Um 2045 klimaneutral zu sein, muss das Energiesystem in einem nie dagewesenen Tempo umgebaut werden. Ob die Energiewende in Deutschland auf Kurs ist, zeigt jetzt der neue Transformations-Tracker des Kopernikus-Projekts Ariadne auf einen Blick. Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) setzt der Tracker die Entwicklung von mehr als 40 konkreten Schlüsselindikatoren ins Verhältnis zu den Zielpfaden der Ariadne-Szenarien zur Klimaneutralität – vom Gesamtsystem, über die Energiewirtschaft bis in die einzelnen Sektoren Gebäude, Verkehr und Industrie.
„Unsere Analysen zeigen: Um auf Kurs zur Klimaneutralität zu kommen, geht es mit den Fortschritten der Energiewende in den meisten Bereichen zu langsam voran“, sagt Gunnar Luderer, Vize-Leiter des Ariadne-Projekts und Szenarien-Experte des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). „Vor allem bei Neuanschaffungen muss massiv umgesteuert werden, um den Weg zur Klimaneutralität nicht zu verbauen“. Wo es schon läuft, aber auch, wo es noch hakt, zeigt der Transformations-Tracker anhand von Geschwindigkeits-Tachometern. Derzeit stehen diese erst in den wenigsten Fällen auf Erfolg.
Neben Kennzahlen der letzten drei Jahre zu Emissionen und dem Ausbau von Windenergie, Photovoltaik & Co gehören zu den berücksichtigten Indikatoren auch jene Signale, die den Ausstieg aus der Nutzung von Kohle, Öl und Gas verfolgen. Auch inwiefern Investitionen in Autos, Heizungssysteme und Industrieanlagen mit den langfristigen Klimazielen vereinbar sind, fließt also in den Transformations-Tracker mit ein. Denn gerade bei den langlebigen Investitionsgütern zeigt sich, dass noch viel zu tun ist. Neue Benziner oder Diesel fahren im Schnitt 18 Jahre auf den Straßen, neue Gasheizungen sind 15-25, teils sogar 30 Jahre in Betrieb. Die fossile Zukunft wird hier also bei Kaufentscheidungen mitunter gleich mitbestellt.
Achtung Sondereffekt! Vorsicht bei der Formel für den Fortschritt
Auch bei den Erfolgen lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Jüngste Ereignisse wie die Corona-Pandemie oder die Energiekrise haben auf die Indikatoren einen starken Einfluss. Manch ein „Fortschritt“ auf dem Weg zur Klimaneutralität ist deshalb nicht der notwendigen strukturellen Transformation geschuldet, sondern geht lediglich auf kurzfristig wirkende Entwicklungen zurück. Diese im Tracker gekennzeichneten „Sondereffekte“ sollten deshalb mit Vorsicht interpretiert werden, so die Fachleute. Denn Emissionen, die etwa im Zuge der Pandemie durch das Herunterfahren der Industrieproduktion oder weniger Verkehr auf den Straßen gesunken sind steigen nach der Pandemie wieder an.
„Dass viele vermeintlich günstige Entwicklungen der letzten Jahre Folge der Corona-Pandemie und der Energiekrise sind, ist zunächst ernüchternd“, ergänzt Frederike Bartels vom PIK. „Umso mehr gilt es, auf dem aktuellen Bewusstsein für Energiefragen jetzt aufzubauen und strukturelle Veränderungen bei zukünftigen Investitionen oder individuellem Verhalten anzustoßen, die dann einen nachhaltigen Nutzen für den Weg zur Klimaneutralität haben”.
Die Energiewende ist kein Selbstläufer: Ariadne-Szenarien als Frühwarnsystem für Kurskorrekturen
Der Ariadne-Tracker kann so als Frühwarnsystem der Knack- und Knirschpunkte der Energiewende aufzeigen, wo die praktische Umsetzung nicht zu den Notwendigkeiten der gesetzten Klimaziele passt. Geleitet vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung unter Mitwirkung von Ariadne-Fachleuten des Instituts für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart, des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme, des DLR-Instituts für Verkehrsforschung und des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung baut der Transformations-Tracker auf die im Ariadne-Projekt entstandenen Szenarien auf, die verschiedene Transformationspfade zur Klimaneutralität 2045 beschreiben. Diese Transformationspfade umfassen das gesamte Energiesystem und die Sektoren Industrie, Gebäude und Verkehr und integrieren im Modellvergleich Gesamtsystem- und Sektormodelle. So können detaillierte Energiewendepfade analysiert werden, um robuste Strategien abzuleiten und Unsicherheiten oder Hemmnisse entlang der notwendigen Transformation auszubuchstabieren.
Ariadne Transformation Tracker
Weiterführende Informationen
Deutschland auf dem Weg aus der Gaskrise – Wie sich Klimaschutz und Energiesouveränität vereinen lassen (2022): Gunnar Luderer, Frederike Bartels, Markus Blesl, Alexander Burkhardt, Ottmar Edenhofer, Ulrich Fahl, Annika Gillich, Andrea Herbst, Kai Hufendiek, Markus Kaiser, Lena Kittel, Florian Koller, Christoph Kost, Robert Pietzcker, Matthias Rehfeldt, Felix Schreyer, Dennis Seibert, Luisa Sievers. Kopernikus-Projekt Ariadne, Potsdam. DOI: 10.48485/pik.2022.004
Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045. Szenarien und Pfade im Modellvergleich. Ariadne-Report (2021): Gunnar Luderer (Hrsg.), Christoph Kost (Hrg.), Dominika Soergel (Hrsg.) et al. Kopernikus-Projekt Ariadne, Potsdam. DOI: 10.48485/pik.2021.006