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Zusammenfassung

Die EU hat sich verpflichtet, die Treibhausgasemissionen (THG) bis zum Jahr 2030 um
55 % gegenüber 1990 zu senken. Eine zentrale Debatte innerhalb der EU-Institutionen betrifft derzeit die Einführung eines neuen Emissionshandelssystems für Straßenverkehr und Gebäude (EHS2) zusätzlich zum derzeitigen EU-Emissionshandelssystem (EHS). Diskutiert wird über die Aufteilung des CO2-Budgets zwischen dem EU-EHS und den übrigen Sektoren, die unter die Lastenteilungsverordnung (engl. Effort Sharing Regulation, ESR) fallen, über die Höhe des CO2-Preises für das EHS2 und über die Frage, ob zunächst nur gewerbliche Gebäude und Verkehrsmittel oder der gesamte Verbrauch reguliert werden sollen. In diesem Papier führen wir eine Multi-Modell-Bewertung durch, um die beiden erstgenannten Punkte zu beleuchten. Im Ergebnis zeigt sich, dass eine Umschichtung des Budgets zwischen den EU-EHS- und den ESR-Sektoren in der derzeit diskutierten Größenordnung unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Effizienz vorteilhaft sein kann. Die Auswirkungen auf die Wohlfahrt der Volkswirtschaft sind jedoch – gegeben den derzeitigen Wissensstand bezüglich Vermeidungskosten – relativ gering. Es zeigt sich zudem, dass die CO2-Preise, die notwendig wären, um die Emissionsziele zu erreichen, zwischen 130 und 210 €/tCO2 im EU-EHS und zwischen 175 und 350 €/tCO2 für die energiebezogenen ESR-Emissionen (ESR-E) liegen, wenn CO2-Preise die einzigen Politikinstrumente sind, die zum Klimaschutz verwendet werden. Die Preise unterscheiden sich je nach Annahmen zu Technologieentwicklung und Basispfad der verschiedenen Modelle.

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei einer Begrenzung des EHS2-Preises auf 50 €/tCO2, wie vom Europäischen Parlament diskutiert, das Minderungsziel allein mit einem CO2-Preis nicht erreicht werden kann. Die verbleibende Minderung müsste durch ergänzende Maßnahmen, wie technologische Standards oder Subventionen, erreicht werden, und die Kosten für die Verringerung durch diese Maßnahmen würden über 50 €/tCO2 liegen. In diesem Fall würden die effektiven Kosten für die Verbrauchenden wahrscheinlich die Kosten der CO2-Bepreisung allein übersteigen, da die Emissionen nicht dort verringert werden, wo es am günstigsten ist.

1. Einführung

Die Europäische Union (EU) hat sich verpflichtet, die Treibhausgasemissionen (THG) bis zum Jahr 2030 um 55 % gegenüber 1990 zu reduzieren. Das sich daraus ergebende CO2-Budget wird hauptsächlich auf zwei verschiedene Sektorkategorien aufgeteilt: Erstens regelt das EU-Emissionshandelssystem (EU-EHS) die Emissionen der energieintensiven Industrien sowie aus dem Luft- und Schiffsverkehr. Es legt eine einheitliche Obergrenze für die CO2-Emissionen in der EU fest und bestimmt das jährliche Emissionsbudget. Zweitens regeln die Lastenteilungsverordnung (engl. Effort Sharing Regulation, ESR) und Verordnung über Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (engl. LULUCF) die übrigen Emissionen. Für diese Emissionen gibt es ein individuelles CO2-Budget für jeden Mitgliedstaat (MS), das heisst die ESR regelt die Aufteilung des Emissionsbudgets auf die Länder. Die ESR erlaubt jedoch, dass die Mitgliedstaaten teilweise mit diesen Emissionsrechten handeln. Darüber hinaus hat die Europäische Kommission vorgeschlagen, ein neues Emissionshandelssystem für Straßenverkehr und Gebäude (EHS2) einzuführen.

Die EU muss daher entscheiden, wie das CO2-Budget auf die einzelnen Sektoren und Mitgliedstaaten aufgeteilt werden soll. Es gibt zwei Hauptoptionen: Erstens die Ausweitung des EU-EHS auf alle Sektoren, was zu einer EU-weiten Obergrenze und einem einheitlichen europäischen CO2-Preis führt. Damit würde die endgültige Aufteilung des festen CO2-Budgets auf die einzelnen Sektoren, Länder und Anlagen dem Markt überlassen werden. Zweitens die Beibehaltung der derzeitigen sektoralen Geltungsbereiche und damit auch die jeweiligen CO2-Budgets für das EU-EHS und die ESR-Sektoren.

Kurzfristig ist ein vollständiges europäisches Handelssystem politisch unwahrscheinlich. Daher muss die EU über das CO2-Budget im Rahmen des EU-EHS beziehungsweise der ESR entscheiden. Diese Entscheidung wird sich auf die Kosten für die Erreichung der Klimaziele auswirken. Im aktuellen Vorschlag empfiehlt die Europäische Kommission, 64 % des verbleibenden Budgets für Treibhausgasemissionen bis 2030 den ESR-Sektoren und den Rest dem EU-EHS zuzuweisen. Nach dem Impact Assessment der EU-Kommission führt diese Aufteilung zu EU-EHS- und EHS2-Preisen von rund 50 €/tCO2 für ein Szenario mit strengen zusätzlichen Maßnahmen zur Ergänzung der CO2-Preise (MIX). Für ein Szenario mit weniger strengen zusätzlichen Maßnahmen (MIXCP) steigt der EHS2-Preis auf 80 €/tCO2.

Angesichts der Vielzahl von Faktoren und Annahmen, die die optimale Budgetzuweisung und die CO2-Preise beeinflussen, sollte eine solche Bewertung vorzugsweise auf mehreren Modellbewertungen beruhen, die ein breites Spektrum von methodischen, technologischen und verhaltensbezogenen Annahmen abdecken. Wir führen daher eine Multi-Modell-Bewertung anhand von vier verschiedenen Modellen durch, um den Vorschlag der Europäischen Kommission einzuordnen. Wir beantworten zwei Fragen. Erstens: Wie sieht die optimale Aufteilung des EU-CO2-Budgets auf die EU-EHS- und ESR-Sektoren aus? Zweitens: Wie hoch sind die daraus resultierenden CO2-Preise? Unsere Antworten auf diese Fragen sind keine einzelnen Zahlen, sondern eine Spanne, die die besten Schätzungen auf der Grundlage verschiedener Ansätze darstellt.

Da sich mehrere der Modelle, die zu dieser Studie beitragen, ausschließlich auf CO2-Emissionen konzentrieren, rechnen wir den von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen THG-basierten ESR-Anteil von 64 % in einen energiebezogenen CO2-basierten ESR-E-Anteil von 62-63 % um. Dies bedeutet, dass unser ESR-E-Sektor eine ziemlich große Überschneidung mit den von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen EHS2-Sektoren aufweist. Wir kommen zu dem Schluss, dass den ESR-E-Sektoren im Idealfall zwischen 60 und 70 % des gesamten CO2-Budgets zugewiesen werden sollten. Der von der Kommission gewählte Wert von 62-63 % liegt somit am unteren Ende der optimalen Zuteilung. Unsere Bewertung zeigt jedoch auch, dass innerhalb einer Spanne von etwa 55-70 % die Aufteilung zwischen ESR-E- und EU-EHS-Anteilen die gesamte Wohlfahrt der EU nicht wesentlich beeinflusst.

Was die zweite Frage betrifft, so ergeben unsere Modelle für die vorgeschlagene Aufteilung des CO2-Budgets EU-EHS-Preise von 130 bis 210 €/tCO2, die erforderlich wären, um die Emissionsziele zu erreichen, wenn keine neuen zusätzlichen Maßnahmen ergriffen werden. Für die ESR-E-Sektoren wären CO2-Preise zwischen 175 und 350 €/tCO2 erforderlich, um die Ziele zu erreichen, wenn ein CO2-Preis das einzige neue Instrument ist, das zur Erreichung des Ziels eingesetzt wird. Diese Preisschätzungen hängen von der Technologieentwicklung und den Grundannahmen der verschiedenen Modelle ab. Sie liegen jedoch alle deutlich über den Schätzungen der Kommission von 50 bis 80 €/t CO2. Wichtig ist, dass wir davon ausgehen, dass die Mitgliedstaaten mit ihren CO2-Budgets handeln, das heisst die Länder erreichen nicht unbedingt ihre individuellen ESR-Ziele, sondern das EU-weite ESR-Ziel wird erreicht. Diese Annahme impliziert, dass der Handel mit jährlichen Emissionszertifikaten (AEA) zwischen den Mitgliedstaaten ohne Einschränkungen funktioniert. In der Praxis stößt der Handel mit AEA jedoch auf erhebliche Hindernisse, was zu heterogenen CO2-Preisen in den Mitgliedstaaten und höheren Gesamtvermeidungskosten führt.

Unsere Ergebnisse haben zwei Implikationen für die aktuelle politische Debatte. Erstens: Wenn der EHS2-Preis, wie vom Europäischen Parlament diskutiert, bei 50 €/tCO2 gedeckelt würde, könnte das Minderungsziel nicht allein mit einem CO2-Preis erreicht werden. Die verbleibende Verringerung müsste durch ergänzende Maßnahmen wie technologische Standards oder Subventionen erreicht werden, und die Kosten für die Verringerung durch diese Maßnahmen würden über 50 €/tCO2 liegen. In diesem Fall würden die effektiven Kosten für die Verbrauchenden höchstwahrscheinlich die Kosten der CO2-Bepreisung allein übersteigen, da es keine Flexibilität gibt, die Emissionen dort zu verringern, wo es am günstigsten ist. Zweitens: Während die EU-Kommission vorgeschlagen hat, die Emissionen im Rahmen des EU-EHS um 61 % zu reduzieren, wird im EU-Parlament derzeit diskutiert, das Ziel des EU-EHS noch weiter zu verschärfen. Im Gegensatz zu unserer Analyse wird die gleichzeitige Entschärfung der ESR-Ziele im Parlament nicht diskutiert. Wir stellen jedoch fest, dass eine solche Umschichtung des Budgets aus Sicht der wirtschaftlichen Effizienz vorteilhaft sein kann. Eine Verschiebung des Budgets zwischen EU-EHS- und ESR-Sektoren in der diskutierten Bandbreite hat jedoch angesichts des derzeitigen Wissens über die Vermeidungskosten relativ geringe Auswirkungen auf die gesamte Wohlfahrt der EU.

2. Numerische Ansätze

Wir verwenden vier verschiedene Modelle, um die Kostenimplikationen der Aufteilung des EU-CO2-Budgets zwischen dem EU-EHS und den ESR-E-Sektoren zu untersuchen. Die Modelle unterscheiden sich in mehreren Dimensionen, einschließlich des Modelltyps und der Annahmen zu technologischen Entwicklungen, Energieeffizienzpotenzialen und politischen Maßnahmen entlang des Basispfads (siehe Tabelle 1 und Tabelle 2 im Anhang). Wir interpretieren diese Unterschiede als Unsicherheit über die zukünftigen Entwicklungen und zielen daher nicht darauf ab, diese Annahmen zu harmonisieren. Abgesehen von den Szenariospezifikationen und der Harmonisierung der Ergebnisgrößen, um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten, beschränken wir die Modellharmonisierung daher auf ein Minimum.

2.1 Modelle

Wir verwenden vier verschiedene Modelle1Detaillierte Modellübersichten finden sich auch im Szenarienreport des Kopernikus-Projektes Ariadne (2021): https://ariadneprojekt.de/media/2021/10/Ariadne_Szenarienreport_Oktober2021_Appendix_Modellbeschreibungen.pdf:

  • REMIND-EU (Regional Model of Investments and Development; Baumstark et al., 2021; Luderer et al., 2020, Pietzcker et al. 2021) ist ein globales multi-regionales Energie-Wirtschafts-Klima-Modell, das ein Wirtschaftswachstumsmodell mit einer detaillierten Modellierung des Energie-, Agrar- und Klimasystems kombiniert.
  • TIMES-PanEU ist ein multi-regionales Energiesystemmodell, das alle 27 Mitgliedstaaten der EU (EU27) sowie das Vereinigte Königreich, die Schweiz und Norwegen umfasst. Das Modell minimiert eine Zielfunktion, die die gesamten diskontierten Systemkosten über den Zeithorizont von 2010 bis 2050 darstellt, und geht von einem perfekten Wettbewerb zwischen verschiedenen Technologien und Energieumwandlungspfaden aus (Blesl et al. 2010; Blesl 2014; Kattelmann et al. 2021).
  • NEWAGE (National European Worldwide Applied General Equilibrium; Beestermöller, 2017, Fahl et al., 2019) ist ein globales multi-regionales rekursiv-dynamisches Allgemeines Gleichgewichtsmodell. Es bildet die Stromerzeugung detailliert mit diskreten Erzeugungstechnologien ab. Zu den Datenquellen gehören u.a. GTAP 9 (Aguiar et al., 2016), EXIOBASE 3 (Stadler et al., 2018) und verschiedene IEA-Datenquellen.
  • ZEW CGE (Abrell und Rausch, 2021; Abrell et al., 2022) ist ein globales multi-regionales statisches Allgemeines Gleichgewichtsmodell. Es bildet die Stromerzeugung detailliert mit diskreten Erzeugungstechnologien ab.

2.2 Szenarien

Verhältnis von Szenarien und politischen Vorschlägen

Die in unserer Analyse verwendeten Modelle sind zwar gut geeignet, um die grundlegenden Gestaltungsentscheidungen der aktuellen politischen Debatte zu bewerten, sie spiegeln jedoch nicht in allen Aspekten die politische Realität genau wider. Insbesondere die folgenden Punkte müssen bei der Interpretation unserer Ergebnisse berücksichtigt werden:

Sektorale Abdeckung und Erfassung der Treibhausgas-(THG-)Emissionen: Die Analyse konzentriert sich auf energiebezogene CO2-Emissionen, d.h. wir abstrahieren von nicht energiebezogenen CO2– und anderen THG-Emissionen.2Einige Modelle bilden jedoch auch die gesamten Treibhausgasemissionen ab (siehe Anhang). Aus Gründen der Vergleichbarkeit konzentrieren wir uns jedoch in der Analyse auf die energiebezogenen CO2-Emissionen. Dies bedeutet, dass unser ESR-E-Sektor eine große Überschneidung mit den von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen EHS2-Sektoren aufweist.
In Wirklichkeit überschneiden sich der sektorale Anwendungsbereich des ESR und des EHS2 in geringerem Maße: Während das EHS2 nur Emissionen aus Gebäuden und dem Straßenverkehr abdecken würde, deckt das ESR alle Emissionen ab, die nicht dem EU EHS unterliegen außer LULUCF Emissionen, und umfasst somit zusätzlich zu den im EHS2 abgedeckten Emissionen aus Gebäuden und dem Straßenverkehr auch Emissionen aus Landnutzung, Landwirtschaft, Abfall, Binnenschifffahrt und Kleinindustrie (European Commission 2021). Derzeit wird im EU-Parlament sogar diskutiert, dass zu Beginn nur Emissionen aus dem gewerblichen Straßenverkehr und aus gewerblichen Gebäuden vom EHS2 erfasst werden. Da unsere Analyse jedoch auf das Jahr 2030 ausgerichtet ist, gehen wir davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt auch der private Straßenverkehr und private Gebäude unter das EHS2 fallen werden.

Ergänzende Politikinstrumente: In unseren Szenarien sind CO2-Preise das einzige neue Politikinstrument, um die Reduktionsziele für 2030 zu erreichen. Sie werden in Anlehnung an Cap-and-Trade-Systeme eingeführt, d.h. wir legen eine quantitative Emissionsobergrenze fest und die Modelle bestimmen endogen den entsprechenden CO2-Preis. Abgesehen davon berücksichtigen wir keine zusätzlichen politischen Maßnahmen, um die Emissionsreduzierung im Vergleich zum Basispfad des jeweiligen Modells zu erreichen. Einige Modelle beziehen jedoch zusätzliche politische Maßnahmen in die Basispfad-Projektion ein. Daher ist ein Teil der Unterschiede in den Ergebnissen auf optimistischere Annahmen für den Basispfad zurückzuführen (siehe Anhang).
In der Realität wird der Emissionshandel wahrscheinlich weiterhin durch flankierende Maßnahmen, wie Förderprogramme für Erneuerbare Energien, Energieeffizienzmaßnahmen und Verkehrspolitik, ergänzt. Das Fehlen zusätzlicher politischer Maßnahmen in den Modellierungen hat daher starke Auswirkungen auf die Interpretation unserer CO2-Preise: Sie sollten als implizite CO2-Preise oder als Grenzvermeidungskosten betrachtet werden. Ergänzende Maßnahmen in Form von Technologiestandards oder Subventionen würden somit die beobachteten CO2-Preise senken, aber die gesamten Vermeidungskosten aufgrund von Ineffizienzen erhöhen, die sich aus der mangelnden Flexibilität ergeben, Emissionen dort zu verringern, wo es am günstigsten ist.

AEA-Handel: In unserer Analyse gehen wir davon aus, dass die Länder von der bestehenden Flexibilitätsoption Gebrauch machen, ihre jährlichen Emissionszuteilungen (engl. Annual Emission Allocation, AEA) zu handeln. D.h. Länder, die ihre jährlichen ESR-Ziele übererfüllen, verkaufen ihren Zertifikatsüberschuss an Länder, die ihre Ziele verfehlen. Dies ist unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Effizienz von Vorteil, da die Emissionen dort reduziert werden, wo es am günstigsten ist. Diese Annahme bedeutet auch, dass in unseren Modellen der AEA-Handel im Rahmen der ESR-E zu einem gleichwertigen Minderungsergebnis führt wie das EHS2 (unter der Annahme, dass sie dieselben Sektoren abdecken). In der Praxis stößt der AEA-Handel jedoch auf erhebliche Hindernisse, was zu heterogenen CO2-Preisen in den Mitgliedstaaten und höheren Gesamtvermeidungskosten führt.

Wir untersuchen die Kostenauswirkungen der Aufteilung des EU-CO2-Budgets zwischen dem EU-EHS und den ESR-E-Sektoren in einem gemeinsamen Szenariorahmen. In allen Szenarien setzen wir das Ziel für 2030 um, die Treibhausgasemissionen in der EU um 55 % gegenüber 1990 zu reduzieren. Wir variieren die Aufteilung des CO2-Budgets zwischen dem EU-EHS und der ESR-E, indem wir den Anteil der ESR-E am gesamten EU-CO2-Budget variieren. Wir gehen davon aus, dass der CO2-Handel im Rahmen des EU-EHS und der ESR-E zu zwei europäischen CO2-Preisen führt. Zusätzlich zum EU-EHS-/ESR-E-System modellieren wir auch ein Fulltrade Szenario mit vollständigem Handel als Referenzpunkt. In diesem wird ein einziges EU-Emissionshandelssystem eingeführt, das zu einem einzigen CO2-Preis führt.

3. CO2-Preisspannen zwischen den Modellen

Abbildung 1 zeigt die CO2-Preise für das EU-EHS und die ESR-E-Sektoren in Abhängigkeit des Anteils des CO2-Budgets, der den ESR-E-Sektoren zugewiesen wird. Je höher dieser Anteil an der Aufteilung des Budgets ist, desto mehr Reduktionsmaßnahmen müssen in den EU-EHS-Sektoren durchgeführt werden. Erwartungsgemäß steigen die EU-EHS-Preise (links) und sinken die ESR-E-Preise (rechts) mit einem höheren ESR-E-Budget. Die schwarze gepunktete Linie zeigt die im EU-Parlament diskutierte Preisobergrenze an.

Abbildung 1: CO2-Preise im Jahr 2030 in den Sektoren EU-EHS und ESR-E
Anmerkung: Eigene Berechnungen. Die Grafiken zeigen den impliziten CO2-Preis (y-Achse, gemessen in €2021/tCO2), d.h. die Grenzvermeidungskosten des EU-EHS (links) und der ESR-E (rechts) in Abhängigkeit von der Zuweisung des EU-CO2-Budgets für 2030 (x-Achse). Die Zuweisung des Budgets wird als der Anteil des energiebezogenen CO2 ausgedrückt, der den ESR-E-Sektoren zugewiesen wird. Eine Verschiebung von links nach rechts entspricht daher einer Umverteilung des CO2-Budgets vom EU-EHS zu den ESR-E und erhöht (verringert) somit den EU-EHS-(ESR-E)Minderungsaufwand. Die schwarze gepunktete Linie zeigt die im Parlament diskutierte Preisobergrenze an.

Abbildung 2 zeigt die Modellergebnisse für die von der EU-Kommission vorgeschlagene Budgetaufteilung. Die EU-EHS-Preise liegen zwischen 130 und 210 €/tCO2, während die ESR-Preise zwischen 175 und 350 €/tCO2 liegen. Angesichts der Unterschiede zwischen den verschiedenen Modelltypen ist diese Bandbreite erstaunlich klein.

Abbildung 2: CO2-Preise im Jahr 2030 in den EU-EHS- und ESR-Sektoren für die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Budgetaufteilung
Anmerkung: Eigene Berechnungen. Bild zeigt die impliziten CO2-Preise (linke Achse, gemessen in €2021 /tCO2) der einzelnen Modelle für das EU-EHS (links) und die ESR-E-Sektoren (rechts) unter der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Mittelzuweisung, d.h. für etwa 62-63 % der energiebezogenen CO2-Emissionen.

Die Ergebnisse führen zu drei wesentlichen Erkenntnissen: Erstens liegen unsere Preisschätzungen für das EU-EHS und die ESR-E deutlich über den 50 bis 80 €/tCO2, die im Impact Assessment der Europäischen Kommission angegeben werden. Dieser Preisunterschied lässt sich zum Teil dadurch erklären, dass das Impact Assessment eine breite Palette zusätzlicher politischer Maßnahmen umfasst, während sich unsere Modelle auf das CO2-Preisinstrument konzentrieren. Da die Stringenz der ergänzenden Maßnahmen im Wesentlichen von den einzelnen Mitgliedstaaten abhängt, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Preise ohne eine Preisobergrenze höher wären als von der Kommission derzeit angegeben. Wird der ESR-E-Preis jedoch, wie im EU-Parlament diskutiert, auf 50 €/tCO2 gedeckelt, müssten erhebliche Minderungen durch ergänzende politische Maßnahmen, wie technologische Standards oder Subventionen, erreicht werden, um die Emissionen in den ESR-E-Sektoren ausreichend zu reduzieren.

Zweitens ist die Spanne des ESR-E-Preises im Modellvergleich breiter als die des EHS. Dies spiegelt die viel größeren Unsicherheiten hinsichtlich der Vermeidungskosten und der Wirksamkeit zusätzlicher Maßnahmen in den ESR-E-Sektoren im Vergleich zu den EU-EHS-Sektoren wider. Im Stromsektor beispielsweise sind die Vermeidungskosten relativ gut bekannt. Im Gegensatz dazu haben wir in den Sektoren Gebäude und Verkehr weniger Informationen und Gewissheit über Vermeidungskosten und Nachfrageelastizitäten, da diese von vielen unsicheren Faktoren abhängen, einschließlich des Verhaltens der Haushalte.

Drittens deutet die geringe Preisdifferenz zwischen den EU-EHS- und den ESR-E-Preisen bei der vorgeschlagenen Budgetaufteilung darauf hin, dass die Gewinne aus dem CO2-Handel zwischen den ESR-E- und EU-EHS-Sektoren begrenzt sind. Dies bedeutet, dass die vorgeschlagene Aufteilung der CO2-Budgets zwischen den Sektoren relativ gut gewählt ist.

Im nächsten Abschnitt analysieren wir die potenziellen Wohlfahrtsgewinne verschiedener Budgetaufteilungen im Detail.

4. Optimale Aufteilung des EU-CO2-Budgets

Abbildung 3 zeigt den CO2-Preis im EU-EHS und im ESR-E in Abhängigkeit von der Zuweisung des CO2-Budgets zusammen mit dem Wohlfahrtsmaß des jeweiligen Modells. Während die Allgemeinen Gleichgewichtsmodelle (NEWAGE, ZEW CGE) direkt die Wohlfahrt ausweisen, gibt REMIND das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und TIMES-PanEU die Kosten des Energiesystems als Wohlfahrtsmaß an. Da die Nachfrage in TIMES-PanEU konstant ist, sind Änderungen der Kosten gleichbedeutend mit Änderungen der wirtschaftlichen Wohlfahrt. Wohlfahrtsänderungen werden im Vergleich zum Fulltrade-Szenario gemessen, das einen einheitlichen CO2-Preis in der gesamten EU einführt und daher einen Indikator für die Regulierung mit den geringsten Vermeidungskosten darstellt.3Bei Modellen, die eine Besteuerung von Rohstoffen und/oder Einkommen und/oder Endenergie vorsehen (NEWAGE, ZEW CGE, REMIND), kann die optimale Lösung, d.h. die Lösung mit den geringsten Kosten, aufgrund von Steuerinteraktionseffekten leicht vom Fulltrade-Szenario abweichen (z. B. Boeters, 2014; Goulder, 1995). Aus diesen Ergebnissen können wir die folgenden drei wesentlichen Erkenntnisse ableiten:

Erstens liegen die CO2-Preise im Rahmen des Fulltrade-Szenarios zwischen 163 €/tCO2 und 266 €/tCO2. Auch hier sind sie deutlich höher als die von der Europäischen Kommission angegebenen Preise.

Zweitens weisen die Modelle beim Fulltrade-Szenario zwischen 60 und 70 % des EU- CO2-Budgets den ESR-E-Sektoren zu. Daher liegt die seitens der EU vorgeschlagene Budgetaufteilung von 62-63 % am unteren Ende dieser Spanne.

Drittens deuten die relativ flachen Kostenkurven darauf hin, dass eine geringfügige Abweichung bei der Aufteilung der CO2-Budgets zwischen EU-EHS- und ESR-E-Sektoren keine größeren Auswirkungen auf die Wohlfahrt hat. Dies bedeutet, dass geringfügige Änderungen der Aufteilung von einigen Prozentpunkten keine wesentlichen Auswirkungen auf die Wohlfahrt haben. Wenn jedoch mehr als 70 % des Gesamtbudgets dem ESR-E-Budget zugewiesen werden, beginnen die EU-EHS-Preise steiler anzusteigen, was die Wohlfahrt erheblich verringert.

Abbildung 3: Optimale Aufteilung zwischen ESR-E- und EHS-Sektoren
Anmerkung: Eigene Berechnungen. Die Grafiken zeigen die impliziten CO2-Preise (linke Achse, gemessen in €2021/tCO2 ) für das EU-EHS (blaue Linie) und die ESR-E (orange Linie) in Abhängigkeit von der Zuteilung des energiebezogenen CO2-Budgets der EU (x-Achse) für jedes Modell. Die rechte Achse misst die Wohlfahrtskosten einer Abweichung von einem einzigen, für alle Sektoren einheitlichen EU-CO2-Preis (schwarze gestrichelte Linie). Die horizontale gepunktete Linie zeigt den jeweiligen EU-weit einheitlichen CO2-Preis (vollständiger Handel). Die vertikale gepunktete Linie zeigt die Zuweisung des CO2-Budgets unter diesem einheitlichen Preis.

5. Schlussfolgerungen

Wir führen eine Multi-Modell-Bewertung der Zuteilung des CO2-Budgets auf die EU-EHS- und ESR-E-Sektoren auf der Grundlage von vier Modellen durch. Wir stellen fest, dass der von der Kommission vorgeschlagene Emissionsanteil für die ESR-E-Sektoren von etwa 62-63 % (64 % auf der Grundlage der gesamten THG-Emissionen) am unteren Ende des von den Modellen ermittelten optimalen Bereichs liegt. Dennoch zeigt keines der Modelle einen größeren Wohlfahrtsverlust für die von der Kommission vorgeschlagene Aufteilung des Budgets im Vergleich zur jeweiligen optimalen Aufteilung. Genauer gesagt sind in unserem Modellierungsrahmen die Wohlfahrtskosten einer getrennten EU-Klimapolitik im Vergleich zu einem einheitlichen CO2-Preis überraschenderweise relativ unabhängig von der Aufteilung des EU-CO2-Budgets.

Für die von der EU-Kommission vorgeschlagene Aufteilung des THG-Budgets ergeben unsere Modelle eine Preisspanne von 130 bis 210 €/tCO2 für das EU-EHS und eine Preisspanne von 175-350 €/tCO2 für die ESR-E-Sektoren. Diese Spannen liegen deutlich über den von der Europäischen Kommission angegebenen Preisen.

Dies hat mehrere Auswirkungen auf die aktuelle politische Debatte. Erstens: Wenn der EHS2-Preis, wie im Europäischen Parlament diskutiert, bei 50 €/tCO2 gedeckelt würde, wären strengere ergänzende Maßnahmen erforderlich, um das Ziel zu erreichen. Während in diesem Fall die beobachteten CO2-Preise relativ niedrig sind, werden die Gesamtvermeidungskosten für die Verbraucher aufgrund der Ineffizienz, die sich aus der mangelnden Flexibilität ergibt, Emissionen dort zu verringern, wo es am günstigsten ist, noch höher sein. Zweitens wäre ein etwas ehrgeizigeres Reduktionsziel in den Sektoren des EU-EHS, wie im EU-Parlament diskutiert, aus Sicht der wirtschaftlichen Effizienz vorteilhaft, wenn das ESR-Ziel entsprechend reduziert würde. Und schließlich sind die Wohlfahrtseffekte relativ unabhängig von kleineren Verschiebungen in der Budgetaufteilung. Sollten also im Laufe der kommenden Verhandlungen weitere Anpassungen erforderlich sein, so wären die Auswirkungen auf die Gesamtwohlfahrt gering.

Anhang

Modellcharakteristiken

Tabelle 1 : Modellmerkmale

Tabelle 2: Basisjahr und Szenario-Annahmen


Die Analyse spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des gesamten Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider. Die Inhalte der Ariadne-Publikationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erstellt.

Literaturangaben

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Abrell, J, Rausch, S, 2021. A Smart Design of New EU Emissions Trading Could Save 61 Per Cent of Mitigation Costs, ZEW policy brief Nr. 21-05, Mannheim.

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Autorinnen & Autoren

Dr. Jan Abrell

ZEW - Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung

Süheyb Bilici

Universität Stuttgart – Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung

Markus Blesl

Universität Stuttgart – Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung

Dr. Ulrich Fahl

Universität Stuttgart - Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung

Felix Kattelmann

Universität Stuttgart – Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung

Lena Kittel

Universität Stuttgart - Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung

Dr. Mirjam Kosch

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Prof. Dr. Gunnar Luderer

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Drin Marmullaku

Universität Stuttgart – Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung

Dr. Michael Pahle

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Dr. Robert Pietzcker

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Dr. Renato Rodrigues

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Jonathan Siegle

Universität Stuttgart - Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung