumente, die Belastungen fair verteilt und für besonders betroffene Personengruppen Entlastungen vorsieht, 3. die Umgestaltung von öffentlichen Flächen und Infrastrukturen zu Gunsten von fuß-, fahrrad- und öffentlichem (Personennah-)Verkehr.

4. Ergebnisse Stromwende

Der nachfolgende Abschnitt gibt einen Überblick über die Bewertungen der im Rahmen der Bürger:innenkonferenzen (s. Kap. 4.1 und 4.3) und der Panelbefragung (s. Kap. 4.2 und 4.4.) untersuchten Zentralen und Dezentralen Energiewelten. Dazu zählen analog zu der Befragung der Verkehrspfade die Erwünschtheit bzw. Präferenz einer zentralen und dezentralen Energiewelt sowie deren wahrgenommene Gerechtigkeit, Bürgernähe und Effektivität hinsichtlich Klimaschutz.

4.1 Bürgerkonferenz Stromwende: Bewertungen der Energiewelten

Erwünschtheit

Die Mittelwertvergleiche der Erwünschtheit von Zentraler und Dezentraler Energiewelt veranschaulichen eine eindeutige Favorisierung der letzteren unter den Befragten der Stromwende-Konferenz (Abb. 6 A). Dieser Trend verstärkte sich durch die Konferenz. Zudem ist bemerkenswert, dass auch die Erwünschtheit der Zentralen Welt im Zuge der Bürger:innenkonferenz zugenommen hat. Bezüglich der Konvergenz (Annäherung) der Einstellungen sind im Vorher-Nachher-Vergleich kaum Veränderungen erkennbar: die Einstellungen bezüglich der Dezentralen Welt haben sich leicht angenähert – die Streuung der Antworten nahm um 0,13 Einheiten ab. 

Im Vorher-Nachher-Vergleich der Erwünschtheitsangaben werden Grad und Richtung der individuellen Einstellungsveränderungen sichtbar. Über beide Welten hinweg veränderten die Hälfte bis zwei Drittel ihre Bewertungen (Zentral: 65%, Dezentral: 47%). Bei beiden Welten veränderten sich ca. ein Drittel der Bewertungen um +/- einen Punkt und bei rund einem Fünftel um +/- zwei (oder mehr) Punkte. Über beide Welten hinweg verbesserten sich ein Drittel bis die Hälfte der Bewertungen (Zentral: 50%, Dezentral: 36%); zudem blieben 33%-44% der Bewertungen unverändert (Zentral: 33%, Dezentral: 44%); knapp ein Fünftel der Bewertung verschlechterte sich in der Nachbefragung (Zentral: 17%, Dezentral: 19%). Abbildung 6 B veranschaulicht die individuellen Einstellungsänderungen der Zentralen Welt in einem Flussdiagramm.

Abbildung 6: Befragung Bürgerkonferenz: Erwünschtheit der Energiewelten. Quelle: Eigene Darstellung.

Präferenz

Der direkte Vorher-Nachher-Vergleich der präferierten Energiewelten in Abbildung 7 Azeigt, dass die mehrheitliche Bevorzugung der Dezentralen Welt im Zuge der Konferenz um weitere fünf Prozentpunkte zugenommen hat, während die Zustimmung zur Zentralen Welt in gleichem Maße abgenommen hat. Mit Hinblick auf die Begründungen lässt sich die hohe Zustimmung der Dezentralen Welt durch ihr hohes Maß an Teilhabemöglichkeiten für Bürger:innen und weniger Abhängigkeit von großen Konzernen erklären (siehe Kap. 4.3). Ähnlich wie beim Verkehr ist auch im Energiebereich ein Präferenzwechsel bei beiden Politikoptionen zu beobachten: 72% der Befragten behielten ihre Präferenz bei, während 28% ihre Präferenz änderten (siehe Abb. 7 B).

Abbildung 7: Befragung Bürgerkonferenz: Präferenz der Energiewelt und individuelle Einstellungsänderungen. Quelle: Eigene Darstellung
Hinweis: Bei den Befragten handelt es sich um Teilnehmenden der Stromwende-Konferenz (n = 36).

Bürgernähe, Gerechtigkeit und Wirksamkeit

Die Dezentrale Welt wird in allen drei Dimensionen durchschnittlich (sehr) positiv bewertet (M zw. 1.0-2.0), wohingegen die Zentrale Welt durchschnittlich zwar als wirksam, aber auch als ungerecht und sehr bürgerfern wahrgenommen wurde. Die Einschätzung der Wirksamkeit der Dezentralen Welt veränderte sich nach der Konferenz nicht merklich (1,6), während die Urteile hinsichtlich Gerechtigkeit und Bürgernähe in der Nachbefragung positiver ausfielen (bei Gerechtigkeit stieg der Mittelwert um 0,56 Einheiten, bei Bürgernähe um 0,44 Einheiten). Die Wirksamkeit der Zentralen Welt wurde nach der Konferenz deutlich besser bewertet als vorher (+0,89 Einheiten). Auch die Dimensionen „Gerechtigkeit” und „Bürgernähe” haben sich in der Befragung im Anschluss an die Konferenz verbessert, blieben jedoch im negativen Bereich. 

Abbildung 8: Befragung Bürgerkonferenz: Bewertung Energiewelten semantisches Differential. Quelle: Eigene Darstellung.
Hinweis: Angaben in Mittelwerten; Personen, die „weiß nicht/keine Angabe” angegeben haben, wurden in der Analyse ausgeschlossen. Hinweis: Bei den Befragten handelt es sich um Teilnehmenden der Stromwende-Konferenz (n = 36).

4.2 Panelbefragung: Bewertung der Energiewelten

Erwünschtheit und Präferenz

Analog zu den Ergebnissen aus der Büger:innenkonferenz im Stromsektor zeigen sich auch in der Panelbefragung deutliche Unterschiede zwischen den zentralen und dezentralen Ansätzen: Die Dezentrale Energiewelt wird sowohl in der Kontroll- als auch Experimentalgruppe von der Mehrheit als die wünschenswertere betrachtet (Abb. 9 A). Vor dem Hintergrund der Informationen über die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und klimatischen Auswirkungen der jeweiligen Zukunftsszenarien fallen zudem in der Experimentalgruppe die Urteile über die Zentrale Energiewelt noch negativer aus. Gleichsam verhält es sich bezüglich der präferierten Energiewelten. Auch bei dieser Abfrage wird die Dezentrale Welt von mehr als der Hälfte der Befragten bevorzugt, während sich nur eine Minderheit für die Zentrale Welt ausspricht (Abb. 9 B). Auch hier erhöht sich durch die Information über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Zuspruch für die Dezentrale Welt.

Soziodemographische Merkmale und die politische Orientierung der Befragten hängen nur teilweise mit der Erwünschtheitsbewertung der Dezentralen Welt zusammen. Beispielsweise zeigen sich bei den Antworten keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den verschiedenen Alters- oder Einkommensgruppen. Auch im direkten Vergleich der Antworten von Stadt- und Landbewohner:innen sind keine relevanten Abweichungen zu erkennen. Lediglich entlang des Wahlverhaltens bei der letzten Bundestagswahl zeigen sich Bewertungsunterschiede. Insbesondere Wähler:innen der AfD stehen der Dezentralen Welt skeptisch gegenüber. In Bezug auf die Erwünschtheit der Zentralen Energiewelt sind Zusammenhänge in den Merkmalen Einkommen, Alter und Wahlverhalten feststellbar. So wird diese Welt eher von Personen für wünschenswerter gehalten, die ein höheres Einkommen haben oder ihre Stimme der CDU/CSU oder der FDP geben. Schließlich wird sie eher von Einkommensarmen, Personen zwischen 40 und 49 Jahren oder Wähler:innen der Linken oder der AfD negativ bewertet.

Abbildung 9: Panelbefragung: Erwünschtheit und Präferenz der Energiewelten. Quelle: Eigene Darstellung
A) Mittelwerte Erwünschtheit Energiewelten von Kontroll- und Treatmentgruppe; B) Prozentuale Häufigkeiten Präferenz Energiewelten von Kontroll- und Experimentalgruppe.
Hinweis: Personen, die „weiß nicht/keine Angabe” angegeben haben, wurden in der Analyse ausgeschlossen. Bei den Befragten handelt es sich um Teilnehmenden des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers (Kontrollgruppe: n = 1.126; Experimentalgruppe: n = 1.125).

Bürgernähe, Gerechtigkeit und Wirksamkeit

Die Befürwortung der Politikpfade spiegelt sich auch in den Bewertungen in den Kategorien Bürgernähe, Gerechtigkeit und Wirksamkeit wider (siehe Abb. 10). Die Dezentrale Welt wird von den Bürgerinnen und Bürgern im Durchschnitt als näher an ihren Bedürfnissen liegend (MKG = 1,10; MTG = 1,01), als gerechter (MKG = 0,77; MTG = 0,67) und als wirksamer zur Reduktion klimaschädlicher Emissionen (MKG = 0,89; MTG = 1,00) wahrgenommen. Die größte Abweichung zwischen den Welten zeigt sich hinsichtlich der Bürgernähe. Die Mittelwerte für die Zentrale Energiewelt liegen für alle Kategorien ausgenommen der Wirksamkeit im negativen Bereich (Bürgernähe: MKG = -0,74; MTG = -0,88; Gerechtigkeit: MKG = -0,27; MTG = -0,63; Wirksamkeit: MKG = 0,69; MTG = 0,53). Hinsichtlich des Informationstreatments und dessen Auswirkungen auf die Bewertung der Welten entlang der drei genannten Kategorien gibt es kaum Unterschiede. Den größten Effekt hat die Informationsgabe auf die Gerechtigkeitsbewertung der Zentralen Welt. Diese fällt in der Experimentalgruppe um 0,36 Einheiten schlechter aus als in der Kontrollgruppe.

Abbildung 10: Panelbefragung: Bewertung Energiewelten semantisches Differential. Quelle: Eigen Darstellung
Hinweis: Angaben in Mittelwerten; Personen, die „weiß nicht/keine Angabe” angegeben haben, wurden in der Analyse ausgeschlossen. Bei den Befragten handelt es sich um Teilnehmer:innen des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers (Kontrollgruppe: n = 1.126; Experimentalgruppe: n = 1.125). Die Antwortskala (-3 bis +3) wurde zur besseren Sichtbarkeit der Unterschiede verkürzt.

4.3 Bürgerkonferenz Stromwende: Begründungen der Urteile

Bei der Vorher-Nachher-Befragung wurden Teilnehmende im Anschluss an ihre Bewertung der Energiewelt gebeten, diese in eigenen Worten zu begründen. Für die Auswertung wurden die Antworten im ersten Schritt nach positiven und negativen Bewertungen geclustert; im zweiten Schritt wurden induktiv übergreifende Kategorien gebildet (Mayring & Fenzl, 2019). Die Begründungen vor und nach der Konferenz wurden im letzten Schritt verglichen, um Veränderungen zu erfassen. Die Unterschiede sind in der Tabelle unter „nur vorher” bzw. „neu nachher” aufgelistet.

Dezentralen Energiewelt

Befragte empfinden die Dezentrale Welt als wünschenswert, weil sie mehr Möglichkeiten für Mitbestimmung bietet und zugleich für die Bürger:innen ein höheres Maß an Eigenverantwortung (z.B. für eigene Projekte) ermöglicht. Positiv wird zudem bewertet, dass weniger Trassen gebaut werden müssten, da der Strom in örtlicher Nähe zur Erzeugung auch verbraucht würde. Dies ist jedoch ein Missverständnis bzw. Fehlschluss, denn in beiden Welten wäre der Bau von neuen Trassen notwendig. Da diese Welt einen Fokus auf Solarstromanlagen setzt und weniger Windkraft-Ausbau als in der anderen Welt erfordert, werden die im Vergleich schwächeren Auswirkungen auf das Landschaftsbild sowie auf Tiere und Pflanzen als positiv gesehen. Im Zuge der Diskussionen auf der Konferenz wurde zudem deutlich, dass Kommunen und Bürger:innen in einer Dezentralen Welt am Ausbau der Erneuerbaren Energien mitverdienen können. Einige Befürworter:innen betonen trotz genereller Zustimmung, dass „genug Strom“ für eine sichere und durchgängige Stromversorgung vorhanden sein muss und Datenschutzprobleme adressiert werden müssen. Ein Nachteil sei zudem der wahrgenommene erhöhte zeitliche und finanzielle Aufwand für Bürger:innen, im Sinne von mehr eigene Verantwortung als empfundene Last, im Vergleich zur Zentralen Energiewelt. Darüber hinaus begründeten Bürger:innen, die die Dezentrale Welt negativ bewerteten, dies mit deren niedriger Resilienz gegenüber Cyber-Angriffen und dem relativ langsamen Umsetzungstempo. Eine neuer Grund der Skeptiker:innen war nach der Konferenz, dass die Finanzierung großer Anlagen ein großes Kapital erfordere.

Tabelle 12: Befragung Bürgerkonferenz: Gründe der Befürwortung und Ablehnung der Dezentralen Energiewelt

Zentrale Energiewelt

Trotz der klaren Präferenz der Dezentralen Welt werden gewisse Aspekte der Zentralen Welt als wünschenswert erachtet. Wichtige Argumente für die Befürworter:innen der Zentralen Welt sind die Gewährleistung der Versorgungssicherheit, und die durch effiziente Strukturen zu erwartenden günstigeren Strompreise. Um zentrale Infrastrukturen, wie Netze und Speicher, bauen und betreiben zu können, seien große, finanzstarke Akteure notwendig. Zudem betonen einige, dass große Stromerzeuger über eine hohe fachliche Kompetenz, Erfahrung und Know-how verfügen. Im Vergleich zur hohen Verantwortung und Teilhabe in der Dezentralen Welt habe dies den Vorteil, dass sich Bürger:innen nicht um die Finanzierung und Instandhaltung der Anlagen kümmern müssten. Dies sehen Skeptiker:innen und Gegner:innen der Zentralen Welt jedoch als die Hauptschwäche dieses Ansatzes an. Demnach würden Möglichkeiten zur Mitbestimmung fehlen und die Macht der großen Konzerne zu hoch bleiben, was hohe Strompreise für Haushalte bedeuten könnte. Als eine weitere Begründung für die Zentrale Welt wurde zudem nach der Konferenz angeführt, dass diese dazu beitrage, die Energiewende zu beschleunigen und die Klimaziele zu erreichen, da sie sich schneller umsetzen lasse als die Dezentrale Energiewelt. Ein neues Argument der Skeptiker:innen war, dass durch die Abhängigkeit von großen Konzernen die Chance vergeben werde, Kommunen und Bürger:innen an den Erträgen und Profiten der Erneuerbaren-Energien-Anlagen zu beteiligen.

Tabelle 13: Befragung Bürgerkonferenz: Gründe der Befürwortung und Ablehnung der Zentralen Energiewelt

4.4 Panelbefragung: Begründungen der Urteile

Auch im Rahmen der Panelbefragung wurden die Teilnehmenden gebeten, ihre Erwünschtheitsurteile in einem offenen Antwortfeld zu begründen. Die Auswertung dieser Antworten erfolgte analog zum Verkehrsteil mit der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Mayring & Fenzl, 2019; siehe Kap 3.2.2).

Im Folgenden werden die häufigsten Begründungskategorien für positive (wünschenswert) oder negative (nicht-wünschenswert) Urteile über die jeweiligen Energiewelten berichtet. Dabei wurden die Argumente der Befragten, die eine neutrale Bewertung der Welten vorgenommen haben, für diese Analyse nicht berücksichtigt. Auch in den Abfragen zu den Energiewelten haben sich nur minimale Unterschiede zwischen Experimental- und Kontrollgruppe gezeigt, weshalb auf diese aus Platzgründen nicht eingegangen wird.

Dezentrale Energiewelt

Unter den Begründungen für positive Urteile ist die häufigste Kategorie die Möglichkeit der Teilhabe. Mit dieser Welt werden verschiedene Möglichkeiten der Teilhabe verbunden. So können einerseits die Bürger:innen direkt an Energieprojekten vor Ort durch eine direkte finanzielle Beteiligung teilhaben oder durch vergünstigte Stromtarife von den Anlagen profitieren. Andererseits können sie indirekt durch die Teilhabe der eigenen Kommune an Erneuerbaren-Energien-Projekten Vorteile ziehen, indem die sich daraus ergebenden Erlöse in die kommunale Infrastruktur investiert werden. Die Befürworter:innen dieser Welt heben auch die Möglichkeiten der Mitgestaltung eines klimafreundlichen Energiesystems sowie das Bedürfnis der Verantwortungsübernahme hervor. In der zweithäufigsten Kategorie befürwortender Argumente stehen Effizienzaspekte im Vordergrund. Dabei wird als effizient erachtet, dass die Wege zwischen Energieproduktion und -verbrauch kurz seien und somit nur geringe Übertragungsverluste entstünden sowie kein Bau von zusätzlichen Überlandleitungen nötig sei. Weiterhin argumentieren die Bürger:innen mit der Nutzung von bereits zur Verfügung stehenden Flächen auf Dächern. Schließlich werden für die Erwünschtheit dieser Welt am dritthäufigsten Gründe genannt, die die als positiv erachtete Unabhängigkeit von großen Energieversorgern ins Zentrum stellen.

Ablehnende Haltungen zur Dezentralen Welt werden mit absteigender Häufigkeit durch folgende Argumente begründet: Am häufigsten werden Bedenken bezüglich der Versorgungssicherheit genannt. Diese folgen zum einen der allgemeinen Annahme, eine dezentrale Energieproduktion begünstige Netzausfälle. Zum anderen wird angeführt, dass fehlende Energiespeicher und Reservekraftwerke eine Herausforderung für die Energieversorgung in dieser Welt darstellen. Weiterhin wird die Ablehnung dieser Welt mit der Sorge vor steigenden Kosten begründet. Befragte empfinden diese Welt als kostspielig. Schließlich sind die Befragten skeptisch, ob der Umsetzbarkeit dieser Form der Energieversorgung. In diesem Zusammenhang wird die Ansicht geäußert, dass diese Welt zum Funktionieren zu kleinteilig sei.

Tabelle 14: Panelbefragung: Gründe der Befürwortung und Ablehnung der Dezentralen Energiewelt

Zentrale Energiewelt

Den Zuspruch für die Zentrale Energiewelt begründen die Befragten vor allem damit, dass durch diese Form der Energieerzeugung eine sichere Energieversorgung gewährleistet sei. Ähnlich den Begründungen der Erwünschtheit der Dezentralen Welt wird unter den Befürworter:innen der Zentralen Welt der Grund der Effizienz genannt, jedoch in anderer Hinsicht. Für effizient wird die Zentrale Welt gehalten, weil einerseits eine zentrale Organisation im Allgemeinen als effizienter wahrgenommen wird. Andererseits wird diese Einschätzung mit der Ansicht begründet, dass die Anlagen vornehmlich dort stehen sollen, wo die natürlichen Bedingungen deren Produktivität begünstigen. Schließlich ist es aus der Sicht der Befragten für den Erfolg der Stromwende erforderlich, die Zentrale Welt als Ergänzung zur dezentralen zu betrachten.

Negative Haltungen gegenüber der Zentralen Welt werden am häufigsten mit der Abhängigkeit von großen Energiekonzernen erklärt. Die Begründungen laufen entlang von drei Argumentationslinien: Erstens wird die in dieser Welt angenommene Oligopolstellung von Energiekonzernen und damit verbundene Machtkonzentration kritisiert. Zweitens wird in Folge dieser Entwicklungen die Sorge vor unvorteilhaften Preisabsprachen geäußert. Drittens wird die starke Profitorientierung dieser Konzerne beanstandet. Als weiterer Kritikpunkt werden Bedenken bezüglich der Gerechtigkeitsaspekte dieser Welt genannt. Zum einen wären Kosten und Nutzen zwischen Konzernen und Endverbaucher:innen ungerecht verteilt. Zum anderen entstünden Ungerechtigkeiten zwischen Regionen mit und ohne Energieanlagen. Letztlich wird mit dieser Welt die Sorge vor steigenden Kosten verbunden – auch unabhängig von der zentralen Rolle der Energiekonzerne.

Tabelle 15: Panelbefragung: Gründe der Befürwortung und Ablehnung der Zentralen Energiewelt

4.5 Zwischenfazit Stromwende

Im Themenfeld der Stromwende wurden die Ansichten gegenüber zwei gegensätzlichen Entwicklungspfaden des Stromsystems – einer zentral und dezentral strukturierten Energiewelt – im Rahmen der Bürger:innenkonferenzen und Panelbefragung parallel untersucht.  Die Ergebnisse der Befragungen bieten Aufschluss zu den von Bürger:innen bevorzugten Gestaltung eines künftigen Energiesystems.

Ein zentrales Ergebnis ist die Erwünschtheit und Präferenz der Dezentralen Energiewelt. In beiden Befragungen überzeugt diese Welt, die in hohem Maße auf gesellschaftliche Teilhabe und Beteiligung setzt, sowohl hinsichtlich Bürgernähe als auch sozialer Gerechtigkeit. Auch im Hinblick auf die Erreichung der Klimaschutzziele wird die Dezentrale Welt als effektiver im Vergleich zur Zentralen Welt bewertet. In diesem Punkt zeigt sich jedoch unter den Teilnehmer:innen der Strom-Konferenz im Verlauf der Gruppendiskussionen eine Verschiebung zugunsten der Zentralen Welt. 

In den Begründungen zu den Bewertungen beider Energiewelten zeichnen sich fünf zentrale Aspekte ab, die die Urteile der Befragten maßgeblich beeinflussen: Fragen der Versorgungssicherheit, Effizienz, Verteilungsgerechtigkeit, Sorge vor steigenden Kosten sowie die Kritik an der Abhängigkeit von Großkonzernen der Energiewirtschaft. Die Welten werden anhand dieser Kriterien von den Bürger:innen unterschiedlich beurteilt. Während die Zentrale Energiewelt, in dergroße Energieerzeuger zentral die Stromversorgung gewährleisten, insbesondere aufgrund der Gewährleistung einer sicheren Grundversorgung sowie der zentralen und damit effizienten Steuerung der Energieerzeugung positiv gesehen wird, treibt die Sorge vor Versorgungsproblemen die Ablehnung der dezentralen Alternative. Für die Dezentrale Energiewelt wird die für die Befragten wichtige Partizipationsmöglichkeit hervorgehoben. Dies umfasst einerseits wirtschaftliche Teilhabe auf individueller Ebene, beispielsweise durch Beteiligung an Energiegenossenschaften sowie die lokale Wertschöpfung, die der eigenen Kommune zugutekommen. Andererseits geht es den Befragungsteilnehmer:innen auch um die Beteiligung und Mitsprache sowie die Verantwortung der/s Einzelnen, eine gestalterische Rolle bei der Umsetzung der Energiewende einnehmen zu können – Punkte, die für die Befragen in einer Zentralen Welt schwieriger zu realisieren sind. Schließlich wird von den Befragten vor dem Hintergrund der in beiden Lösungsansätzen wahrgenommenen Stärken und Schwächen eine Kombination der beiden Welten vorgeschlagen. Dabei werden Elemente der Zentralen Welt vornehmlich als Ergänzung der Dezentralen Welt betrachtet, um diese effektiv, effizient sowie versorgungssicher umsetzen zu können.

Hinsichtlich der untersuchten Lerneffekte in Folge der Gruppendiskussionen bzw. Informationsgabe zeigen sich Einstellungsunterschiede im Vorher-Nachher- bzw. Kontroll- und Experimentalgruppen-Vergleich. So reduziert sich in beiden Stichproben der Anteil der Personen, die sich für die Zentrale Welt entscheiden, zugunsten der Dezentralen Welt. Bei den Fragen zur Erwünschtheit, Bürgernähe, Gerechtigkeit und Wirksamkeit bestehen jedoch teilweise Unterschiede zwischen den Stichproben in Grad und Ausprägung der Veränderungen. Während die Diskussionen und Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Lösungsansätze, mit Ausnahme der Wirksamkeit der Dezentralen Welt, zu einer verbesserten Bewertung beider Welten führen, fallen in der Panelstichprobe die Urteile für beide Welten in der Experimentalgruppe etwas schlechter aus. Diese Unterschiede können durch verschiedene Effekte wie variierende Reflexionstiefe in den Befragungssettings, unterschiedliche Stichprobenzusammensetzungen, kognitive Verzerrungen im Antwortverhalten oder eine erhöhte wahrgenommene Prozessgerechtigkeit aufgrund aktiver Teilnahme ergeben und stellen somit Ausgangspunkte für weitere Forschung dar.

Zusammenfassend lassen sich aus den Ergebnissen folgende Erkenntnisse für die politische Gestaltung der Stromwende formulieren: Der klimafreundliche Umbau unseres Energiesystems wird von einer breiten Mehrheit in Deutschland getragen und die Menschen sind bereit, sich bei der Umsetzung aktiv zu engagieren. Bei der Frage der Art der Gestaltung wird von den Bürger:innen mehrheitlich eine dezentrale Energieversorgungsstruktur bevorzugt. Damit sind jedoch sowohl Hoffnungen als auch Sorgen verbunden. Die Befürworter:innen heben lokale Gestaltungsmöglichkeiten, Unabhängigkeit von Großkonzernen, Vermeidung von Netzausbau sowie Möglichkeiten der finanziellen Teilhabe von Einzelnen und Kommunen hervor. Dies erfordert einerseits offene und faire Beteiligungschancen, die den in die Prozesse einbezogenen Bürger:innen ermöglicht, eigene Vorstellungen einzubringen. Andererseits sind weitere Maßnahmen zur Stärkung lokaler Teilhabe nötig, um somit einen breiten Zugang zur lokalen Wertschöpfung zu ermöglichen. Dem stehen die kritischen Stimmen einer dezentralen Energiewelt gegenüber, die insbesondere die Risiken für die Versorgungssicherheit und die steigenden Kosten betonen. Aus Sicht der Bürger:innen lassen sich die scheinbaren Widersprüche durch eine kombinierte Form der Energiewelten überwinden. Dabei stehen eine gerechte Kosten- und Nutzenverteilung sowie eine rasche Umsetzung klimafreundlicher Energieerzeugung als wichtigste Gestaltungsmerkmale vorne an.

5. Schlussfolgerungen und Ausblick

Wir haben Bürger:innensichten auf die Strom- und Verkehrswende samt Einstellungsänderungen betrachtet – sowohl resultierend aus der Panelbefragung Soziales Nachhaltigkeitsbarometer als auch aus der Deliberation im Rahmen der Ariadne-Bürgerkonferenzen. Diese methodisch innovative und komplementäre Betrachtung von Bürger:innensichten bietet wertvolle, neue Erkenntnisse zur Frage der gesellschaftlichen Trägerschaft im Kontext der Energie- und Verkehrswende in Deutschland. Die Bürgerinnen und Bürger sprachen sich in beiden Bereichen – Strom und Verkehr –  für möglichst gerechte und effektive politische Optionen aus. Die Mehrheit der Befragten ist bereit, Veränderungen mitzutragen, wenn gewährleistet wird, dass alle Menschen Zugang zu bezahlbarer Mobilität und Energieversorgung haben. Die Identifikation von bisher zu wenig berücksichtigten Gruppen und Lebensrealitäten erfordert in unseren Augen einen kontinuierlichen Austausch mit der Bevölkerung – politische Mitbestimmung in wichtigen Planungsschritten, bei Entscheidungen sowie in der Umsetzung vor Ort ist hierfür ein bewährtes Mittel. Um die Klimaziele möglichst effektiv zu erreichen, erfordert es aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger einen Mix aus politischer Steuerung, Verantwortung vielfältiger Akteure sowie die Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe und Mitbestimmung. Doch es bestehen auch weiterhin Spannungsfelder. Eine zentrale Herausforderung bei der Stromwende bleibt eine möglichst gerechte regionale Verteilung von neuen Wind- und Solaranlagen. Im Bereich Verkehr stellt sich unter anderem die Frage, wie Mobilitätsalternativen auf dem Land möglichst sinnvoll und gerecht gestaltet werden können.

Die kombinierte Befragung hat gezeigt, dass die Ergebnisse trotz unterschiedlicher Stichprobenverteilungen und -größen ähnliche Trends aufweisen, insbesondere bei der Präferenz der Dezentralen Welt und des Verkehspfades „Neue Mobilität“ sowie bei den Stärken und Schwächen der vier in der Ariadne-Bürgerdeliberation diskutierten Mobilitätspfade. Wir folgern daraus, dass die in den Bürgerkonferenzen identifizierten Haltungen gegenüber den untersuchten Politikoptionen in ähnlicher Form in der gesamtdeutschen Bevölkerung repräsentiert sind. Weiterhin wurde deutlich, dass die von den Teilnehmenden geäußerten Begründungen ihrer Positionen in den beiden Stichproben weitestgehend übereinstimmen. Somit ist davon auszugehen, dass diese Aussagen nicht in Folge einer gezielten inhaltlichen Vorbereitung auf die Konferenzen bzw. in Folge der Gruppendiskurse entstandene Aspekte sind, sondern zentrale Argumente und Perspektiven der deutschen Bevölkerung in den Themenkontexten umfassen. Somit sehen wir es als sehr hilfreich an, in Zukunft den von uns gewählten methodischen Ansatz einer kombinierten Befragung gemeinsam in dem Themenkontext zu verwenden, denn der komplementäre Einsatz von deliberativen Mini-public-Formaten und bevölkerungsrepräsentativen Befragungen kann die Debatte zur gesellschaftlichen Trägerschaft im Kontext der Energie- und Verkehrswende durch Erkenntnisse aus qualitativen und quantitativen Formaten entscheidend weiterbringen. Dies könnte die Vorteile der meist qualitativen Bürger:innenbeteiligungsformate, wie detailliertere und profilschärfere Erfassung von Problemen, mit den Stärken quantitativer und repräsentativer Befragungen miteinander verbinden. Zudem könnten durch eine konzeptionelle sowie methodische Erweiterung und Verstetigung des in dieser Studie eingesetzten Bürgerpanels die Beteiligungsschwellen und -hemmnisse von traditionellen Beteiligungsformen überwunden werden (Klages et al., 2008). Das weitreichende in der Bevölkerung vorhandene Beteiligungspotential könnte somit in größeren Umfang ausgeschöpft werden, indem bislang passive Bürger:innen durch das Mitwirken an Panels zur Teilnahme Beteiligungsformen aktiviert und motivieren werden könnten.

Die Ergebnisse fließen einerseits in den laufenden Ariadne-Dialogprozess mit Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sowie die zweite Projektphase des Ariadne-Projekts ein und die Teilnehmenden des Ariadne-Bürgergipfel am 24.03.2023 erhielten zudem Einblicke in einen Teil der Ergebnisse der Begleitforschung. Andererseits dienen die Resultate für die Identifikation wichtiger Themen, die im Rahmen der Panelbefragung für den Sozialen Nachhaltigkeitsbarometer 2023 aufgenommen werden. Zudem sollen sie eine Reflektion bei Akteuren aus Politik und Verwaltung anregen und dabei helfen, die politische Gestaltung der Transformationsprozesse im Bereich Strom und Verkehr stärker an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger auszurichten.


Die vorliegende Ariadne-Analyse wurde von den oben genannten Autorinnen und Autoren des Ariadne-Konsortiums ausgearbeitet. Die Analyse spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des gesamten Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider.
Die Inhalte der Ariadne-Publikationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erstellt.

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Autorinnen & Autoren

Dr. Mareike Blum

Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change

Dr. Ingo Wolf

Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS)

Jean-Henri Huttarsch

Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS)

Dr. Martin Kowarsch

Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change