Hintergrund: Positionen deutscher Stakeholder zu einem europäischen CO2-Grenzausgleich

pdf
Open Publikation

Kurzfassung

Die Sorge um „Carbon Leakage“ ist ein zentrales Hindernis für eine ambitionierte deutsche und Europäische Klimapolitik und hat in der Vergangenheit zu intensiven politischen Konflikten geführt. Um angesichts der ambitionierten Klimaziele des Green Deal Carbon Leakage in Zukunft zu verhindern, hat die Europäische Union in ihrem „Fit für 55“-Paket ein CO2-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) vorgeschlagen. Über den Gesetzesvorschlag der Kommission wird momentan im zuständigen Umweltausschuss des EU-Parlaments beraten. Die Entscheidung des EU-Parlaments wird dann an den Rat der Europäischen Union, nun unter dem Vorsitz Frankreichs, übermittelt und dort weiter diskutiert. Die Verordnung soll im Januar 2023 in Kraft treten.

Angesichts der Sorgen und politischen Konflikte um mögliches Carbon Leakage hat die Frage der Unterstützung und Ablehnung der verschiedenen spezifischen Designelemente eines EU CBAM durch verschiedene Stakeholdergruppen eine hohe politische Relevanz. Vor diesem Hintergrund haben wir mehr als 80 der zentralen Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Fachdebatte aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft sowohl nach ihren grundlegenden Einstellungen als auch zu spezifischen Details der Ausgestaltung eines CBAM befragt. Dabei zeigt sich, dass in Deutschland ein CBAM unter den wichtigsten Stakeholdergruppen durchschnittlich befürwortet wird. Als Hauptdiskussionspunkte identifiziert wurden(1) das Auslaufen der kostenlosen Zuteilung von Emissionsrechten bei Einführung eines CBAM, (2) die Anwendung eines CBAM nur auf Importe (und nicht auch auf Exporte), (3) die Frage ob und für welche Länder Ausnahmen gelten sollten und (4) die Verwendung der CBAM-Einnahmen.

Zusammenfassung


Am 14. Juli 2021 legte die EU-Kommission im Rahmen des „Fit für 55“-Pakets einen Vorschlag für die Schaffung eines CO2-Grenzausgleichssystems (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) vor. Der EU-Kommissionsvorschlag zur Schaffung eines CBAMs wird in den nächsten Monaten im Europäischen Parlament und Rat der Europäischen Union diskutiert, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der EU. Momentan berät der zuständige Umweltausschuss des EU-Parlaments über den Gesetzesentwurf. Die Entscheidung des EU-Parlaments wird dem Rat, mit dem Vorsitz Frankreichs für die erste Jahreshälfte 2022, übermittelt und ab Januar 2023 soll die Verordnung in Kraft treten.

Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung wird ein solcher Grenzausgleich als zentraler Baustein genannt, um internationale Kooperationen zum Klimaschutz zu befördern und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu sichern. Kurz vor Veröffentlichung des EU-Kommissionsvorschlags haben wir eine Umfrage unter Vertreterinnen und Vertretern der relevantesten deutschen Unternehmen und Verbände, Organisationen der Zivilgesellschaft (NGOs sowie Gewerkschaften) und aus der Wissenschaft durchgeführt. Darin fragten wir nach grundlegenden Einstellungen und Annahmen zu einem Europäischen CO2-Grenzausgleichssystem, Präferenzen hinsichtlich Details der Ausgestaltung und Einschätzungen zur unilateralen Einführung eines CBAM. Insgesamt erhielten wir über 80 Antworten über alle Gruppen verteilt (Rücklaufquote von 17 % insgesamt, 26 % ohne Einzelunternehmen).

Als Hauptergebnis zeigt sich, dass ein CBAM durchschnittlich unter allen wichtigen deutschen Stakeholdergruppen befürwortet und seine Einführung auch erwartet wird. Gleichzeitig werden hohe handelspolitische, administrative und juristische Risiken gesehen. Insbesondere Teilnehmende aus Unternehmen, Verbänden und Wissenschaft äußern größere Bedenken als Befragte aus der Zivilgesellschaft darüber, dass ein unilateraler Grenzausgleich die EU politisch isolieren und administrativ sowie juristisch schwer umzusetzen sein könnte.

Unter den Ausgestaltungsoptionen ist die mögliche Anpassung der freien Allokation von Zertifikaten für Anlagen im EU-Emissionshandelssystem (EU-EHS) besonders umstritten. Die Befragten aus Unternehmen und Verbänden sprechen sich deutlich stärker als andere Befragte für eine Weiterführung und mögliche Stärkung der freien Zuteilung von Emissionszertifikaten aus.

Mit Blick auf den EU-Kommissionsvorschlag für einen CBAM haben Unternehmen und Verbänden abweichende Auffassungen insbesondere bei der derzeit nicht vorgesehenen Rückerstattung von CO2-Preisen des EU-EHS für Exporte aus der EU, sowie der Verwendung der Einnahmen. Sie sprechen sich für eine Rückerstattung der CO2-Preise für Exporte aus und befürworten die Verwendung der Einnahmen insbesondere zur Förderung grüner Technologien innerhalb der EU statt – wie von der Kommission vorgesehen – für den EU-Haushalt. Befragte aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft betrachten die Rückerstattungen für Exporte dagegen kritisch, möglicherweise aufgrund der damit zusammenhängenden Herausforderungen in Bezug auf Kompatibilität mit dem Welthandelsrecht. Statt der Verwendung der Einnahmen als Eigenmittel für den EU-Haushalt befürworten sie ebenfalls die Förderung grüner Technologien, allerdings in Form des Transfers sauberer Technologien an Niedrigeinkommensländer. Befragte aus den drei Stakeholdergruppen befürworten Ausnahmen für Länder, die ein Emissionshandelssystem oder eine Treibhausgas-Steuer in relevanten Sektoren mit ähnlichen Preisen einführen wie die EU. Zivilgesellschaft und Wissenschaft befürworten zudem Ausnahmen für Länder mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen und für Länder, die keine preisbasierten, aber in ihrer Wirkung vergleichbare Klimapolitik in relevanten Sektoren umsetzen.

Diese Umfrage fasst die Präferenzen zentraler deutscher Stakeholder zu einem EU CBAM zusammen und stellt damit die bisher umfassendste und systematischste Erhebung in Deutschland zu einem Grenzausgleich dar. Vor dem Hintergrund der politischen Debatte in diesem Jahr kann sie einen Beitrag zur Klärung politischer Widerstände gegen spezifische Designoptionen leisten und mögliche alternativer Lösungsansätze identifizieren.

1. Einleitung

Der EU Green Deal setzt das Ziel, in der Europäischen Union bis zum Jahre 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen (Europäische Kommission 2021a). Diese ambitionierte Zielsetzung birgt die Gefahr, dass Firmen zunehmend ihre Produktion in Weltregionen mit weniger ambitionierten Klimaschutzzielen auslagern, um Kosten einzusparen. Ein solches „Carbon Leakage“ würde nicht nur die globale Klimaschutzwirkung der EU-Maßnahmen konterkarieren, sondern auch den Industriestandort Europa gefährden (Jakob 2021).

Die freie Zuteilung von Emissionszertifikaten im EU-Emissionshandel diente bisher als zentraler Mechanismus, um energieintensive Industrien vor solchen Carbon-Leakage-Effekten zu schützen (Martin et al. 2014). Jedoch sind der freien Zuteilung von Emissionszertifikaten bei Netto-Null-Emissionen absehbar enge Grenzen gesetzt (Fahl et al. 2021).

Aus diesem Grund sieht der EU Green Deal vor, ein CO2-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) zu entwickeln. Das am 14. Juli 2021 vorgelegte „Fit für 55“-Paket beinhaltet konkrete Vorschläge zur Ausgestaltung eines solchen Mechanismus (Europäische Kommission 2021b). Ziel der Kommission war dabei, einen mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO vereinbarten Mechanismus vorzulegen. 

Dieser Hintergrundbericht untersucht die Akzeptanz eines möglichen EU CBAM unter verschiedenen Stakeholdergruppen in Deutschland. Wir stützen uns hierzu auf eine Umfrage mit über 80 zentralen Vertreterinnen und Vertretern deutscher Unternehmen und Verbänden, der Zivilgesellschaft (NGOs sowie Gewerkschaften) und aus der Wissenschaft. Die Umfrage wurde von 7. Juni bis 7. Juli 2021 durchgeführt, d.h. kurz vor Veröffentlichung des EU-Kommissionsvorschlags.

Um die Präferenzen wichtiger deutscher Stakeholder möglichst umfassend zu ermitteln, sind wir mit unserem Fragebogen in drei Schritten vorgegangen: Zunächst haben wir gezielt nach grundlegenden Einstellungen und Annahmen zu einem Europäischen Grenzausgleich gefragt. Zudem fragten wir nach den Gründen, warum ein Grenzausgleich eingeführt werden sollte, welche Risiken die Befragten für einen Grenzausgleich sehen und mögliche Alternativen zu einem Grenzausgleich. Als zweiten Schritt analysierten wir die präferierte Ausgestaltung eines Grenzausgleichs. Die Konzeption basiert dabei auf der Prämisse, dass die Ausgestaltung eines Grenzausgleichs auf Designentscheidungen beruht, welche unterschiedliche Modelle eines Grenzausgleichs hervorbringen (Cosbey et al. 2019; Mehling et al. 2019). Der Fragebogen umfasst dabei Kernelemente der Diskussion, wie z.B. die Bestimmung der Menge an abzugebenden Zertifikaten und deren Preis, die Erstattung gezahlter CO2-Preise für Ausfuhren aus der EU, mögliche Ausnahmen für Importe sowie die Verwendung der Einnahmen durch einen Grenzausgleich (Jakob 2021). Schließlich identifizierten wir das Meinungsbild zur unilateralen Einführung eines Grenzausgleichs der EU.

Im folgenden Abschnitt zwei erläutern wir die Methodik und Herangehensweise. Abschnitt drei stellt die Ergebnisse der Umfrage vor. Wie sich die Umfrageergebnisse zum Vorschlag der EU-Kommission verhalten, diskutieren wir in Abschnitt vier. Abschließend fassen wir die identifizierten Divergenzen unter den Stakeholdergruppen und hinsichtlich des EU-Kommissionsvorschlags zusammen.

2. Methodik

Die Umfrage richtete sich an drei1Eine zusätzliche Stakeholdergruppe „Politik“, hauptsächlich bestehend aus Abgeordneten des Deutschen Bundestages, wurde aufgrund einer niedrigen Rücklaufquote nicht in die Erhebungsgesamtheit aufgenommen. Stakeholdergruppen in Deutschland: Unternehmen und Verbände, Organisationen der Zivilgesellschaft (NGOs und Gewerkschaften) sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Ein einstufiger Vortest mit acht Promovierenden, Postdoktoranden und erfahrenen Forschenden verschiedener Institute wurde vor der Haupterhebung durchgeführt. Die Onlineerhebung wurde anonym mit der Software QuestionPro gemäß der EU-Datenschutzgrundverordnung ausgeführt. Die E-Mail-Einladungen wurden zwischen dem 7. Juni und dem 1. Juli 2021 verschickt und die Umfrage war bis zum 7. Juli 2021 zugänglich.

Befragte der Gruppe Unternehmen wurden nach einem zweistufigen Ansatz ausgewählt. Zunächst wurden 100 Unternehmen in Deutschland mit den höchsten Emissionen nach dem EU-EHS-Register identifiziert (Europäische Kommission 2021c). Als nächsten Schritt wurden Industrieunternehmen anhand eines Berichts der Deutschen Emissionshandelsstelle ausgewählt, deren Sektor einen hohen Carbon-Leakage-Indikator gemäß der Europäischen Kommission aufweist, und welche im Bericht des Europäischen Parlaments für einen CBAM im März 2021 vorgeschlagen wurden (Europäische Kommission 2018; DEHsT 2020; Europäisches Parlament 2021).2Ausgewählte Sektoren: Herstellung von Zement, Düngemitteln und Stickstoffverbindungen, Basiseisen und Stahl sowie von Ferrolegierungen, sonstige anorganische Grundchemikalien, sonstige organische Grundchemikalien, Aluminiumherstellung und Flachglasherstellung sowie Herstellung von Papier und Pappe. Verbände wurden identifiziert basierend auf dem Stichpunktregister der öffentlichen Liste über die beim Bundestag registrierten Verbände (Lobbyliste) (Deutscher Bundestag 2021). Für einen Überblick der Aufteilung der Befragten aus Unternehmen und Verbänden nach Sektoren siehe Tabelle 4 Annex 1.

Befragte der Gruppe NGOs und Gewerkschaften wurden ebenfalls mit dem Stichwortregister der Lobbyliste des Deutschen Bundestages ausgewählt. Dazu wurden Teilnehmende hinzugefügt, welche an der Konsultation zu einem Grenzausgleich der Europäischen Kommission teilnahmen. Um beteiligte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu identifizieren, wurde zunächst eine Liste deutscher Hochschul- und Forschungseinrichtungen zusammengestellt (BMBF 2018). Anschließend wurde eine Google Scholar, bzw. Google Suche, mit Namen der Einrichtung und Stichwort (Grenzausgleich, Border Carbon Adjustment, Border Tax Adjustment) durchgeführt.3Veröffentlichungen vor 2015 wurden nicht berücksichtigt. Bei Veröffentlichung außerhalb einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift, wurden nur die ersten drei Autorinnen und Autoren ausgewählt. 

Die Erhebungsgrundgesamtheit umfasst insgesamt 473 relevante Befragte in Deutschland, basierend auf online zugänglichen E-Mail-Adressen. 81 Befragte der drei Stakeholdergruppen haben zugestimmt, an der Umfrage teilzunehmen, den Fragebogen bis zur letzten Seite ausgefüllt und anschließend gesendet (siehe Tabelle 1). Dies ist vergleichbar mit einer Online-Umfrage unter internationalen Stakeholdern zu einem EU CBAM, welche eine Teilnehmeranzahl von 105 umfasst (Maratou und Marcu 2021).

Insgesamt beträgt die Rücklaufquote 17 %, bzw. 26 % ohne Einzelunternehmen. Die höhere Teilnahme von Verbänden im Vergleich zu Einzelunternehmen erfüllt dabei die Erwartungen, dass Einzelunternehmen unter Umständen weniger Ressourcen zur Verfügung haben, um an Online-Umfragen teilzunehmen oder dies an Verbände auslagern, welche die Interessen vieler Einzelunternehmen bündeln.

Annex 1 zeigt Aussagen der Befragten auf die Frage, welchem Bereich, bzw. welcher Branche sie zugehörig sind (Tabelle 2). Der Fragebogen ermöglichte es zudem, qualitative Aussagen zu den jeweiligen Antworten hinzuzufügen (Annex 2).

Institutionelle
Zugehörigkeit
StichprobengrößeAnzahl der AntwortenRücklaufquoteAnteil (%)
Unternehmen / Verbände232 / 115458 % / 25 %56 %
Zivilgesellschaft (NGOs und Gewerkschaften)601322 %16 %
Wissenschaft662335 %28 %
Gesamt4738117 %100 %
Tabelle 1 Übersicht der Rücklaufquote und institutionelle Zugehörigkeit der Befragten.
Für die Tabelle wurden die Antworten auf die Frage „Was ist Ihre institutionelle Zugehörigkeit?“ verwendet.

3. Positionen deutscher Stakeholder zu einem Grenzausgleich

3.1. Einführung, Ziele, Risiken und Alternativen eines Grenzausgleichs: Grundkonsens zwischen den verschiedenen Stakeholdern erkennbar

Breite Zustimmung der Befragten zur Einführung eines Europäischen Grenzausgleichs. Wie in Abbildung 1 gezeigt, gibt es eine breite durchschnittliche Übereinstimmung dahingehend, dass ein Grenzausgleich eingeführt werden sollte (1a). Nur eine Minderheit der Befragten spricht sich deutlich gegen einen Grenzausgleich aus, darunter sieben Akteure aus Unternehmen und Verbänden. Laut der Mehrheit der Befragten sollte ein Grenzausgleich tatsächlich eingeführt und nicht nur als Androhung zur Steigerung des klimapolitischen Ambitionsniveaus wichtiger Industrie- und Schwellenländer verwendet werden (1b). Eine Mehrheit der Befragten erwartet, dass ein Grenzausgleich eingeführt wird (1c).

Die Vermeidung von Carbon Leakage sollte durchschnittlich das Hauptziel eines Grenzausgleichs sein. Die meisten Befragten sind sich einig, dass das Ziel eines Grenzausgleichs sein sollte, Carbon Leakage zu vermeiden (2a), die industrielle Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten (2b) und Anreize für andere Länder zu schaffen, Treibhausgas-(THG)-Emissionen zu reduzieren (2c). Das am wenigsten favorisierte mögliche Ziel eines Grenzausgleichs ist die Generierung von Einnahmen (2d).

Eine Vielzahl von Befragten äußert sich besorgt über mögliche Verlagerungseffekte sowie mögliche handelspolitische, juristische und administrative Risiken eines Grenzausgleichs. Insbesondere Stakeholder aus Unternehmen und Verbänden messen dem Risiko von Carbon Leakage einen hohen Stellenwert zu (3a). Jedoch sind sie geteilter Auffassung darüber, ob ein Grenzausgleich ein geeignetes Instrument ist, um Carbon Leakage zu vermeiden (3b). Es existiert eine große Zustimmung unter den Befragten, dass ein Grenzausgleich nachteilige Reaktionen bei den wichtigsten Handelspartnern der EU auslösen wird (3c) – bis hin zu handelspolitischen Vergeltungsmaßnahmen (3d) bei der Einführung eines unilateralen Grenzausgleichs (3e). Des Weiteren gibt es besonders in Wirtschaft und Wissenschaft Zweifel hinsichtlich der administrativen und juristischen Umsetzbarkeit (3f, 3g).

Ein grundlegender Dissens besteht zwischen Unternehmen und Verbänden einerseits sowie Zivilgesellschaft und Wissenschaft andererseits darüber, ob die kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten für energie- und handelsintensive Sektoren, als mögliche Alternative zu einem Grenzausgleich, gestärkt werden sollte. Stakeholderaus Unternehmen und Verbänden sprechen sich weitestgehend für eine Stärkung der freien Allokation statt eines Grenzausgleichs aus, was von zivilgesellschaftlichen Vertretern und Forschenden dagegen deutlich abgelehnt wird (4b).  In dieser Frage besteht die größte Divergenz zwischen den Gruppen in der gesamten Umfrage. Die Einführung einer Konsumabgabe, welche von der Menge verbrauchter Grundstoffe abhängt, nicht jedoch von deren CO2-Gehalt, wird überwiegend als nicht gangbare Alternative zu einem Grenzausgleich gesehen (4c), wobei Unternehmen und Verbände einer Konsumabgabe eher zustimmen, falls die freie Allokation von Emissionsrechten weitergeführt wird (4d). Im Durchschnitt befürworten die Befragten kooperative Ansätze der globalen Klimapolitik (4a).

Abbildung 1 Mittelwerte plus/minus Variationskoeffizienten4Der Variationskoeffizient wird auch als normierte Standardabweichung bezeichnet.
für die Antworten zu den Themenkomplexen (1) Einführung, (2) Ziele, (3) Risiken und (4) Alternativen eines Grenzausgleichs. Die Antwortskala reicht von 1 (Stimme überhaupt nicht zu) über 3 (Stimme weder zu noch lehne ab) bis 5 (Stimme voll und ganz zu).

3.2. Ausgestaltung des Grenzausgleichs in vielen Aspekten stark umstritten


3.2.1. Während sich die Befragten verschiedene instrumentelle Ausgestaltungsoptionen vorstellen können, besteht Dissens in Bezug auf freie Allokation von Emissionsrechten

Unter den Befragten sind verschiedene instrumentelle Ausgestaltungen denkbar. Insbesondere die Zivilgesellschaft spricht sich überwiegend gegen eine Ausweitung des EU-EHS durch die Einbeziehung von Importen aus, während Unternehmen und Verbände diese Ausgestaltungsoption im Vergleich mit den anderen Stakeholdergruppen im Durchschnitt am positivsten bewerten (5a). Eine größere Zustimmung unter den verschiedenen Stakeholdern gibt es für die Einführung eines Grenzausgleichs als separatem Emissionshandelssystem (EHS), dessen Zertifikate aus einem getrennten Pool erworben werden (5b). Für die Ausgestaltung eines Grenzausgleichs als Abgabe oder Steuer auf Importe sprechen sich durchschnittlich Befragte aus Zivilgesellschaft sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus (5c). Insgesamt sind sich die Befragten durchschnittlich einig, dass ein Grenzausgleich nicht als Zoll eingeführt werden sollte (5d). Dies könnte die Sorge vor handelspolitischen Gegenmaßnahmen und Fragen zur juristischen Umsetzbarkeit widerspiegeln.

Eine mögliche Anpassung der Cap, bzw. die Einführung eines Preises, der auf einem gleitenden Durchschnitt der European Union Allowance (EUA)-Preise beruht, sind weniger umstrittene Ausgestaltungsoptionen. Die Befragten sind sich einig, dass der bestehende Cap angepasst werden sollte, falls Zertifikate für Importe aus dem bestehenden EU-EHS Zertifikatepool erworben werden sollten (6a, 6b). Falls Zertifikate aus einem zusätzlichen Pool erworben werden oder ein Grenzausgleich in Form einer Abgabe, Steuer oder eines Zolls eingeführt werden sollte, befürwortet die Mehrheit der Befragten, dass der Preis auf einem gleitenden Durchschnitt der EUA-Preise in einem bestimmten Zeitraum beruhen (7b), anstatt im Voraus festgelegt und dann für diese Periode unverändert bleiben sollte (7a).

Während Zivilgesellschaft und Wissenschaft ein schrittweises Auslaufen der freien Allokation von Emissionsrechten befürworten, sprechen sich Unternehmen und Verbände dagegen aus. Dies ist unter den beteiligten Gruppen eine der umstrittensten Fragen. Befragte aus Unternehmen und Verbänden sind weitgehend für die gleichzeitige Beibehaltung der freien Allokation von Emissionsrechten bei Einführung eines Grenzausgleichs. Hingegen sprechen sich Stakeholder aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft für eine sofortige Beendigung bzw. ein schrittweises Auslaufen der freien Allokation aus (8a, 8b).Zusätzlich stimmen Unternehmen und Verbändeim Durchschnitt zu, dass die kostenlose Zuteilung beibehalten werden sollte und bei Importen in dem Maße ein Grenzausgleich gezahlt werden sollen, in dem die damit verbundenen EU-Benchmarks für freie Zuteilung überschritten werden, was von Befragten aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft weitgehend abgelehnt wird (8c).

Abbildung 2 Mittelwerte plus/minus Variationskoeffizienten für die Antworten zu den Themenkomplexen (5) Ausgestaltung des Instruments, (6) Option: Ausweitung des EU-EHS durch die Einbeziehung von Importen, (7) Preispfad-Option: Separater Zertifikatepool, Abgabe oder Steuer, Zoll und (8) Kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten. Antworten auf Frage 6 und 7: N < 50 % der Befragten. Fragen zu (6) wurden von keinem Befragten der Zivilgesellschaft beantwortet.

3.2.2. Die Befragten sind geteilter Meinung darüber, ob ein Grenzausgleich Rückerstattung für Exporte beinhalten sollte, welche Produkte abgedeckt und wie enthaltene Emissionen berechnet werden

Ob ein Grenzausgleich nur für Importe gelten sollte oder auch Rückerstattungen für Exporte aus der EU beinhalten sollte, ist stark umstritten. Wie in Abbildung 3 gezeigt, befürwortet die Industrie, dass ein Grenzausgleich auch Rückerstattungen für Exporte aus der EU beinhalten sollte. Gleichzeitig sprechen sich Befragte aus der Zivilgesellschaft hauptsächlich für einen Grenzausgleich aus, welcher nur Importe beinhalten sollte. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind geteilter Meinung mit der Tendenz, dass ein Grenzausgleich nur für Importe gelten sollte (9a, 9b).

Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, welche Produkte in einen Grenzausgleich aufgenommen werden sollten, z.B. nur energieintensive Grundstoffe, Energieprodukte oder auch komplexere Produkte entlang der Wertschöpfungskette. Die Befragten sind geteilter Meinung darüber, ob ein Grenzausgleich nur für emissions- und handelsintensive Grundstoffe gelten sollte (10a). Nur emissions- und handelsintensive Grundstoffe in einen Grenzausgleich aufzunehmen, ist von den drei Optionen durchschnittlich die am meisten befürwortete Ausgestaltung unter den Befragten aus der Wissenschaft.Für die Option, zusätzlich zu diesen Grundstoffen auchEnergieprodukte in einen Grenzausgleich aufzunehmen, sprechen sich vor allem Zivilgesellschaft und Forschende aus (10b). Komplexere Produkte entlang der Wertschöpfungskette in einen Grenzausgleich mit aufzunehmen, ist unter den befragten Stakeholdergruppen umstritten (10c).

Die meisten Befragten sind sich einig, dass ein Grenzausgleich alle energieintensiven Grundstoffe (Zement, Stahl, Aluminium, Düngemittel, andere Chemikalien, Papier und Glas) beinhalten sollte. Unter Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Unternehmen sowie Verbänden gibt es Zustimmung, dass Zement, Stahl, Aluminium und Düngemittel in einen Grenzausgleich mit aufgenommen werden sollten (11a-d). Die Option weitere Grundstoffe, nämlich andere Chemikalien, Papier und Glas, in einen Grenzausgleich aufzunehmen, erhält weniger starken Zuspruch unter den Befragten (11e-g).

Ob ein Grenzausgleich neben direkten Emissionen (Scope 1) auch Emissionen durch Stromnutzung (Scope 2), und Zwischenprodukte sowie Transport (Scope 3) umfassen sollte, ist unter den Befragten umstritten. Unternehmen, Verbände, Zivilgesellschaft und Wissenschaft sind sich weitgehend einig, dass ein Grenzausgleich Scope 1-Emissionen umfassen sollte (12a). Weniger Zuspruch erhält die Option seitens Unternehmen und Verbänden, auch indirekte Emissionen aus Strom in einen Grenzausgleich mit aufzunehmen (12b). Dies ist dagegen die im Durchschnitt am ehesten favorisierte Option seitens der Zivilgesellschaft. Innerhalb Wissenschaft und Industrie ist die Aufnahme aller sonstigen indirekten Emissionen (Scope 3) umstritten.

Es gibt keine klare Präferenz zur Methode der Berechnung enthaltener Emissionen. Den größten Zuspruch erhält die Benchmark-orientierte Berechnung enthaltener Emissionen von Zivilgesellschaft und Wissenschaft, basierend auf EU-Benchmarks (13a). Die Option einer Benchmark-orientierten Berechnung unter Verwendung globaler Standardwerte ist bei allen Stakeholdergruppen umstritten und es ist keine eindeutige Präferenz abzuleiten (13b). Unternehmen und Verbänden stimmen tendenziell für eine produktbezogene Berechnung unter Verwendung von Daten zu den tatsächlichen Emissionen für jedes Produkt (13c).Keine deutliche Zustimmung unter den Befragten erhält die Option, eine Produkt- und Benchmark-basierte Berechnung zu verwenden, z.B. unter Berücksichtigung einer allgemeinen Benchmark für Scope 1 und einem regionalen Standardwert für Scope 2 (13d).

Abbildung 3 Mittelwerte plus/minus Variationskoeffizienten für die Antworten zu den Themenkomplexen (9) Geltungsbereich, (10 und 11) Produkte, (12) Emissionsumfang und (13) Berechnung enthaltener Emissionen.

3.2.3. Es ist umstritten, für welche Länder Ausnahmen gelten sollten

Die Befragten sind sich weitgehend einig, dass ein Europäischer Grenzausgleich Ausnahmen für andere Länder beinhalten sollte, die konkrete Ausgestaltung ist jedoch umstritten. Starke Zustimmung besteht dafür, Ausnahmen für Länder gelten zu lassen, die ein THG-EHS oder THG-Steuern einführen, welche in den relevanten Sektoren einen ähnlichen Preis einführen wie die EU, siehe Abbildung 4 (14d). Zivilgesellschaft und Wissenschaft sprechen sich zudem dafür aus, dass Ausnahmen für am wenigsten entwickelte Länder und Länder mit niedrigem Einkommen (14a) sowie für Länder, die keine preisbasierten, aber in ihrer Wirkung vergleichbare Klimapolitiken in relevanten Sektoren umsetzen (14e), gelten sollten. Ausnahmen für Länder einzuführen, welche ein allumfassendes oder sektorales THG-EHS oder THG-Steuern implementieren, jedoch unabhängig vom jeweiligen CO2-Preis, ist in allen Gruppen umstritten (14b, 14c).

Abbildung 4 Mittelwerte plus/minus Variationskoeffizienten für die Antworten zu dem Themenkomplex (14) Ausnahmen für Drittländer.

3.2.4. Förderung klimafreundlicher Technologien in der EU und Transfer klimafreundlicher Technologien an Länder mit niedrigem Einkommen sind die präferierten Optionen zur Verwendung der Einnahmen eines Grenzausgleichs

Die Verwendung von CBAM-Einnahmen zur Förderung klimafreundlicher Technologien innerhalb und außerhalb der EU erfreut sich der größten Zustimmung. Die Industrie befürwortet die Verwendung der Einnahmen zur Förderung klimafreundlicher Technologien innerhalb der EU (15b) gefolgt von Kompensation betroffener Industrien in der EU (15c). Wissenschaft und Zivilgesellschaft sprechen sich ebenfalls deutlich für die Förderung klimafreundlicher Technologien in der EU aus (15b) sowie für den Transfer klimafreundlicher Technologien an Länder mit niedrigem Einkommen (15e). Forschende sprechen sich zudem eher für eine Entschädigung von EU-Bürgern aus, die besonders stark von einem Preisanstieg durch einen Grenzausgleich betroffen sind (15f). Die pauschale Rückerstattung der Einnahmen an die von einem mögliche CBAM betroffenen Handelspartner (15d) stößt bei den Befragten aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft auf Zustimmung. Die Verwendung der Einnahmen für den allgemeinen EU-Haushalt findet unter allen Befragten sehr wenig Zustimmung (15a).

Abbildung 5 Mittelwerte plus/minus Variationskoeffizienten für die Antworten zu dem Themenkomplex (15) Verwendung der Einnahmen eines Grenzausgleichs. Befragte waren aufgefordert, nicht mehr als 100 % Einnahmen auf die verschiedenen Ausgabenoptionen aufzuteilen.

3.3. Internationale Perspektive: Klimaclub versus unilateraler Grenzausgleich

Die Einführung eines Grenzausgleichs der EU ohne vergleichbare Grenzausgleiche anderer Länder ist stark umstritten. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung hält fest: „Wir nutzen die Europäische Union und die internationalen Gremien gemeinsam mit europäischen Partnern für eine Initiative zur Gründung eines für alle Staaten offenen internationalen Klimaclubs mit einem einheitlichen CO2-Mindestpreis und einem gemeinsamen CO2-Grenzausgleich.“ (SPD, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, FDP 2021, S. 26). Insbesondere Unternehmen und Verbände befürworten die Einbindung eines Grenzausgleichs in einen solchen Klimaclub, z.B. mit den USA und China (16a). Sie zeigen sich, ebenso wie Befragte aus der Wissenschaft, besorgt darüber, dass ein Grenzausgleich ohne vergleichbare Grenzausgleiche wichtiger Handelspartner die EU politisch isolieren könnte (3e). Zivilgesellschaft und Wissenschaft unterstützen die Einführung eines Grenzausgleichs auch ohne vergleichbare Grenzausgleiche bzw. einen Klimaclub (16b). Ob ein unilateraler Grenzausgleich der EU zu verstärkten Emissionsminderungen und Koordination nationaler Klimapolitiken führt, wird unter Wissenschaft und Industrie eher weniger erwartet (16c).

Abbildung 6 Mittelwerte plus/minus Variationskoeffizienten für die Antworten zu dem Themenkomplex (16) Internationale Perspektiven.

4. Vergleich der Umfrageergebnisse mit dem Vorschlag der EU-Kommission

Im Folgenden vergleichen wir die Ausgestaltungsvorschläge der EU-Kommission für einen CBAM in ihrem „Fit für 55“-Paket mit den Antworten unserer Umfrage (siehe Tabelle 2) (Europäische Kommission 2021b, Marcu et al. 2021a).

Instrument

Der EU-Kommissionsvorschlag sieht ein separates EHS vor, in dem Zertifikate aus einem zusätzlichen Pool erworben werden. Dieser Zertifikatepool ist vom EU-EHS getrennt und hat kein Cap an zugeteilten Zertifikaten. Dieser Vorschlag wird von den Befragten Stakeholdergruppen eher mitgetragen – es zeichnet sich durchschnittlich keine starke Ablehnung ab. Es ist die unter Unternehmen und Verbände durchschnittlich leicht favorisierte Designentscheidung. Laut Anmerkung eines Industrieverbandvertreters im Rahmen unserer Umfrage ist dies „die Alternative, die für die EU-Industrie am wenigsten schädlich ist.“ Die qualitativen Antworten deuten weiter darauf hin, dass es unter den Befragten eine starke Befürwortung für eine Pilotphase, u.a. zur Datensammlung, gibt.

Preispfad

Der Ausgestaltungsvorschlag der EU-Kommission basiert auf einem Preis für CBAM-Zertifikate, der aus den wöchentlichen Durchschnittspreisen des EU-EHS ermittelt werden soll, um den EU-EHS-Preis möglichst genau widerzuspiegeln. Das Meinungsbild gegenüber diesem Vorschlag zeigt insbesondere unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Durchschnitt eine hohe Zustimmung.

Kostenlose Zuteilung

Nach dem Vorschlag der EU-Kommission soll mit der Einführung eines CBAMs die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten für Industrieanlagen im EU-EHS schrittweise auslaufen. Der Zeitraum von 2023 bis 2025 stellt noch einen Übergangszeitraum dar, welcher zur Datenerhebung genutzt werden soll. Von 2026 bis 2035 soll dann die kostenlose Zuteilung von EU-EHS-Zertifikaten vollständig auslaufen. Im Durchschnitt befürworten Zivilgesellschaft und Wissenschaft ein schrittweises Auslaufen der freien Allokation von Emissionsrechten. Hingegen sprechen sich die Befragten aus Unternehmen und Verbänden tendenziell dagegen aus. Sie befürworten die Beibehaltung (bzw. Stärkung) der freien Allokation von Emissionsrechten bei gleichzeitiger Einführung eines Grenzausgleichs.

Rückerstattung für Exporte

Die vorgeschlagene Verordnung der EU-Kommission betrifft nur Einfuhren in die EU. Für Ausfuhren sieht der Vorschlag keine Erstattung der gezahlten CO2-Preise vor. Dieser Vorschlag wird insbesondere von der Zivilgesellschaft befürwortet und trifft auch unter Befragten aus der Wissenschaft auf Zustimmung. Befragte aus Unternehmen und Verbänden betrachten im Durchschnitt die Einschränkung auf Einfuhren ohne Berücksichtigung von Rückerstattungen von Ausfuhren aus der EU als bedenklich.

Produkte und Grundmaterialien

Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollte ein CBAM Importe von Zement, Düngemittel (dies beinhaltet u. a. Salpetersäure, Ammoniak und Kaliumnitrat), Eisen und Stahl, Aluminium sowie Stromerzeugung beinhalten. Der EU-Kommissionsvorschlag enthält dabei Grundmaterialien wie Zementklinker sowie komplexere Produkte, z. B. Rohre und Schienen. Vor Ende des Übergangszeitraums im Jahr 2026 soll ein weiterer Bericht der Kommission eine mögliche Ausweitung der Produkte vorschlagen.

Die Befragten plädieren überwiegend dafür, dass ein Grenzausgleich die Grundmaterialien des EU-Kommissionsvorschlags, Zement, Stahl, Aluminium und Düngemittel, beinhalten sollte. Sie sind jedoch geteilter Meinung, ob ein Grenzausgleich darüber hinaus Stromerzeugung und komplexere Produkte entlang der Wertschöpfungskette beinhalten sollte. Einige Wissenschaftler sprechen sich in qualitativen Antworten für eine abgestufte Einführung weiterer Sektoren und komplexerer Produkte aus. Insbesondere unter Unternehmen und Verbänden ist die Aufnahme von Energieprodukten sowie komplexerer Produkte stark umstritten. Eine Pilotphase könnte die Möglichkeit bieten zukünftiges „ressource shuffling“5Eine Verlagerung der Produktion ausländischer Produzenten mit Lieferung der kohlenstoffarmen Produkte in die EU und Verwendung der restlichen CO2-reichen Produktion im Ausland (Marcu et al. 2021b). zu beobachten und gegebenenfalls anzugehen.

Emissionsumfang

Der vorgeschlagene CBAM berücksichtigt nur Emissionen, die direkt im Produktionsprozess (Scope 1) anfallen. Das bedeutet umgekehrt, dass indirekte Emissionen aus Strom, welcher in der Produktion verwendet wird (Scope 2), und alle sonstigen indirekten Emissionen, einschließlich der gesamten Lieferkette, die auch Zwischenprodukte abdeckt (Scope 3), bis auf weiteres ausgeschlossen sind. Transportdienstleistungen sowie Produkte weiter unten in der Wertschöpfungskette werden als Optionen für eine zukünftige Aufnahme genannt. Die Befragten sind mehrheitlich für die Berücksichtigung von Scope 1-Emissionen. Qualitativ nannten einige Befragte administrative und technische Hürden als Hauptgründe gegen die Einbeziehung der gesamten Emissionen für Unternehmen. Kritisch gegenüber einer Einbeziehung von Scope 2-Emissionen äußerten sich insbesondere Befragte aus dem Aluminiumsektor, in dem indirekte Emissionen aus Strom einen erheblichen Teil der Emissionen ausmacht. Dort herrscht gemäß einiger qualitativer Antworten die Sorge, dass die Einbeziehung von Scope 2-Emissionen in einen CBAM einen nicht ausreichend Schutz der Wettbewerbsfähigkeit bietet, wenn gleichzeitig die freie Allokation von Emissionszertifikaten beendet wird.

Berechnung enthaltener Emissionen

Für die vorgeschlagenen Produkte Zement, Düngemittel, Eisen und Stahl sowie Aluminium sollten Importeure tatsächliche Emissionen pro Tonne produzierter Ware in der produzierenden Anlage darlegen. Diese Angaben sollen von einer unabhängigen Zertifizierungsstelle überprüft werden. Falls diese Informationen nicht angegeben werden können, wird als Standardwert die durchschnittliche Emissionsintensität im Exportland pro Produkt verwendet zuzüglich eines Aufschlags, der noch zu bestimmen ist. Liegen keine zuverlässigen Daten vor, wäre der zweite Standardwert die durchschnittliche Emissionsintensität der oberen 10 % CO2-intensivsten Anlagen der EU.

Bei Stromimporten werden enthaltene Emissionen mithilfe von Standardwerten ermittelt, die auf durchschnittliche Emissionsintensitäten im Exportland (bzw. einer Gruppe von Exportländern oder einer Region) festgelegt werden. Wurden keine spezifischen Standardwerte festgelegt, wäre der zweite Standardwert die gewichtete durchschnittliche Emissionsintensität des aus fossilen Brennstoffen erzeugten Stroms der EU. Stromimporteure, welche nachweisen können, dass der durchschnittliche Emissionsfaktor niedriger ist als der EU- oder spezifische Standardwert, können einen alternativen, niedrigeren Standardwert erhalten.

Unter den Befragten gibt es seitens der Unternehmen und Verbänden eine leichte Zustimmung für eine produktbezogene Berechnung unter Verwendung von Daten zu den tatsächlichen Emissionen. Zuspruch erhält die Benchmark-orientierte Berechnung enthaltener Emissionen, basierend auf EU-Benchmarks, von Zivilgesellschaft und Wissenschaft.

Ausnahmen für Importe aus Drittländern

Nur Staaten, welche mit dem EU-EHS integriert oder mit diesem verbunden sind sowie einige Sondergebiete der EU, sind vom Anwendungsbereich des vorgeschlagenen CBAMs ausgenommen. Befristete Ausnahmen können auch für Stromimporte aus Ländern gelten, die an den EU-Strommarkt angekoppelt werden. Der vorgeschlagene CBAM beinhaltet zudem die Möglichkeit, die Menge an abzugebenden CBAM-Zertifikaten zu reduzieren, basierend auf dem vom ausländischen Produzenten gezahlten CO2-Preis pro Tonne. Für entsprechende Vereinbarungen sind bilaterale Verhandlungen vorgesehen. Der vorgeschlagene CBAM sieht keine Reduzierungen für nicht-preisbasierte Klimapolitiken im Exportland vor.

Unter den Befragten besteht weitestgehend Einigung, dass ein CBAM Ausnahmen für andere Ländern vorsehen sollte. Dabei sprechen sich die Befragten insbesondere dafür aus, dass Ausnahmen für Länder gelten sollte, die preisbasierte Klimapolitiken in den relevanten Sektoren einführen mit einem Preis, welcher dem EU CO2-Preis entspricht. Seitens Zivilgesellschaft und Wissenschaft werden Ausnahmen für Länder mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen unterstützt. Ausnahmen für nicht-preisbasierte Klimapolitiken in Exportländern stimmen Zivilgesellschaft und Wissenschaft tendenziell eher zu.

Einnahmen

Die Einnahmen des vorgeschlagenen CBAMs sollen gemäß Kommissionsvorschlag als Eigenmittel für den EU-Haushalt verwendet werden. Ein EU-Kommissionsvorschlag sieht vor, dass 75 % der Einnahmen durch den Verkauf von CBAM-Zertifikaten an den EU-Haushalt als Eigenmittel fließen sollen (Europäische Kommission 2021d). Dagegen sehen die Befragten im Durchschnitt weniger als 10 % des Anteils der Einnahmen für EU-Eigenmittel vor. Stattdessen präferieren sie die Förderung klimafreundlicher Technologien innerhalb als auch außerhalb der EU. Diese Option wird damit insgesamt von allen Vorschlägen der Kommission von deutschen Stakeholdern am eindeutigsten abgelehnt.

Tabelle 2 Vergleich der Ausgestaltungsvorschläge der EU-Kommission in ihrem „Fit für 55“-Paket mit Fragen und Antworten unserer Umfrage. Spalten 3 bis 5 stellen den Mittelwert dar für jede Stakeholdergruppe. Ausnahme: Reihe „Einnahmen“, welche in Prozent angeben ist. Farbskalierung: Rot unterlegt (Mittelwerte bis einschließlich 2,4; unter 10 Prozent im Durchschnitt), Gelb unterlegt (Mittelwert 2,5 bis 3,4), Grün unterlegt (Mittelwert einschließlich und größer als 3,5).

5. Schlussfolgerungen

Unsere Umfrage zeigt eine insgesamt starke Unterstützung für einen EU CBAM, aber Unstimmigkeit über dessen mögliche Ausgestaltung. Industrie, Verbände und Wissenschaft äußern größere Sorgen als Zivilgesellschaft darüber, dass ein unilateraler Grenzausgleich die EU isolieren sowie administrativ und juristisch schwer umzusetzen sein könnte. Unternehmen und Verbände befürworten überwiegend eine Rückerstattung der EU-EHS CO2-Preise für Exporte aus der EU. Diese wird, möglicherweise aufgrund der damit zusammenhängenden Herausforderungen in Bezug auf WTO-Kompatibilität, von der Zivilgesellschaft und Wissenschaft eher kritisch betrachtet. Ebenfalls befürworten Zivilgesellschaft und Wissenschaft Ausnahmen für Länder mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen und solche, die selbst eine Form von Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt haben. In Bezug auf die Verwendung der Einnahmen findet die Förderung grüner Technologien den größten Zuspruch unter den Befragten. Jedoch befürworten Unternehmen und Verbände vor allem Förderungen innerhalb der EU, während Zivilgesellschaft und Wissenschaft den Transfer sauberer Technologien an Niedrigeinkommensländer bevorzugen.

Im Vergleich mit dem Vorschlag der EU-Kommission fallen vier Tendenzen auf:(1)Während der Vorschlag der Kommission die Einführung des CBAMs als Ersatz für die kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten betrachtet, sprechen sich die meisten Befragten aus Unternehmen und Verbänden gegen ein Auslaufen der freien Allokation aus. (2) Im Gegensatz zu dem Vorschlag, den CBAM nur für Importe anzuwenden, befürworten zahlreiche Befragte aus Unternehmen und Verbände auch seine Anwendung auf Ausfuhren aus der EU. (3) Die Frage, ob und für welche Länder Ausnahmen gelten sollten, ist zwischen und innerhalb der Stakeholdergruppen umstritten. (4) Die angedachte Verwendung der CBAM-Einnahmen für das Budget der EU ist die Option, die in allen Stakeholdergruppen am wenigsten Unterstützung findet. Stattdessen sprechen sich ein Großteil der Befragten für die Förderung grüner Technologien, entweder innerhalb der EU oder bei Handelspartnern, aus.

Der EU-Kommissionsvorschlag zur Schaffung eines CBAMs wird in den nächsten Monaten im Europäischen Parlament und Rat der Europäischen Union diskutiert (OEIL 2021). Diese Umfrage fasst die Präferenzen wichtiger deutscher Stakeholder zusammen. Damit kann sie einen Beitrag leisten, die wichtigsten politischen Widerstände gegen spezifische Designoptionen aufzuzeigen und Möglichkeiten alternativer Lösungsansätze zu identifizieren.


Annex 1 Methodik (PDF)

Annex 2 Fragebogen (PDF)


Wir danken Jessica Breaugh, Duncan Edmondson, Sebastian Levi, Nils Ohlendorf, Michael Pahle, Kilian Raiser, Jonathan Siegle sowie Teilnehmerinnen und Teilnehmer der CIVICA Survey Methods Workshops 2021 für wertvolle Hinweise und Kommentare.

Der vorliegende Ariadne-Hintergrund wurde von den oben genannten Autorinnen und Autoren des Ariadne-Konsortiums ausgearbeitet. Er spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des gesamten Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider. Die Inhalte der Ariadne-Publikationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erstellt.

Corrigendum
Dieser Hintergrund wurde im Februar 2022 original publiziert und im Juli 2022 aktualisiert. Die Aktualisierungen betreffen Abbildung 2 bis 6 sowie Tabelle 2. Die Hauptergebnisse sind hiervon nicht betroffen. Bei Interesse können die Änderungen bei den Autorinnen und Autoren erfragt werden (kuehner@hertie-school.org).

Literaturangaben

Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF (2021). „Organisationen und Einrichtungen in Forschung und Wissenschaft. Organisationenband Bundesbericht Forschung und Innovation 2018.“ https://www.bundesbericht-forschung-innovation.de/de/Vorherige-Berichte-1716.html

Cosbey, A., Droege, S., Fischer, C., Munnings, C. (2019). „Developing guidance for implementing border carbon adjustments: lessons, cautions, and research needs from the literature.” Review of Environmental Economics and Policy, 13, 3–22. https://doi.org/10.1093/reep/rey020

Deutscher Bundestag (2021). „Öffentlichen Liste über die beim Bundestag registrierten Verbände, Stand 07.05.2021.“ https://www.bundestag.de/resource/blob/189476/212d921947894045e33129695c7ffcf0/lobbylisteaktuell-data.pdf

Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) (2020). „Installations covered by ETS in Germany 2019 (04/05/2020).” https://www.dehst.de/SharedDocs/downloads/EN/installation_lists/2019.pdf?__blob=publicationFile&v=3

Europäische Kommission (2018). „Publication of the carbon leakage indicator and underlying data.” https://ec.europa.eu/clima/system/files/2018-05/6_cll-ei-ti_results_en.pdf

Europäische Kommission (2021a). „Delivering the European Green Deal.” https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal/delivering-european-green-deal_en

Europäische Kommission (2021b). „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines CO2-Grenzausgleichssystems“ COM(2021) 564 final. https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/12228-Europaischer-Gruner-Deal-CO2-Grenzausgleichssystem-_de

Europäische Kommission (2021c). „Report 06/04/2021 – Verified Emissions for 2020.” https://ec.europa.eu/clima/policies/ets/registry_en#tab-0-1

Europäische Kommission (2021d). „Proposal for a Council Decision amending Decision (EU, Euratom) 2020/2053 on the system of own resources of the European Union”. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX:52021PC0570

Europäisches Parlament (2021). „Ein mit den WTO-Regeln zu vereinbarendes CO2-Grenzausgleichssystem – Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2021 zu dem Thema „Auf dem Weg zu einem mit den WTO-Regeln zu vereinbarenden CO2-Grenzausgleichssystem“ (2020/2043(INI)).“ P9_TA-PROV(2021)0071. https://oeil.secure.europarl.europa.eu/oeil/popups/ficheprocedure.do?lang=en&reference=2020/2043(INI)

Fahl, U., Hufendiek, K., Kittel, L., Siegle, J. et al. (2021). „Industriewende: Wettbewerbseffekte und Carbon Leakage. Neue Politikmaßnahmen im Zuge des Europäischen Green Deal.“ Ariadne-Kurzdossier. https://ariadneprojekt.de/publikation/kurzdossier-carbonleakage/

Jakob, M. (2021). „Climate policy and international trade – A critical appraisal of the literature”. Energy Policy, 156, https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S030142152100269X?via%3Dihub

Maratou, A. und Marcu, A. (2021). ERCST survey on the EU CBAM proposal. Summary of results, October 2021. https://ercst.org/ercsts-survey-on-the-eu-cbam-proposal/

Marcu, A., Mehling, M., Cosbey, A. (2021a). „Guide to the European Carbon Border Adjustment Mechanism”. https://ercst.org/ercst-guide-to-the-eu-cbam/

Marcu, A., Mehling, M., Cosbey, A. (2021b). „CBAM for the EU: A Policy Proposal”. https://ercst.org/border-carbon-adjustments-in-the-eu-a-policy-proposal/

Martin, R., Muûls, M., de Preux, L. B., Wagner, U. J. (2014). „On the empirical content of carbon leakage criteria in the EU Emissions Trading Scheme”. Ecological Economics, 105, 78-88. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S092180091400161X?via%3Dihub#!

Mehling, M., van Asselt, H.; Das, K., Droege, S., Verkuijl, C. (2019). „Designing Border Carbon Adjustments for Enhanced Climate Action”, American Journal of International Law, 113, 03, S. 433–481. https://doi.org/10.1017/ajil.2019.22

Observatoire Législatif/Legislative Observatory (OEIL) (2021). „2021/0214(COD) Carbon Border Adjustment Mechanism. ‚Fit for 55 package‘.”  https://oeil.secure.europarl.europa.eu/oeil/popups/ficheprocedure.do?reference=2021/0214(COD)&l=en

SPD, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, FDP (2021). „Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP)“. https://www.gruene.de/artikel/koalitionsvertrag-mehr-fortschritt-wagen

Autorinnen & Autoren

Ann-Kathrin Kühner

Hertie School

Dr. Michael Jakob

Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change