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Die Verkehrswende und die Stromwende betreffen den Alltag aller Menschen. Bürgerinnen und Bürger sind deshalb von Anfang an Partner in der wissenschaftlichen Politikberatung von Ariadne. Den Auftakt dieser Zusammenarbeit bildeten Ende 2020 neun Online-Fokusgruppen. Quer durch das Land erklärten dabei insgesamt 88 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger unter anderem, warum sie bei der Stromwende zum Beispiel vor allem die Möglichkeit das Energiesystem aktiv mitzugestalten bewegt, während sie sich in der Verkehrswende von der Infrastruktur eher ausgebremst fühlen. Die vielfältigen Bedürfnisse und Erfahrungen, aber auch tiefer liegende Werte und Zielvorstellungen fasst dieser Bericht zusammen, und erklärt das methodische Vorgehen.
„Diese Liebe zum Auto, auch zum eigenen Auto. Wie weit wird das unsere Gesellschaft verändern,
in wie weit KANN man es verändern?“
Stimme aus einer Fokusgruppe zum Thema Verkehrswende
Themenbereiche „Verkehrswende“
Die Diskussionen der Bürgerinnen und Bürger zur Verkehrswende lassen sich in drei übergeordnete, oft zusammenhängende Themenbereiche gliedern:
- „Infrastruktur“ als erster Themenbereich umfasst die Ansichten etwa zu Straßen- und Schienennetzen oder Elektro- Ladestationen, aber auch zu mentalen und politisch-institutionellen Strukturen.
- „Klimaschutz vs. Freiheit?“ als zweiter Themenbereich greift einen zentralen Wertekonflikt in den Gesprächen auf, der auch die (Grenzen der) Bereitschaft Einzelner zur Verhaltensänderung prägt.
- „Das Auto“ schließlich tauchte als essenzielles Verkehrsmittel, aber auch als die Gesellschaft und den Alltag bestimmendes und vieldimensionales Kulturgut auf. Als Ziele für die Verkehrswende betonten die Fokusgruppen – sowohl in den Städten als auch im ländlichen Raum – besonders die Reduktion des Verkehrsaufkommens und eine bessere Bündelung des Straßenverkehrs. Zudem wurden Emissionsvermeidung, die Entschleunigung des Verkehrs und Verkehrssicherheit in vielen Gruppen betont. Jedoch gab es auch sehr unterschiedliche Sichtweisen und Bedenken, etwa zu neuen Antriebstechnologien.
„Dieser Wandel funktioniert nicht von top-down. Das muss etwas sein, was aus der breiten Masse kommt
und sich hoch bewegt und die Politik muss dafür die Anreize schaffen.“
Stimme aus einer Fokusgruppe zum Thema Stromwende
Themenbereiche „Stromwende“
Die Diskussionen zur Stromwende umfassten primär folgende Themenbereiche:
- Wichtig war für viele Teilnehmende die Frage nach einer bürgerschaftlichen „Beteiligung und Teilhabe“ und Selbstwirksamkeit in der Stromwende.
- Beim Themenbereich „Innovation und Dezentralisierung“ wurden spezifische Technologien und die Rolle von Innovati on sowie die damit verbundenen Erneuerungen und Erweiterungen technologischer und institutioneller Infrastrukturen thematisiert. Zudem ergab sich in den Diskussionen ein Spannungsfeld zwischen einerseits lokal angepassten Infrastrukturen und andererseits der Notwendigkeit einer übergreifenden Vernetzung und des Ausgleichs sowie bestehenden internationalen Abhängigkeiten.
- Der Themenbereich „Wer gewinnt, wer verliert?“ behandelt die für die Bürgerinnen und Bürger absolut zentrale – und derzeit oft als ungerecht empfundene – Verteilung von Nutzen und Lasten in der Gesellschaft: zwischen Regionen, zwischen Akteursgruppen und mit Blick auf den Strompreis. Als Ziele für die Stromwende wurden Mitsprache und Beteiligung hervorgehoben – so auch in der Ausgestaltung technologischer Infrastrukturen und bei der gerechten Verteilung von Lasten und Nutzen der Stromwende.
Unterschiede in den Diskussionen
Der Vergleich der Diskussionen zu Verkehrs- und Stromwende zeigt erstens, dass der Umbau der technologischen und politischen Infrastrukturen sektorenübergreifend ein herausragendes Anliegen der Bürgerinnen und Bürger ist. Interessanterweise wurden jedoch die Handlungsspielräume Einzelner und die Idee gesellschaftlicher Teilhabe für die Stromwende deutlich stärker betont als bei den Diskussionen zur Verkehrswende. Dort wurde der Blick eher auf die Unzulänglichkeit vorhandener Infrastrukturen gerichtet, die oft als starke Begrenzung des individuellen Handlungsspielraums wahrgenommen wurden. Zweitens wurde für beide Sektoren sehr oft politisch stringenteres, planvolleres, transparentes und baldiges Handeln eingefordert. Drittens wurden übergreifende Ziel- und Interessenskonflikte deutlich, insbesondere hinsichtlich der gerechten Verteilung von Nutzen und Lasten der gesamten Energiewende, aber auch hinsichtlich der Fragen, wer vorangehen soll und wo am dringendsten Handeln erforderlich ist.
Rolle der Bürgerdeliberation in Ariadne
DELIBERATION
Deliberation bedeutet „Beratschlagung“, „Überlegung“. In einem Deliberationsprozess geht es darum,dass Menschen unter fairen Bedingungen zusammenkommen, ihre unterschiedlichen Sichtweisen und Argumente austauschen und diese abwägen, um voneinander zu lernen.
In Ariadne bilden die von den Bürgerinnen und Bürgern in den Fokusgruppen erarbeiteten Problem- und Zielaspekte in Verbindung mit dem Stand der Wissenschaft die Grundlage für die Entwicklung erster Politikoptionen und deren gesellschaftlich relevanten Auswirkungen. Diese Politikoptionen werden in einem schrittweisen, wechselseitigen Lernprozess gemeinsam weiterentwickelt und im Herbst 2021 von den Bürgerinnen und Bürgern bei den so genannten Bürgerkonferenzen diskutiert und bewertet.
Zu Vorbereitung auf die Diskussionen haben die Teilnehmer*innen Broschüren mit Informationen zur Energiewende erhalten.
Ariadne-Report
Mareike Blum, Arwen Colell, Julia Hoffmann, Karoline Karohs, Martin Kowarsch, Maren Krude, Miriam Saur, Holger Thiel (2021): Was ist uns wichtig bei Verkehrs-und Stromwende? Bürgerinnen und Bürger sprechen über Herausforderungen und Ziele. Ariadne-Report.