Prof. Dr. Christian Flachsland

Hertie School

„Am Ende müssen die Emissionen nach unten gehen“

Prof. Dr. Christian Flachsland arbeitet im Kopernikus-Projekt Ariadne im Arbeitspaket „Mehrebenengovernance in einer neuen geopolitischen Konstellation“. Im Ariadne-Interview spricht er darüber, worauf es bei der Koordination von Klimapolitik ankommt und wie er auf das 1,5-Grad-Ziel blickt.

Christian, was ist das Spannendste, woran du derzeit arbeitest?

Das Spannendste woran ich gerade arbeite ist ein Rahmenwerk zur Konzeptionalisierung von Climate Politics als disziplinärem Feld. Also die Frage, wie wir die politischen Dynamiken von Klimapolitik, insbesondere auf nationaler Ebene, verstehen können. In diesem Rahmen geht es unter anderem auch um Mehrebenengovernance in föderalen Systemen, das heißt wie sich das Zusammenspiel zwischen Nationalstaat, Ländern und Kommunen in der Klimapolitik auswirkt. Ich würde die Mehrebenengovernance-Frage gerne mit breiteren politischen Dynamiken verbinden, also zum Beispiel dem Parteiensystem, Wahlen und Interessengruppen.
Das zweite Themengebiet ist internationale Klimapolitik, vor allem die Policy Frage. Hier geht es darum, was effektive Strategien sein könnten, um das Ambitionsniveau zu erhöhen – insbesondere angesichts dessen, dass es meiner Einschätzung nach relativ wenig gibt, um andere Staaten zu ambitionierterer Klimapolitik zu bewegen.

Was ist der Schwerpunkt deines Arbeitspakets?

Das Arbeitspaket hat zwei Schwerpunkte. Der eine ist Klimapolitik im Mehrebenensystem in Deutschland. Wir fokussieren uns darauf, wie nationale, länder- und kommunale Ebene zusammenwirken, wenn es beispielsweise um die Wärmewende geht. In Deutschland darf der Bund Kommunen zum Beispiel finanziell nicht direkt unterstützen, da laufen die Mittel über die Länder. Bei der kommunalen Wärmeplanung müssen die Kommunen wichtige Aufgaben selbst wahrnehmen. Sie brauchen finanzielle und personale Ressourcen, müssen Planungs- und Genehmigungsleistungen erbringen. Beim Ausbau der Erneuerbaren Energien oder auch bei der Wärmeplanung müssen gewisse Standards implementiert und diese Implementierung überprüft werden. Wir stellen immer wieder fest, dass wir über diese Prozesse wenig wissen. Selbst deskriptiv sind Mehrebenenbeziehungen und die Frage, wie einzelnen Sektoren zusammenarbeiten gar nicht mal so klar. Das wollen wir mit unserer Ariadne-Arbeit ändern und damit die Policy Debatte über diese Fragen eröffnen und stärken.

Wie lautet der zweite Schwerpunkt?

Der zweite Fokus ist internationale Politik. Da haben wir im Herbst 2024 insbesondere für Deutschlands Klimaaußenpolitik reflektiert, was gut und was nicht so gut funktioniert hat. Im nächsten Schritt wollen wir schauen, mit welchen Optionen Deutschland Klimapolitik in anderen Ländern positiv beeinflussen kann. Dabei geht es natürlich auch darum, die EU und Deutschland mit Blick auf Wettbewerbsfähigkeit abzusichern.

Mit welchen Methoden arbeitet ihr?

In den Mehrebenenanalysen sind wir relativ interdisziplinär unterwegs, hauptsächlich jedoch in den Politik- und Rechtswissenschaften. International sind es Politik- und Wirtschaftswissenschaften.

Was genau ändert sich unter Friedrich Merz in Sachen Klima- und Energiepolitik?

Es ist noch sehr früh in der Legislaturperiode. Aber man kann schon sagen, dass Klima- und Energiepolitik keine überragende Priorität der aktuellen Bundesregierung zu sein scheint. Man sollte genau auf die Überarbeitung des Klimaschutzprogramms schauen, die laut Klimaschutzgesetz in den ersten 12 Monaten einer neuen Legislaturperiode erfolgen soll. Kürzlich kam die Meldung von einem Referentenentwurf, der die Gasspeicherumlage abschaffen, Gas also faktisch günstiger machen und das aus dem Klimatransformationsfonds finanzieren will. Das würde bedeuten, dass man Mittel aus dem Klimafonds nutzt, um die Gasversorgung zu sichern. Diplomatisch ausgedrückt ist das eine Zweckentfremdung von Mitteln, die für Klimaschutz vorgesehen sind. Aber das ist noch nicht beschlossen, also wird man genau hinschauen müssen. Auch beim Gebäudeenergiegesetz muss man abwarten, was abseits der Rhetorik tatsächlich passiert.

Noch wichtiger ist, auf EU-Ebene die Klimaziele nicht zu verwässern. Das heißt, das Fit-for-55-Paket beizubehalten, genauso wie die Integrität der Emissionshandelssysteme ETS 1 und ETS 2. Meiner Auffassung nach ist die Hauptaufgabe der aktuellen Bundesregierung, das und in diesem Zusammenhang auch die Sozialausgleichsfrage zu adressieren.

Aus Forschungsarbeiten, an denen du beteiligt warst, geht hervor, dass die Koordination von Klimapolitik sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene zu wünschen übriglässt. Weshalb?

International ist es zunächst einmal gar nicht so schlecht gelaufen. Es gab recht viel Koordination zwischen den Ressorts, und Klima als Querschnittsthema ist auch einfach eine schwierige Aufgabe.

National ist ein Problem das Ressortprinzip in Deutschland. Jeder Minister ist Herrscher in seinem Reich und der Bundeskanzler hat kaum Durchgriffsrechte. Und dann haben wir eine Koalitionsregierung, in der verschiedene Parteien beeinflussen, was der Minister macht. Wenn Parteien, die Klimaschutz nicht priorisieren, bestimmte Ministerien besetzen, dann passiert da einfach nicht viel in Sachen Klimaschutz. Da funktioniert zwar die technische Koordination auf der Arbeitsebene, aber die politische Koordination der Klimapolitik in der Bundesregierung nicht.

Wie sollte eine bessere Koordination stattdessen aussehen?

Eine gewisse politische Bereitschaft für ambitionierte Klimapolitik vorausgesetzt, schlagen wir vor, dass man die Bearbeitung des Klimaschutzprogrammes nicht mehr unter Federführung eines einzelnen Ressorts organisiert, sondern in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe. Dann hätte man nicht ein Ministerium, das seine Interessen durchsetzt, an denen sich alle anderen abarbeiten, womit man beim kleinsten gemeinsamen Nenner landet. Sondern eine positive Koordination, bei der es darum geht, Probleme gemeinsam zu definieren und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Insbesondere mit Blick auf die Problemsektoren Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft wäre das sinnvoll.

Klimaschutz rückt aufgrund akuter Krisen, Kriege und wirtschaftlichen Interessen immer mehr in den Hintergrund. Wie können die EU und Deutschland ihre Klimaziele, auch mit Blick auf internationale Partnerschaften, dennoch verfolgen?

Realpolitisch gesehen, war Klimapolitik leider immer schon ein marginales Thema. Die USA können wir kurzfristig gar nicht beeinflussen, China auch eher weniger. Im Wesentlichen kann man auf andere Staaten über zwei Wege Einfluss ausüben: Handel und Finanzen. Beim Handel haben wir den CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) und die Überlegung, diesen in einen Carbon Pricing Club zu überführen. Das würde bedeuten, dass es Länder mit einem gemeinsamen CO2-Preis und CBAM gibt, die damit den Emissionsminderungsdruck auf andere Länder erhöhen.

Bei der Klimafinanzierung sollte man strategischer hinterfragen, in welchen Entwicklungsländern oder „economies in transition“, Kooperationen Erfolg versprechend sind. Es ist gut, sich breit aufzustellen. Aber ab einem bestimmten Punkt macht es keinen Sinn mehr, überall ein bisschen Geld zu verteilen. Man braucht eine strategische Übersicht, damit man Mittel gezielt einsetzen kann. Man muss abwägen, inwiefern man durch Finanzierung von außen mit den innenpolitischen Zielen eines Landes Klimaschutzziele erreichen kann. Das ist ehrlich gesagt verdammt schwierig. Bei den bestehenden Partnerschaften mit Südafrika und Indonesien beispielsweise gibt es leider viel Streit und wenig Fortschritt.

Wo steht Deutschland deiner Einschätzung nach auf dem Weg zur Klimaneutralität?

Das ist nach Sektoren sehr unterschiedlich. Der Energie- und Stromsektor sehen gut aus, auch wenn es dort noch viele Herausforderungen gibt. Im Verkehrs-, Gebäude- und Landwirtschaftssektor sind wir bekanntermaßen nicht sehr gut unterwegs. Denn die Auswirkungen in diesen Bereichen spürt die Bevölkerung unmittelbar. Das ist politisch kein attraktives Thema. Als Bürger trägt man die unmittelbaren Kosten, wenn man Emissionen spart, beeinflusst das globale Klima aber kaum. Es passiert viel, die Emissionen gehen runter. Aber ich bleibe skeptisch, ob wir die nationalen Ziele wirklich erreichen. Ich schließe es nicht aus, weil auch da sehr viel von technologischer Entwicklung und Kostenreduktion abhängt. Am Ende erscheinen der Gebäude-, Landwirtschafts- und Mobilitätsektor am schwierigsten, weil es für die Verantwortlichen in diesen Sektoren nicht besonders attraktiv ist, Netto-Null-Klimapolitik zu machen.

Wie blickst du in die Zukunft?

Optimistisch, auch wenn ich sehr skeptisch bin. Es ist gut, dass wir das 2-Grad-Ziel haben, aber das 1,5-Grad-Ziel halte ich mittlerweile leider für zu ambitioniert und nicht mehr glaubwürdig. Die Wahrheit ist, dass die Emissionen global steigen, unter anderem die Kohleemissionen. Natürlich steigt auch der Zubau von Erneuerbaren und die Anzahl an Elektroautos auf den Straßen. Aber am Ende müssen die Emissionen nach unten gehen. In dem geopolitischen Umfeld aktuell ist das enorm schwer. Mit Blick auf Sicherheit kann Klimapolitik natürlich helfen, beispielsweise wenn es um Energieversorgung und Importabhängigkeiten geht. Aber da gibt es nicht nur Erneuerbare als Alternative, sondern auch Kohle, was für das Klima nicht gut ist. Ich hoffe, dass in all den Bereichen die Kosten sinken. Das kann klappen durch Innovationen, die wiederum durch gute Politikinstrumente angetrieben werden, die diese marktfähig machen. Ein Beispiel wäre die CO2-Bepreisung. Und dann müssen wir mal gucken, wie weit wir kommen.

Das Interview wurde geführt am 20.06.2025 von Celine Koch.

Publikationen

Kurzdossier: Die Handlungsfähigkeit des deutschen Staates in der Klima- und Energiepolitik

Albin Marciniak / Adobe Stock

In diesem Kurzdossier setzen sich Forschende aus dem Projekt Ariadne kritisch mit dem begrüßenswerten Impuls der Initiative für einen handlungsfähigen Staat auseinander. In unserer Analyse fokussieren wir auf die in der Klima- und Energiepolitik identifizierten Defizite und aufgezeigten Lösungsvorschläge.

Analyse: Deutschlands Klimaaußenpolitik: Kontext – Rückschau – Weiterentwicklung

Deemerwha studio / Adobe Stock

Mittels der Auswertung von Dokumenten, Hintergrundgesprächen, eines Stakeholder-Workshops sowie der bisher erschienenen Literatur nimmt dieses Papier eine umfassende Einordnung der Klimaaußenpolitik vor, schwerpunktmäßig beginnend mit ihrer praktischen Umsetzung ab dem Frühjahr 2022.

Analyse: Selling CBAM – Die Diplomatie um den CO2-Grenzausgleichsmechanismus der Europäischen Union

Adobe Stock / studio v-zwoelf

Die Ariadne-Analyse befasst mit der Frage, wie die zentralen Akteure der EU ihre diplomatische Rolle in Bezug auf den CO2-Grenzausgleich in der Praxis verstanden haben. Welche EU-Akteure kommunizierten mit Drittstaaten? Welcher Kanäle bedienten sie sich? Wem oblag die Federführung und wie gestaltete sich die Koordination zwischen den beteiligten EU-Institutionen?

Hintergrund: Governance-Kapazitäten in der reflexiven Klimapolitik – Umfang, Rolle und institutionelle Arrangements der Evaluierung des Policy-Mixes im deutschen Gebäudesektor

ebenart

Dieser Bericht analysiert die Governance der Evaluierungsprozesse des Policy-Mixes im deutschen Gebäudesektor. Ariadne-Forschende analysieren die Rollen der beteiligten Akteure, das institutionelle Gefüge sowie die angewandten Metriken und Methoden der Evaluierungen.

Report: Klimainstitutionen in vergleichender Perspektive – Zusammenfassung

Denis Yevtekhov / Adobe Stock

Dieser Bericht versucht, drei Forschungsfragen zu beantworten. Erstens: Was sind Klimainstitutionen und wie können wir ihre deskriptiven Merkmale und Funktionen länderüber-
greifend erfassen? Zweitens: Welche Effekte haben Klimainstitutionen auf die Klimapolitik? Drittens: Welche Erkenntnisse lassen sich aus unserer Analyse für die deutsche Klimapolitik ableiten und welche institutionellen Reformoptionen könnten die deutsche Klimagovernance verbessern?

Report: Klimainstitutionen in vergleichender Perspektive – Auszug

Denis Yevtekhov / Adobe Stock

Mithilfe unseres theoretischen Rahmenwerks sowie unserer vergleichenden empirischen Analyse können wir, trotz aller bestehenden Unsicherheiten, strukturiert analysieren, welche Defizite der deutschen Klimagovernance durch die Klimaschutznovelle wahrscheinlich behoben bzw. vermindert und welche bestehen bleiben würden.

Hintergrund: Eckpunkte zur Entwicklung einer Klimaaußenpolitikstrategie Deutschlands

Lucky Dragon / Adobe Stock

Das Ziel dieses Ariadne-Hintergrundpapiers ist es, einen Diskussionsbeitrag zur Strukturierung der Debatte zur Klimaaußenpolitk (KAP) leisten. Die KAP-Strategien für Deutschland und anderer Länder sind erst im Entstehen begriffen und es fehlt an konzeptionellen Grundlagen für ihre weitere effektive Ausgestaltung. Ohne ein umfassendes konzeptionelles Verständnis sind die Ausarbeitung der zahlreichen komplexen Einzelfragen, der sich eine KAP-Strategie in ihrer Umsetzung gegenübersieht, und das Zusammenführen in eine Gesamtstrategie kaum möglich. Dieses Papier soll erste Denkanstöße zur Entwicklung eines solchen Gesamtrahmens bieten, der in weiteren Schritten weiter ausgearbeitet werden muss.

Hintergrund: Bewertung klimapolitischer Instrumentenmix-Pfade – Eine Anwendung auf leichte Nutzfahrzeuge in Deutschland

Drew Dau / Unsplash

Dieser Ariadne-Hintergrund stellt einen neuen Design- und Bewertungsrahmen für klimapolitische Politikmixpfade vor. Wir testen diesen Rahmen, indem wir ihn auf den deutschen Automobilsektor anwenden. Die wichtigste Innovation des Ansatzes liegt in einem starken Fokus auf die zeitliche Entwicklung des Politikmixes. Dieser Fokus ist mit Blick auf die verschiedenen Phasen im sektoralen Wandel zu Netto-Null-Emissionen wichtig. Unterschiedliche Phasen sind mit verschiedenen Herausforderungen verbunden, die mit jeweils spezifischen Kombinationen von Politikinstrumenten adressiert werden müssen. Unser Schwerpunkt liegt auf Instrumenten, die nicht nur die Verbreitung neuer (potentiell) emissionsfreier Technologien unterstützen, sondern auch den Ausstieg aus emissionsintensiven Technologiebeständen vorantreiben.

Analyse: Klimapolitik zwischen CO2-Bepreisung und Förderprogrammen – Eine fiskalpolitische Betrachtung

Ibrahim Rifath / Unsplash

Klimapolitische Maßnahmen kosten, sind aber auch mit hohen Einnahmen verbunden – zum Beispiel durch die CO2-Bepreisung im Emissionshandel. Bis 2030 können diese Einnahmen aus dem nationalen und dem auf Deutschland entfallenden Anteil des europäischen Emissionshandels insgesamt 178 und bei stärker steigenden CO2-Preisen sogar 302 Milliarden Euro betragen, zeigen neue Ariadne-Berechnungen. Gleichzeitig wird der Gesamtbedarf öffentlicher Klimainvestitionen auf bis zu 616 Milliarden Euro geschätzt, insbesondere wenn CO2-Preise nicht ausreichend stark steigen.

Analyse: Mehr Kooperation wagen: Wasserstoffgovernance im deutschen Föderalismus – Interterritoriale Koordination, Planung und Regulierung

Für eine effektive Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie und der Wasserstoffpläne der Bundesländer braucht es neue Formen der Kooperation, zeigt eine heute veröffentlichte Ariadne-Analyse. Das Papier zur Wasserstoffgovernance im deutschen Föderalismus diskutiert die bislang noch wenig betrachteten Rahmenbedingungen rechtlicher und politischer Koordination für einen erfolgreichen Einsatz von Wasserstoff in der Energiewende. Das Autorenteam schlägt dabei drei konkrete Verbesserungsoptionen vor, um die Zusammenarbeit sowohl zwischen Bund und Ländern als auch zwischen den Bundesländern voranzubringen.