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Hintergrund: Maßnahmen und Instrumente für eine ambitionierte, klimafreundliche und sozialverträgliche Wärmewende im Gebäudesektor – Teil 1: Analyse der Herausforderungen und Instrumente im Gebäudesektor

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Zusammenfassung

Herausforderungen der Wärmewende. Zur Erfüllung der im Bundes-Klimaschutzgesetz verankerten, rechtlich verbindlichen Treibhausgas-Minderungsziele stehen dem Gebäudesektor nicht zuletzt aufgrund seiner heterogenen Gebäude- und Eigentümerstrukturen sowie der Komplexität der bereits bestehenden Instrumentenlandschaft zahlreiche Herausforderungen bevor. Mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes vom 25.06.2021 muss demnach der Gebäudesektor eine Treibhausgasminderung um ca. 44 % der Emissionen des Jahres 2020 (120 Mio. t CO2-äq) bis 2030 erfüllen (67 Mio. t CO2-äq). Zur Erreichung der Klimaschutzziele im Gebäudesektor sind folgende Handlungsfelder zentral: Die Erhöhung der (energetischen) Sanierungsrate und -tiefe sowie der Energieträgerwechsel zu auf Erneuerbaren Energien (EE) basierenden Wärmeversorgungssystemen (dezentrale Systeme sowie Ausbau und Defossilisierung der Wärmenetze). Bei der Übersetzung dieser Elemente in politische Maßnahmen sind grundsätzlich deren Klimawirkung und die Abfederung sozialer Härten sicherzustellen. Allerdings steht derzeit eine Vielzahl an Faktoren einer zielkompatiblen Umsetzung dieser Maßnahmen entgegen. Sowohl ökonomische als auch nicht-ökonomische Faktoren beeinflussen die individuelle Bereitschaft, energetisch zu sanieren. Darüber hinaus besteht ein Mangel an ausgebildeten, mit erneuerbaren Wärmeversorgungssystemen vertrauten Fachkräften. Auch Rebound-Effekte, wie eine zeitliche und räumliche Ausweitung der Beheizung von Wohnraum nach der Durchführung von Effizienz-Maßnahmen oder eine Zunahme der Pro-Kopf-Wohnfläche konterkarieren Klimaschutzanstrengungen. Zusätzlich zu Klimaschutzaspekten ist insbesondere die soziale Dimension der Wärmewende eine Herausforderung. In vielen Städten Deutschlands ist Knappheit an bezahlbarem Wohnraum bereites ein großes Problem. Auch die zur Erreichung der Klimaziele notwendigen Sanierungen und energetischen Modernisierungen sowie (steigende) Energiepreise für Strom, Warmwasser- und Raumwärmebereitstellung spielen eine bedeutsame Rolle in der finanziellen Belastung von insbesondere einkommensschwachen Haushalten. Es existiert bereits eine Vielzahl an Rahmenbedingungen und politischen Instrumenten zur Defossilisierung des Gebäudesektors aus den Bereichen Ordnungsrecht (z. B. Gebäudeenergiegesetz), finanzieller Förderung (z.B. Bundesförderung für effiziente Gebäude), Steuern/ Abgaben (z. B. Brennstoffemissionshandelsgesetz) sowie Information bzw. Öffentlichkeitsarbeit. Der bisherige politische Rahmen erweist sich jedoch nach aktuellen Modellrechnungen zur Erfüllung der Klimaziele als unzureichend (siehe z. B. Projektionsbericht der Bundesregierung 2019). Zudem interagieren einige politische Instrumente, so dass es in Teilen zu Inkonsistenzen hinsichtlich der intendierten Wirkung kommt. Die Weiterentwicklung existierender bzw. Einführung zusätzlicher Instrumente sowie deren Harmonisierung ist dementsprechend für eine sozialverträgliche und mit den Klimazielen kompatible Wärmewende zentral. Ziel dieses Hintergrundpapiers ist es, Optionen für politische Instrumente des Gebäudesektors aufzuzeigen, hinsichtlich ihrer Wirkung multikriteriell zu bewerten und auf Basis dessen zentrale Instrumente für den Klimaschutz sowie wesentliche flankierende Instrumente zur Abfederung sozialer Härten zu identifizieren. Neben der Wirksamkeit von Instrumenten ist auch das Zusammenspiel verschiedener Instrumente sowie ihre Wirkung auf unterschiedliche Akteur:innen von Bedeutung. Deshalb werden in diesem Hintergrundpapier zwei Instrumentenwelten dargestellt, die einmal durch einen „starken“ CO2-Preis und einmal durch einen „schwachen“ CO2-Preis geprägt sind. In diesen Welten wird dargestellt, welche Instrumente in der jeweiligen Welt als besonders bedeutend angenommen werden und wie sie auf verschiedene Akteursgruppen wirken.

Methode. Es wurden aktuelle und perspektivische Instrumente aus der Literatur und einem ersten Dialogforum gesammelt und projektintern nach Klimaschutzwirkung, Verteilungswirkung, ökonomischer Effizienz sowie realpolitischer Umsetzbarkeit bewertet. Auf dieser Basis erfolgte eine Auswahl an perspektivisch zentralen Instrumenten für den Klimaschutz und flankierenden Instrumenten zur Abfederung sozialer Härten. Die im Folgenden dargestellten Überlegungen sind dementsprechend das Resultat einer Literaturstudie, der Einschätzung von Expert:innen und des Ariadne-Dialogprozesses.

Ergebnisse. Die perspektivisch als zentral und flankierend identifizierten Instrumente sind in Abbildung 1 aufgeführt. Zu beachten ist dabei, dass mögliche Interaktionen (insbesondere bei den Instrumenten für die Defossilisierung) bei dieser Auswahl zunächst nicht berücksichtigt wurden. Die dargestellten Instrumente sind dementsprechend kein Vorschlag für einen konsistenten Politikmix, sondern vielmehr eine Übersicht über mögliche zentrale Instrumente mit hoher Klimaschutzwirkung, die jedoch nicht in ihrer Gänze parallel bzw. komplementär zu implementieren sind. Sie sind Optionen, deren jeweiliger zusätzlicher Nutzen und Wirkmechanismus in Kombination mit anderen Instrumenten im genauen Ausgestaltungsfall geprüft werden muss.

Abbildung 1: Schematischer Überblick über Herausforderungen, zentrale und flankierende Instrumente (*ohne Berücksichtigung von Interaktionen) sowie Politikoptionen, die im Rahmen des Hintergrundpapiers identifiziert wurden. (aGEG = Gebäudeenergiegesetz; biSFP = Individueller Sanierungsfahrplan; cBEG = Bundesförderung für effiziente Gebäude)

Exemplarisch werden zwei Instrumentenwelten im Rahmen von Wirknetzen dargestellt, in denen der CO2-Preis als Leitinstrument dient und jeweils entweder „stark“ oder „schwach“ ausgeprägt ist. Beide Welten stellen unterschiedliche Anforderungen an die komplementäre Instrumentenlandschaft, wobei einige Elemente in beiden Welten – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung – relevant sind. In der Welt mit einem starken CO2-Preis ist die zugrundliegende Annahme, dass ein hoher CO2-Preis eine ausreichend starke Lenkungs- und Anreizwirkung entfaltet, um eine zielkompatible Wärmewende sicherzustellen. In dieser Welt erscheint insbesondere die adäquate Gestaltung der Rückverteilungsmechanismen bedeutsam. Doch auch bei einem starken CO2-Preis bedarf es aufgrund von Marktversagen (z. B. fehlende Information, unvollkommene Märkte) komplementärer Instrumente. In der Welt eines zukünftig schwachen CO2-Preises werden vermutlich weitere Politikinstrumente bedeutsamer. Da viele verschiedene Instrumente eine Wirkung entfalten, ist es möglicherweise herausfordernder, diese jeweils in ihrer Interaktion aufeinander abzustimmen und Inkonsistenzen zu vermeiden. Dies kann jedoch beispielsweise durch einen Zielfahrplan wie auch eine Etablierung eines fortlaufenden Monitorings und Nachsteuerns der Politikinstrumente erfolgen.

Diskussion. Unter Betrachtung der wissenschaftlichen Literatur sowie den Stimmen aus der Praxis scheint ein ausgewogener Mix an Politikinstrumenten geboten, der einen CO2-Preis, aber auch finanzielle Förderung, informatorische Maßnahmen sowie ordnungsrechtliche Vorgaben umfasst. Zudem ist es für eine erfolgreiche Umsetzung des Klimaschutzes im Gebäudesektor sinnvoll, einen verbindlichen Fahrplan zu etablieren, der Investor:innen und Eigentümer:innen langfristige Planungssicherheit garantiert. Gleichwohl ist ein ambitionierter CO2-Preis notwendig, um, durch Internalisierung der gesellschaftlichen Folgekosten, die wahren Kosten von Brennstoffen widerzuspiegeln und zielkompatible Wärmeversorgungssysteme wirtschaftlich attraktiver zu gestalten. Darüber hinaus ist eine adäquate Ausgestaltung von Instrumenten zur Abfederung sozialer Härten (unabhängig von der Höhe des CO2-Preises) essenziell. Eine zentrale Erkenntnis dieses Hintergrundpapiers ist es, dass konsistente Instrumentensets implementiert werden können, die eine ambitionierte, zielkompatible Wärmewende sozialverträglich ermöglichen. Gleichzeitig wurde ein Bedarf an valider Quantifizierung der Netto-Wirkung sowie der aus Interaktionseffekten resultierenden gemeinsamen Wirkung von Instrumenten identifiziert. Weitere Forschung ist dementsprechend für die Gestaltung konsistenter und wirksamer Instrumentensets unerlässlich.

Ariadne-Hintergrund

Jessica Berneiser, Alexander Burkhardt, Dr. Ralph Henger, Benjamin Köhler, Robert Meyer, Stephan Sommer, Yasin Yilmaz, Christoph Kost, Sebastian Herkel (2021): Maßnahmen und Instrumente für eine ambitionierte, klimafreundliche und sozialverträgliche Wärmewende im Gebäudesektor – Teil 1: Analyse der Herausforderungen und Instrumente im Gebäudesektor. Ariadne-Hintergrund.

Ariadne-Hintergrund

Robert Meyer, Jessica Berneiser, Alexander Burkhardt, Hannes Doderer, Elias Eickelmann, Ralph Henger, Benjamin Köhler, Stephan Sommer, Yasin Yilmaz, Markus Blesl, Veit Bürger, Sibylle Braungardt, Sebastian Herkel (2021): Maßnahmen und Instrumente für eine ambitionierte, klimafreundliche und sozialverträgliche Wärmewende im Gebäudesektor – Teil 2: Instrumentensteckbriefe für den Gebäudesektor. Ariadne-Hintergrund.

Autorinnen & Autoren

Jessica Berneiser

Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme

Alexander Burkhardt

Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI

Dr. Ralph Henger

Institut der deutschen Wirtschaft

Benjamin Köhler

Öko-Institut e.V.

Robert Meyer

Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme

Dr. Stephan Sommer

RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung

Yasin Yilmaz

Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e.V.

Dr. Christoph Kost

Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme

Sebastian Herkel

Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme