Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Bis Mitte des Jahrhunderts will die Europäische Union klimaneutral werden. Als entscheidende Etappe sollen deshalb die EU-Klimaziele für 2030 erhöht werden. Wie realistisch ist es, dass die ehrgeizigen Klimaziele letztendlich auch erreicht werden? Das hängt davon ab, wie wirksam die neuen politischen Maßnahmen ausgestaltet werden, über die jedoch erst in den nächsten Jahren entschieden werden wird. Nur ambitionierte und kohärente EU-Maßnahmen können die Treibhausgas-Emissionen langfristig auf nahezu null reduzieren. Sie werden auch die deutsche Klimapolitik tiefgreifend bestimmen und erhebliche Anpassungen erfordern. Setzt die EU weiter auf einen bunten Mix von Instrumenten, so ist dies der politisch wohl am leichtesten durchzusetzende Weg. Die Widerstände gegen ein „etwas mehr von allem“ sind vor allem deshalb gering, weil eine klare Positionierung zu stärkeren Durchsetzungsmechanismen oder entsprechenden Leitinstrumenten vermieden wird. Allerdings läuft das „Weitermachen wie bislang“ mit einer leichten Verschärfung des bisherigen Instrumentenmix aufgrund des Fehlens eines klaren Konzepts Gefahr, an den neuen Zielen zu scheitern. Dies offenbart die Analyse der drei wesentlichen Szenarien der EU-Kommission zur Anpassung des regulatorischen Rahmens für die Erreichung der neuen EU-Klimaziele in diesem Kurzdossier. Gerade weil sich eine zunehmende Zustimmung für ein „business as usual“ abzeichnet, ist es von großer Bedeutung, es jetzt zu diskutieren und es prioritär anzugehen. Die Lösung erfordert ein strategisches Regulierungsprinzip, das den verschiedenen Maßnahmen im Instrumentenmix eine klare Rolle zuweist und ein sinnvolles Leitinstrument definiert. Glaubwürdigkeit erhalten solche Szenarien aber nur, wenn entweder die Durchsetzungsmechanismen der EU-Kommission im Bereich der Erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz gestärkt oder hohe CO2-Preise in der EU ausgehalten oder gar akzeptiert werden. Gelingt dies nicht, droht der mit dem EU Green Deal gerade erst eingeschlagene Weg bereits auf den ersten Metern zu scheitern.
Politikpfade für den Weg zur Klimaneutralität
Außerordentliche politische Anstrengungen sind erforderlich, um ein erhöhtes EU-Klimaschutzziel für das Jahr 2030 auf dem Weg zu einem klimaneutralen Europa 2050 zu erreichen. Würde das Ziel für 2030 auf 55 Prozent1 Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen gegenüber dem Jahr 1990 erhöht werden, so müsste beispielsweise das ursprüngliche Ziel einer Treibhausgasreduktion um 40 Prozent bereits im Jahr 2025 erreicht werden. Die besondere Bedeutung des Etappenziels für 2030 besteht dabei darin, dass aufgrund der Langlebigkeit von Gütern und Infrastrukturen die Investitionen der nächsten zehn Jahre darüber entscheiden, ob das Ziel der Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2050 verwirklicht werden kann. Das stellt die Europäische Union vor die große Herausforderung, die notwendige Transformation in sehr kurzer Zeit auf den Weg bringen zu müssen.
Um das zu schaffen, muss die EU einen neuen regulatorischen Rahmen setzen, der genau das leisten kann. Dies ist eine komplexe Aufgabe. Doch je länger die Entscheidungsfindung über den rechtlichen Rahmen auf der EU-Ebene dauert, desto weniger Zeit bleibt für die Implementierung und Durchsetzung dieses Rahmens für die EU-Mitgliedsstaaten. Mit welchen Mitteln die Klimaziele erreicht werden sollen, muss deshalb jetzt diskutiert und entschieden werden. Diesem Umstand trägt die EU-Kommission durch ihren ambitionierten Zeitplan Rechnung. Basierend auf den derzeit verfügbaren Informationen analysieren und bewerten wir die Vorschläge der Kommission für Politikpfade zur Erreichung des 2030-Ziels. Im Vordergrund steht dabei, welche Voraussetzung für ihre Umsetzung bestehen, und ob sie das Ziel tatsächlich auch erreichen können.
Drei Szenarien, drei Regulierungsphilosophien
Im September 2020 unterbreitete die Kommission verschiedene Szenarien zur Frage, ob und wie die neuen Klimaschutzziele erreichbar sind, und unterzog diese Szenarien einem Impact Assessment (IA)2Vgl. https://ec.europa.eu/clima/sites/clima/files/eu-climate-action/docs/impact_en.pdf (Stand: 3.12.2020). Neben zwei Szenarien (BSL, MIX-50), die die Ziele nicht erreichen sowie einem Vorschlag (ALLBNK), der über die Ziele hinausschießt, werden darin die drei Szenarien REG, MIX und CPRICE bewertet. Diese Szenarien mit einer jeweils spezifischen Politikarchitektur scheinen politisch am ehesten durchsetzbar zu sein, weswegen sich die nachfolgende Analyse auf diese Ansätze konzentriert. Die drei Szenarien unterscheiden sich im Wesentlichen darin, welche Relevanz einer CO2-Bepreisung über ein (zusätzliches oder ausgeweitetes) Emissionshandelssystem, der EU-Lastenteilungsverordnung („Effort Sharing Regulation“, ESR)3Die Lastenteilungsverordnung definiert nationale Emissionsreduktionsziele in Nicht-ETS-Sektoren. und regulativen Maßnahmen4Im vorliegenden Text unterscheiden wir zwischen zwei Typen von Instrumenten: Preisbasierte Maßnahmen beinhalten den Emissionshandel und CO2-Steuern; regulative Maßnahmen alle anderen Instrumente. („policies & measures“) in den Bereichen Energieeffizienz, Erneuerbare Energien sowie Gebäude und Verkehr beigemessen wird (siehe Tabelle 1).
Die detaillierte Ausgestaltung der Politiken ist zwar derzeit noch unklar, jedoch lassen die Szenarien bereits die ihnen jeweils zugrunde liegende Regulierungsphilosophie erkennen. Im Fall der Szenarien REG und CPRICE ist bereits durch die Namensgebung offensichtlich, dass es einen klaren Fokus gibt: zum einen auf eine Intensivierung von regulativen Maßnahmen und zum anderen auf preisbasierte Maßnahmen im Zuge einer Ausweitung des Emissionshandelssystems. Beide Szenarien enthalten jedoch weiterhin auch Elemente des jeweils anderen Extrems. Im Fall des Szenarios MIX ist die Regulierungsphilosophie weniger eindeutig: Es stärkt diverse Elemente des bestehenden regulatorischen Rahmens. Gleichzeitig werden Überlappungen hingenommen. So werden bei diesem Szenario die Sektoren Gebäude und Verkehr in das Emissionshandelssystem (Emission Trading System (ETS)) eingebunden, und bleiben gleichzeitig weiterhin der Lastenteilungsverordnung unterstellt. Zusätzlich ist eine niedrige bis mittlere Intensivierung der regulativen Maßnahmen vorgesehen. Laut Impact Assessment würde eine CO2- Bepreisung dann „als zusätzlicher EUMechanismus fungieren, um nationale Emissionsreduktionsziele im Rahmen der Lastenteilungsverordnung zu erreichen“ (IA, S. 28). Zur genauen Ausgestaltung der Politikinstrumente macht das Impact Assessment keine Angaben; es wird lediglich klargestellt, dass (alle) Szenarien „kohärente Kombinationen von Politik-Optionen“ darstellen, die in Politikszenarien übersetzt wurden (IA, S. 42). Die Bewertung der Szenarien durch die Kommission (IA, Kap. 8) ist zurückhaltend, da sie lediglich selektiv Vor- und Nachteile aufzählt und kein klares Ranking vornimmt. Dennoch wird deutlich, dass sie das MIX-Szenario gegenüber den anderen beiden Szenarien präferiert (IA, S. 124), weil es (1) niedrigere Energiesystemkosten erzeugt5Unter Energiesystemkosten werden im Impact Assessment „Kapital- und variable Kosten im Zusammenhang mit der Nutzung von Energie“ zusammengefasst. Zudem sind diese Kosten in CPRICE geringer als in MIX, wenn man die Rückverteilung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung mit einbezieht (IA, S. 130)., (2) hohe Einnahmen durch das Auktionieren von Zertifikaten generiert (obwohl die Einnahmen in CPRICE natürlich deutlich höher sind), (3) im Vergleich zu CPRICE zu weniger hohen CO2-Preisen führt und somit auch die Politiken zur Minderung negativer Auswirkungen handhabbarer macht, sowie (4) im Einklang mit den Stellungnahmen der Konsultation steht, in denen die Wichtigkeit von zusätzlichen Politiken unterstrichen wurde.
Die weißen Flecken auf der Landkarte: Durchsetzbarkeit und Zielerreichung
Diese Bewertungen der Kommission sowie die von ihr angelegten Kriterien sind zu hinterfragen: Neben der Tatsache, dass die quantitativen Kostenaussagen der Kommission teils mit hohen Unsicherheiten behaftet sind (etwa durch neue und mithin schwer abschätzbare Wechselwirkungen von Instrumenten oder durch die Rückverteilung der Einnahmen aus dem Emissionshandelssystem), fehlt es an einem ausreichenden Set qualitativer Bewertungskriterien. So sind die kurzfristige politische Durchsetzbarkeit und die Wahrscheinlichkeit der langfristigen Zielerreichung blinde Flecken im Impact Assessment. Genau hier setzt dieses Kurzdossier an. Zur qualitativen Bewertung der Szenarien adressieren wir folgende Leitfragen:
(1) Kurzfristige Umsetzbarkeit: Wie hoch sind die kurzfristigen rechtlichen und politischen Hürden für die Umsetzung eines Szenarios? Wie weit liegen die Präferenzen hinsichtlich der Instrumente auseinander? Hat das Szenario im politischen Prozess eine reelle Chance?
(2) Wahrscheinlichkeit der langfristigen Zielerreichung:6Dies beinhaltet sowohl die Erreichung des 55%-Ziels bis 2030 sowie das Ziel der Klimaneutralität bis 2050. Wie hoch ist die potenzielle langfristige Steuerungswirksamkeit? Wie kohärent sind die Instrumente innerhalb eines Szenarios? Werden mit dem Szenario die Klimaziele voraussichtlich erreicht oder besteht eine hohe Gefahr des Scheiterns?
Bewertung der Szenarien der EU-Kommission
Die Bewertung der drei Szenarien hängt entscheidend von der konkreten Ausgestaltung und Kombination der verschiedenen Maßnahmen und Instrumente ab. Dafür wird die EU-Kommission jedoch erst im Sommer 2021 entsprechende Gesetzgebungsvorschläge unterbreiten. Vor diesem Hintergrund können die Szenarien vorläufig nur auf Basis unter-schiedlicher Interpretationen der Kommissionsvorgaben hinsichtlich ihrer Umsetzung bewertet werden. Zur Bewertung der Szenarien bedarf es einer Operationalisierung anhand konkreter Kriterien. Die von uns definierten Kriterien werden im Folgenden kurz vorgestellt und anschließend für jedes Szenario diskutiert.
Kriterien zur Bewertung der kurzfristigen Umsetzbarkeit
Bei der Bewertung geht es in einem ersten Schritt darum, ob das Szenario im politischen Prozess eine reelle Chance (Einigungspotenzial) hat bzw. welche politischen und rechtlichen Hürden es überwinden muss. Die folgenden zwei Kriterien werden dafür betrachtet:
Einigungspotenzial der Mitgliedstaaten aufgrund kompetenzieller und prozeduraler Anforderungen
Die prozeduralen Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren (Mehrheitsoder Einstimmigkeitsprinzip) sowie inhaltliche Beschränkungen und Vorbehalte zugunsten der Mitgliedstaaten (s. Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)) hängen von der konkreten EUGesetzgebungskompetenz ab (siehe Box „Gesetzgebungskompetenz der EU“).
GESETZGEBUNGSKOMPETENZ DER EU
Bei gesetzgeberischen Maßnahmen der EU in den Bereichen Klimaschutz und Energie können sich im Einzelfall schwierige Kompetenzfragen ergeben. Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gilt gemäß Art. 5 Abs. 1 EUV der Grundsatz, dass die EU nur in den Bereichen tätig werden darf, die ihr von den Mitgliedstaaten explizit übertragen worden sind. Für die hier zu beurteilenden Maßnahmen gilt es festzustellen, ob sie auf die Umweltkompetenz nach Art. 191, 192 AEUV, auf die Energiekompetenz nach Art. 194 AEUV oder auf beide Kompetenzgrundlagen zu stützen sind. Möglicherweise sind auch weitere Zuständigkeiten wie beispielsweise jene für Steuern nach Art. 113 AEUV einschlägig. Klimagesetzgebung, die insbesondere Regelungen zum Emissionshandel, zur Lastenteilung sowie zu Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft umfasst, ist regelmäßig auf die Umweltkompetenz zu stützen. Für die Energiegesetzgebung mit Regelungen zu Erneuerbaren Energien, Energiebinnenmarkt und Energieeffizienz wird im Schwerpunkt die Energiekompetenz herangezogen.
Um dies exemplarisch zu verdeutlichen: Wird eine Maßnahme auf die Energiekompetenz gemäß Art. 194 Abs. 2 AEUV gestützt, so besteht die Gefahr eines Souveränitätsvorbehalts zugunsten der Mitgliedstaaten gemäß UAbs. 2 AEUV; wird eine Maßnahme auf die Umweltkompetenz des Art. 192 Abs. 1 AEUV gestützt, so wird grundsätzlich zwar mit Mehrheit entschieden, in Ausnahmefällen des Abs. 2 kann aber das Einstimmigkeitsprinzip greifen. Letztlich kommt es für die Bestimmung der zutreffenden Kompetenzgrundlage (Umwelt- oder Energiepolitik) auf den Schwerpunkt der Maßnahme im Einzelfall an. Eine Mehrheitsentscheidung impliziert eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahme im Rat verabschiedet wird; eine Einstimmigkeitsentscheidung zu erzielen, ist angesichts der Interessengegensätze der Mitgliedstaaten im derzeitigen politischen Umfeld jedoch sehr unwahrscheinlich. Die Mitgliedstaaten haben jeweils unterschiedliche Präferenzen im Rahmen der EU-Umwelt- und Energiepolitik, die in hohem Maße von ihrem nationalen Energiemix abhängen. Die Frage stellt sich, wie stark die Präferenzen im Hinblick auf die in den Szenarien hauptsächlich zu regelnde Materie divergieren bzw. wie hoch das Einigungspotenzial ist. Auch die prozeduralen Anforderungen sind hierbei zu berücksichtigen. Sollte für ein Szenario ein geringes Einigungspotenzial vorliegen, dann ist eine politische Durchsetzung vor allem dann nicht zu erwarten, wenn die prozedurale Anforderung gleichzeitig Einstimmigkeit erfordert.7Ein weiterer entscheidender Faktor für das Einigungspotenzial sind auch die Verteilungswirkungen der Maßnahmen sowie Mechanismen, die diese Verteilungswirkungen ausgleichen bzw. ein für die Mitgliedstaaten letztendlich akzeptables Verhältnis von Kosten und Nutzen herstellen. Dieser Aspekt wird hier jedoch nicht berücksichtigt.
Einigungspotenzial aufgrund von Präferenzen der Mitgliedstaaten für Instrumente
Die politische Umsetzbarkeit wird darüber hinaus auch dadurch stark beeinflusst, dass verschiedene Interessengruppen innerhalb der Mitgliedstaaten unterschiedliche Typen von Instrumenten präferieren. Preisbasierte Instrumente, allen voran der CO2-Preis, erfahren politische Unterstützung aufgrund ihrer grundsätzlichen Kosteneffizienz und hoher Flexibilität für die Marktakteure (u.a. Technologieoffenheit). In Abhängigkeit von ihrer Ausgestaltung können sie sich aber auch als wenig wirksam erweisen und damit als politisch problematisch eingeordnet werden. Für regulative Instrumente – ex-negativo definiert als alle Instrumente, die nicht preisbasiert sind – gilt die entsprechend umgekehrte Situation. Umso dominierender ein Instrumententyp in einem Szenario ist, desto stärker werden Unterschiede in den Präferenzen ins Gewicht fallen und eine Einigung erschweren.
Kriterien zur Bewertung der Wahrscheinlichkeit der langfristigen Zielerreichung
Bei der Wahrscheinlichkeit der langfristigen Zielerreichung geht es darum zu beurteilen, ob die Klimaziele mit einem Szenario voraussichtlich erreicht werden können bzw. weshalb die Zielerreichung gefährdet ist. Die folgenden zwei Kriterien werden dafür betrachtet:
Kohärenz
Die Klimaziele können nur durch ein Zusammenspiel verschiedener Instrumente in einem Politikmix erreicht werden. Dieser sollte möglichst kohärent ausgestaltet werden, um eine effiziente Zielerreichung zu ermöglichen. Zur Bewertung der Kohärenz eines Politikmixes muss analysiert werden, wie gut die verschiedenen Instrumente darin aufeinander abgestimmt sind. Dabei sind zwei Ebenen zu unterscheiden: Auf der Ebene der Ziele kann noch relativ leicht und eindeutig identifiziert werden, ob einzelne Instrumente sich ergänzen, voneinander unabhängig sind oder einander widersprechen. Deutlich anspruchsvoller, aber letztlich entscheidend, ist die Kohärenz- Prüfung jedoch auf der Ebene der Wirkungen: Selbst wenn zwei oder mehrere Instrumente das gleiche Ziel verfolgen, garantiert dies keinesfalls, dass sie sich gegenseitig verstärken. Die Komplexität der möglichen Interaktionen hat im Bereich der EU-Klimapolitik inzwischen ein so hohes Niveau erreicht, dass zur Aufdeckung etwaiger Inkonsistenzen eine explizite Modellierung dieser Interaktionen erforderlich ist. Dabei wird deutlich, dass vermeintlich kleine Unterschiede in der Ausgestaltung eines einzelnen Instrumentes zu erheblichen Folgen für das Zusammenspiel im Instrumentenmix führen können. Im schlimmsten Fall führt die Kombination von zwei Instrumenten, die das gleiche Ziel verfolgen und bei isolierter Betrachtung zweifellos wirksam sind, sogar zu einer Klimawirkung, die kleiner ist, als dies durch ein Instrument alleine zustande gekommen wäre (siehe Box „Kohleausstieg, Wasserbett-Effekt und MSR“).
KOHLEAUSSTIEG, WASSERBETT-EFFEKT UND MSR
In einem Emissionshandelssystem mit fixer Obergrenze (wie es im EU ETS bis 2018 der Fall war), können zusätzliche Maßnahmen keine weitere Reduktion der Treibhausgase bewirken. Für die Gesamtmenge an ausgestoßenen Treibhausgasen ist dann nur ein Instrument entscheidend: die fixe Obergrenze. In der seit Anfang 2019 geltenden Ausgestaltung des EU ETS ist die Marktstabilitätsreserve (MSR) für die Kohärenz von entscheidender Bedeutung. Sie passt die Anzahl der in einem Jahr auktionierten Emissionsrechte in Abhängigkeit der noch nicht verwendeten Emissionsrechte aus früheren Jahren an. Umso mehr ungenutzte Zertifikate im Umlauf sind, desto weniger werden neu auktioniert. Die Emissionswirkung von weiteren Maßnahmen zur Reduktion der Kohleverstromung hängt also davon ab, wie sich diese Maßnahmen im Zeitablauf auf die Anzahl der noch nicht verwendeten Emissionsrechte auswirken. Diese Anzahl erhöht sich, wenn heute Emissionen zum Beispiel durch die Abschaltung eines Kohlekraftwerkes eingespart werden. In Folge dessen sinkt also die Anzahl der neuen Emissionsrechte und damit auch der Umfang der Gesamtemissionen über die Zeit. Das Gegenteil kann passieren, wenn man heute ankündigt, erst in einigen Jahren ein Kohlekraftwerk stillzulegen. Die Marktteilnehmer entnehmen dieser Ankündigung, dass Emissionsrechte in Zukunft weniger knapp sein werden als erwartet und erhöhen schon heute ihre Emissionen. Dadurch sinkt unmittelbar die Zahl der nicht verwendeten Emissionsrechte. Im Vergleich gegenüber einem Szenario ohne Ankündigung des Kohleausstiegs sorgt die MSR nun dafür, dass mehr neue Emissionsrechte in Umlauf gebracht werden. Die Ankündigung von zusätzlichem Klimaschutz führt so schlimmstenfalls über die Zeit zu insgesamt höheren Gesamtemissionen. Die meisten nationalen Pläne zum Kohleausstieg verknüpfen beide Maßnahmen: alte Kraftwerke werden kurzfristig stillgelegt und die Abschaltung von neueren Kraftwerken wird für die mittlere bis lange Frist angekündigt. Die zusätzliche Klimawirkung derartiger Pakete liegt damit irgendwo zwischen den beschriebenen Szenarien. Das Vorzeichen und die genaue Größe der zusätzlichen Klimawirkung hängen unmittelbar von zahlreichen Details wie der exakten zeitlichen Struktur der Stilllegungen und den jeweiligen Kraftwerkskapazitäten ab. Diese komplexen Wechselwirkungen zwischen zwei klimapolitischen Instrumenten, die auf das gleiche Ziel ausgerichtet sind, widersprechen der üblichen Intuition. Sie zeigen auf, wie wichtig und herausfordernd der Anspruch ist, einen Politikmix zur Reduktion von Treibhausgasen kohärent zu gestalten.
Glaubwürdigkeit des Durchsetzungsmechanismus
Wirksame Durchsetzungsmechanismen garantieren, dass die Klimaziele tatsächlich erreicht werden. Je nach Politikfeld (Umwelt- oder Energiepolitik) bzw. regulierten Akteuren (Mitgliedstaaten oder Firmen) kann auf unterschiedliche Durchsetzungsmechanismen zurückgegriffen werden. Die zentrale Herausforderung für jeden Durchsetzungsmechanismus besteht darin, dass seine Unnachgiebigkeit von den regulierten Akteuren auch dann nicht bezweifelt werden darf, wenn die politischen bzw. ökonomischen Kosten seiner Einhaltung ein sehr hohes Niveau erreichen. Diese Glaubwürdigkeit im Zeitablauf (Zeitkonsistenz) erfordert, dass die Politik sich nicht nur auf Ziele festlegt, sondern gleichzeitig auch ex ante einen Mechanismus verankert, der die Erreichung dieser Ziele sicherstellt. Nur wenn eine spätere Aufweichung der Ziele glaubwürdig ausgeschlossen ist, werden private Investoren schnell die dringend erforderlichen Klimaschutz-Investitionen tätigen. Andernfalls würden verspätete oder ganz ausbleibende Investitionen die ökonomischen und politischen Kosten der Zielerreichung weiter erhöhen. Im Kern geht es bei der Etablierung eines Durchsetzungsmechanismus mithin darum, einen aus Mangel an Glaubwürdigkeit resultierenden Teufelskreis aus fehlenden Investitionen, steigenden (politischen) Kosten und damit weiteren Verlusten an Glaubwürdigkeit zu verhindern. Im Bereich der Erneuerbare-Energien- Richtlinie und der Energieeffizienz-Richtlinie kann die Kommission zwar die mitgliedstaatlichen integrierten Energieund Klimapläne im Hinblick auf die Erreichung der EU-weiten Ziele in diesen Bereichen kontrollieren. Sie ist hierbei allerdings auf weiche Steuerungsmechanismen angewiesen. Durch die fehlende Sanktionsmöglichkeit bei der Nichtberücksichtigung ihrer Empfehlungen ist die Glaubwürdigkeit der Erreichung dieser Ziele als gering zu bewerten. Hier würde nur eine Verschärfung der Durchsetzbarkeit etwa im Sinne der Einführung eines Sanktionsmechanismus die Glaubwürdigkeit erhöhen.
Bewertung der Szenarien
Im Folgenden werden die drei Szenarien im Hinblick auf die oben beschriebenen Kriterien bewertet. Eine Übersicht findet sich in Tabelle 2.
Bewertung des Szenarios REG
Im Szenario REG bleibt die Rolle der CO2-Bepreisung relativ gering und der Anwendungsbereich des ETS wird nur marginal erweitert. Dafür werden die regulativen Maßnahmen deutlich intensiviert und die Lastenteilungsverordnung wird beibehalten.
Kurzfristige Umsetzbarkeit
Einigungspotenzial der Mitgliedstaaten aufgrund kompetenzieller und prozeduraler Anforderungen
Vor dem Hintergrund, dass im Szenario REG die Erweiterung des ETS nur gering ausfällt, stellt sich die Frage, wie mögliche Verschärfungen der Erneuerbare- Energien-Richtlinie, der Energieeffizienz- Richtlinie und der Governance-Verordnung sowie der Lastenteilungsverordnung (ESR) kompetenziell und prozedural zu bewerten sind. Eine weitreichende Intensivierung von Maßnahmen in den Bereichen Energieeffizienz und Erneuerbarer Energien – beispielsweise über die Festlegung verbindlicher Ziele gegenüber den Mitgliedsstaaten – könnte in die Bedingungen für die Nutzung der nationalen Energieressourcen, die Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen oder die allgemeine Struktur der Energieversorgung der Mitgliedstaaten eingreifen, so dass der sogenannte energiepolitische Souveränitätsvorbehalt nach Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV zugunsten der Mitgliedstaaten aktiviert werden würde.8Die auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum vertretene Ansicht, nach der Art. 192 AEUV ebenfalls als Rechtsgrundlage für Änderungen der EE- und Energieeffizienz-Richtlinie herangezogen werden kann, bleibt in dieser Analyse unberücksichtigt, weil sie zu einem ähnlichen Ergebnis bezüglich
der politischen Umsetzbarkeit führt. Nach Art. 192 Abs. 2 lit. c) AEUV müssten die Mitgliedstaaten einstimmig entscheiden, wenn ihre
Energiesouveränität erheblich berührt würde. Eine einstimmige Entscheidung scheint politisch ebenso unwahrscheinlich wie eine Änderung des AEUV. Dann besäße die EU nicht die Kompetenz, dieses Szenario umzusetzen. Abhilfe könnte durch eine Änderung des Primärrechts, zum Beispiel die Streichung des Souveränitätsvorbehalts, erzielt werden, wofür jedoch der Konsens unter den Mitgliedstaaten notwendig wäre, der zurzeit politisch höchst unwahrscheinlich ist. Eine Intensivierung könnte – und das ist politisch wahrscheinlich – durch eine Verschärfung der EU-weiten Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Energieeffizienzsteigerung erfolgen. Diesbezüglich würde der Souveränitätsvorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten nicht greifen. Allerdings sind die Steuerung der Mitgliedstaaten und die Durchsetzung von Empfehlungen der Kommission in der Governance-Verordnung weich ausgestaltet. Um hier Glaubwürdigkeit der Erreichung verschärfter EUweiter Ziele im Erneuerbaren Energienund Energieeffizienzbereich zu erzielen, bedürfte es der Anerkennung eines Sanktionsmechanismus bei Nichtbefolgung der Empfehlungen durch die Mitgliedstaaten im Rahmen der Governance- Verordnung. Diese ist schwer oder gar nicht zu erreichen, wie die Verhandlungen zur Governance-Verordnung 2018 bereits gezeigt haben. Eine Änderung der Lastenteilungsverordnung in Form einer Verschärfung des EU-weiten Treibhausgas-Minderungsziels und der Erhöhung der THG-Minderungspflichten der Mitgliedstaaten wäre – wie bei ihrem ursprünglichen Erlass – auf die Umweltkompetenz des Art. 192 Abs. 1 AEUV zu stützen. Nachdem im REG-Szenario Teile der Energiewirtschaft und die Sektoren Gebäude und Verkehr unter der Lastenteilungsordnung verblieben und nicht unter einen erweiterten ETS fallen würden, müssten die Mitgliedstaaten entsprechend ihre sektoralen Minderungsziele und Politiken anpassen. Stützt die EU die Lastenteilungsverordnung weiterhin auf Art. 192 Abs. 1 AEUV (Mehrheitsentscheidung) und berücksichtigt Art. 192 Abs. 2 lit. c) AEUV (Einstimmigkeit) nicht, steigt aufgrund der prognostizierten hohen Anpassungsintensität das Risiko, dass die Mitgliedstaaten eine Erhöhung der mitgliedstaatlichen Reduktionsziele nach der Lastenteilungsverordnung vor dem EuGH angreifen. Dieser hat noch nicht abschließend geklärt, wann die Schwelle hin zu einem „erheblichen Berühren“ der Energiesouveränität der Mitgliedstaaten i.S.v. Art. 192 Abs. 2 lit. c) AEUV überschritten ist. Zieht die EU Art. 192 Abs. 2 lit. c) AEUV sofort heran, sieht sie sich mit dem Erfordernis konfrontiert, Einstimmigkeit für sehr stark erhöhte mitgliedstaatliche Minderungsziele zu erreichen. Im Hinblick auf das Einigungspotenzial der Mitgliedstaaten aufgrund kompetenzieller und prozeduraler Anforderung muss die politische Umsetzbarkeit des im vorliegenden Sinne „effektuierten“ Szenarios REG also als NIEDRIG bewertet werden.
Einigungspotenzial der Mitgliedstaaten aufgrund Präferenzen für Instrumente
Aufgrund der starken Fokussierung auf regulative Instrumente ist von einigen Interessengruppen innerhalb der Mitgliedstaaten mit einer starken Opposition gegen das Szenario zu rechnen. Von diesen Akteuren wird hauptsächlich bemängelt, dass regulative Instrumente nicht zu einer kosteneffizienten Reduktion der Emissionen führen. Außerdem wird ihre Intransparenz hinsichtlich der ökonomischen Kosten kritisiert, die im Kontrast zur hohen Transparenz eines CO2-Preises stehe. Im Hinblick auf das Einigungspotenzial angesichts unterschiedlicher Präferenzen für Instrumente muss die politische Umsetzbarkeit des Szenarios REG also ebenfalls als NIEDRIG eingeschätzt werden.
Langfristige Zielerreichung
Kohärenz
Ein wie beschrieben effektuiertes REG Szenario kann als ein in sich kohärentes Regulierungspaket gesehen werden. Die Schwerpunktsetzung auf regulative Maßnahmen innerhalb der Bereiche Erneuerbare Energien und Energieeffizienz weisen diese Maßnahmen als klare Leitinstrumente aus. Das ETS als zusätzliches Instrument hat eine ergänzende, nur teilweise überschneidende Wirkung. Zusammenfassend kann die Kohärenz des REG-Szenarios damit als HOCH eingeschätzt werden.
Glaubwürdigkeit des Durchsetzungsmechanismus
Für die Politikbereiche Erneuerbare Energien und Energieeffizienz bzw. die Sektoren Verkehr, Gebäude und sonstige Industrien (Nicht-ETS) gibt das REG-Szenario in der Definition des IA keine expliziten Durchsetzungsmechanismen vor. Zwei Möglichkeiten wären jedoch denkbar. Einerseits könnte eine verschärfte Lastenteilungsverordnung als zentrales Kontrollinstrument für den Nicht-ETSBereich fungieren. Durch die Festlegung nationaler Treibhausgasemissions-Reduktionsziele und jährlicher Emissionszuweisungen entfaltet die Lastenteilungsverordnung ein hohes Maß an Verbindlichkeit für die Mitgliedstaaten. Andererseits kann eine Verschärfung der Governance-Verordnung in Betracht gezogen werden. In diesem Falle bräuchte es eine Härtung der weichen Steuerung, die etwa durch Sanktionsmechanismen eine glaubwürdige Umsetzung ermöglichen würde. Für die im EU ETS bisher regulierten Sektoren, ergänzt um die intra-EU-Schifffahrt, besteht durch dieses Instrument bereits ein Durchsetzungsmechanismus. Entscheidend für die Glaubwürdigkeit des Mechanismus ist die politische Bereitschaft, hohe CO2-Preise zuzulassen bzw. die Kosten für Nicht-Erfüllung entsprechend anzuheben. Selbst bei einer deutlichen Steigerung des Ambitionsniveaus sind im REG-Szenario jedoch nur vergleichsweise moderate Anstiege des CO2-Preises zu erwarten, da zusätzliche Technologiepolitiken, wie zum Beispiel Carbon Contracts for Differences (CCfDs), gezielt Innovationen zur Emissionsminderung anreizen. Insofern erscheint der zukünftige politische Druck in den ETS-Sektoren eher moderat und die Glaubwürdigkeit der Zielerreichung hoch. Diese Einschätzung gilt jedoch nur, wenn von ergänzenden (regulativen) Maßnahmen verlässlich erwartet werden kann, dass sie zu einem deutlichen Rückgang der Emissionen führen. Ist dies nicht der Fall, gewinnt die Bereitschaft, hohe CO2-Preise hinzunehmen, entsprechend an Bedeutung. Damit kann die Glaubwürdigkeit der Durchsetzungsmechanismen in einem effektuierten REG-Szenario als HOCH eingeschätzt werden.
Bewertung des Szenarions CPRICE
Im Szenario CPRICE wird die CO2-Bepreisung über ein erweitertes Emissionshandelssystem zum zentralen Instrument. Der Anwendungsbereich des ETS wird stark ausgeweitet und beinhaltet als neue Sektoren die intra-EU-Schifffahrt, Gebäude und Verkehr, wobei die letztgenannten Sektoren im Gegenzug aus der Lastenteilungsverordnung entfernt werden.
Kurzfristige Umsetzbarkeit
Einigungspotenzial der Mitgliedstaaten aufgrund kompetenzieller und prozeduraler Anforderungen
Das Szenario CPRICE wäre als intensivierte Klimagesetzgebung maßgeblich auf die umweltpolitische Rechtsetzungskompetenz der EU zu stützen. Bei der Anwendung – und je nach konkreter Ausgestaltung des ETS – ist der in Art. 192 Abs. 2 AEUV verankerte Einstimmigkeitsvorbehalt (kein ordentliches Gesetzgebungsverfahren, sondern einstimmiger Beschluss des Rates nach Anhörung des Europäischen Parlaments) in zweifacher Hinsicht zu beachten: So könnte eine Klimaschutzgesetzgebung der EU, die auf das EU ETS als Hauptinstrument setzt und dabei die Mechanismen der Lastenteilungsverordnung ebenso ausschließt wie weitere nationale Maßnahmen, so stark die Handlungsspielräume der Mitgliedsstaaten begrenzen, dass diese sich womöglich vor dem EuGH auf den Einstimmigkeitsvorbehalt aus Art. 192 Abs. 2 lit. c) AEUV berufen würden (s.o. zu REG). Wird ferner nicht nur auf den Emissionshandel, sondern auch auf steuerrechtliche Instrumente gesetzt, wie etwa im Rahmen der Reform der Energiesteuer-Richtlinie, so greift der Einstimmigkeitsvorbehalt gem. Art. 192 Abs. 2 lit. a) AEUV bzw. Art. 113 AEUV. Zudem plant die EU-Kommission einen Vorschlag für CO2-bezogene Abgaben zu unterbreiten, die in das Eigenmittelsystem der EU einzuordnen wären. Nach Art. 311 AEUV wird die Einführung eines neuen Eigenmittels (Abgabe oder Zoll) durch einen sogenannten Eigenmittelbeschluss in einem besonderen Verfahren umgesetzt. Der Rat erlässt dabei nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig einen Beschluss, der anschließend der Zustimmung aller Mitgliedstaaten nach ihren jeweiligen nationalen Vorschriften bedarf. Angesichts dieser prozeduralen Anforderungen muss die politische Realisierbarkeit des CPRICE-Szenarios also als NIEDRIG eingeschätzt werden.
Einigungspotenzial der Mitgliedstaaten aufgrund Präferenzen für Instrumente
Aufgrund der starken Fokussierung auf preisbasierte Instrumente ist innerhalb einiger Mitgliedstaaten mit einer starken Opposition gegen das Szenario zu rechnen: Erstens gibt es eine hohe Skepsis hinsichtlich der Wirksamkeit von CO2- Preisen, was das Instrument umstritten macht. Zweitens werden hohe CO2-Preise als Gefahr für die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen gesehen. Drittens führt ein hoher CO2-Preis, wenn die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung nicht gezielt für Ausgleichsmaßnahmen verwendet werden, zu hohen (negativen) Verteilungswirkungen, da ärmere Mitgliedstaaten und Haushalte vergleichsweise stärker betroffen sind. Im Hinblick auf das Einigungspotenzial angesichts vorhandener Präferenzen für Instrumente muss die politische Umsetzbarkeit des CPRICE-Szenarios also ebenfalls als NIEDRIG eingeschätzt werden.
Langfristige Zielerreichung
Kohärenz
Das CPRICE Szenario zeichnet sich durch eine hohe Kohärenz aus. Das Leitinstrument ist die CO2-Bepreisung im Rahmen des ETS. Zusätzliche Instrumente, die erforderlich werden, können an dieses anknüpfen. Dadurch kann eine kohärente und kosteneffiziente Klimapolitik erreicht werden – mit einem einheitlichen CO2- Preis über alle Mitgliedstaaten und Sektoren hinweg. Die Kohärenz des CPRICE-Szenarios kann damit als HOCH eingeschätzt werden.
Glaubwürdigkeit des Durchsetzungsmechanismus
Der zentrale Durchsetzungsmechanismus dieses Szenarios ist der auf (fast) alle Sektoren ausgeweitete Emissionshandel. Angesichts relativ niedriger Preiselastizitäten der Nachfrage nach Zertifikaten in den Sektoren Gebäude und Verkehr ist davon auszugehen, dass der CO2-Preis relativ stark ansteigen wird. Damit das ETS auch in einer Phase drastischer Emissionsminderungen ein glaubwürdiger Durchsetzungsmechanismus bleibt, ist es daher essenziell, die politische Bereitschaft für hohe CO2-Preise zuzulassen: Weil der CO2-Preis das zentrale Leitinstrument ist, und andere Durchsetzungsmechanismen nicht zur Verfügung stehen, ist es zwingend erforderlich, dass der Preis jenes Level erreichen kann, das für die Zielerreichung erforderlich ist. Die Schaffung der entsprechenden Akzeptanz ist zwar mit großen politischen Hürden verbunden (siehe oben), doch wenn deren Überwindung gelingt, würde dies im direkten Gegenzug eine HOHE Glaubwürdigkeit des Durchsetzungsmechanismus mit sich bringen.
Bewertung des Szenarios MIX
Im Szenario MIX werden sowohl die regulativen Maßnahmen intensiviert als auch der Anwendungsbereich des ETS auf die Sektoren Gebäude und Verkehr ausgeweitet. Die Lastenteilungsverordnung bleibt aber parallel weiterhin bestehen.
Kurzfristige Umsetzbarkeit
Einigungspotenzial der Mitgliedstaaten aufgrund kompetenzieller und prozeduraler Anforderungen
Die Maßnahmen im Szenario MIX können in Abhängigkeit von ihrem Schwerpunkt auf die Umwelt- und Energiekompetenz gestützt werden (gegebenenfalls auch auf die Steuerkompetenz nach Art 113 AEUV, je nach Ausgestaltung des ETS). Die in der Analyse der Szenarien REG und CPRICE aufgezeigten Vorbehalte hinsichtlich eines Einstimmigkeitserfordernisses im Rat einerseits und einer Einschränkung der Gesetzgebungskompetenz zugunsten der Mitgliedstaaten andererseits spielen im Szenario MIX vermutlich keine Rolle: Das Maß der Intensivierung soll im Rahmen der Änderung bestehender Maßnahmen eher im mittleren Bereich gehalten werden, so dass nationale Entscheidungs- und Handlungsspielräume erhalten bleiben. Dies zeigt sich zum Beispiel in der Beibehaltung der Anwendung der Lastenteilungsverordnung, auch wenn das ETS auf andere Sektoren ausgeweitet wird. Einstimmigkeitserfordernisse würden sich bei den bisher bekannt gewordenen Ansätzen wohl allenfalls für steuerrechtliche Maßnahmen ergeben. Die Notwendigkeit einer späteren Nachbesserung der Reform ist jedoch sehr wahrscheinlich. Je mehr die jeweiligen Eingriffstiefen dann ein Niveau wie in den Szenarien REG oder CPRICE erreichen, desto wahrscheinlicher werden Veränderungen der Gesetzgebungskompetenz oder des Abstimmungsmodus in Richtung Souveränitätsvorbehalt und Einstimmigkeit. Bei geringer Eingriffstiefe ist das Einigungspotenzial der Mitgliedstaaten hoch; dieses nimmt jedoch mit Erhöhung der Eingriffstiefe wie oben bei den Szenarien REG und CPRICE beschrieben ab. Im Hinblick auf das Einigungspotenzial der Mitgliedstaaten kann die politische Umsetzbarkeit des Szenario MIX also zumindest anfänglich als MITTEL eingeschätzt werden.
Einigungspotenzial der Mitgliedstaaten aufgrund Präferenzen für Instrumente
Da das MIX-Szenario Elemente von REG und CPRICE enthält, ist es wahrscheinlich, damit einen politischen Kompromiss zu erzielen: Ein einheitliches Emissionshandelssystem verspricht grundsätzlich hohe Kosteneffizienz, diese wird jedoch durch die Beibehaltung der nationalen Ziele im Rahmen der Lastenteilungsverordnung gemindert. Gleichzeitig führt die Kombination verschiedener Instrumente zu niedrigeren CO2-Preisen. Die Einschätzung der Wirksamkeit des MIX-Szenarios hängt stark von den Annahmen bezüglich der Politikinteraktionen ab: Einerseits können regulative Maßnahmen die Vermeidung dort anreizen, wo der CO2-Preis nicht wirkt; andererseits führen überlappende Politiken aber auch zu tieferen CO2-Preisen und vermindern dadurch dessen Wirksamkeit. Somit gibt es für dieses Szenario weder eine starke Pro- noch eine starke Contra-Koalition. Im Hinblick auf dieses Kriterium muss die politische Umsetzbarkeit also ebenfalls als MITTEL eingeschätzt werden.
Langfristige Zielerreichung – MIX erfordert Szenarien zum Szenario
Bei den oben beschriebenen Extremszenarien (REG und CPRICE) sind die jeweilige Regulierungsphilosophie und somit auch deren Vor- und Nachteile relativ klar. Anders stellt sich die Situation beim Szenario MIX dar. Da die detaillierte Ausgestaltung der Politiken bzw. die innere Logik für deren Zusammenspiel noch nicht definiert wurde, ist a priori nicht ersichtlich, ob eine Reform des regulatorischen Rahmens in Einklang mit diesem Szenario zu einem kohärenten Politikmix mit klar definierten Durchsetzungsmechanismen („Das Beste aus beiden Welten“ bzw. „best case“)
IMPLEMENTIERUNGSSZENARIO „KOHÄRENTER
POLITIKMIX“
In einem kohärenten Politikmix werden alle Marktversagen adressiert, aber keine doppelt. Die notwendigen flankierenden Maßnahmen (zusätzlich zum CO2-Preis) sollen deshalb einerseits konkrete Hemmnisse und zusätzliche Marktversagen adressieren, die nicht durch den CO2-Preis behoben werden. Beispiele sind öffentliche Güter, Learning-by-doing sowie Innovationsförderung. Andererseits sind zusätzliche Instrumente notwendig für den Ausgleich sozialer Lasten oder den Schutz vulnerabler Gruppen, die durch Klimapolitik beeinträchtigt werden. Wichtig für einen erfolgreichen kohärenten Politikmix ist andererseits, dass das Monitoring und Management der Politikinteraktionen langfristig gewährleistet werden. Es braucht einen «Kohärenzprozess», der bei Bedarf nachsteuert. Dadurch können überlappende Politiken auch als Absicherung dienen, falls ein Instrument versagt.
oder zu einem inkohärenten Politikmix mit überlappenden Durchsetzungsmechanismen („Unbekömmliche Mischung“ bzw. „worst case“) führen wird.
Es ist für die Bewertung also notwendig, eine Fallunterscheidung vorzunehmen, wie das MIX-Szenario implementiert werden könnte (Implementierungsszenarien für das MIX-Szenario). In Anbetracht der positiven Bewertung des MIX-Szenarios (im Vergleich zu den anderen Szenarien) im Impact Assessment der EU-Kommission möchten wir hier auf die versteckten Gefahren dieses Szenarios hinweisen. Insbesondere wird dadurch offengelegt, dass im MIX-Szenario die Annahmen und Erwartungen deutlich transparenter dazulegen sind als in den beiden anderen Szenarien. Dies spricht jedoch nicht grundsätzlich gegen MIX: In den Schlussfolgerungen kommen wir daher darauf zurück, was notwendig wäre, um diese Gefahren zu vermeiden und einen „best case“ von MIX zu erreichen. Somit beurteilen wir die Wahrscheinlichkeit der langfristigen Zielerreichung wie folgt:
Kohärenz
Im MIX-Szenario ist die Gefahr der Inkohärenz bzw. die Anforderung an die Herstellung von Kohärenz grundsätzlich am größten, da es kein Leitinstrument gibt, an das die anderen Instrumente anknüpfen können. Außerdem wird weniger deutlich, welches Instrument welchen Teil der Minderung erbringen soll, und ob ein Instrument hinter den damit verbundenen Zielen und Erwartungen zurückbleibt, was auch im Nachhinein schwer zu messen ist. Im Prinzip kann eine Kohärenz zwischen den einzelnen Instrumenten zwar durch gesonderte Prüfung jeder Maßnahme an sich und ihrer Wirkung im logischen Zusammenhang mit den anderen Maßnahmen hergestellt werden; das Problem liegt hierbei jedoch in der Komplexität der Prüfung und einer gemeinsamen Zielorientierung. Das MIX-Szenario erfordert einen deutlich transparenteren Umgang mit den Annahmen und Erwartungen und ist deutlich anspruchsvoller im Hinblick auf das Management der Instrumente und ihrer Wechselwirkungen. Es ist deshalb beim MIX-Szenario wahrscheinlich, dass ein Bedarf zur Nachregulierung in hohem Ausmaß entsteht – und diese Nachregulierung jeweils dort erfolgt, wo die politischen Widerstände am geringsten sind. Genau das kann dazu führen, dass sich der Mix nicht zielgerichtet entwickelt. Ein kohärenter Mix, wie oben beschrieben, könnte dieser Gefahr entgegenwirken. In diesem Fall kann die Kohärenz des MIX-Szenarios als MITTEL eingestuft werden. Im Falle eines inkohärenten Mixes muss – wie es der Name schon sagt – die Kohärenz des Szenarios als NIEDRIG eingeschätzt werden.
IMPLEMENTIERUNGSSZENARIO „INKOHÄRENTER
POLITIKMIX“
In einem inkohärenten Politikmix wird der Interaktion zwischen den Instrumenten zu wenig Beachtung geschenkt. Dies kann zu (unerwarteten) negativen Auswirkungen führen: Wenn zusätzliche Politiken den CO2-Preis reduzieren, verringert das dessen Lenkungswirkung und der Emissionshandel läuft Gefahr, in die „politische Irrelevanz“ abzudriften. Mit anderen Worten: Zusätzliche Politiken verschleiern kurzfristig die hohen Kosten von effektiver Klimapolitik. Dadurch ist ein Politikmix kurzfristig zwar einfacher umsetzbar („Vorteile sind offensichtlich“). Aber die langfristige Zielerreichung ist gefährdet, da die Akzeptanz für hohe politische und ökonomische Anstrengungen nicht geschaffen wurde („Gefahren sind versteckt“).
Glaubwürdigkeit des Durchsetzungsmechanismus
Wie bei CPRICE fungiert auch im MIXSzenario der auf (fast) alle Sektoren ausgeweitete Emissionshandel als übergreifender Durchsetzungsmechanismus. Anders als bei CPRICE wird jedoch die Höhe des CO2-Preises davon beeinflusst, wie wirksam der Instrumentenmix tatsächlich sein wird, was wiederum sowohl von den Instrumenten selbst als auch von deren Kohärenz abhängt. Durch den doppelten Boden bzw. den zweifachen Durchsetzungsmechanismus (Lastenteilungsverordnung und umfassendes ETS) sieht es beim MIX auf den ersten Blick so aus, als ob die Zielerreichung weniger herausfordernd sei. Insbesondere würde die Intensivierung der Maßnahmen in den Bereichen Energieeffizienz, Erneuerbare Energien und Verkehr dafür sorgen, dass der CO2-Preis im ETS weniger stark ansteigt als im CPRICE- Szenario. Die große Unbekannte ist dabei allerdings, ob der CO2-Preis im ETS und die flankierenden Maßnahmen die nötige Dynamik bei der Emissionsminderung entfachen können. Sollte die Wirkung weiterhin niedrig bleiben, wäre auch im MIX-Szenario eine Bereitschaft nötig, hohe CO2-Preise zu akzeptieren. In diesem Fall würden die Lastenteilungsund Governance-Verordnungen als „doppelter Boden“ relevant, um Mitgliedstaaten dazu zu bringen, ihre Maßnahmen zu verstärken. Ob und in welchem Ausmaß das letztendlich nötig ist, wird sich jedoch erst im Lauf der Zeit zeigen. Entsprechend besteht die Gefahr, dass die Lastenteilungs- und die Governance-Verordnung im MIX-Szenario nicht reformiert werden, da diesen Bereichen keine so große Rolle zugeordnet wird wie im REG-Szenario. Die Glaubwürdigkeit der entsprechenden Durchsetzungsmechanismen ist daher entsprechend niedrig. Die wesentliche Gefahr des MIX-Szenarios kommt also dadurch zustande, dass seine im Vergleich geringere konzeptionelle Klarheit und Transparenz den Anschein erweckt, als ob die Zielerreichung zumindest politisch kein Problem sei. Um diese zu garantieren, erfordert jedoch auch das Szenario MIX potenziell hohe CO2-Preise. Da diese erst später sichtbar würden, wird die Diskussion in die Zukunft verschoben. Die Glaubwürdigkeit der Durchsetzungsmechanismen im „worst case“ kann damit als NIEDRIG eingeschätzt werden. Durch eine gut überlegte Ausgestaltung des Politikmixes kann diesem Risiko jedoch entgegengewirkt werden. Sollte es gelingen, einen kohärenten Mix zu implementieren, kann die Glaubwürdigkeit des Durchsetzungsmechanismus und somit die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung als HOCH eingeschätzt werden.
Zusammenfassende Bewertung der Szenarien
Um das erhöhte EU-Klimaschutzziel von minus 55 Prozent im Jahr 2030 und die vollständige Klimaneutralität der EU bis zum Jahr 2050 zu erreichen, sind zweifelsohne außerordentliche Anstrengungen erforderlich. Die vorliegende Analyse adressiert sowohl die kurzfristige politische Umsetzbarkeit als auch die langfristige Glaubwürdigkeit der Zielerreichung für die wichtigsten drei Szenarien des im September 2020 von der EU-Kommission vorgelegten Impact Assessments. Große Unterschiede sind bereits in den impliziten Regulierungsphilosophien erkennbar: Während REG „Alles auf Regulierung“ und CPRICE „Alles auf CO2-Bepreisung“ setzt, verspricht MIX „Das Beste aus beiden Welten“. In diesem Sinne handelt es sich bei REG und CPRICE also um Extremszenarien mit klaren Leitinstrumenten, die ein entsprechend geringes politisches Einigungspotenzial besitzen. Im Gegensatz dazu verfügt MIX über ein hohes Konsenspotenzial, was seine politische Umsetzbarkeit begünstigt. Insofern ist es nicht überraschend, dass sich in der öffentlichen Debatte zur Überarbeitung des regulatorischen Rahmens der Klimapolitik eine zunehmende Zustimmung für dieses Szenario abzeichnet. Doch der im MIX-Szenario angelegte Weg des geringsten Widerstands birgt langfristig die größten Risiken.
Die Risiken des MIX-Szenarios offenbaren sich vor allem im Kontrast zu den beiden Extremszenarien: Für deren jeweilige Umsetzung sind zwar unmittelbar große politische Anstrengungen entweder in Form der Duldung von hohen CO2-Preisen (CPRICE) und damit möglicherweise der Erreichung von Einstimmigkeit im Rat erforderlich oder die Verschärfung der Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten durch die EUKommission (REG) notwendig. Gelänge es allerdings, diese spezifischen Hürden zu überwinden, so könnte die in beiden Szenarien vorhandene Klarheit über das jeweilige Leitinstrument große Kohärenz und Glaubwürdigkeit für die Mitgliedstaaten erzeugen und letztlich auch Anreize für die notwendigen Investitionen aus der Wirtschaft befördern. Die strategische Wahl eines Leitinstruments erhöht die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung deutlich. Im Gegensatz dazu bleibt im Falle des MIX-Szenarios offen, wie die Kohärenz gewährleistet werden kann, gerade auch hinsichtlich der relativen Rolle von einander überlappenden und gegebenenfalls sogar gegenläufigen Steuerungsmechanismen (EU ETS und Lastenteilungsverordnung). Sollte die Kommission die EU-Klima- und Energiepolitik entlang von MIX weiter entwickeln, ohne die aus Überlappungen und bestehenden und neu entstehenden Inkohärenzen resultierende Minderung der Effektivität systematisch zu beseitigen, besteht ein erhebliches Risiko, dass die EU-Klimaziele verfehlt werden. In anderen Worten: Läuft MIX lediglich auf „mehr vom Gleichen“ hinaus, dann ist die Gefahr sehr groß, dass das Ergebnis nicht das „Beste aus zwei Welten“ sein wird, sondern vielmehr „das Schlechteste aus zwei Welten“. Das ist das Kernergebnis der vorhergehenden Analyse. Vor diesem Hintergrund ist es von entscheidender Bedeutung, dass das MIXSzenario als ein kohärentes und treffsicheres Gesamtpaket ausgestaltet wird: ein guter Mix ist ein kohärenter Politikmix, der nicht darauf baut, nach politischer Opportunität immer mehr Instrumente aufeinander zu stapeln – wie das in der Vergangenheit in der EU als auch in den Mitgliedstaaten häufig zu beobachten war. Nicht zuletzt kann dies zu ex-post-Korrekturen des energie- und klimapolitischen Rahmens führen (wie es beispielsweise bei der Einführung der Marktstabilitätsreserve im EU ETS der Fall war), welche die Komplexität der Steuerung und damit perspektivisch die Inkohärenz nur noch weiter erhöhen. Strukturell betrachtet müssen für einen guten MIX zwei Anforderungen erfüllt sein:
1. Es muss ein klares Regulierungsprinzip geben, nach dem die Instrumente aufeinander und auf die Klimaschutzziele ausgerichtet werden. Ein solches hätte zum Ziel sicherzustellen, dass sich einzelne Maßnahmen ergänzen und nicht gegenseitig schwächen oder vollständig konterkarieren. Grundsätzlich bietet sich dafür die Konstruktion rund um ein Leitinstrument zur Emissionsreduzierung an, an dem sich flankierende Instrumente ausrichten beziehungsweise daran anknüpfen. Die Rolle der flankierenden Instrumente würde darin bestehen, gezielt Hemmnisse und Marktversagen zu adressieren, die nicht vom Leitinstrument erfasst werden, sowie Infrastruktur aufzubauen.
2. Es muss ein kontinuierlicher Anpassungsmechanismus etabliert werden, der den Instrumentenmix im Hinblick auf die Einhaltung der Klimaschutzziele regelmäßig überprüft, fortentwickelt und gegebenenfalls an die sich ändernden Rahmenbedingungen anpasst. Damit dies möglich ist, gilt es zunächst, das Ziel und den erwarteten Beitrag jeder einzelnen Maßnahme im Instrumentengefüge klar zu definieren. Für das Monitoring müssen dann überprüfbare – an Klimaschutz orientierte – Indikatoren festgelegt werden. Die bisherigen Impact Assessments der EU-Kommission können hierfür eine Grundlage bilden; sie müssten aber weiterentwickelt werden, damit sie den gesamten Instrumentenmix und seine Interaktionen in den Blick nehmen können. Ferner könnte an der Überprüfung und Anpassung des Instrumentenmixes auch ein unabhängiger wissenschaftlicher Beirat beteiligt werden.
Welche konkreten Konstruktionsprinzipien und Steuerungsmechanismen für das Erreichen der EU-Klimaziele besonders zielführend sind, wird in Wissenschaft und Politik kontrovers diskutiert. Gerade im Hinblick auf praktisch umsetzbare Konzepte besteht darüber hinaus noch wesentlicher Bedarf an innovativen Vorschlägen und entsprechender Forschung. Klar ist jedoch, dass die Kosten des Klimaschutzes mit höheren Ambitionen stark ansteigen werden. Kosteneffizienz wird daher wichtiger, um die gesellschaftliche Akzeptanz für Klimaschutz zu erhalten. Vor diesem Hintergrund sollte ein „guter Mix“ nicht als statisches Maßnahmenpaket gedacht werden, sondern von Anfang an als eine Sequenz, in der sich die relative Bedeutung einzelner Instrumente im Zeitablauf verändert. So können regulative Maßnahmen in solchen Bereichen – für einen Anfangszeitraum – flankierend eingesetzt werden, in denen ein CO2-Preis neu eingeführt wurde oder noch gar nicht wirksam ist. In dem Maße, wie Hemmnisse für die Wirkung eines CO2-Preises abgebaut werden können und klimafreundliche Technologien am Markt verfügbar werden, sollte der CO2-Preis gestärkt und der Einsatz von regulatorisch-flankierenden Instrumenten verringert werden. So kann gewährleistet werden, dass ein CO2-Preis die sozialen Kosten der Klimaschäden reflektiert und damit als kosteneffizientes Leitinstrument wirken kann.
Das vorliegende Ariadne-Kurzdossier wurde von den im Folgenden Autorinnen und Autoren des Ariadne-Konsortiums ausgearbeitet. Er spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des gesamten Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider. Die Inhalte der Ariadne-Publikationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erstellt.
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Autorinnen & Autoren
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung & Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change
Dr. Ulrich Fahl
Universität Stuttgart - Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung