Die Governance-Verordnung (EU) 2018/1999 ist das zentrale prozedurale Steuerungsinstrument zur Erreichung der EU-Energie- und Klimaziele. Seit ihrem Inkrafttreten 2018 gilt sie jedoch als defizitär. Im Rahmen des „Fit for 55“-Pakets und des „REPowerEU“-Plans wurden ehrgeizigere Ziele und strengere Anforderungen in sektoralen Rechtsakten zur Umsetzung dieser Ziele vereinbart. Es ist deshalb zu begrüßen, dass die EU-Kommission endlich eine Überarbeitung der Governance-Verordnung ins Auge gefasst hat. Eine Stärkung des dort geregelten Governance-Mechanismus ist zwingend erforderlich. Im Rahmen der anstehenden Reform sollten alle sektoralen Governance-Bestimmungen, die derzeit zersplittert in verschiedenen Rechtsakten stehen, in die Governance-Verordnung als zentralem Steuerungsinstrument integriert werden. Die bevorstehende Reform sollte daher genutzt werden, diese Bestimmungen in einen verbindlicheren und robusteren Mechanismus nahtlos einzubetten. Zudem sollte die Reform die Zusammenführung der Bestimmungen in der Governance-Verordnung als dem zentralen prozeduralen Rechtsakt sowie die Steigerung ihrer Verbindlichkeit und Effektivität umfassen. Vor diesem Hintergrund werden hier zwei Optionen erörtert, um strukturelle (Option 1) und inhaltliche (Option 2) Defizite der aktuellen Governance-Verordnung zu beheben.
Defizite
Das derzeitige Governance-System ist integrativ und sektorübergreifend ausgestaltet. Allerdings zeigten sich bereits bei der Erarbeitung und Verabschiedung der Governance-Verordnung ihre strukturelle Schwäche: Die EU verfügt in der Energiepolitik lediglich über begrenzte Rechtsetzungskompetenzen. Trotz ihres Status als verbindlicher und direkt anwendbarer Rechtsakt ist die Verordnung insgesamt ein Instrument weicher Governance. Sie beruht hauptsächlich auf unverbindlichen Empfehlungen und rahmensetzenden Regelungen. Selbst einige härtere Elemente zur Sicherstellung ausreichender Fortschritte im Bereich erneuerbarer Energien (vgl. Art. 32 Abs. 3 VO (EU) 2018/1999) können diese Tatsache nicht überdecken.
Durch die Überarbeitung der Erneuerbaren- und Energieeffizienz-Richtlinien (EE-Richtlinie; EnEff-Richtlinie) im Rahmen der Reformen „Fit for 55“ und „REPowerEU“ wurden die Sektorziele angehoben. Ferner wurden Governance-bezogene Bestimmungen in sektorale Rechtsakte aufgenommen und die Berichtspflichten der Mitgliedstaaten erweitert.
Die Konzentration auf Änderungen sektoraler Rechtsakte steht in scharfem Gegensatz zur ursprünglichen Idee, Governance-bezogene Bestimmungen in einer einzigen Verordnung zusammenzufassen. So fragmentiert der übergreifende Governance-Mechanismus und verliert seine zentrale „Umbrella“-Funktion. Die großen Herausforderungen der Klimaneutralität bis 2050 erfordern aber einen robusteren Governance-Mechanismus, der Klarheit und Rechtssicherheit bietet.
Governance Verordnung
Seit dem Vertrag von Lissabon besitzt die EU einen Kompetenztitel für die Energiepolitik, die in Art. 194 Abs. 2 AEUV festgelegt ist. Allerdings ist diese Kompetenz durch den Souveränitätsvorbehalt an gleicher Stelle zugunsten der Mitgliedstaaten stark eingeschränkt. Um dennoch ein wirksames Steuerungsinstrument zu schaffen, wurde die Governance-Verordnung (EU) 2018/1999 etabliert. Sie sieht ein System der strategischen Klimaplanung vor, das als iterativer Prozess zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten angelegt ist. Letztere haben Planungsverpflichtungen in Bezug auf ihre Energie- und Klimaziele und die zu deren Erreichung zu ergreifenden Maßnahmen (NECP) sowie Berichtspflichten. Für die Überwachung ist die EU-Kommission zuständig.
Reformoptionen
Die Governance-Verordnung sollte alle Governance-bezogenen Bestimmungen, insbesondere Planung, Berichterstattung, Monitoring und Maßnahmen bei unzureichendem Ambitions- und Fortschrittsniveau in einem überarbeiteten, kohärenten und robusten Governance-Mechanismus integrieren. Daraus folgen zwei Vorteile: (1) führt die Bündelung zu Zeitersparnissen, da Verordnungen qua natura keine nationale „Übersetzung“ erfordern; (2) verhindert die unmittelbare Wirkung der Verordnung Diskrepanzen bei der Umsetzung, was Rechtssicherheit und Klarheit gewährleistet.
Der EU-Gesetzgeber sollte bei der Reform daher folgende Optionen berücksichtigen:
Option 1: Klärung und Einführung von Sanktionen für Ziel- und Umsetzungslücken
Die Kommission sollte die Rolle von Vertragsverletzungsverfahren klären. Im Fall von Lücken bei der europäischen Zielerreichung, d.h. wenn Referenzwerte des EU-Zielpfads im Bereich Erneuerbare nicht erreicht werden, sind Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten zulässig, die mindestens einen nationalen Referenzwert nicht erreicht und keine zusätzlichen Maßnahmen zur Beseitigung dieses Missstandes ergriffen haben.
Ein ähnlicher Mechanismus wurde für den Bereich Energieeffizienz eingeführt: Mitgliedstaaten, die ihre indikativen Ziele für den Endenergieverbrauch überschreiten, müssen zur Kurskorrektur zusätzliche Maßnahmen ergreifen. Andernfalls müssen sie wiederum mit einem Vertragsverletzungsverfahren rechnen.
Eine bessere Durchsetzung der Kommissionsempfehlungen kann mithilfe von Konditionalitätsinstrumenten erreicht werden. Auf diesem Wege können fehlende Kompetenzen im Energiebereich durch eine Verknüpfung der Befolgung der Kommissionsempfehlungen mit finanzieller Unterstützung in anderen Politikbereichen kompensiert und so sektorübergreifende Konditionalität, ähnlich dem Europäischen Semester oder dem EU-Rechtsstaatlichkeitsmechanismus, implementiert werden.
Option 2: Stärkung der Kohärenz und Rechtssicherheit des Governance-Mechanismus
Der in der Governance-Verordnung festgelegte Mechanismus zur Sicherstellung eines ausreichenden nationalen Ambitionsniveaus ist nicht zielführend. Er ist nicht in der Lage, Ambitionslücken gegen den Willen der Mitgliedstaaten zu schließen. Zudem kann eine unzureichende Umsetzung von nationalen Maßnahmen zur Schließung der Ambitionslücke nicht sanktioniert werden. Dies gilt es zu verbessern.
Energieeffizienz: Die Governance-Anforderungen der EnEff-Richtlinie wurden erheblich gestärkt (Art. 4 Abs. 2 bis 7 EnEff-RL). Dazu gehören die Verwendung der „indikativen Formel mit objektiven Kriterien“ zur Berechnung nationaler Beiträge und die Stärkung des Überprüfungsmechanismus zur Überwachung des Ambitionsniveaus der Mitgliedstaaten. Zur Vereinheitlichung und Verschärfung der Anforderungen sollten alle Governance-Bestimmungen in die Governance-Verordnung überführt und dort gestärkt werden.
Erneuerbare Energien: Der Governance-Mechanismus sollte ebenfalls gestrafft werden, u.a. indem die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die „indikative Formel mit objektiven Kriterien“ zu berücksichtigen. Zudem enthält die letzte Änderung der EE-Richtlinie neue und über-arbeitete sektorspezifische Teilziele für die Erneuerbaren-Nutzung. Diese unterscheiden sich in Rechtverbindlichkeit und Zielgruppe (Mitgliedstaaten oder EU), u.a. Art. 15a Abs. 1 oder Art. 22a Abs. 1 EE-Richtlinie. Um eine einheitliche Rechtsanwendung in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten, ist eine Definition der verschiedenen Ziel-Typen in der Governance-Verordnung notwendig. Selbiges gilt für den Festlegungsprozess nationale Beiträge sowie weiterer Parameter für deren Erreichung: Auch hier bedarf es eines standarisierten Verfahrens mit einheitlichen Vorgaben differenziert nach Ziel-Typ.
Auf den Punkt Gebracht
Eine zeitnahe Überarbeitung der Governance-Verordnung ist zwingend erforderlich. Wir schlagen erstens vor, die Mitgliedstaaten stärker zur Einhaltung der Governance-Anforderungen zu verpflichten und die Möglichkeit von Sanktionen einzuführen, falls die Ziele nicht erreicht und die Vorgaben nicht eingehalten werden. Dazu kann eine sektorübergreifende Konditionalität eingeführt werden. Unsere zweite Option setzt auf Kohärenz als Mittel zur Stärkung des Governance-Mechanismus: Die Governance-Anforderungen sollen insgesamt geschärft und in der Governance-Verordnung stärker vereinheitlicht werden. Darüber hinaus soll ein System zur einheitlichen Erarbeitung der verschiedenen Arten von sektorspezifischen Teilzielen im Bereich der erneuerbaren Energien geschaffen werden, um die in dieser Hinsicht unterschiedlichen nationalen Prozesse so weit wie möglich zu harmonisieren.
Dieses Papier zitieren:
Sabine Schlacke, Fabian Pause, Michèle Knodt, Eva-Maria Thierjung, Ronja Busch (2024): Stärkung der EU-Governance-Verordnung für die 2030-Klimaziele – Ariadne kompakt. Kopernikus-Projekt Ariadne, Potsdam.
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