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Deutschland auf dem Weg aus der Gaskrise: Wie sich Klimaschutz und Energiesouveränität vereinen lassen

Knappheiten und hohe Preise: Wege aus der Gaskrise zeigt jetzt eine neue Studie für Deutschland auf. Von kurzfristigen Interventionen für die Energiesicherheit bis hin zu längerfristigen Weichenstellungen für den Kurs auf Klimaneutralität sind in den Sektoren Gebäude, Industrie und Energiewirtschaft massive Einsparungen beim Gasverbrauch unerlässlich. Mehr als 30 Fachleute des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kopernikus-Projekts Ariadne buchstabieren erstmals im Modell- und Szenarienvergleich aus, welche Stellschrauben und Spielräume zur Verfügung stehen. Sie zeigen, dass Klimaschutz und Energiesouveränität miteinander vereinbar sind.

„Deutschland braucht nicht nur einen Weg durch den nächsten Winter, sondern auch Wege zu langfristiger Energiesouveränität und Klimaneutralität. Diese Wege zeigen wir jetzt auf“, erklärt Gunnar Luderer, Vize-Leiter des Ariadne-Projekts vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK. Zentraler Dreh- und Angelpunkt sind dabei Einsparungen beim Gasverbrauch. „Unsere Berechnungen zeigen: 30 Prozent Reduktion beim Gasverbrauch sind möglich und wichtig, um nicht nur eine Gasmangellage mit Lieferunterbrechungen zu vermeiden, sondern auch die Gaspreise und verbleibenden Importabhängigkeiten auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Kurzfristig ist das der wichtigste Baustein, um Deutschlands Energiesouveränität und geopolitische Resilienz wieder zu erhöhen“, so Luderer.

Dass Energiesicherheit und Klimaschutz dabei miteinander vereinbar sind, zeigt die Studie auf der Basis von sechs Modellen und zwei grundlegenden Szenarien im Detail auf. Allein die Reduktion des Gasverbrauchs führt zu einer CO2-Minderung von 50 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr gegenüber dem Mittel von 2017-2021. Ein Teil der Gasminderung geht zwar mit einem Brennstoffwechsel auf Kohle oder Heizöl einher. Die dadurch entstehenden Mehremissionen sind jedoch durch den europäischen Emissionshandel gedeckelt, der die Höhe der CO2-Emissionen in den maßgeblichen Sektoren Energiewirtschaft und Industrie begrenzt.

Gas einsparen, Nachfrage senken, Kurs auf Klimaziele halten: Die Potenziale sind da, doch alle Verbrauchssektoren müssen beitragen

Das Potenzial in den Einzelsektoren ist da, erfordert jedoch eine deutliche Trendwende in der Energiewirtschaft und in der Gebäudewärme, die bisher kaum Verbrauchsminderungen realisieren konnten. So kann etwa der Anteil der Gasverstromung in der Energiewirtschaft durch den entschiedenen Ausbau Erneuerbarer Energien entlang der gesetzten Ziele, flankiert von einer zeitlich begrenzten stärkeren Nutzung von Kohlekraftwerken, bis 2023 um bis zu 50 Prozent und bis 2025 um bis zu 80 Prozent gesenkt werden.

„Das größte Potenzial für die kurzfristige Senkung des Gasverbrauchs im Gebäudesektor liegt in einer Anpassung des Heizverhaltens in den eigenen vier Wänden – also zum Beispiel das Absenken der Raumtemperatur um ein oder zwei Grad, die Nutzung der Heizung nach Bedarf statt im Dauerbetrieb oder intelligente Heizungsregler“, erläutert Christoph Kost, Ko-Leiter des Ariadne-Arbeitspakets Wärmewende am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE. „Zusammen mit einem beschleunigten Hochlauf von Wärmepumpen, dem Anschluss an Fern- und Nahwärmenetze und einer stärkeren energetischen Sanierung des Gebäudebestands ließen sich im Gebäudesektor kurzfristig gut 30 Prozent des Gasbedarfs einsparen. Die beschleunigte Wärmewende senkt auch langfristig den Gasbedarf und bringt den Sektor auf Kurs für die Klimaneutralität.“  

„Im Industriesektor hat kurzfristig hat vor allem ein Brennstoffwechsel in der Dampferzeugung, in Teilen auch der Industrieöfen, das Potential einen wesentlichen Minderungsbeitrag zu leisten“, sagt Andrea Herbst, Ko-Leiterin des Ariadne-Arbeitspakets Industriewende am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. Bis 2025 ließe sich so der Gasverbrauch theoretisch um knapp 50 Prozent reduzieren. „Dieser Wechsel kann jedoch auch einen erhöhten Einsatz von Heizöl und Biomasse umfassen. Die schnellere Elektrifizierung in der Dampferzeugung – etwa durch hybride Systeme, die den Einsatz von Strom und Erdgas ermöglichen – und eine beschleunigte Entwicklung CO2-neutraler Verfahren für große Einzelanlagen sind deshalb essenziell, um langfristig auf dem Pfad zur Klimaneutralität zu bleiben.“

„Energiesicherheit und Klimaschutzziele sind kein Widerspruch – im Gegenteil. Kurzfristig notwendige Politikinterventionen können und sollten also auf beide Ziele einzahlen“, so Ottmar Edenhofer, Leiter des Ariadne-Projekts und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sowie des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. „Das A und O sind konsequente Gaseinsparungen – nur so lässt sich der durch die Energiekrise entstandene Schaden für die deutsche und europäische Bevölkerung und Wirtschaft wirksam eingrenzen. Ebenso wichtig sind jedoch auch Maßnahmen zur sozialen Abfederung, die vor allem die von hohen Energiepreisen besonders betroffenen einkommensschwachen Haushalte entlasten.“

Ariadne-Kurzdossier

Gunnar Luderer, Frederike Bartels, Markus Blesl, Alexander Burkhardt, Ottmar Edenhofer, Ulrich Fahl, Annika Gillich, Andrea Herbst, Kai Hufendiek, Markus Kaiser, Lena Kittel, Florian Koller, Christoph Kost, Robert Pietzcker, Matthias Rehfeldt, Felix Schreyer, Dennis Seibert, Luisa Sievers (2022): Deutschland auf dem Weg aus der Gaskrise – Wie sich Klimaschutz und Energiesouveränität vereinen lassen. Kopernikus-Projekt Ariadne, Potsdam. [DOI: 10.48485/pik.2022.004]