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Zusammenfassung

  1. Das neue Emissionshandelssystem für Gebäude und Straßenverkehr — das sogenannte ETS (Emissions Trading System) 2 —, das von der Europäischen Kommission im Rahmen des Fit für 55-Paketes vorgeschlagen wird, ist ein Schlüsselelement zur Dekarbonisierung dieser beiden Sektoren. Ein einheitlicher EU-weiter CO2-Preis hat jedoch erhebliche Auswirkungen auf die Verteilungswirkungen — sowohl zwischen als auch innerhalb der EU-Mitgliedstaaten. Die Bewältigung dieser Auswirkungen in einer solidarischen und gerechten Weise, ist von größter Bedeutung, um dem ETS2 und seinem Preissignal die notwendige politische Tragfähigkeit und dauerhafte Glaubwürdigkeit zu verleihen.
  2. Zu diesem Zweck hat die Kommission die Einrichtung eines Klima-Sozialfonds (Social Climate Fund, SCF) vorgeschlagen.1Am 8. Juni 2022 stimmte das Europäische Parlament über den SCF-Vorschlag sowie über die vorgeschlagenen Änderungen ab. Das EP lehnte den Bericht über die Revision des EU-ETS ab und verwies ihn an den ENVI-Ausschuss zurück. Die Schlussabstimmung über den SCF wurde vertagt, bis eine Einigung über die ETS-Überprüfung erzielt worden ist. Siehe https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20220603IPR32130/fit-for-55-environment-committee-to-work-on-way-forward-on-carbon-pricing-laws Dieser Vorschlag stützt sich zwar auf Daten, die von der Kommission für eine entsprechende Analyse zusammengetragen wurden2Siehe den Abschnitt „Einholung und Nutzung von Expertenwissen“ im SCF-Vorschlag (KOM(2021) 568 endgültig)., jedoch wurde noch keine spezifische Folgenabschätzung vorgenommen. Andere Studien haben einige der Gestaltungsaspekte — insbesondere die Verteilungseffekte der CO2-Bepreisung auf Haushalte — analysiert, aber die wichtigsten Gestaltungsentscheidungen wurden noch nicht systematisch untersucht. Insbesondere muss ein Verständnis vorhanden sein für: (1) die Vor- und Nachteile der verschiedenen Gestaltungsoptionen und (2) die Wechselwirkungen mit anderen Richtlinien und Vorschriften auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten. Die vorliegende Studie füllt diese Lücke für drei besonders wichtige Entscheidungen, die weitreichende Folgen für das Politikpaket insgesamt haben können:
  3. Die erste Gestaltungsentscheidung betrifft die institutionelle Struktur und die allgemeine Regelungsebene des Fonds, um die Auswirkungen der Verteilung zu steuern. Obgleich der SCF grundsätzlich in der Lage zu sein scheint, die angedachte Funktion zu erfüllen, gibt es Bedenken, ob der SCF auf EU-Ebene oder auf Ebene der Mitgliedstaaten eingerichtet werden sollte. Vor diesem Hintergrund vergleicht dieser Bericht den SCF mit drei anderen Gestaltungsoptionen, die sich hinsichtlich ihrer Positionierung zwischen nationaler und supranationaler Ebene unterscheiden.
  4. Die zweite Gestaltungsentscheidung betrifft die Wechselwirkung zwischen dem ETS2 und der Lastenteilungsverodnung (Effort Sharing Regulation, ESR). Generell kann das ETS2 die Verteilung der Emissionsminderungen von den vereinbarten ESR-Zielen weg verlagern, was entsprechende Wohlfahrtseffekte nach sich zieht.3Der Grund für diese mögliche Divergenz zwischen dem ETS2 und der ESR ist die interaktive und noch nicht vollständig spezifizierte Überschneidung eines Bottom-up- und eines Top-down-Systems: In einem „Bottom-up“-strukturierten ETS2-System handeln Unternehmen in der gesamten EU mit Zertifikaten für den Ausstoß von CO2. Die daraus resultierende Zuteilung von ETS2-Zertifikaten ist daher ein Marktergebnis, das durch unternehmensspezifische Vermeidungskosten bestimmt wird. Im Gegensatz dazu legt die „Top-down“-strukturierte ESR eine Aufteilung der Vermeidungslasten zwischen Mitgliedstaaten fest (über die „Jährliche Emissionszuteilung“ (AEA) definiert) und sieht den Handel mit AEA-Zertifikaten zwischen den Mitgliedstaaten vor. Um eine gerechte Lastenverteilung zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu gewährleisten, ist es von entscheidender Bedeutung, die Verteilung und den Fluss der Einnahmen aus dem Handel mit ESR-Zertifikaten (jährliche Emissionszuteilungen (Annual Emission Allocations, AEAs)) und ETS2-Zertifikaten zu steuern. In diesem Bericht wird anhand quantitativer Modelle analysiert, wie sich die Wohlfahrt verändern würde, wenn der AEA-Handel eingeschränkt und/oder der ETS2-Preis relativ hoch wäre.
  5. Die dritte Gestaltungsentscheidung betrifft das Finanzvolumen des SCF (oder eines alternativen Sozialtransfermechanismus): Wie groß muss es — im Hinblick auf den Anteil an den gesamten Auktionseinnahmen — sein, um angesichts unterschiedlicher Gerechtigkeitskriterien eine faire Entlastung für Haushalte in der ganzen EU zu gewährleisten? Dies ist wichtig, weil ein Kompromiss zwischen der Verwendung der Einnahmen für einen Sozialausgleich einerseits und der Finanzierung grüner Investitionen und Infrastrukturen andererseits gefunden werden muss. Darüber hinaus bringen die verschiedenen Formen des Ausgleichs unterschiedliche administrative Anforderungen und spezifische Herausforderungen mit sich. Dieser Bericht erörtert diese Fragen vor dem Hintergrund der SCF-Ausgabenkriterien — insbesondere im Hinblick auf mögliche Anpassungen, durch die eine Entlastung zielgerichteter werden würde.

Gestaltungsentscheidung 1: Institutionelle Struktur und Regelungsebene

Abbildung ES1: Institutionelle Gestaltungsoptionen für den sozialen Ausgleich eines neuen ETS2
  1. Der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene SCF ist nur eine von mehreren Gestaltungsoptionen, um das Ziel einer sozial ausgewogenen Implementierung des ETS2 zu erreichen — und möglicherweise nicht die beste. Hinsichtlich der Fragen, (1) wem eine Entlastung zustehen soll, (2) wer für die Entlastung verantwortlich sein soll, und (3) wer die Ausgaben kontrollieren soll sind Alternativen denkbar.
  2. Das Ziel des SCF, übermäßige Belastungen durch das ETS2 zu verhindern, ist zweifellos richtig und wichtig. Dennoch hat der Vorschlag eine Kontroverse ausgelöst, weil die Verteilungseffekte des Klimawandels sehr grundlegende und sensible Grundsatzfragen berühren, nämlich die europäische Solidarität (zwischen den Mitgliedstaaten) und die Idee des Wohlfahrtsstaates (innerhalb jedes Mitgliedstaates). Darüber hinaus verlangt das Subsidiaritätsprinzip, dass die EU nur dann tätig wird, wenn und soweit die Ziele der vorgeschlagenen Maßnahme durch die Mitgliedstaaten nicht genügend/ausreichend erreicht werden können.
  3. In Anbetracht dieser Spannungsfelder lohnt es sich zu prüfen, wie das Ziel des aktuellen SCF-Vorschlags, „niemanden zurückzulassen“, am besten erreicht werden kann. Dazu werden vier Gestaltungsoptionen verglichen, von denen jede die Durchführung des jeweiligen Programms auf einer anderen Stufe des Kooperations-Subsidiaritäts-Spektrums ansiedelt. Abbildung ES1 veranschaulicht diese vier Optionen, die von extremer Zusammenarbeit („Scheck aus Brüssel“) bis zu extremer Subsidiarität („Keine Einmischung der EU“) reichen. Dazwischen befinden sich zwei gemäßigte Optionen.
  4. Anhand von acht Leitfragen4(1) Woher stammen die Mittel? (2) Nach welchen Kriterien werden die Mittel zugeteilt? (3) Ist eine Kofinanzierung durch die Mitgliedstaaten erforderlich? (4) Wo werden die Mittel verwahrt? (5) Wer entscheidet über die Ausgaben? (6) Wurden die Ausgabenkriterien auf EU-Ebene festgesetzt? (7) Wie werden die Ausgaben kontrolliert und geregelt? (8) Wie werden die Mittel ausgezahlt? beschreiben wir den SCF-Vorschlag im Hinblick auf seine institutionellen Merkmale und vergleichen ihn mit den drei in Abbildung ES1 dargestellten alternativen Ansätzen. Bei den beiden „Randlösungen“ weist unsere Analyse auf eklatante Schwächen sowohl in konzeptioneller als auch in praktischer Hinsicht hin, was bedeutet, dass sie keine praktikablen Lösungen darstellen. Ein Blick auf diese Optionen ist dennoch sinnvoll, da Vorschläge in dieser Richtung auf dem Tisch liegen. Im zweiten Schritt der Analyse wird dann der Vorschlag der Kommission für einen Klima-Sozialfonds einer alternativen Option gegenübergestellt: einem „Klima-Sozialmechanismus“ (Social Climate Mechanism, SCM). Ein zentraler Gedanke des „Klima-Sozialmechanismus“ ist, dass das Ziel des sozialen Ausgleichs durch klar definierte Regeln und Verfahrensweisen erreicht werden kann, ohne dass auf den EU-Haushalt zurückgegriffen werden muss. Dadurch werden einige politische, rechtliche und administrative Hürden gemieden.
  5. Ein Hauptergebnis unserer Analyse ist, dass die Qualität der Implementierung und der Grad der Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten sowohl für das Funktionieren des SCF als auch des SCM entscheidend ist. Unter der Annahme einer optimalen Implementierung und einer loyalen/vertrauensvoll Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten könnte der SCF die bessere Option sein, da er seine Ziele mit größerer Wahrscheinlichkeit erreicht. Der Alternativvorschlag eines SCM ist in Bezug auf Präzision und Stabilität weniger ambitioniert, ermöglicht aber eine schlankere Struktur und ein höheres Maß an Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten. Letztendlich ist es eine Frage der politischen Präferenz, die das Gleichgewicht zugunsten des SCF oder des SCM verschiebt.

Gestaltungseintscheidung 2: Wechselwirkung zwischen ETS2 und ESR

Abbildung ES2: Überblick über die Wechselwirkungen zwischen ESR und ETS
Bestehende Unsicherheiten im Ergebnis der Verordnung, und mögliche Auswirkungen auf die Kosteneffizienz und die Verteilungswirkungen des Fit für 55-Paketes.
Abbildung ES3: Wohlfahrtveränderungen pro Kopf
Im Vergleich zum Basisfall mit AEA-Handel und einem niedrigen ETS2-Preis.
Anmerkung: Für eine kurze Beschreibung des Modells siehe den Kasten unten; die einzelnen Szenarien werden in den folgenden Abschnitten beschrieben.
  1. Die Wechselwirkung zwischen der ESR und dem ETS2 im Fit für 55-Vorschlag bringt Unsicherheiten in dreierlei Hinsicht mit sich: Der AEA-Handel könnte begrenzt bleiben; der ETS2-Preis ist ungewiss; und es ist unklar, wie die Aufteilung der Einnahmen zwischen den Mitgliedstaaten auf veränderte ETS2-Preise reagieren wird (Abbildung ES2).
  2. Wenn diese Unsicherheiten bei der politischen Ausgestaltung nicht angemessen berücksichtigt werden, so könnten sie die Stabilität der Architektur der EU-Klimapolitik untergraben. Unsere Analyse fördert zwei Hauptrisiken zu Tage: Erstens wird ein ausbleibender AEA-Handel die Kosten der Klimapolitik für fast alle Mitgliedstaaten in die Höhe treiben (linkes Feld in Abbildung ES3) und damit das Erreichen des Emissionsziels der EU erschweren. Zweitens wird ein höherer ETS2-Preis vermutlich Auswirkungen auf die Kostenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten haben, die im Widerspruch zur ESR stehen (rechtes Feld in Abbildung ES3), wenn die Sozialtransfermechanismen nicht entsprechend skaliert werden. In diesem Fall würden (vor allem) ärmere Mitgliedstaaten unter höheren Wohlfahrtskosten leiden, während (vor allem) die reicheren Mitgliedstaaten von niedrigeren Wohlfahrtskosten profitieren würden. Beides könnte die politische Akzeptanz der Klimaziele der EU untergraben.
  3. Um die politische Stabilität des Fit für 55-Paketes zu erhöhen, schlagen wir vor, (i) den AEA-Handel zu intensivieren und (ii) sicherzustellen, dass die relative Verteilung der ETS2-Einnahmen zwischen den Mitgliedstaaten unabhängig vom ETS2-Preis erfolgt. Das heißt, die Sozialtransfermechanismen müssen entsprechend skaliert werden.

Gestaltungsentscheidung 3: Verteilungswirkungen und Transfer

Abbildung ES4: Energieintensive Verbraucher in der EU nach Einkommensdezil
Abbildung ES5: Anteil der erforderlichen Auktionseinnahmen, um (a) alle energieintensiven Verbraucherinnen und Verbraucher und (b) alle Verbraucherinnen und Verbraucher von ihren zusätzlichen Energiekosten aufgrund eines CO2-Preises zu entlasten. Quelle: eigene Berechnungen.
  1. Auf EU-Ebene wären die Auswirkungen des ETS2 leicht regressiv. Das heißt, einkommensschwache Haushalte würden im Durchschnitt einen höheren Anteil ihres verfügbaren Einkommens ausgeben, um ihren Energieverbrauch konstant zu halten. Die Verwendung der Einnahmen aus der Auktion von Genehmigungen kann die Verteilungswirkung des ETS2 jedoch progressiv werden lassen.
  2. Die Verwendung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung in einer Form, die allen EU-Bürgern in gleicher Weise zugute kommt (zum Beispiel durch direkte Transfers, Steuersenkungen oder Infrastrukturinvestitionen), kann einkommensschwachen Haushalten Vorteile verschaffen, die höher als ihre zusätzlichen Energiekosten sind, so dass sie durch die Rückverteilung der ETS2-Erlöse besser gestellt werden.
  3. Während einkommensschwache Haushalte im Durchschnitt profitieren würden, würde ein CO2-Preis für energieintensive Verbraucherinnen und Verbraucher, bei denen die Energieausgaben einen großen Teil der Ausgaben ausmachen, das Risiko der Energiearmut mit sich bringen (Abbildung ES4). Haushalte in Bulgarien, Ungarn, Polen und Rumänien wären am stärksten von Energiearmut bedroht.
  4. Gezielte Maßnahmen können Energiearmut bei einkommensschwachen Haushalten verhindern. Transfers in Höhe von etwas mehr als 10 % der Auktionseinnahmen würden ausreichen, um alle energieintensiven Verbraucherinnen und Verbraucher in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung von ihren zusätzlichen Energiekosten zu entlasten (Abbildung ES5). Für Transferzahlungen an alle Haushalte in diesem Einkommenssegment würde man jedoch mehr als 30 % der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung benötigen.
  5. Wenn Verteilungsziele durch eine Senkung der Energiepreise erreicht werden, verringert das auch die Anreize zur Emissionsminderung. Maßnahmen, die es insbesondere vulnerablen Gruppen ermöglichen, sich an höhere Energiepreise anzupassen, wie der Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs oder die Förderung von Wärmepumpen, sind aus ökologischer wie auch aus sozialer Sicht wirksam. Die Implementierung solcher Maßnahmen vor dem Inkrafttreten des ETS2 kann dazu beitragen, soziale Härten abzufedern.

1. Einleitung

Das neue Emissionshandelssystem für Gebäude und Straßenverkehr — das sogenannte ETS2 —, das im Rahmen des Fit für 55-Paketes vorgeschlagen wird, ist ein Schlüsselelement zur Dekarbonisierung dieser beiden Sektoren. Es wird Brennstofflieferanten verpflichten, Emissionszertifikate für den Treibhausgasgehalt (THG-Gehalt) der Brennstoffe zu erwerben, die sie an Kunden in diesen Sektoren liefern. Das ETS2 schafft somit einen technologieneutralen CO2-Preis, der Anreize zur Dekarbonisierung der Produktionsprozesse und zur Förderung von Investitionen und Innovationen im Hinblick auf das EU-Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 bietet.5Darüber hinaus wäre das ETS2 ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem einheitlichen CO2-Preis innerhalb Europas, der die internationale Zusammenarbeit in Form eines globalen CO2-Preisregimes fördern dürfte (Edenhofer et al. 2021)

Ein einheitlicher EU-weiter CO2-Preis wird jedoch Verteilungswirkungen auf Haushaltsebene, sowohl zwischen als auch in den EU-Mitgliedstaaten, haben (siehe Abbildung): Haushalte mit geringem Einkommen geben tendenziell einen höheren Anteil ihres verfügbaren Einkommens für den Energieverbrauch aus. Dies wirft die Frage nach sozialer Gerechtigkeit und der Vermeidung regressiver Auswirkungen des CO2-Preises auf die Einkommensverteilung auf (das heißt, eine höhere relative Belastung der einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen). Dementsprechend sind Mitgliedstaaten mit einem relativ hohen Anteil an einkommensschwachen Haushalten überproportional von einem einheitlichen CO2-Preis betroffen — vor allem, wenn sie nicht über die finanziellen Mittel oder institutionellen Kapazitäten verfügen, um diese Haushalte durch Sozialpolitik und Sozialtransfers zu entlasten.

Daraus erschließt sich die Notwendigkeit eines Mechanismus, der die Verteilungseffekte des ETS2 auf eine Weise ausgleicht, die soziale Gerechtigkeit in den — und Solidarität zwischen den — EU-Mitgliedstaaten gewährleistet. Ein solcher Mechanismus sorgt bei Einführung des ETS für mehr Akzeptanz und macht es für schwankende Energiepreise weniger anfällig. Damit gewinnt es an politischer Tragfähigkeit und schafft einen stringenten und glaubwürdigen CO2-Preis. Die Verwendung und (Um-)Verteilung von Einnahmen aus der Auktion von ETS-Zertifikaten zwischen und in den Mitgliedstaaten wird dabei eine zentrale Rolle spielen. Dementsprechend sind die Regeln für die Verteilung der Zertifikate zwischen den Mitgliedstaaten und die Kriterien für die Verwendung der daraus resultierenden Einnahmen die zentralen politischen Hebel, für die diskutierten
Ausgestaltungsoptionen.

Abbildung 1: Verteilungseffekte eines CO2-Preises zwischen und in den Ländern (ohne Umverteilung der Einnahmen)
Quelle: Frederikkson & Zachmann (2021)

Die Kommission hat vorgeschlagen, diese Hebel durch die Schaffung eines speziellen Klima-Sozialfonds (SCF) zu institutionalisieren.6https://ec.europa.eu/clima/eu-action/european-green-deal/delivering-european-green-deal/social-climate-fund_en Seine wichtigsten Merkmale sind: (1) Ein Gesamtfinanzrahmen für den Zeitraum 2025-2032 von 72,2 Mrd. € in derzeitigen Preisen — was 25 % der erwarteten ETS-Einnahmen entspricht —, der über den mehrjährigen Finanzrahmen (Multiannual Financial Framework, MFF) der EU finanziert werden soll. Das erfordert ein „Vorfinanzierungsjahr“, um einen reibungslosen Übergang zum ETS2 zu gewährleisten. (2) Eine Formel für die maximale finanzielle Zuteilung aus dem SCF an jeden Mitgliedstaat. (3) Klima-Sozialpläne (Social Climate Plans, SCP), die von der Kommission zu beurteilen sind und in denen die Mitgliedstaaten die über den SCF zu finanzierenden Maßnahmen, deren voraussichtliche Kosten, Meilensteine und Ziele darlegen. Im Fall einer Genehmigung kann der SCF bis zu 50 % der gesamten SCP-Kosten finanzieren. Der Rest wird aus den nationalen Haushalten der Mitgliedstaaten bestritten.

Der Vorschlag stützt sich zwar auf Daten, die von der Kommission für eine entsprechende Analyse zusammengetragen wurden,7Siehe den Abschnitt „Einholung und Nutzung von Expertenwissen“ im SCF-Vorschlag (KOM(2021) 568 endgültig). doch wurde noch keine spezifische Folgenabschätzung vorgenommen. Andere Studien haben einige Gestaltungsaspekte — vor allem die Verteilungseffekte der CO2-Bepreisung auf Haushalte — analysiert, aber die wichtigsten Gestaltungsentscheidungen müssen noch systematisch untersucht werden. Insbesondere muss ein Verständnis vorhanden sein für: (1) die Vor- und Nachteile der verschiedenen Gestaltungsoptionen und (2) die Wechselwirkungen mit anderen Richtlinien und Vorschriften auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten. Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit drei Gestaltungsoptionen, die weitreichende Folgen für das Politikpaket insgesamt haben können:

Die erste Gestaltungoptionen betrifft die institutionelle Struktur und die allgemeine Regelungsebene des Mechanismus, um die Verteilungswirkungen des ETS2 zu steuern. Obgleich der SCF grundsätzlich in der Lage zu sein scheint, diese Funktion zu erfüllen, macht man sich Gedanken, ob die Umverteilung auf EU-Ebene (wie im SCF-Vorschlag vorgesehen) oder auf Ebene der Mitgliedstaaten erfolgen sollte. Vor diesem Hintergrund vergleicht dieser Bericht den SCF mit drei anderen Gestaltungsoptionen, die sich hinsichtlich ihrer Positionierung zwischen nationaler und supranationaler Ebene unterscheiden.

Die zweite Gestaltungsoption betrifft die Wechselwirkung zwischen dem ETS2 und der Lastenteilungsverordnung (ESR), die verbindliche jährliche Emissionsziele für die EU-Mitgliedstaaten festlegt, die sich unter anderem auf die Emissionen des Straßenverkehrs und von Gebäuden beziehen.8https://ec.europa.eu/clima/eu-action/effort-sharing-member-states-emission-targets_en Wenn der Preis für ETS2-Zertifikate relativ hoch ist, so besteht für Mitgliedstaaten mit relativ wenig ambiti-onierten ESR-Zielen die Gefahr, diese Ziele zu überbieten. Um die in der ESR vereinbarte Lastenverteilung beizubehalten, müssen die Verteilung und der Fluss der Einnahmen aus dem Handel mit jährlichen Emissionszuteilungen (AEAs) (die die Anzahl und Verteilung der ESR-Zertifikate bestimmen) und der Versteigerung von ETS2-Zertifikaten zwischen den Mitgliedstaaten zwingend gesteuert werden. Darum analysiert dieser Bericht, wie sich die Wohlfahrt verändern würde, wenn — im Gegensatz zu den Beurteilungsannahmen der Europäischen Kommission — der AEA-Handel begrenzt und/oder der ETS2-Preis relativ hoch wäre.

Auf der Grundlage von Ergebnissen eines quantitativen Modells diskutieren wir verschiedene Optionen, wie die ETS2-Zuteilungs- und -Marktregeln angepasst werden könnten, um die Tragfähigkeit der Lastenteilung zwischen den Mitgliedstaaten angesichts einer unsicheren Wechselwirkung zwischen ETS2 und ESR zu erhöhen.

Die dritte Gestaltungsoption betrifft die Frage, wie groß der Anteil an den gesamten Auktionseinnahmen des SCF (oder eines alternativen Mechanismus) sein muss, um angesichts unterschiedlicher Gerechtigkeitskriterien eine angemessene Entlastung für die Haushalte in der EU zu gewährleisten. Dies ist wichtig, weil ein Kompromiss zwischen der Einnahmenverwendung für eine Entlastung einerseits und für die Finanzierung grüner Investitionen und Infrastrukturen andererseits gefunden werden muss.

Darüber hinaus bringen alternative Formen des Ausgleichs unterschiedliche administrative Anforderungen und spezifische Herausforderungen mit sich. Dieser Bericht erörtert diese Fragen vor dem Hintergrund der SCF-Ausgabenkriterien – insbesondere im Hinblick auf mögliche Anpassungen, durch die eine Entlastung zielgerichteter werden würde.

2. Institutionelle Optionen zur Gewährleistungvon Solidarität und sozialer Gerechtigkeit: Sozialfonds und Alternativen

N. aus dem Moore, B. Görlach, F. Pause, J. Nysten, J. Brehm

Der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene SCF ist nur eine von verschiedenen Gestaltungsoptionen, um das Ziel einer sozial ausgewogenen Implementierung des ETS2 zu erreichen – und möglicherweise nicht die beste. Dieser Abschnitt beschreibt den SCF-Vorschlag im Hinblick auf seine institutionellen Merkmale und vergleicht ihn mit drei alternativen Ansätzen. Zwei davon markieren die theoretischen Extreme eines Spektrums denkbarer Optionen. Die dritte ist ein vorgeschlagener Klima-Sozialmechanismus (SCM) – eine moderate und praktikable Alternative zum SCF.

Verschiedene Wege zum selben Ziel

Es besteht ein breiter Konsens, dass die Klimapolitik sozial ausgewogen sein muss. Wie Frans Timmermans feststellte: „Entweder wird es einen gerechten Übergang geben, oder es wird gar keinen Übergang geben“.9Bemerkung von Exekutiv-Vizepräsident Frans Timmermans beim informellen Umweltrat am 1. Oktober 2020. Die konkreten Entscheidungen, wem eine Entlastung zustehen, wer für die Entlastung verantwortlich sein, und wer die Ausgaben kontrollieren soll, bleiben jedoch kontrovers. Mit ihrem Vorschlag für einen SCF hat die Europäische Kommission ihre Idee für eine an diesem Zweck ausgerichtete Regelungsstruktur vorgelegt. Dieser Vorschlag zog sowohl Lob als auch Kritik auf sich, da er ein fundamentales Spannungsfeld zwischen den Grundwerten und Prinzipien der EU berührt:

  • Die EU stützt sich auf die Solidarität zwischen Mitgliedstaaten, wie in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (TEU) festgelegt ist, und innerhalb jedes Mitgliedstaates. Die Idee des Wohlfahrtsstaates kann die Förderung von Sozialschutz und sozialer Eingliederung umfassen.
  • Auf der Ebene der ordnungspolitischen Intervention und Implementierung schreibt Artikel 5 des TEU das Subsidiaritätsprinzip fest, wonach die EU in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig wird, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können. Laut Artikel 4 (3) des TEU arbeiten die EU und die Mitgliedstaaten jedoch loyal zusammen, um die Ziele der Union zu erreichen.
Abbildung 2: Institutionelle Gestaltungsoptionen für den sozialen Ausgleich

Je nach dem gewünschten Gleichgewicht zwischen Subsidiarität und Zusammenarbeit kann die Regelung stärker auf die EU-Ebene oder auf die Ebene der Mitgliedstaaten konzentriert werden. Entsprechend veranschaulicht Abbildung 2 vier mögliche Gestaltungsoptionen für den sozialen Ausgleich des neuen ETS2, die von extremer Zentralisierung („Scheck aus Brüssel“) bis zu extremer Subsidiarität („Keine Einmischung der EU“) reichen. Dazwischen befinden sich zwei moderate Optionen.

Beschreibung und Analyse verschiedener Optionen

Methodik
Die Analyse vergleicht Institutionen auf der Grundlage rechtlicher, politikwissenschaftlicher und wirtschaftlicher Überlegungen. Um die Analyse zu strukturieren und transparent zu machen, wurde ein vereinheitlichter Rahmen um die folgenden acht Leitfragen herum gezogen:

  1. Woher stammen die Mittel?
  2. Nach welchen Kriterien werden die Mittel zugeteilt?
  3. Ist eine Kofinanzierung durch die Mitgliedstaaten erforderlich?
  4. Wo werden die Mittel verwahrt?
  5. Wer entscheidet über die Ausgaben?
  6. Wurden die Ausgabenkriterien auf EU-Ebene festgesetzt?
  7. Wie werden die Ausgaben kontrolliert und geregelt?
  8. Wie werden die Mittel ausgezahlt?

Die Analyse der vier Optionen folgte acht Leitfragen, die im Kasten „Methodik“10Siehe Tabellen A2.1, A2.2 und A2.3 im Anhang für eine detaillierte Übersicht über die jeweiligen Gestaltungsmerkmale. unten aufgeführt sind. Sie wurde in zwei Schritten durchgeführt:

  1. Im ersten Schritt werden die beiden „Randlösungen“, das heißt die Extrempositionen, betrachtet. Für diese weist die Analyse auf eklatante (konzeptionelle und praktische) Schwächen hin, was bedeutet, dass sie keine praktikablen Lösungen darstellen. Ein Blick auf diese Optionen ist dennoch sinnvoll, da Vorschläge in dieser Richtung vorgeschlagen wurden/auf dem Tisch liegen.
  2. In einem zweiten Schritt werden die beiden in politischer, rechtlicher oder administrativer Hinsicht ausgewogeneren Ansätze näher beleuchtet. In diesem Schritt wird der SCF-Vorschlag der Kommission unserer alternativen SCM-Option gegenüber gestellt. Ein zentraler Gedanke der SCM-Option ist, dass das Ziel des sozialen Ausgleichs durch klar definierte Regeln und Verfahrensweisen erreicht werden kann, ohne dass auf den EU-Haushalt zurückgegriffen werden muss. Dadurch werden einige politische, rechtliche und administrative Hürden gemieden.
OptionI
„Scheck aus Brüssel“
II
SCF
III
SCM
IV
„Keine Einmischung der EU“
BeschreibungDie Ausgleichsregelungen werden vollständig auf EU-Ebene getroffen (Implementierung, Administration und Kontrolle)Kommissionsvorschlag zum Ausgleich der Auswirkungen des ETS2 durch einen speziellen EU-FondsAlternativvorschlag ohne Rückgriff auf den EU-Haushalt, stattdessen über die Haushalte der Mitgliedsstaaten organisiertDer Ausgleich erfolgt vollständig auf der Ebene der Mitgliedstaaten
AnalyseSchritt 1Schritt 2Schritt 2Schritt 1

Schritt 1: Vergleich von Option I („Scheck aus Brüssel“) mit Option IV („Keine Einmischung der EU“)

Die beiden Randlösungen markieren zwei Extreme: die Zuständigkeit für den Ausgleich liegt vollständig in Brüssel, bzw. die Zuständigkeit verbleibt vollständig bei den Mitgliedstaaten.11Tabelle A2.1 im Anhang zeigt, wie sich diese Optionen im Licht der acht Leitfragen darstellen. In beiden Fällen fallen die Einnahmen aus dem ETS2 zunächst auf der Ebene der Mitgliedstaaten an. Bei Option I würden diese Einnahmen dann vollständig in den EU-Haushalt fließen, während sie bei Option II vollständig auf der nationalen Ebene verbleiben würden. Diese beiden Optionen ziehen zwangsläufig weitere Unterschiede nach sich, wie zum Beispiel bei der Entscheidungshoheit über die Ausgaben, bei der Frage nach verbindlichen Kriterien, und in Bezug auf alternative Auszahlungsmodalitäten.

Die erste Option, „Scheck aus Brüssel“, basiert auf der Prämisse, dass die EU für einen Ausgleich sorgen sollte, wenn sie europäischen Haushalten eine zusätzliche Belastung auferlegt. Für einen Ausgleich durch die EU gibt es analoge Beispiele in anderen Ländern und Rechts-ordnungen (zum Beispiel British Columbia, Kanada oder der Schweiz).12Siehe zum Beispiel Haug et al. (2018) und Santikarn et al. (2019). Dort wird der Ausgleich durch eine direkte Überweisung an Haushalte oder sogar durch einen Scheck auf dem Postweg gewährt. Dadurch soll die Ausgleichszahlung möglichst transparent dargestellt werden.

Diese Option verspricht eine Reihe von Vorteilen: Sie könnte dazu beitragen, den üblichen Hang zum Finden eines Sündenbocks zu vermeiden, bei dem sich die nationalen Regierungen europäische Erfolge zuschreiben, aber bei unpopulären Entscheidungen auf Brüssel verweisen. Diese Option würde damit zu einer positiveren Wahrnehmung der EU führen. Darüber hinaus könnte es das Risiko von fehlgeleiteten Ausgaben in den Mitgliedstaaten verringern und der Versuchung von Mitgliedstaaten entgegenwirken, national Sozialhilfen durch EU-Mittel zu substituieren; und schließlich würde es das weitgehende Ausschalten der nationalstaatlichen Ebene bei der Verteilung der Mittel ermöglichen, die Gelder gezielt für die vulnerabelsten Gruppen in Europa einzusetzen — unabhängig davon, in welchem Land sie leben.

Mit dieser Option sind jedoch auch erhebliche Nachteile und Risiken verbunden:

  • Der Ausgleich für die CO2-Bepreisung wird Teil des EU-Haushalts und des MFF, so dass alle Ausgabenentscheidungen Einstimmigkeit erfordern. Die MFF-Verhandlungen sind schon jetzt äußerst schwierig und führen häufig zu späten Vereinbarungen. Es erscheint riskant, diesen Prozess noch komplizierter zu machen. Darüber hinaus würde die Vereinbarung der Ausgabenkriterien auf EU-Ebene denselben umfangreichen Verhandlungsprozessen unterliegen, die derzeit die MFF-Beratungen kennzeichnen. Das schränkt die Flexibilität der Mittelverwendung ein.
  • Die direkte Verteilung von EU-Mitteln an die Bürgerinnen und Bürger würde den Aufbau einer sehr umfangreichen (und fähigen) europäischen Bürokratie für Sozialpolitik erfordern, die es bisher noch nicht gibt. Dieses Problem darf nicht unterschätzt werden. Selbst nationale Behörden verfügen nicht zwangsläufig über alle relevanten Informationen über ihrer Bürgerinnen und Bürger (unter anderem aktuelle Adressen und Bankverbindungen). Die Erhebung dieser Informationen würde daher wahrscheinlich 27 verschiedene Herangehensweisen umfassen, was komplexe Auswirkungen auf den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre hätte. Der Aufbau einer solchen Bürokratie auf EU-Ebene kann — abgesehen von den gewaltigen Kosten — auch unter dem Gesichtspunkt des Subsidiaritätsprinzips problematisch sein, da es keinen erkennbaren Vorteil bringt, die EU auf das Gesamtziel der Einnahmenverteilung anzusetzen. Darüber hinaus verfügt die EU nicht über die notwendigen Instrumente, um einen Ausgleich durch andere Maßnahmen — zum Beispiel durch die Senkung von Steuern oder Gebühren — herbeizuführen.
  • Und schließlich erfordert die Verwirklichung dieser Option ein gewisses Maß an gutem Willen (oder Phantasie) in Bezug auf die politisch-wirtschaftliche Motivation der Akteure: Es ist ein oft beschriebenes Phänomen, dass nationale Regierungen gern die Lorbeeren für positiv wahrgenommene (soziale) Maßnahmen einheimsen, aber im Gegenzug Brüssel zum Sündenbock für unpopuläre Entscheidungen machen. Vor diesem Hintergrund ist es schwer vorstellbar, dass die nationalen Regierungen die Anerkennung und das Lob für die soziale Ausgewogenheit des ETS2 einfach an die EU abtreten würden.

Die andere extreme Option — „Keine Einmischung der EU“ — verkörpert die Vorstellung, dass die Sozialpolitik ohne jeden europäischen Beitrag in der allei-nigen Verantwortung der Mitgliedstaaten liegen soll.13Es gibt in der Tat Stimmen, die sich gegen einen von der EU gestalteten sozialen Ausgleich im Rahmen des ETS2 aussprechen und fordern, dass jegliche Beteiligung rein freiwillig und auf der Ebene der Mitgliedstaaten erfolgen sollte (vgl. Schmidt und Frondel 2022). Da das ETS2 neue Verteilungswirkungen hervorruft, können und sollten diese Auswirkungen — so die Überlegung — von den Mitgliedstaaten im Rahmen der bestehenden nationalen Strukturen gesteuert werden. Alle EU-Mitgliedsstaaten haben soziale Wohlfahrtssysteme und -strukturen entwickelt. Aber der Grad der Umverteilung und der sozialen Sicherheit, den sie erreichen, ist sehr unterschiedlich. Dies ist jedoch nicht unbedingt ein Problem. Die Mitgliedstaaten entscheiden sich für die Regelungen, die den Präferenzen ihrer Wählerschaft am besten entsprechen, und die EU hat weder das Mandat noch die Instrumente, daran etwas zu ändern.14Diese Option hat auch einen rechtlichen Aspekt: Es gibt zwar kein Mandat, EU-weit harmonisierte Sozialsysteme einzuführen. Aber die EU verfügt über nicht-ausschließliche Befugnisse, die Aktivitäten der Mitgliedstaaten im Bereich der Sozialpolitik zu unterstützen und zu ergänzen (Art. 151, 153 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union [Treaty on the Functioning of the European Union, TFEU]). Wenn jedoch der Zweck und der Schwerpunkt einer Maßnahme der Klimaschutz ist, so ist in erster Linie die nicht-ausschließliche Umweltkompetenz der EU relevant. Wenn die EU von dieser Kompetenz Gebrauch macht und eine Maßnahme auf Art. 192 des TFEU stützt, so hat die EU bei der Festlegung und Durchführung ihrer Richtlinien und Tätigkeiten soziale Aspekte zu berücksichtigen (vgl. auch Art. 9 des TFEU). Bei der Frage der Umweltregulierung durch die EU muss die EU also auch die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Union insgesamt und die ausgewogene Entwicklung ihrer Regionen berücksichtigen (Art. 191 Abs. 3 des TFEU).

Es ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten wissen, wie sie die Einnahmen am besten für einen wirksamen Ausgleich verwenden können, einschließlich des Zusammenspiels mit bestehenden Sozialprogrammen. Sie sind auch am besten in der Lage, vulnerable Gruppen zu erkennen, und wissen, wie sie wirksam unterstützt werden können. Wo bereits nationale Mittel für einen gerechten Übergang vorhanden sind, könnten die ETS2-Einnahmen über diese Kanäle verteilt werden. Die Einnahmen aus den Auktionen von ETS2-Zertifikaten würden direkt an die Mitgliedstaaten gehen, die sie versteigert haben, und dort verbleiben. Das ähnelt weitgehend den bestehenden Regelungen für das derzeitige EU-ETS.

Es ist aber anzumerken, dass auch bei dieser Option die Verwendung der Einnahmen aus dem ETS2 durch die Mitgliedstaaten bestimmten Leitlinien unterliegen würde. Zwar gäbe es keine Beschränkungen für Verflechtung oder Kofinanzierung durch zusätzliche nationale Maßnahmen, aber zumindest wären die Zielbereiche für die Ausgaben grob definiert.15Es ist zu beachten, dass die Mitgliedstaaten laut der derzeitigen ETS-Richtlinie mindestens 50 % der ETS-Einnahmen für die Bekämpfung des Klimawandels, einschließlich der sozialen Aspekte, verwenden sollten (Art. 10(3); KOM-Vorschlag zur Überarbeitung der ETS-Richtlinie). Dennoch würden solche Kriterien den Mitgliedstaaten einen weitreichenden Ermessensspielraum bei der Auswahl der Finanzierungsziele einräumen, was ebenfalls Ähnlichkeiten zum derzeitigen ETS aufweist.16Das bedeutet, dass keine Verschärfung der Bedingungen im Vergleich zum Status quo mit der Option IV vereinbar ist und dass die im SCF-Vorschlag der Kommission formulierten Kriterien zurückgewiesen werden müssen.

Auch dieser Ansatz wäre mit erheblichen Risiken und Nachteilen verbunden:

  • Zumindest für einige Mitgliedstaaten wären unpräzise definierte Ausgabenkriterien nicht geeignet, die Ausgaben dorthin zu lenken, wo sie am dringendsten benötigt werden. Der größere Handlungsspielraum auf nationaler Ebene könnte das erfolgreiche Rent-Seeking einflussreicher Interessengruppen begünstigen oder bestehende Korruptions-probleme verschärfen, insbesondere, wenn die Kommission eine lockere Aufsicht über die nationalen Ausgaben ausübt.
  • Zweitens: Wenn die ETS2-Einnahmen in die nationalen Ausgleichs- oder Sozialsysteme fließen, drohen diese Einnahmen nationale Strukturausgaben zu ersetzen. Wenn die Mitgliedstaaten ihre nationalen Sozialausgaben mit wachsenden EU- Mitteln senken, so würden die aus dem ETS2 entstehenden (erwarteten) sozialen Ungleichgewichte unkorrigiert bleiben.
  • Drittens würde dieser Ansatz die Mitgliedstaaten aus politisch-ökonomischer Sicht geradezu auffordern, das oben beschriebene Sündenbock-Spiel fortzusetzen, indem sie die Schuld für die CO2-Bepreisung auf die EU abwälzen, während sie für sich in Anspruch nehmen, die Einnahmen auszugeben und soziale Unterstützung zu gewähren.

Alles in allem stellen diese Faktoren ein erhebliches Risiko von fehlgeleiteten Ausgaben (im Vergleich zu den erklärten Absichten) dar, was die Akzeptanz der CO2-Bepreisung als Instrument untergraben könnte.

Insgesamt stellen die Optionen I und IV darum Randlösungen/Extreme dar, die theoretisch funktionieren könnten, sofern viele angenommene Voraussetzungen erfüllt wären, die zeitgleich erhebliche politische, rechtliche, administrative und prozedurale Risiken bergen. Der nächste Analyseteil konzentriert sich auf die beiden Optionen der „Mitte“: den vorgeschlagenen SCF und eine alternative Regelung, den SCM.

Schritt 2: Vergleich von Option II (Klima-Sozialfonds) mit Option III (Klima-Sozialmechanismus)

Die beiden Optionen in der Mitte von Abbildung 2.1 — SCF und SCM — stellen zwei moderate Ansätze zur Stärkung einer sozial ausgewogenen EU-Klimapolitik dar.17Die Tabellen A2.1, A2.2 und A2.3 im Anhang zeigen, wie sich diese Optionen zu den acht Leitfragen verhalten.

Option II ist der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene SCF. Durch ihn werden die Verteilungseffekte des ETS2 über einen auf EU-Ebene eingerichteten speziellen Fonds ausgeglichen. Sein konkretes Ziel wäre die Unterstützung vulnerabler Haushalte, Kleinstunternehmen und Teilnehmer/innen am Straßenverkehr durch befristete direkte Einkommensbeihilfen sowie durch Maßnahmen und Investitionen zur Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden, zur Dekarbonisierung des Heizens und Kühlens von Gebäuden, zur Integration von Energie aus erneuerbaren Quellen sowie zum verbesserten Zugang zu emissionsfreien und emissionsarmen Mobilitäts- und Verkehrsoptionen.18Art. 1, KOM- orschlag zur Einführung eines Klima-Sozialfonds.

Künftig wären die Mitgliedstaaten verpflichtet, 25 % der Einnahmen aus ETS1 und ETS2 in den EU-Haushalt einzuzahlen,19Wie Tabelle A2.2 im Anhang dokumentiert, sind bis 2030 Ausnahmen möglich (Derogation), darunter auch Abweichungen vom Grundsatz einer einheitlichen Transferquote von 25%. so dass der SCF vorfinanziert werden könnte. Diese zusätzliche Finanzierung würde die Ausgaben für Maßnah-men zu Beginn oder sogar im Vorfeld der Implementierung des ETS2 erleichtern. Er würde auch die Finanzierung vor jährlichen Schwankungen der ETS2-Einnahmen schützen. Die Zuteilung der SCF- Mittel und damit ihre Verfügbarkeit für die Sozialprogramme der Mitgliedstaaten würde einer Berechnungsformel folgen, die auf sechs Indikatoren für soziale Vulnerabilität und Energiearmut basiert.20Siehe Art. 13 mit Anhängen I und II des KOM-Vorschlags zur Einführung eines Klima-Sozialfonds

Da der SCF auf EU-Ebene angesiedelt wäre und von der Europäischen Kommission verwaltet werden würde, unterläge die Verwendung der Mittel durch die Mitgliedstaaten einem expliziten fünfstufigen Genehmigungsverfahren unter strenger Kontrolle durch die Kommission: In einem ersten Schritt wäre jeder Mitgliedstaat dazu verpflichtet, einen Klima-Sozialplan mit einem „kohärenten Maßnahmen- und Investitionspaket“ sowie eine aktualisierte Fassung seines Nationalen Energie- und Klimaplans vorlegen. Sobald der SCP (oder eine überarbeitete Version) beurteilt und genehmigt wäre, würde die Kommission eine rechtliche Vereinbarung mit dem betreffenden Mitgliedstaat schließen. Danach würden die SCF-Mittel nach einem vorgegebenen Zeitplan und in Abhängigkeit von der Erreichung der im SCP festgelegten Meilensteine und Ziele an den Mitgliedstaat verteilt werden.21Für weitere institutionelle Details, zum Beispiel zur Regulierung der Ausgabentätigkeit, siehe Tabelle A2.3 im Anhang. Anschließend wäre jeder Mitgliedstaat verpflichtet, der Kommission über die Implementierung seines Plans in den integrierten Fort-schrittsberichten der Nationalen Energie- und Klimapläne zu berichten.

Option III, der vorgeschlagene SCM, ist eine Ausgestaltungsalternative, mit der die Verteilungseffekte des ETS2 ausgeglichen werden könnten, jedoch ohne den EU-Haushalt in Anspruch zu nehmen.
Die Option unterstreicht damit die nationalstaatliche Verantwortung für Sozialpolitik und gibt ihnen mehr Spielraum für die Festlegung und Implementierung konkreter Maßnahmen.

Ein grundlegender Unterschied besteht darin, dass im Rahmen des SCM kein neuer Fonds auf EU-Ebene eingerichtet werden müsste. Stattdessen würden die ETS2-Einnahmen vollständig bei den Mitgliedstaaten verbleiben. Die Vorfinanzierung und Glättung müsste auf nationaler Ebene, zum Beispiel durch besteh-ende Fonds, erfolgen.22Im Jahr 2016 verfügten sieben Mitgliedstaaten (Kroatien, Deutschland, Ungarn, Litauen, Portugal, Slowenien und die Slowakei) über eigene nationale Energie- und/oder Klimafonds, in die Einnahmen aus dem EU-ETS fließen würden. Siehe Velten et al. (2016), S. 20. Um eine Verteilung der Finanzmittel zwischen den Mitgliedstaaten zu erreichen, die sozialen Belangen gerecht werden, würde der SCM verlangen, dass die Zuteilung von ETS2-Zertifikaten an die Mitgliedstaaten ein Solidaritätselement enthält.23Siehe die ausführliche Besprechung dieses Punktes in Abschnitt 3. Die Zuteilung von Zertifikaten würde nicht einfach auf der Grundlage historischer Emissionen (wie im SCF-Vorschlag) erfolgen, sondern müsste auch auf Gerechtigkeitskriterien sowie auf dem Risiko und der Anfälligkeit für ETS2-bedingte Preissteigerungen beruhen. Die Verwendung der etablierten Verteilungsregeln der ESR anstelle der Entwicklung eines völlig neuen Verteilungsschlüssels könnte die Implementierung des SCM vereinfachen und eine diesbezügliche Einigung erleichtern.24Siehe Tabelle A2.2 im Anhang zu weiteren Einzelheiten über die Zuteilung von Mitteln im Rahmen der SCF- und SCM-Vorschläge. Die Anwendung der ESR-Zuteilungsformel hätte den zusätzlichen Vorteil, dass die Verteilung der kombinierten Einnahmen aus dem ETS2- und AEA-Handel unabhängig davon, wie sich die ETS2- und AEA-Preise entwickeln, das heißt, unabhängig davon, welcher Anteil des gesamten Handelsvolumens durch welchen Kanal fließt, weitgehend gleich bliebe.

Da gemäß dem SCM-Vorschlag die Mitgliedstaaten über das Geld verfügen, wird auch die Entscheidungsfindung über die Ausgaben vereinfacht und weniger streng von der Kommission überwacht. Im Gegensatz zu dem fünfstufigen Genehmigungsverfahren des SCF könnte der SCM einen dreistufigen Konsultationsprozess beinhalten: Die Mitgliedstaaten würden die Kommission im Voraus schriftlich über ihre geplanten Programme und den damit verbundenen Ausgabenbedarf informieren. Die Kommission würde diese Vorschläge prüfen und auf der Grundlage ihrer Einschätzung, ob die vorgesehenen Programme die übergeordneten sozialen Kriterien erfüllen können, gegebenenfalls Anpassungen empfehlen. Die endgültige Entscheidung über die Verwendung der Mittel läge jedoch bei den Mitgliedstaaten. Die einzige Einschränkung wäre, dass ein Mitgliedstaat seine Gründe angeben müsste, wenn er von den Empfehlungen der Kommission abweichen möchte.25Für weitere Details, zum Beispiel zur Regulierung der Ausgabentätigkeit, siehe Tabelle A2.3 im Anhang.

OptionSCFSCM
Finanzzuteilung zwischen den MitgliedstaatenRealisiert eine gezielte Ressourcenzuteilung an die Mitgliedstaaten auf der Grundlage einer Berechnungsformel, die soziale Kriterien wie soziale Vulnerabilität und Energiearmut auf individueller Ebene berücksichtigtErfordert, dass bei der Zuteilung von ETS2-Zertifikaten an die Mitgliedstaaten eine soziale Komponente (zum Beispiel der festgelegte Zuteilungsschlüssel des ESR) berücksichtigt wird
Umfang und Strenge der EU-AufsichtSieht eine institutionalisierte Vorab-Kontrolle durch die Kommission vor, um eine wirksame Aufsicht zu gewährleistenErzeugt einen höheren Grad an Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten, die letztlich ihre eigenen Ideen umsetzen können
Möglichkeiten für Vorfinanzierung und GlättungDie Kopplung mit dem MFF erlaubt eine Vorfinanzierung. Die Finanzierung bleibt während einer laufenden Haushaltsperiode von schwankenden ETS2-Einnahmen unbeeinflusst.Die Möglichkeit einer Vorfinanzierung und Glättung auf nationaler Ebene hängt von der individuellen Haushaltslage der Mitgliedstaaten ab
Tabelle 1 Schlüsselmerkmale Klima-Sozialfonds im Vergleich zum Klima-
Sozialmechanismus

Wie in Tabelle 1 gezeigt, unterscheiden sich SCF und SCM vor allem in Bezug auf (i) die Zuteilung der Finanzmittel (SCF) bzw. der zugrundeliegenden Zertifikate (SCM) zwischen den Mitgliedstaaten, (ii) den Umfang und die Strenge der Aufsicht auf EU-Ebene und (iii) die Möglichkeiten für eine Vorfinanzierung der Ausgaben und der Nutzung der Einnahmen-ströme. Die Gegenüberstellung veranschaulicht, dass der SCF durch ein hohes Maß an finanzieller Stabilität gekennzeichnet ist: Die Kopplung mit dem MFF erlaubt eine Vorfinanzierung, so dass die Finanzierung während einer laufenden Haushaltsperiode von schwankenden ETS2-Einnahmen unbeeinflusst bleibt. Im Rahmen des SCM kann ein vergleichbares Maß an finanzieller Sicherheit nur in fiskalisch gesunden Mitgliedstaaten erreicht werden, deren Haushalte den erforderlichen Umfang und die nötige Flexibilität für eine Vorfinanzierung und Einnahmennutzung besitzen.

Durch ein höheres Maß an Kontrolle seitens der Kommission (einhergehend mit einem höheren administrativen Aufwand sowohl für die EU als auch für die einzelnen Mitgliedstaaten) und ein höheres Maß an kollektiver Ressourcenmobilisierung in Form gemeinsamer Vorfinanzierung und Glättung kann der SCF eine größere Homogenität der sozialen Abfederung in den Mitgliedstaaten erreichen als der SCM. Weil der SCM stärker von den Ressourcen und Fähigkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten abhängig ist, birgt er die Gefahr, die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf Tempo und Umfang des Sozialausgleichs zu vergrößern. Es ist jedoch anzumerken, dass die auszugleichenden finanziellen Belastungen (aufgrund des ETS2) im Verhältnis zur Größe der nationalen Haushalte recht begrenzt sind.

Diskussion und Empfehlungen

Aus dem breiten Spektrum verfügbarer Optionen zur Minderung der Verteilungswirkungen eines erweiterten EU-Emissionshandels hat diese Analyse vier Wege zur Gestaltung der sozialen Komponente ausgearbeitet. Sie begann mit den beiden Endpunkten des Spektrums: einem, bei dem die Prozesse weitestgehend auf EU-Ebene konzentriert sind (und Brüssel somit „Schecks“ an alle anspruchsberechtigten EU-Bürger versenden würde), und einem, der den Mitgliedstaaten sowohl bei der Entschei-dungsfindung als auch bei der Implementierung einen maximalen Ermessensspielraum einräumt. Insgesamt können diese Randlösungen nicht über-zeugen. Sie könnten theoretisch funktionieren, wenn viele Voraussetzungen erfüllt wären, doch sie bergen auch erhebliche politische, rechtliche, admin-istrative und prozedurale Risiken. Darüber hinaus beruht Option I auf sehr optimistischen Annahmen über die administrativen Kapazitäten der EU und die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, Verantwortung an die EU abzugeben, während Option VI auf fehlerhaften Annahmen über die fehlende sozialpolitische Kompetenz der EU beruht — sofern diese Kompetenz hier überhaupt von Bedeutung ist.

Damit bleiben zwei Alternativen: der Vorschlag der Kommission für einen SCF und eine alternative Option, nämlich der SCM. Diese Optionen können kurz wie folgt charakterisiert werden:

  • Der vorgeschlagene SCF zeichnet sich zum einen durch ein hohes Maß an Stabilität bei den Finanzströmen aus und birgt durch eine strengere Aufsicht und eine umfassendere Planung ein geringeres Risiko von fehlgeleiteten Ausgaben. Andererseits sind die Abläufe komplexer, und der administrative Aufwand ist höher.
  • Die SCM-Option hingegen ist bezüglich der Abläufe und des damit verbundenen administrativen Aufwands vergleichsweise einfach strukturiert, bringt aber auch ein höheres Maß an Ungewissheit und Volatilität bei den Finanzflüssen mit sich. Indem den Mitgliedstaaten mehr Spielraum eingeräumt wird, können sie stärker mit verschiedenen Ansätzen experimentieren, aber es besteht auch ein höheres Risiko, dass die Verwendung von Mitteln nicht optimal auf die Ziele der EU abgestimmt ist.

Insgesamt bieten sowohl der SCF als auch der SCM Vorteile und Risiken, und die Entscheidung, welcher von beiden vorzuziehen ist, hängt von zwei konkreten Fragen ab. Erstens: Sind die Mitgliedstaaten bereit und in der Lage, selbst für einen angemessenen sozialen Ausgleich zu sorgen? Zweitens: Inwieweit haben die Kommission und die Mitgliedstaaten ein gemeinsames Verständnis von „gerechter“ Klimapolitik, was eine notwendige Voraussetzung für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist?

Wenn die Fähigkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten und ihr Engagement für einen sozialen Ausgleich als hoch eingeschätzt werden, dann scheint der SCM die bevorzugte Option zu sein, da er eine schlankere Struktur und ein höheres Maß an Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten ermöglicht. Wenn jedoch Einigkeit über das Verständnis eines „gerechten Übergangs“ herrscht und überdies eine ausgeprägte Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten gewährleistet ist, dann kann der SCF die bessere Option sein. Im Prinzip können mit dem SCF die Ziele besser erreicht werden, insbesondere in Mitgliedstaaten, die ihre Ausgaben nicht vorfinanzieren und schwankende ETS2-Einnahmen nicht über ihre nationalen Haushalte glätten können.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Fähigkeit der Kommission und der Mitgliedstaaten, rationale politische Entscheidungen zu treffen. Dies ist wichtig für die Beurteilung, ob ein höheres Maß an Eigenverantwortung auf staatlicher Ebene, wie der SCM sie vorsieht, von Vorteil wäre. Jeder Zweifel an der Fähigkeit oder dem Willen der Mitgliedstaaten, Finanzmittel angemessen zu verwenden, würde jedoch für den SCF sprechen, da er eine wirksame Aufsicht durch die Kommission vorsieht.26Insbesondere gewährleistet die Tatsache, dass die Auszahlung schrittweise erfolgt, nachdem die Fortschritte anhand der vereinbarten Meilensteine verifiziert wurden, eine intertemporale Anreizkompatibilität: Wenn ein Mitgliedstaat von seinem SCP abweicht, riskiert er, die Finanzierung für die nächsten Phasen seines Plans zu verlieren.

Eine weitere Überlegung wäre, ob es wünschenswert ist, die Mittel in allen Mitgliedstaaten einheitlich zu verwenden (was für den SCF spricht) oder ob ein höheres Maß an nationaler Anpassung als vorteilhafter angesehen wird (was für den SCM spricht). Letztendlich ist es eine Frage der Beurteilung und Gewichtung dieser Aspekte im Verbund mit den politischen Prioritäten, was über die Präferenz für den SCF oder den SCM entscheidet.

3. Die Verteilungswirkungen zwischen den Mitgliedstaaten (Solidarität)

M. Kosch, K. Umpfenbach, J. Abrell, M. Pahle

Die Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen dem ETS2 und der ESR ist für die Tragfähigkeit des Sozialausgleichsmechanismus von wesentlicher Bedeutung

Die ESR ist ein wesentliches Verteilungselement der EU-Klimapolitik. Auf Grundlage ihres BIP pro Kopf und — in geringerem Maße — ihres Emissionsminder-ungspotenzials haben einige Länder strengere Ziele als andere. Diese reichen — bezogen auf das Jahr 2005 — von -50 % für reichere Länder bis zu -10 % für ärmere Länder. Damit alle Mitgliedsstaaten ihre jeweiligen Ziele erreichen können, müssen die reicheren Länder mehr Minderungsmaßnahmen ergreifen und daher mehr Ressourcen für ihre Emissionsminderung aufbringen. Die ESR sieht auch mehrere Flexibilitätsoptionen vor, wie zum Beispiel die Option, dass Länder, die ihre jährlichen Ziele überbieten, ihre überschüssigen AEAs an Länder verkaufen, die ihre Ziele verfehlen. Die resultierenden Einnahmen können zur Finanzierung von Emissionsminderungs-maßnahmen oder zur Abfederung der Verteilungswirkungen klimapolitischer Entscheidungen verwendet werden.

Der aktuelle Kommissionsvorschlag behält die ESR-Ziele als nationalen Compliance-Mechanismus bei und führt zusätzlich ein ETS mit einem EU-weiten CO2-Preis für den Gebäude- und den Straßenverkehrssektor ein. Die Anwendungsbereiche der ESR und des ETS2 sind zwar nicht identisch, überschneiden sich aber: Das ETS2 erstreckt sich auf Emissionen aus Gebäuden und dem Straßenverkehr, während die ESR alle Emissionen erfasst, die nicht unter das ETS1 fallen, also auch Emissionen aus Landnutzung, Landwirtschaft, Abfall, Binnenschifffahrt und Kleinindustrie sowie Emissionen aus Gebäuden und dem Straßenverkehr, die unter das ETS2 fallen (Europäische Kommission 2021b, S. 2).27Laut Berechnungen des Fraunhofer-ISI für die Europäische Kommission, die auf den EU-Emissionen des Jahres 2017 basieren, würden 56 % der in diesem Jahr von der ESR erfassten Emissionen unter das neue ETS2 fallen (Europäische Kommission 2021a, S. 367). In ihrer Folgenabschätzung für die überarbeitete ESR stellt die Kommission fest, dass „etwa die Hälfte“ der derzeitigen ESR-Emissionen unter das ETS2 fallen würden (Europäische Kommission 2021a, S. 8). Es mag verlockend erscheinen, die Effizienz eines zweiten ETS um die Verteilungsprinzipien der ESR zu ergänzen. Aber die Wechselwirkung zwischen den beiden Systemen erhöht die Unsicherheiten in dreierlei Hinsicht:

(i) Der AEA-Handel wird wahrscheinlich begrenzt sein

Die Folgenabschätzung enthält keine detaillierte Analyse des AEA-Handels. Aber die Kommission scheint davon auszugehen, dass er stattfinden wird, da mehrere Mitgliedstaaten voraussichtlich einen erheblichen Überschuss an AEAs generieren werden28In der Folgenabschätzung für den ESR-Vorschlag schätzte die Kommission, dass Bulgarien, Schweden, Luxemburg, Rumänien, Slowenien, Italien, die Tschechische Republik, Spanien, die Slowakei, Polen, Portugal, Ungarn, Kroatien und Griechenland überschüssige AEAs von 1 % bis 29 % ihres Emissionsbudgets für 2030 generieren würden (Länderaufzählung in der Reihenfolge des zunehmenden Überschusses). Für Litauen, Frankreich, Lettland, Finnland, Zypern, Belgien, die Niederlande, Deutschland, Estland, Österreich, Dänemark, Irland und Malta wird eine Lücke erwartet, die zwischen 3 % und 55 % des Emissionsbudgets für 2030 liegt. Diese Verteilung korreliert mit der Verteilung des BIP pro Kopf, stimmt aber nicht vollständig mit ihr überein: Luxemburg und Schweden würden einen Überschuss generieren, obgleich ihr Einkommen über dem Durchschnitt liegt, während für Estland, Zypern, Lettland, Litauen und Malta eine Lücke erwartet wird, obgleich sie unter dem Durchschnitt der EU-Staaten liegen (Europäische Kommission 2021b, S. 156). (Europäische Kommission 2021b, S. 59). Dies würde zu einem Finanztransfer von (meist) reicheren zu (meist) ärmeren Mitgliedstaaten führen. Im Compliance-Zeitraum bis 2020 war der AEA-Handel jedoch äußerst begrenzt. Das einzige Beispiel für einen solchen Handel war bisher, dass Malta von Bulgarien gekaufte AEAs für Compliance-Zwecke verwendete (Europäische Kommission 2021d, S. 8).

In der Praxis stößt der AEA-Handel auf erhebliche Hindernisse: Erstens wird die begrenzte Anzahl von Marktteilnehmern in Verbindung mit den Strafzahlungen bei Compliance-Verstößen wahrscheinlich zu Monopolrenten führen, wenn Mitgliedstaaten mit überschüssigen AEAs ihre Stellung nutzen, um übermäßig hohe AEA-Preisniveaus festzulegen. Zweitens gibt es keinen transparenten Markt mit einem Preissignal. Die Mitgliedstaaten müssen also die Vermeidungskosten aller Unternehmen und Haushalte ermitteln, um einen „fairen“ Preis zu bestimmen. Gleichzeitig haben die Mitgliedstaaten in Ermangelung eines liquiden Marktes hohe Transaktionskosten für die Aushandlung bilateraler Verträge. Drittens könnten die Regierungen nationale Emissionsminderungsmaßnahmen priorisieren, selbst wenn sie mit höheren Kosten verbunden sind, weil sie inländische klimapolitische Maßnahmen— insbesondere hinsichtlich der Schaffung von Arbeitsplätzen — als vorteilhafter ansehen als den AEA-Handel. Darüber hinaus sind die nationalen Klimaziele der meisten Mitgliedstaaten in nationalen Klimagesetzen festgeschrieben, die in der Regel fordern, dass die Emissionen im eigenen Land reduziert werden müssen.

(ii) Der ETS2-Preis ist ungewiss

In ihrer Folgenabschätzung betrachtete die Kommission zwei Hauptszenarien für die CO2-Bepreisung, die beide mit relativ niedrigen ETS2-Preisen verbunden sind. Im MIX-Szenario erreicht der ETS2- Preis im Jahr 2030 48 €/tCO2, und im MIX-CP-Szenario mit weniger ambitionierten Begleitmaßnahmen (und daher einer stärkeren Rolle des CO2-Preises) steigt er auf maximal 80 €/tCO2 (Europäische Kommission 2021d, S. 121). Andere Analysen (zum Beispiel Abrell et al. 2022b; Pietzker et al. 2021) kommen zu dem Ergebnis, dass er viel höher sein könnte. Der ETS2-Preis ist in höchstem Maße ungewiss und schwer vorherzusagen, weil er von verschiedenen Faktoren abhängt, wie zum Beispiel den Grenzvermeidungskosten im Gebäude- und im Straßenverkehrssektor, von Preiselastizitäten und vom Verhalten der Finanzakteure. Und schließlich hängt der Preis von der Strenge und Wirksamkeit der nationalen Begleitmaßnahmen ab, die sich auf die ETS2-Sektoren richten, und interagiert dadurch mit der ESR. Das heißt, wenn strengere nationale Maßnahmen zur Erfüllung einzelner ESR-Ziele umgesetzt werden, wird der ETS2-Preis wahrscheinlich niedriger sein.

(iii) Die Einnahmenzuteilung ist unbeständig

Laut dem Vorschlag der Kommission würden dem SCF jährlich rund 9 Milliarden Euro29Dem Vorschlag zufolge würde der SCF eine fixe Größe haben (Artikel 9): 23,7 Milliarden Euro für 2025-2027 und 48,5 Milliarden Euro für 2028-2032. zugewiesen werden. Bei einem angenommenen Preis von 48 €/tCO2 (im MIX-Szenario) entspricht dies 25 % der gesamten ETS2-Einnahmen. Der SCF teilt den Mitgliedstaaten diese Einnahmen auf der Grundlage sozioökonomischer Indikatoren wie der Energie- und Transportarmut und dem Bruttonationaleinkommen pro Kopf zu (Europäische Kommission 2021c, Anhang I). Die verbleibenden ETS2-Einnahmen würden zwischen den Mitgliedstaaten auf der Grundlage ihrer historischen Emissionen im Zeitraum 2016-2018 verteilt werden.

Leider sieht der Vorschlag keine automatische Anpassung der Einnahmenzuteilung vor wenn sich die ETS2-Preise ändern. Im Extremfall — wenn der SCF auf rund 9 Milliarden € pro Jahr festgelegt wird — sinkt der Anteil des SCF an den Gesamtmitteln, die für die Umverteilung zwischen und in den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen, mit einem steigenden CO2-Preis. Das bedeutet, dass im Verhältnis zum CO2-Preis weniger Mittel zur Unterstützung einkommensschwacher und vulnerabler Haushalte zur Verfügung stehen und folglich die progressiven Auswirkungen des Einnahmen-Recycling geringer sind.30In der Praxis ist es wahrscheinlich, dass die Einnahmen aus dem SCF in Abhängigkeit vom CO2-Preis angepasst werden. Gemäß dem aktuellen Vorschlag kann er jedoch nicht so einfach angepasst werden, weil er durch den MFF finanziert werden würde, der bereits bis 2028 festgelegt ist. Anpassungen könnten erst danach vorgenommen werden.

Szenarioanalyse zur Untersuchung der Auswirkungen des AEA-Handels und der ETS2-Preisniveaus

Modell und Annahmen
Die Szenarioanalyse basiert auf einem statischen globalen CGE-Modell (ZEW-CGE; siehe Abrell und Rausch (2021) und Abrell et al. (2022a) zu weiteren Einzelheiten). Das Modell berücksichtigt nur energiebezogene CO2-Emissionen und geht von einer vollständigen Überschneidung der ESR- und ETS2-Sektoren aus.31Folglich sollten die ESR-Preise als implizite CO2-Preise – das heißt als Grenzvermeidungskosten – energiebedingter ESR-Emissionen interpretiert werden. Bei dieser Analyse wird implizit davon ausgegangen, dass die verbleibenden ESR-Emissionen (hauptsächlich nicht-CO2-Emissionen aus der Landwirtschaft) unter einen separaten Regulierungsansatz fallen, der von den hier umgesetzten Maßnahmen nicht betroffen ist. Wir deckeln die Emissionen und erlauben Handel, um die CO2-Preise zu erhalten, die für die Erreichung der Ziele für 2030 erforderlich sind.32Wir wenden zwei individuelle Deckelungen an: eine für die ETS1-Sektoren und eine für die ETS2-Sektoren. In dieser Studie konzentrieren wir uns jedoch auf die ETS2-Sektoren. Abgesehen von diesen CO2-Preisen ziehen wir keine weiteren Maßnahmen in Betracht. Da der Emissionshandel in der Realität wahrscheinlich durch flankierende Maßnahmen wie Förderprogramme für erneuerbare Energien, Energieeffizienzmaßnahmen und verkehrspolitische Maßnahmen ergänzt wird, die zwar die expliziten CO2-Preise senken, aber auch andere Kosten verursachen, sollten die Preise in diesem Modell als implizite CO2-Preise oder gleichermaßen als die Grenzvermeidungskosten angesehen werden.

Beziehung zwischen den ETS2-Preisniveaus und dem Wert der AEAs

Angesichts ihrer sektoralen Überschneidungen sind erhebliche Wechselwirkungen zwischen der ESR und dem ETS2 und ihren jeweiligen Preisen zu erwarten.

In diesem Modell addieren sich die AEA- und ETS2-Preise immer zum selben CO2-Gesamtpreis:33Die Firmen passen ihre Grenzvermeidungskosten an den (impliziten) CO2-Preis an. Wenn sie mit zwei Preisen für dieselbe Emissionseinheit konfrontiert sind, so passen sie sich der Summe an. Da sich weder die Minderungstechnologie noch das Minderungsziel ändern, muss die Summe der Preise konstant sein, um den gleichen Minderungsbetrag zu erreichen. Je höher der ETS2-Preis steigt, desto niedriger muss der AEA-Preis fallen (und umgekehrt).34Wir simulieren die Wechselwirkung zwischen den beiden Systemen, indem wir den ETS2-Preis fixieren und den AEA-Preis auf das zur Erreichung des Ziels erforderliche Niveau ansteigen lassen. Im Basisfall fixieren wir den ETS2-Preis auf 50 €/tCO2 und beobachten einen relativ hohen AEA-Preis von 174 €/tCO2. In Szenario 2 mit einem höheren ETS2-Preis von 150 €/tCO2 sinkt der AEA-Preis auf 74 €/t CO2. Die Summe der beiden Preise entspricht somit dem einheitlichen CO2-Preis im Fall eines reinen ETS2-Szenarios ohne individuelle ESR-Ziele.

In der Realität ist diese Beziehung wahrscheinlich nuancierter als im Modell:

  • Wenn der ETS2-Preis — aus politischen oder anderen Gründen — niedrig ist, so wird er sich kaum auf die Emissionsminderung auswirken. Um die Ziele zu erreichen, sind daher strengere nationale Emissionsminderungsmaßnahmen erforderlich, was hohe (implizite) nationale CO2-Preise impliziert und die Möglichkeit schafft, dass AEAs zu höheren Preisen gehandelt werden.35Natürlich lässt sich das Argument auch umkehren: Wenn die Mitgliedstaaten strenge nationale Maßnahmen ergreifen (hoher Wert der AEAs), so haben wir einen niedrigen ETS2-Preis. Wenn die Mitgliedstaaten dagegen lockere nationale Maßnahmen ergreifen (niedriger Wert der AEAs), so haben wir einen hohen ETS2-Preis.
  • Ein hoher ETS2-Preis führt in den meisten Mitgliedstaaten zu beträchtlichen Emissionsminderungen. Es sind also weniger nationale Maßnahmen erforderlich. Dies führt zu niedrigeren (impliziten) CO2-Preisen und damit zu einem geringeren Wert der AEA-Zertifikate.36Es gibt wahrscheinlich keinen einheitlichen AEA-Preis, da die Zertifikate im Rahmen nicht-transparenter bilateraler Abkommen gehandelt werden, die auch andere Arten politischer oder wirtschaftlicher Verhandlungen zwischen zwei Mitgliedstaaten beinhalten können. Mit steigenden ETS2-CO2-Preisen werden die AEA-Preise jedoch wahrscheinlich sinken. Infolgedessen würden Länder, die ihr nationales Ziel überbieten, einen niedrigeren Preis für ihre überschüssigen AEAs erzielen.

Diese Beziehung impliziert, dass ein hoher ETS2-Preis wahrscheinlich den in der ESR definierten Verteilungsmechanismus untergraben würde: Ärmere Länder würden ihre Ziele weiterhin überbieten und einen großen Teil der Vermeidungskosten tragen, während sie gleichzeitig eine geringe Rendite für ihre überschüssigen Zertifikate erhalten. Die Einnahmenzuteilung aus dem ETS2 kann — je nach ihrer genauen Ausgestaltung — diese Auswirkungen entweder verstärken oder abmildern (siehe Szenario 2).

Die AEA-Handelsvolumen und die ETS2-Preisniveaus werden sich auf die Kosteneffizienz und die gerechte Verteilung der SCF-Mittel auswirken. In der folgenden Analyse werden drei Szenarien anhand eines statischen globalen Computable General Equilibrium Modells (CGE) untersucht (siehe Kasten „Modell und Annahmen“ unten). Das „Basisszenario“ stammt aus der EU-eigenen Folgenabschätzung. Zwei weitere Szenarien (die weiter unten ausführlich besprochen werden) wurden hinzugefügt, um die Auswirkungen des AEA-Handels von den ETS2-Preisniveaus zu entkoppeln, wie in Abbildung 3 veranschaulicht wird:

Abbildung 3: Überblick über die Wechselwirkungen zwischen ESR und ETS2
Bestehende Unsicherheiten im Ergebnis der Verordnung, und mögliche Auswirkungen auf die Kosteneffizienz und die Verteilungswirkungen des Fit für 55-Paketes
  • Basisfall (oberer rechter Quadrant): Wir gehen von einer Koexistenz zwischen AEA-Handel und ETS2 aus. Für das ETS2 gehen wir von einem moderaten Preis von 50 €/tCO2 aus, wobei 25 % der Einnahmen dem SCF zur Verteilung zwischen den Mitgliedstaaten gemäß den SCF-Kriterien zugewiesen werden. Die verbleibenden 75 % werden zwischen den Mitgliedstaaten gemäß den historischen Emissionen von 2016 bis 2018 verteilt. Wir gehen von einem funktionierenden AEA-Handel zwischen den Mitgliedstaaten aus, der alle möglichen Effizienzgewinne aus dem Handel verwertet. Die Mitgliedstaaten erreichen ihre individuellen ESR-Ziele durch nationale Emissionsminderungsmaßnahmen und Handel. In diesem Fall beläuft sich das gesamte AEA-Handelsvolumen auf etwa 15 % der gesamten ESR-Emissionen.37Die größte Nachfrage beim AEA-Handel kommt aus Deutschland (50 Mio. t) und Frankreich (27 Mio. t), während das größte Angebot aus Polen (62 Mio. t) und Rumänien (32 Mio. t) stammt.
  • Szenario 1 (oberer linker Quadrant): Kein AEA-Handel.
  • Szenario 2 (unterer rechter Quadrant): Ein höherer ETS2-Preis von 150 €/tCO2.

Alle Szenarien orientieren sich an dem für 2030 angestrebten Ziel einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen von mindestens 55 % gegenüber 1990. Für 2030 werden 64 % der Emissionen den ESR-Sektoren zugewiesen; der Rest wird den unter das ETS1 fallenden Sektoren zugeteilt. In allen Szenarien wird die Zuteilung an den SCF auf dem (absoluten) Basisfallniveau festgelegt.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Abbildung 4 zeigt die Veränderungen bei der Wohlfahrt pro Kopf für die beiden zusätzlichen Szenarien im Vergleich zum Basisfall:

Abbildung 4: Wohlfahrtveränderungen pro Kopf
Im Vergleich zum Basisfall mit AEA-Handel und einem niedrigen ETS2-Preis. Anmerkung: Für eine kurze Beschreibung des Modells siehe den Kasten unten; die einzelnen Szenarien werden in den folgenden Abschnitten beschrieben.
  • In Szenario 1 (kein AEA-Handel) ist die Wohlfahrt in fast allen Mitgliedstaaten erheblich geringer, wobei die Verluste in den östlichen Mitgliedstaaten am höchsten sind.
  • Szenario 2 (hoher CO2-Preis) sieht keine Auswirkungen auf die Gesamtwohlfahrt, führt aber zu einer Verschiebung der Wohlfahrt pro Kopf von Spanien, Portugal und den östlichen Mitgliedstaaten hin zu Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Belgien. Der Grund dafür ist, dass die Einnahmenzuteilung an die Mitgliedstaaten durch den SCF nicht automatisch mit dem ETS2-Preis skaliert wird.

In den folgenden Abschnitten besprechen wir jedes Szenario ausführlich.

Szenario 1: Kein AEA-Handel und niedriger ETS2-Preis

Beschreibung des Szenarios

Das erste Szenario untersucht die Auswirkungen eines ausbleibenden AEA-Handels als Extremszenario und vergleicht sie mit den Auswirkungen eines voll entfalteten Handels (dem Basisszenario). Dieses Szenario nimmt an, dass jedes Land sein ESR-Ziel individuell erfüllt und dass es keine Finanztransfers zwischen den Mitgliedstaaten durch den AEA-Handel gibt. In der Praxis ist eine Option in der Mitte, bei der ein begrenzter AEA-Handel stattfindet, wahrscheinlicher.

Ergebnisse

Das linke Feld von Abbildung 4 zeigt den Wohlfahrtsunterschied pro Kopf für Szenario 1 (ohne AEA-Handel) im Vergleich zum Basisfall. Die Analyse liefert zwei wichtige Erkenntnisse.

Erstens erleiden fast alle Länder erhebliche Wohlfahrtsverluste von bis zu 400 € pro Kopf, wenn kein AEA-Handel stattfindet. Diese Auswirkungen sind in den östlichen Mitgliedstaaten am stärksten, während die westlichen und nördlichen Länder weniger betroffen sind. Mit anderen Worten: Fast alle Länder verzeichnen erhebliche Wohlfahrtsgewinne durch den AEA-Handel. Dies liegt daran, dass Emissionsminderungen für ärmere Länder mit niedrigen ESR-Zielen billiger sind und sie daher größere Anstrengungen beim Abbau von CO2-Emissionen unternehmen als reichere Länder. Das heißt, sie sehen sich zwar höheren absoluten Kosten für diese Emissionsreduzierungen gegenüber, doch werden diese durch die Einnahmen, die ihnen aus dem Handel zufließen, überkompensiert.38Es ist anzumerken, dass Ausgleichseinnahmen auf der Ebene der Staaten transferiert werden, aber höhere ETS2-Minderungsmaßnahmen auch höhere CO2-Kosten für (arme) Verbraucher bedeuten. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die Mitgliedstaaten über gut durchdachte Mechanismen zur Einnahmenzuteilung verfügen, um diese „Pro-Kopf-Gewinne“ zu realisieren.

Auch reichere Länder profitieren davon, weil sie weniger Emissionsminderungen vornehmen und einen Teil der eingesparten Vermeidungskosten für den Kauf zusätzlicher Emissionsrechte verwenden, die kostengünstiger als Emissionsminderungsmaßnahmen sind. In Summe besteht also ein positiver Netto-Nutzen.

Ohne AEA-Handel wird demnach die wirtschaftliche Effizienz von Emissionsminderungen insgesamt verringert. Die durchschnittlichen Vermeidungskosten pro Tonne CO2 steigen um fast 40 €/tCO2 von 185 €/tCO2 im Basisfall auf 228 €/tCO2 in Szenario 1 (ohne AEA-Handel).

Zweitens überbieten einige (ärmere) Mitgliedstaaten ihre jährlichen Ziele,39Einige Länder erreichen ihre Ziele bereits ohne einen CO2-Preis. Somit führt jeder zusätzliche Anreiz zu einer Übererfüllung. was zu einem AEA-Überschuss führt. Aber ohne AEA-Handel können diese Mitgliedstaaten nicht von diesen übermäßigen Emissionsreduktionen profitieren. Auch können reichere Mitgliedstaaten nicht vom Kauf relativ kostengünstiger AEAs profitieren und müssen stattdessen zusätzliche, kostspieligere nationale Minderungsmaßnahmen ergreifen, um ihre Ziele zu erreichen.40Der Grund dafür ist, dass sie strengere Ziele und wahrscheinlich auch höhere Vermeidungskosten haben. Dies hat zur Folge, dass die EU als Ganzes ihr Reduktions ziel kurzfristig übererfüllt: Im Basisfall gehen wir von einem Reduktion sziel für die ESR-Sektoren von -40% im Vergleich zu 2005 aus; in Szenario 1 (ohne AEA-Handel) beträgt die Reduktion in den ESR-Sektoren -44%. Die Verringerung der Emissionen ist jedoch mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden.

Auswirkungen auf die Tragfähigkeit und politische Empfehlungen

Die Ergebnisse zeigen, dass der AEA-Handel für die kurzfristige Kosteneffizienz der EU-Klimapolitik entscheidend ist. Ohne AEA-Handel stehen fast alle Mitgliedstaaten schlechter da als mit Handel, und die Gesamtkosten für das Erreichen des EU-Klimaziels steigen erheblich. Angesichts der strengeren Zielvorgaben in den kommenden Jahren wird es immer wichtiger, die Vermeidungskosten so niedrig wie möglich zu halten.

Die Europäische Kommission präsentiert das vorgeschlagene ETS2 als ein Instrument, das verstärkte Anreize zur kosteneffizienten Erreichung dieses Emissionsziels bietet und „die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass AEA-Überschüsse verfügbar sind“ (Europäische Kommission 2021b, S. 59). Das bedeutet, dass das ETS2 die Haupttriebfeder für Emissionsreduktionen wäre, da es den erfassten Unternehmen — und ihren Kunden— einen Anreiz zur Emissionssenkung bietet. Nachdem das ETS2 auf kosteneffiziente Weise Anreize für die erforderlichen Emissionsminderungen geschaffen hat, verfolgen die Regierungen lediglich die vom Markt erbrachten Ergebnisse durch den Handel mit der entsprechenden Menge an AEAs zurück, sofern der AEA-Handel möglich und ein ausreichend liquider Markt vorhanden ist. Allerdings ist keines von beiden unter den derzeitigen Vorschriften gewährleistet. Mit anderen Worten: Die EU kann die Vorteile des ETS2 nur dann in vollem Umfang nutzen, wenn der AEA-Handel funktioniert.

Folglich führt ein Szenario, in dem die EU zwar dabei ist, ihr Ziel überzuerfüllen, aber mehrere Mitgliedstaaten aufgrund des begrenzten AEA-Handels ihre nationalen ESR-Ziele nicht erreichen, wahrscheinlich zu politischem Druck, die ESR anzupassen oder zu verwerfen, sowie zu Kontroversen über die Verteilungswirkungen. Die Behebung der Unzulänglichkeiten des AEA-Handels ist daher von entscheidender Bedeutung, damit die EU-Klimapolitik in der Praxis funktioniert.

Szenario 2: Hoher ETS2-Preis mit AEA-Handel

Beschreibung des Szenarios

In Szenario 2 ist der ETS2-Preis dreimal so hoch wie im Basisfall (50 €/tCO2) und liegt damit bei 150 €/tCO2. Sowohl im Basisszenario als auch in Szenario 2 nehmen wir an, dass der AEA-Handel perfekt läuft und dass die SCF-Einnahmen auf dem absoluten Niveau des Basisszenarios fixiert sind. Auch das stellt einen Extremfall dar und impliziert, dass in Szenario 2 nur 8 % der Einnahmen dem SCF zugeteilt werden, während die restlichen 92 % auf der Grundlage der historischen Emissionen von 2016-2018 zwischen den Mitgliedstaaten verteilt werden.

Ergebnisse

Das rechte Feld von Abbildung 4 zeigt den Unterschied in der Wohlfahrt pro Kopf für Szenario 2 (hoher ETS2-Preis) im Vergleich zum Basisfall.41Da wir von einem perfekten AEA-Handel ausgehen, ändert diese CO2-Preiserhöhung nicht das Vermeidungsmuster und folglich auch nicht die Kosteneffizienz der Politik, sondern nur die Wohlfahrtsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten. Die Ergebnisse liefern zwei wichtige Erkenntnisse:

  1. Die durchschnittlichen Vermeidungskosten sind die gleichen wie im Basisfall, weil ein höherer ETS2-Preis unter sonst gleichen Bedingungen den AEA-Preis senkt (siehe Kasten „Modell und Annahmen“ oben) und die Unternehmen weiterhin den gleichen Preis sehen. Geht man also von einem vollständigen AEA-Handel aus, so haben höhere ETS2-Preise keinen Einfluss auf die Gesamtkosteneffizienz .
  2. Die Wohlfahrt steigt in Deutschland, Belgien und anderen (meist) reichen Mitgliedstaaten um bis zu 130 € pro Kopf, während sie in Griechenland und anderen (meist) armen Mitgliedstaaten um bis zu 210 € pro Kopf sinkt. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens sinkt der Anteil der ETS2-Einnahmen, die dem SCF zugeteilt werden, wenn der ETS2-CO2-Preis steigt (unter der Annahme eines festen absoluten Beitrags). Folglich erhalten ärmere Länder mit einem höheren Risiko der Energiearmut geringere Einnahmen. Zweitens sinkt der AEA-Preis von 174 €/tCO2 im Basisfall auf 74 €/tCO2, was bedeutet, dass überschüssige Zertifikate einen niedrigeren Preis erzielen, was wiederum zu geringeren Einnahmen für ärmere Mitgliedstaaten führt. Das schwächt die Verteilungsprinzipien der ESR.

Auswirkungen auf die Tragfähigkeit und politische Empfehlungen

Der derzeitige Vorschlag erklärt nicht hinreichend, wie sich die Einnahmenzuteilung im Fall eines Anstiegs des ETS2-Preises ändert. Im Extremfall könnte man davon ausgehen, dass die SCF-Zuteilung — absolut gesehen — fix bleibt und dass zusätzliche Einnahmen aus höheren ETS2-Preisen den Mitgliedstaaten dann nur proportional zu ihren historischen Emissionen zugute kämen. Relativ gesehen wäre dies am wenigsten vorteilhaft für jene Länder, denen der SCF am meisten nützen soll, das heißt jene Länder, in denen ein hoher Anteil der Bevölkerung von Energiearmut bedroht ist.

Die Einnahmenzuteilung muss in Reaktion auf den ETS2-Preis angepasst werden. So wird sichergestellt, dass die reicheren Länder pro Kopf einen höheren Anteil an den gesamten Vermeidungskosten übernehmen, um dem Solidaritätsprinzip der ESR gerecht zu werden. Zu diesem Zweck schlagen wir drei mögliche Lösungen vor:

  • Fixierung des Anteils der Gesamteinnahmen, die dem SCF zugeteilt werden (zum Beispiel auf 25 %). Die Zuteilung muss klar geregelt und sollte nicht verhandelbar sein.
  • Zuteilung der ETS2-Einnahmen an die Mitgliedstaaten gemäß ihren ESR-Emissionsanteilen. Damit würde das Verteilungsprinzip der ESR unabhängig vom Preisniveau der ETS2 beibehalten bleiben.
  • Festlegung eines ETS2-Preiskorridormechanismus zur Verringerung von Unsicherheiten .

Unsicherheiten können zu einem instabilen System führen und müssen beseitigt werden

Die Wechselwirkung zwischen der ESR und dem ETS2 im Fit für 55-Vorschlag verstärkt das Risiko von Unsicherheiten in dreierlei Hinsicht: Der AEA-Handel könnte begrenzt bleiben; der ETS2-Preis ist ungewiss; und es ist unklar, wie die Aufteilung der Einnahmen zwischen den Mitgliedstaaten auf veränderte ETS2-Preise reagieren wird.

Wenn die in diesem Bericht aufgezeigten Unsicherheiten bei der politischen Ausgestaltung nicht angemessen berücksichtigt werden, so können sie die Stabilität der EU-Klimapolitik untergraben. Es werden zwei Hauptrisiken hervorgehoben: Erstens wird ein ausbleibender AEA-Handel die Kosten der Klimapolitik für fast alle Mitgliedstaaten in die Höhe treiben und damit das Erreichen des Emissionsziels der EU erschweren (Szenario 1). Zweitens wird sich ein höherer ETS2-Preis wahrscheinlich auf die Kostenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten auswirken, was die ESR konterkarieren könnte (Szenario 2), so dass (meist) ärmere Mitgliedstaaten unter höheren Wohlfahrtskosten leiden würden, während (meist) reichere Mitgliedstaaten von niedrigeren Wohlfahrtskosten profitieren würden. Beides könnte die politische Akzeptanz der Klimaziele der EU untergraben.

Das Fit für 55-Paket ist daher im Hinblick auf die Verteilungswirkungen der beiden hier vorgestellten Szenarien nicht hinreichend tragfähig. Dieses Problem kann gelöst werden, indem der AEA-Handel verbessert und sichergestellt wird, dass die relative Verteilung der ETS2-Einnahmen zwischen den Mitgliedstaaten vom ETS2-Preis unabhängig ist.

4. Verteilungswirkungen innerhalb der Mitgliedstaaten (soziale Gerechtigkeit)

M. Jakob, S. Feindt, T. Konc, M. Pahle

In diesem Abschnitt werden die Verteilungseffekte des ETS2 auf individueller Haushaltsebene analysiert und die Rolle von Umverteilungsmechanismen näher erläutert. Außerdem werden die von Energiearmut bedrohten Verbraucherinnen und Verbraucher identifiziert und Maßnahmen diskutiert, um vulnerable Haushalte vor steigenden Energiepreisen zu schützen.

Methodik
Ein Mikrosimulationsmodell analysiert den Verlust an verfügbarem Einkommen bei Beibehaltung des derzeitigen Verbrauchs von Heiz- und Kraftstoffen im Fall eines durch das ETS2 bedingten höheren Preises. Es handelt sich um einen statischen Ansatz, der nicht die Möglichkeit berücksichtigt, dass Haushalteihren Verbrauch anpassen. Auf der Grundlage von Feindt et al. (2021) werden Daten über den Verbrauch von Heiz- und Kraftstoffen aus Eurostats Erhebungen über die Wirtschafts-rechnungen der privaten Haushalte entnommen. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass er leicht nachvollziehbar ist und eine direkte wirtschaftliche Interpretation als eine „kompensierende Variation“Die „kompensierende Variation“ 42misst den Wohlfahrtseffekt von Preisänderungen durch Beurteilung des zusätzlichen Einkommens, das ausgegeben werden müsste, um die aktuellen Verbrauchsmuster beizubehalten. hat. Er stellt eine plausible Approximierung kurzfristiger Auswirkungen dar, bevor Haushalte in der Lage sind, ihr Verhalten anzupassen oder auf CO2-arme Optionen umzustellen.

Mehrere Studien haben die Verteilungswirkungen des vorgeschlagenen ETS2 und des vorgeschlagenen SCF analysiert. Held et al. (2022) beurteilen die Auswirkungen des ETS2 auf verschiedene Kriterien der Effektivität und der sozialen Gerechtigkeit, einschließlich einer gerechten Verteilung zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der Verteilungswirkungen für Haushalte. Im Gegensatz zu unserer Studie, die EU-weite Einkommensdezile als Analyseebene verwendet, beurteilen sie die Kosten für verschiedene Einkommensgruppen in den EU-Mitgliedstaaten. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Verteilungswirkungen innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten insgesamt in etwa neutral wären, dass aber in den ärmeren Mitgliedstaaten alle Haushalte im Durchschnitt einen höheren Anteil ihres Einkommens zahlen würden als in den reicheren Mitgliedstaaten. Im Gegensatz zu unserer Studie beurteilen Held et al. nicht die horizontale Verteilung, das heißt die Kosten, die von den vulnerabelsten Haushalten innerhalb einer gegebenen Einkommensgruppe getragen werden. Ungeachtet dessen diskutieren sie unsere Empfehlungen, Einnahmen an einkommensschwache Haushalte zu recyceln und einen Preiskorridor für das ETS2 einzuführen. Gore (2022) führt eine Analyse der Verteilungswirkungen der Kommissionsvorschläge auf der Ebene der EU-weiten Einkommensdezile durch. Er beurteilt die Unterschiede in den Verteilungswirkungen innerhalb einzelner Einkommensgruppen, die auf andere Merkmale, wie zum Beispiel Demografie, Wohnumfeld und ob Haushalte Eigentümer oder Mieter sind, zurückgeführt werden können. Er betrachtet jedoch nicht ausdrücklich von Energiearmut bedrohte Haushalte. Seine Analyse zeigt, dass das ETS2 aus EU-weiter Perspektive einen regressiven Effekt hätte, dass aber die vorgeschlagene Reform der Energiesteuerrichtlinie diesen Effekt teilweise abmildern würde und dass durch das Recycling von Auktionseinnahmen und SCF-Mitteln progressive Ergebnisse erzielt werden können, wobei die Haushalte in den untersten Einkommensdezilen die Netto-Gewinner sind. Unsere Analyse geht über frühere Studien hinaus, indem sie eine detaillierte Analyse der Energiearmut und der Ausgleichsregelungen zur Unterstützung vulnerabler Haushalte liefert.

Selber Preis, aber sehr unterschiedliche finanzielle Belastungen

Das vorgeschlagene ETS2 hätte nicht nur Verteilungswirkungen zwischen den einzelnen EU-Mitgliedstaaten (siehe vorheriger Abschnitt) zur Folge, sondern würde auch verschiedene soziale Gruppen auf unterschiedliche Weise betreffen. CO2-Preise erhöhen den Preis für fossile Brennstoffe, zum Beispiel würde ein CO2-Preis von 50 €/tCO2 den Preis für Benzin um etwa 10 Eurocent pro Liter und den Preis für Diesel um etwa 12 Eurocent pro Liter steigen lassen (falls er vollständig an die Endverbraucher weitergegeben werden). Das Ziel höherer Brennstoffpreise ist, Anreize für Emissionssenkungen zu schaffen. Diese können durch den Umstieg auf CO2-ärmere Alternativen (wie Elektrofahrzeuge oder Wärmepumpen) oder durch Verhaltensänderungen (zum Beispiel den Umstieg vom Privat-Pkw auf öffentliche Verkehrsmittel) erreicht werden. Höhere Energiepreise haben aber auch Verteilungswirkungen, wobei einkommensschwache Haushalte am stärksten von höheren Energiepreisen betroffen sind, weil sie einen höheren Anteil ihres verfügbaren Einkommens für Energie ausgeben. Eine mögliche Lösung dieses Problems wäre, die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung zu „recyceln“, also zurück an die Bevölkerung zu geben. Es stellen sich hierbei folgende Fragen: Wie hoch muss der Ausgleich sein, und wem kommt er zugute? Die folgende Analyse entwickelt zwei verschiedene Szenarien, wie Auktionseinnahmen recycelt werden können, und beurteilt, wie jedes Szenario die Verteilungswirkungen des ETS2 beeinflussen würde.

Beschreibung und Analyse der Szenarien

In Szenario 1 findet eine pauschale Pro-Kopf-Umverteilung statt (entweder direkt oder durch Investitionen, die allen in gleicher Weise zugute kommen), was relativ einfach zu realisieren wäre. Dieser Ansatz folgt einer egalitären Gerechtigkeitsperspektive, die davon ausgeht, dass alle Menschen gleichermaßen an den durch den Klimaschutz erzielten Einnahmen beteiligt sind. Szenario 2 sieht einen gezielten Ausgleich für vulnerable Haushalte vor, was schwieriger umzusetzen wäre, da die Feststellung potenzieller begünstigter Personen bürokratischen Aufwand erfordert. Dieser Ansatz gründet sich auf eine bedarfsorientierte Gerechtigkeitsperspektive.

SzenarioBeschreibung
(1) Pauschaler Pro-Kopf-AusgleichDie Einnahmen aus der Auktion von Emissionsrechten werden gleichmäßig an alle Bürger verteilt. Die Einnahmen können als direkte Finanztransfers, als Steuersenkungen oder als Sachleistungen in Form von öffentlichen Gütern und Dienstleistungen recycelt werden. Wir betrachten zwei Fälle: (i) Die Umverteilung findet auf nationaler Ebene statt, und alle Einnahmen aus dem CO2-Preis werden gleichmäßig an die Bürger umverteilt, und (ii) die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung werden so umverteilt, dass alle EU-Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit den gleichen Betrag erhalten. Der erste Fall ist für Länder mit hohen Pro-Kopf-Emissionen vorteilhafter, der zweite für Länder mit niedrigen Pro-Kopf-Emissionen.
(2) Gezielter Ausgleich für vulnerable HaushalteDie Einnahmen aus der Auktion von Emissionsrechten werden nur vulnerablen Haushalten zur Verfügung gestellt. Wir betrachten zwei Fälle: (i) nur einkommensschwache Verbraucherinnen und Verbraucher, die einen hohen Anteil ihres Einkommens für Energie ausgeben, erhalten einen Ausgleich, und (ii) alle Verbraucherinnen und Verbraucher einer bestimmten Einkommensgruppe erhalten einen Ausgleich, unabhängig von ihren Energieausgaben.

Szenario 1: Pauschaler Pro-Kopf-Ausgleich

Für diese Analyse werden die EU-Haushalte (unabhängig vom Mitgliedstaat) in zehn Dezile gruppiert: Das erste Dezil bezeichnet das niedrigste Einkommen, das zehnte Dezil das höchste. Angepasst an die jeweiligen Lebenshaltungskosten (das heißt bei „Kaufkraftparität“), gibt der durchschnittliche EU-Haushalt insgesamt etwa 25.000 € pro Jahr aus. Bei Haushalten im untersten und zweituntersten Dezil belaufen sich die jährlichen Ausgaben auf etwa 9.000 € bzw. 12.000 €. Im reichsten Dezil belaufen sich die Ausgaben auf rund 60.000 €.

Abbildung 5 (unten) analysiert, wie sich ein CO2-Preis von 50 €/tCO2 auf diese verschiedenen Einkommensgruppen auswirken würde. Um die Effekte des ETS2 klar herauszustellen, werden andere Energiepreisänderungen im Fit für 55-Paket (zum Beispiel eine Reform der Energiesteuerrichtlinie), die die Verteilungswirkungen des ETS2 abmildern könnten, nicht berücksichtigt. Die unkompensierten Effekte eines solchen CO2-Preises wären leicht regressiv (lila Linie). Die Haushalte im ärmsten Dezil würden etwa 0,5 % ihres Einkommens verlieren, während der Verlust für Haushalte im reichsten Dezil etwa
0,35 % betragen würde.43In einigen einkommensschwachen EU-Mitgliedstaaten, in denen ärmere Haushalte im Durchschnitt relativ wenig für Energie ausgeben, wäre das ETS2 jedoch auch ohne Einnahmen-Recycling progressiv. Wir erwägen zwei Möglichkeiten, die resultierenden Einnahmen an die Bevölkerung zurückzugeben, um diese regressiven Effekte abzumildern. Beide gehen davon aus, dass die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung vollständig recycelt werden, zum Beispiel in Form von Finanztransfers, Steuersenkungen oder Investitionen, die direkt den Nutzerinnen und Nutzern zugute kommen, wie zum Beispiel Investitionen in den öffentlichen Personenverkehr oder finanzielle Unterstützung für die Dämmung von Privathäusern. Die grüne Linie stellt den Fall dar, in dem die Einnahmen auf pauschaler Pro-Kopf-Basis an alle EU-Bürgerinnen und Bürger verteilt werden; die rote Linie stellt die Auswirtkung dar, wenn jeder Mitgliedstaat seinen jeweiligen Anteil an den Einnahmen auf pauschaler Pro-Kopf-Basis auf nationaler Ebene verteilt. In beiden Fällen wäre die CO2-Bepreisung kombiniert mit Einnahmen-Recycling eindeutig progressiv. Tatsächlich wären die unteren sechs Dezile Netto-Gewinner. Wie durch die negative Kostenbelastung angedeutet, würden die ihnen gewährten Ausgleichszahlungen die zusätzlichen Kosten infolge höherer Energiepreise übersteigen. Im Fall eines nationalen Recycling (rote Linie) würden sich die Nettogewinne für das ärmste Dezil der EU-Bevölkerung auf fast 1,5 % belaufen. Im Fall eines EU-weiten Einnahmen-Recycling (grüne Linie) würden die Durchschnittseinkommen im untersten Dezil um durchschnittlich 2,5 % steigen.

Abbildung 5: Auswirkungen eines ETS2-CO2-Preises von 50 €/tCO2 auf die Einkommensverteilung in den EU-Einkommensgruppen.
Quelle: eigene Berechnungen.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob und inwieweit ein Einnahmen-Recycling tatsächlich zu „Gewinnern“ führen sollte, die überkompensiert werden — insbesondere angesichts der Notwendigkeit, in eine CO2-arme Infrastruktur zu investieren, sowie des erwarteten Rückgangs der Einnahmen aus anderen CO2-Steuern (zum Beispiel Kraft- und Brennstoffsteuern) im Zuge der Umstellung der Wirtschaft auf Netto-Null. Aus diesem Grund untersuchen wir auch Szenarien, in denen den Haushalten nur ein Teil der Einnahmen zufließt (siehe Abbildung 6). Diese Analyse basiert auf einem pauschalen Pro-Kopf-Recycling auf EU-Ebene. Die Resultate zeigen, dass das Recyceln eines Drittels der Einnahmen bereits zu einem progressiven Ergebnis und zu Nettogewinnen für das unterste Einkommensdezil führen würde. Mit steigendem Recyclinganteil werden die Auswirkungen auf die Einkommensverteilung progressiver, und weitere einkommensschwache Dezile werden zu Netto-Gewinnern .

Abbildung 6: Verteilungswirkungen des ETS2 unter der Annahme, dass unterschiedliche Anteile der Auktionseinnahmen auf einer EU-weit pauschalen pro Kopf Basis an die Haushalte zurückgeführt werden.
Quelle: eigene Darstellung.

Szenario 2: Gezielter Ausgleich für vulnerable Haushalte

Ein entscheidender Punkt in Bezug auf die Verteilungsfolgen der CO2-Bepreisung ist die horizontale Gerechtigkeit – die Verteilung der Kosten innerhalb einer gegebenen Einkommensgruppe.
Selbst ein im Durchschnitt sehr progressives Recycling birgt die Gefahr, dass einige einkommensschwache Haushalte am Ende schlechter gestellt sind. Das kann bei Haushalten der Fall sein, die einen relativ großen Teil ihres Einkommens für Energie ausgeben, weil zum Beispiel die Arbeitswege lang oder die Häuser schlecht gedämmt sind. Um die Zahl der von Energiearmut bedrohten Haushalte abzuschätzen,44Die Europäische Kommission definiert Energiearmut als „eine Kombination aus niedrigem Einkommen, hohen Ausgaben des verfügbaren Einkommens für Energie und schlechter Energieeffizienz“ Siehe https://energy.ec.europa.eu/topics/markets-and-consumers/energy-consumer-rights/energy-poverty_en betrachten wir die energieintensiven Verbraucherinnen und Verbraucher in den untersten zwei oder drei Dezilen, deren Energieausgaben im Verhältnis zum Einkommen mehr als eine Standardabweichung (etwa 1,8 %) über dem Median liegen. Wie in Abbildung 7 (unten) gezeigt, befindet sich die Mehrheit der energieintensiven Verbraucherinnen und Verbraucher in den untersten Einkommensdezilen, obgleich es eine beträchtliche Anzahl von Personen in den höchsten Ein-kommensdezilen gibt, die einen großen Teil ihres Einkommens für Heizstoffe (insbesondere in Deutschland) und für Kraftstoffe (insbesondere in Griechenland) ausgeben.

Abbildung 7: Energieintensive Verbraucherinnen und Verbraucher in der EU nach Einkommensdezil.
Quelle: eigene Berechnungen

In der gesamten EU gibt es etwa 4,5 Millionen Menschen in den beiden untersten Einkommensdezilen und etwa 6,2 Millionen Menschen in den drei untersten Dezilen, die zu den energieintensiven Verbraucherinnen und Verbrauchern gehören und somit als von Energiearmut bedroht gelten können. Diese Menschen leben hauptsächlich in Bulgarien, Ungarn, Polen und Rumänien. Um diese vulnerablen Haushalte vor steigenden Energiepreisen zu schützen, sind spezielle Maßnahmen erforderlich. Die EU-Mitgliedstaaten haben auf den jüngsten Anstieg der Energiepreise reagiert, indem sie neue Maßnahmen umgesetzt und/oder bestehende Programme zur Bekämpfung der Energiearmut erweitert haben. Allerdings ist eine zielgenaue Ausrichtung dieser Maßnahmen von entscheidender Bedeutung (siehe Kasten „Bessere Ausrichtung der politischen Maßnahmen gegen Energiearmut“).

Kasten: „Bessere
Ausrichtung der politischen Maßnahmen gegen Energiearmut“

Energiearmut ist ein immer dringlicheres politisches Anliegen in Europa, insbesondere angesichts des jüngsten drastischen Anstiegs der Benzin- und Gaspreise, der sich unverhältnismäßig auf die Budgets energiearmer Haushalte auswirkt. Die politische Herausforderung besteht darin, denjenigen, die Gefahr laufen, auf eine Grundversorgung mit Energie verzichten zu müssen, Ausgleichsmittel zuzuweisen. Allerdings ist die EU dieser Aufgabe bisher nicht gewachsen. In Frankreich kommen trotz einiger gezielter Maßnahmen (zum Beispiel Energiegutscheine) nur 9,3 % der gesamten Hilfsausgaben dem untersten Einkommensdezil zugute. In Deutschland profitieren reichere Haushalte stärker von subventionierten Kraft- und Heizstoffen, da der Verbrauch mit dem Einkommen steigt.

Um die öffentlichen Ausgaben zielgerichteter einzusetzen, sollten sich die Kriterien für den Bezug von Ausgleichsmaßnahmen stärker an der von der Kommission ausgearbeiteten Definition für Energiearmut orientieren und neben dem Einkommen auch den Energieverbrauch berücksichtigen. Die akademische Forschung hat weitere objektive Kriterien für eine Ausrichtung auf energiearme Haushalte vorgeschlagen, wie zum Beispiel Energieeffizienzklassen für Wohnungen, Art der Heizung, Energieausgabenquote, Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Pkw-Energieeffizienz sowie Kraft- und Heizstoffausgabenquote (Berry, 2018).
Die Zuteilung von Entlastungstransfers auf der Grundlage dieses umfassenden Kriterienkatalogs würde dem Gerechtigkeitsaspekt der EU-Energiepolitik einen starken Impuls verleihen.

Mit besonderem Blick auf die von Energiearmut bedrohten Haushalte wird in Abbildung 8 der Anteil der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung dargestellt, der für die vollständige Entlastung energieintensiver Verbraucherinnen und Verbraucher erforderlich wäre. Es ist zu sehen, dass weniger als 2 % der Auktions-einnahmen erforderlich wären, um alle energieintensiven Verbraucher im untersten Dezil zu entlasten, und weniger als 5 %, um alle energieintensiven Verbraucher in den beiden untersten Dezilen zu entlasten. Weniger als 10 % der Auktionseinnahmen würden alle energieintensiven Verbraucher in den untersten vier Einkommensdezilen entlasten, und rund 22 % der Einnahmen wären genug, um die zusätzlichen Kosten der energieintensiven Verbraucher in allen Einkommensdezilen zu decken. Das heißt, mit einem zielgerichteten Ausgleich für vulnerable Haushalte würden 25 % der Einnahmen aus der Versteigerung von Emissionsrechten mehr als ausreichen, um alle energieintensiven Verbraucher in der EU zu entlasten. Zum Vergleich (Abbildung 8) betrachten wir auch die Zahlungen, die erforderlich wären, um alle Haushalte einer gegebenen Einkommensgruppe — und nicht nur die energieintensiven Verbraucher — für ihre zusätzlichen Kosten zu entlasten. Es über-rascht nicht, dass in diesem Fall wesentlich höhere Anteile erforderlich wären.
Um beispielsweise die untersten vier Dezile zu entlasten, müssten fast 25 % der Einnahmen — und damit das gesamte Volumen des SCF — ausgegeben werden.

Abbildung 8: Anteil der erforderlichen Auktionseinnahmen, um (a) alle energieintensiven Verbraucherinnen und Verbraucher und (b) alle Verbraucherinnen und Verbraucher von ihren zusätzlichen Energiekosten aufgrund eines CO2-Preises zu entlasten.
Quelle: eigene Berechnungen.

Diskussion und Empfehlungen

Die hier präsentierte Analyse zeigt, dass der vorgeschlagene SCF ausreichen könnte, um von Energiearmut bedrohte Haushalte vollständig von höheren Energiepreisen zu entlasten, sofern die verfügbaren Finanzmittel zielgerichtet eingesetzt werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um dies zu bewerkstelligen. Ein weit verbreiteter Ansatz besteht darin, die Kosten für fossile Brennstoffe zu senken, zum Beispiel durch eine Senkung der Energiesteuern, der Mehrwertsteuer oder der Durchleitungsgebühren. Das mildert zwar die (unerwünschten) Verteilungswirkungen auf Verbraucher, dämpft aber auch den (erwünschten) Anreiz zur Abkehr von der Nutzung fossiler Brennstoffe. Ein finanzieller Ausgleich durch Finanztransfers oder durch die Senkung anderer Steuern, wie zum Beispiel der Lohnsteuer, sind ein anreizkompatibler Weg, das ETS2 sozial gerecht auszugestalten. Hier stehen die Entscheidungsträger vor einem Kompromiss: Entweder verwenden sie die knappen Gelder ausschließlich zur Unterstützung energieintensiver Verbraucherinnen und Verbraucher und riskieren dabei, dass einige der Anspruchsberechtigten ungenügend entlastet werden. Oder sie können die Gelder einem größeren Teil der Bevölkerung zukommen lassen, indem sie alle einkommensschwachen Haushalte — unabhängig von ihrem Energieverbrauch — entlasten, wodurch wiederum weniger Investitionsmittel für die Beschleunigung der Energiewende verbleiben. Wie dieser Kompromiss entschieden wird, hängt entscheidend von den Fähigkeiten eines Landes ab, die anspruchsberechtigten Haushalte zu ermitteln und zielgerichtete Entlastungen zu gewähren. Als beste Option dürften sich Investitionen erweisen, die die Anpassung an einen CO2-Preis durch den Umstieg auf CO2-arme Transport- und Heizungsarten erleichtern.

Eines ist sicher: Gleichheit und Gerechtigkeit verlangen, dass Ausgleichsmaßnahmen vor allem von Energiearmut bedrohten Haushalte zugutekommen. Um die von Energiearmut bedrohten Haushalte zu ermitteln, muss ein klarer Katalog von Indikatoren in Verbindung mit landesspezifisch zweckmäßigen Datenerhebungssystemen ausgearbeitet werden. Dies muss auch zusätzliche Randbedingungen wie den Zugang zu Kapital und geteilte Investitionsanreize (zum Beispiel in Mietshäusern) berücksichtigen. Daher könnten die Hilfsprogramme zur Behebung der Energiearmut durch Maßnahmen für erleichterten Zugang zu Krediten sowie Änderungen der regulato-rischen Rahmenbedingungen ergänzt werden.


Dieser Report spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des gesamten Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider. Die Inhalte der Ariadne-Publikationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erstellt.

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Autorinnen & Autoren

Benjamin Görlach

Ecologic Institut

Dr. Michael Jakob

Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change

Katharina Umpfenbach

Ecologic Institut

Dr. Mirjam Kosch

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Dr. Michael Pahle

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Dr. Théo Konc

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Dr. Nils aus dem Moore

RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung

Johannes Brehm

RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung

Simon Feindt

Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change

Fabian Pause

Stiftung Umweltenergierecht

Jana Nysten

Stiftung Umweltenergierecht

Dr. Jan Abrell

ZEW - Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung