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Analyse: Selling CBAM – Die Diplomatie um den CO2-Grenzausgleichsmechanismus der Europäischen Union

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Kernaussagen

  • Frühere Forschungsarbeiten über den CO2-Grenzausgleichsmechanismus der Europäischen Union (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) konzentrieren sich auf das Design und die internationalen Auswirkungen und Reaktionen. Die vorliegende Studie richtet den Blick nach innen. Sie untersucht, wie die Institutionen der EU die diplomatische Begleitung des CBAMs organisiert haben.
  • Der politische Schwerpunkt lag in der untersuchten Phase auf der Aushandlung des CBAMs zwischen den Mitgliedsstaaten. Parallele diplomatische Aktivitäten waren sekundär und sowohl unter den EU-Institutionen als auch zwischen den EU-Institutionen und den Mitgliedsstaaten nur eingeschränkt koordiniert. Damit ist die CBAM-Diplomatie der Forderung nach einer strategischen Ausrichtung der internationalen EU-Klimapolitik nicht gerecht geworden.
  • Die politische Führung der Kommission und einzelne Abgeordnete des Parlaments trieben den Aushandlungsprozess innerhalb der EU voran und führten politische Gespräche mit Partnerländern. Der Generaldirektion Steuern und Zollunion in der Kommission oblag die interne Federführung. Sie und der Auswärtige Dienst bemühten sich, der Wahrnehmung des CBAMs als handelspolitisches Instrument entgegenzuwirken und ein gewisses Maß an Einheitlichkeit in der externen Kommunikation herzustellen.
  • Inhaltlich bestand die CBAM-Diplomatie insbesondere in der Erläuterung der technischen Modalitäten des Mechanismus. Anstatt mit konkreten Zugeständnissen auf Partnerländer zuzugehen, wurden diese Modalitäten nach außen hin als unveränderlich dargestellt, während die Details nach innen hin noch unter den Mitgliedsstaaten verhandelt wurden.
  • Nach anfänglich lautstarken internationalen Reaktionen hat sich dieses vordergründige Ausklammern der politischen Dimension des CBAMs allerdings in den Gesprächen mit Partnerländern – zumindest bislang – als effektiv darin erwiesen, Widerstände über die Zeit abflachen zu lassen. 

1. Einleitung

Ein CO2-Grenzausgleich wird in der Europäischen Union ab 2026 fällig, wenn Waren importiert werden, deren Herstellung in einem Drittland keinem dem EU-Emissionshandel vergleichbaren Klimaschutzinstrument unterliegen. So soll verhindert werden, dass der Klimaschutz der EU umgangen wird und die europäische Wirtschaft bei der Dekarbonisierung Wettbewerbsnachteile gegenüber weniger ambitionierten Ländern erleidet. Dass ein so umfassendes unilaterales Vorhaben in vielen Drittländern angesichts der wirtschaftlichen sowie handels- und klimapolitischen Implikationen nicht nur auf Zuspruch treffen würde, war von Beginn an abzusehen (Bellora & Fontagné, 2022; Dröge, 2021; Eicke et al., 2021; Kolev et al., 2021; Sapir & Horn, 2020). Schon der Versuch, 2012 einen ähnlichen Mechanismus für den internationalen Luftverkehr einzuführen, hatte eine handelsrechtliche Debatte ausgelöst (Meltzer, 2012). Wie die Handelspartner der EU den neuen CO2-Grenzausgleich wahrnehmen, war deshalb essenziell mit Blick auf die politische Akzeptanz und die weitere effektive klimapolitische Zusammenarbeit. Angemessene diplomatische Begleitung war daher angezeigt. Die bestehende Literatur beschäftigt sich in diesem Zusammenhang vornehmlich mit dem Design für den Mechanismus (Campolmi et al., 2024; Cosbey et al., 2021; Dröge, 2021; Espa et al., 2022; Mehling et al., 2019; Mehling & Ritz, 2023; Sator et al., 2022). Vereinzelt werden darauf aufbauend auch die Anforderungen an den diplomatischen Austausch mit Partnerländern diskutiert, um den erwarteten Auswirkungen und Reaktionen Rechnung zu tragen (Dröge, 2021; Jakob, 2023; Mehling et al., 2022; Szulecki et al., 2022). Noch unterbeleuchtet ist allerdings die Frage, wie diese diplomatischen Bemühungen intern umgesetzt wurden. Wie hat die Europäische Union ihre Diplomatie um den CO2-Grenzausgleich organisiert? „[I]n order to understand the EU’s external action, we must also look at its internal bureaucratic politics” (Delreux & Earsom, 2023). Vor diesem Hintergrund richtet das vorliegende Papier den Blick nach innen. Es befasst sich in einer explorativen Analyse auf Basis von Experteninterviews mit der Frage, wie die zentralen Akteure der EU ihre diplomatische Rolle in Bezug auf den CO2-Grenzausgleich in der Praxis verstanden haben. Welche EU-Akteure kommunizierten mit Drittstaaten? Welcher Kanäle bedienten sie sich? Wem oblag die Federführung und wie gestaltete sich die Koordination zwischen den beteiligten EU-Institutionen? 

2. Der CO2-Grenzausgleichsmechanismus

Der Ende 2019 von der Europäischen Kommission vorgestellte Green Deal ist eine Strategie, die ambitionierten und umfassenden Klimaschutz mit klimakompatiblem Wohlstand und sozialer Abfederung für Betroffene des strukturellen Wandels vereinen soll (European Commission, 2024; Fetting, 2020). Mit dem Inkrafttreten des Europäischen Klimagesetzes und dem Entwurf für das Paket Fit-for-55 wurde der Plan für die Umsetzung dieser Strategie im Juli 2021 konkretisiert (Europäische Union, 2021; European Parliament, o. J.). Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen der Europäischen Union gegenüber 1990 um 55 % reduziert und bis 2050 soll Klimaneutralität erreicht werden. Eine zentrale Komponente dabei ist die Ausweitung des Europäischen Emissionshandelssystems (EU-ETS) auf bisher ausgenommene Wirtschaftssektoren. Die freie Allokation von Zertifikaten für im internationalen Wettbewerb stehende, treibhausgasintensive Industriezweige soll bis Anfang der 2030er Jahre schrittweise auslaufen (Pahle et al., 2023). Die damit einhergehende Bepreisung von CO2-Emissionen birgt allerdings die Gefahr, dass billigere, klimaschädlichere Substitutionsimporte aus Drittstaaten – z.B. Zement – den erhofften Emissionsreduktionseffekt wieder zunichtemachen (Carbon Leakage). Als ausgleichende Maßnahme sollen Importe aus bestimmten Gütergruppen darum mit einer Abgabe belegt werden, die die fehlende CO2-Bepreisung kompensiert. Dieser CO2-Grenzausgleichsmechnismus1Im offiziellen Sprachgebrauch der EU heißt es Grenzausgleichssystem. In der vorliegenden Studie wird analog zur englischen Bezeichnung und zur Konvention in der Literatur der Begriff Grenzausgleichsmechanismus verwendet. (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) würde gleichzeitig Wettbewerbsnachteile für die europäische Wirtschaft entschärfen, die sich gegenüber nicht-kooperativen Ländern mit unbepreisten CO2-Emissionen ergeben, und somit Risiken abfedern, denen sich Vorreiterstaaten beim Klimaschutz gegenübersehen (Level Playing Field). Schließlich gewinnt der europäische Klimaschutz mit dem Auslaufen der freien Allokation von Emissionsrechten zwar an Ambition. Gleichzeitig verliert die EU aber ein zentrales Instrument zur wirtschaftspolitischen Flankierung. Die Aussicht auf konditionale Ausnahmeregelungen vom CBAM bietet darüber hinaus einen ökonomischen Anreiz für die Handelspartner der EU, ebenfalls ambitioniertere Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen. Der CBAM kann so klimapolitische Strahlkraft auch über die Grenzen der EU hinaus entfalten.

2.1. Entstehung

Die Idee für einen CO2-Grenzausgleich ist generell nicht neu (Barrett & Stavins, 2003; Dröge, 2011; Grubb, 2011; Ismer & Neuhoff, 2007; van Asselt & Brewer, 2010; Wooders et al., 2009). Konkrete Vorstöße für eine Umsetzung innerhalb der Europäischen Union fanden anfangs allerdings wenig Zuspruch. Zwei Jahre nachdem das EU-ETS 2005 eingeführt worden war, legte die Kommission einen ersten informellen Vorschlag für einen Grenzausgleich im Zuge der Reform für die dritte Handelsperiode (2013–2020) vor (Leturcq, 2022; Mehling et al., 2019). 2009 brachte Frankreich einen informellen Vorschlag für einen Grenzausgleich ein. Ein weiterer informeller Vorschlag wurde 2016, ebenfalls von Frankreich, für den Zementsektor eingebracht und vom Europäischen Parlament aufgegriffen. Dieser Vorschlag erhielt ein positives Votum im Umweltausschuss (Committee on the Environment, Public Health and Food Safety, ENVI), wurde im Plenum aber abgelehnt (ebd.).

Im Juli 2021 legte die EU-Kommission dann im Rahmen des Fit-for-55-Pakets einen Vorschlag für die Einführung des CBAMs vor. Abermals mit Initiative Frankreichs im Rahmen seiner Ratspräsidentschaft erzielte der Rat Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) im März 2022 Einvernehmen über eine allgemeine Ausrichtung der CBAM-Verordnung. Die Ausgangspositionen reichten damals von einer Befürwortung des CBAMs über die Billigung bis hin zur Ablehnung der allgemeinen Ausrichtung durch Polen (Council of the European Union, 2022). Im September 2021 übernahm der Umweltausschuss des Parlaments den CBAM-Vorschlag. Der Abgeordnete Mohammed Chahim (S&D, Niederlande) wurde zum Berichterstatter ernannt. Das Plenum stimmte im Juni 2022 über den Standpunkt des Parlamentes zum CBAM-Gesetzesvorschlag ab. Im Oktober 2022 fand das erste Treffen der informellen CBAM-Expertengruppe statt, in der Drittstaaten als Beobachter teilnahmen. Diese informelle Expertengruppe unterstützt die Generaldirektion Steuern und Zollunion (Directorate-General for Taxation and Customs Union, DG TAXUD) bei der Vervollständigung der Methoden für die Berichterstattung, Quantifizierung und Überprüfung eingebetteter Emissionen von Produkten in den CBAM-Sektoren und bei der frühzeitigen Ausarbeitung von Durchführungsrechtsakten (European Commission, 2022).

Die Verhandlungen zwischen Rat und Parlament wurden im Juli 2022 aufgenommen und mit einer vorläufigen Einigung im Dezember 2022 abgeschlossen. Die Beratungen über den Vorschlag fanden in der vom Rat eingesetzten Ad-hoc-Gruppe CO2-Grenzausgleichssystem statt (Rat der Europäischen Union, 2022). Mit der Verabschiedung im Europäischen Parlament im April 2023 (European Parliament, 2023) wird der CBAM nun umgesetzt. In einer Übergangsphase, die im Oktober 2023 begann und bis Ende 2025 läuft, müssen Importeure zunächst nur über Einfuhren aus ausgewählten Produktgruppen Bericht erstatten, ohne dass die Ausgleichszahlung fällig wird (Healy et al., 2023). Der CBAM wird planmäßig 2026 vollends in Kraft treten und schrittweise eingeführt werden, während die freie Zuteilung von Emissionszertifikaten jährlich reduziert wird und ab 2034 endgültig ausläuft (Europäische Union, 2023b, 2023a).

2.2. Internationale Reaktionen

Am EU-ETS und dem CBAM zeigt sich, wie sich die marktbasierte Klimapolitik der EU international auswirkt (Leonard et al., 2021; Oberthür & Dupont, 2021). Die enge Verzahnung der Politikfelder Wirtschaft, Handel und Klima bietet zwar Chancen für strategische Querverbindungen (Delreux & Earsom, 2023), stellt die diplomatische Begleitung des Vorhabens allerdings auch vor Herausforderungen. Einwände von Drittländern gegenüber dem CBAM betrafen die potenziellen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Handelspartner, damit einhergehend die handelsrechtliche Legalität und mögliche handelspolitische Reaktionen sowie die klima- und entwicklungspolitischen Implikationen, die sich aus der praktischen Umsetzung ergeben.

So stand die Frage nach der Kompatibilität mit den Regeln der World Trade Organization (WTO) im Raum (Espa et al., 2022; Porterfield, 2023). Von Handelspartnern droht der CBAM als protektionistische Maßnahme wahrgenommen zu werden – als Schutzzoll für die europäische Industrie (Brandi, 2021; Interviews 1, 10, 13). Abhängig von dieser Bewertung wären unmittelbare politische Reaktionen zu erwarten gewesen – vor allem von Ländern, die über die Ressourcen verfügen, Handelsnachteile ihrerseits durch Einfuhrzölle zu vergelten oder vor der WTO anzufechten (Dokk Smith et al., 2023). In China und Südkorea warnten Beobachter besonders deutlich vor einem regelrechten Handelskrieg (Gläser & Caspar, 2021; Lee, 2021; Lim et al., 2021; Ren et al., 2023; Zhong & Pei, 2022): „The world economy will inevitably face a vicious cycle of trade retaliation.“ (Lim et al., 2021) China pochte dabei entsprechend seiner üblichen Strategie in den Klimaverhandlungen (Christoff, 2010; Eckersley, 2020; LMDC, 2013; Xinhua, 2023) auf das Prinzip gemeinsamer, aber unterschiedlicher Verantwortung. Die EU hielt dagegen, dass der CBAM nicht nach Ländern differenziert, sondern auf Industrieebene greift (Interview 10). Zudem enthalte der CBAM eine Reihe von Elementen, die die Einführung für Drittstaaten möglichst reibungslos gestalten sollten, wie etwa die zweijährige Übergangsphase, in der noch keine Abgaben zu leisten sind (Interview 2). Die USA verlauteten erwartungsgemäß anfangs Vorbehalte gegen den CBAM (Hook, 2021; Øverland & Sabyrbekov, 2022), fanden später jedoch – zeitlich zusammenfallend mit dem Inflation Reduction Act – überparteilich verschiedene Anknüpfungspunkte zur möglichen Kooperation, teils klima-, teils handelspolitisch motiviert (Chahim, 2022; de Jong, 2022; Gangotra et al., 2023; Siegel, 2022). Mit Partnern wie Kanada, die bereits über ein CO2-Bepreisungssystem verfügen, gestalteten sich die Gespräche insgesamt problemlos (Interview 10).

Mit Blick auf Entwicklungs- und Schwellenländer erhalten die wirtschaftlichen Implikationen des CBAMs besonders an Brisanz. Exponiert gegenüber den außenwirtschaftlichen Effekte des CBAMs sind vor allem solche Länder, deren Exporte zu einem hohen Anteil aus relevanten Industriegütern bestehen wie Zement, Aluminium, Stahl oder Dünger (African Climate Foundation & Firoz Lalji Institute for Africa, 2023; Eicke et al., 2021; Heli, 2021; Magacho et al., 2023, 2023; Sharma & Gupta, 2022). Das betrifft zum Beispiel Mozambique oder Moldawien (Magacho et al., 2023). Zwar sind Ausnahmeregelungen für Handelspartner mit vergleichbaren CO2-Preissystemen vorgesehen, jedoch ist die Einführung eines solche Systems für viele Entwicklungsländer politökonomisch sowie in Bezug auf die nötigen institutionellen Kapazitäten schwierig (Price, 2020). Zudem kommen die Ausnahmeregelungen im CBAM einem Grundgedanken des Nordhausschen Klimaclubs nahe – in dem Sinne, dass kooperierenden Ländern bei Einhaltung bestimmter Bedingungen Vorteile gewährt werden (Farrokhi & Lashkaripour, 2022; Nordhaus, 2015; Szulecki et al., 2022).2Von Seiten der EU wird diese Einschätzung nicht geteilt, da CBAM nicht nach Land, sondern nach Produktart differenziert (Interview 2).

Genau dieser Aspekt wird von vielen Ländern des Globalen Südens als Widerspruch zu den Prinzipien der UN-Klimarahmenkonvention und des Pariser Abkommens wahrgenommen. So würde die EU bei der Regelung von Ausnahmen vom CBAM faktisch darüber entscheiden, ob die Klimapolitik anderer Länder angemessen ist (Gläser & Caspar, 2021; South African Government, 2021). Kontrovers war darüber hinaus auch die Frage, wofür die Gelder aus der Grenzausgleichsabgabe genutzt würden. Durch den Einsatz zum Kapazitätsaufbau und zur Klimafinanzierung in Partnerländern ließen sich weitere Anreize zur Einhaltung der CBAM-Kompatibilität setzen. Das könnte zudem Widerstände in Entwicklungsländern abbauen helfen (Øverland & Sabyrbekov, 2022). Andererseits drängt sich hier die bereits seit langem schwelende Konditionalitätsfrage in der internationalen Klimafinanzierung auf, d.h. inwieweit es moralisch angemessen und politisch klug ist, wenn Industrieländer, die den Klimawandel maßgeblich verursacht haben, die dringend benötigte finanzielle Unterstützung beim Klimaschutz für Entwicklungsländer an vorherige Bedingungen knüpfen, wie hier die erfolgreiche Erschließung einer neuen Einnahmequelle.

Als Klimaschutzinstrument hat der CBAM international einen vergleichsweise konfrontativen Charakter, was den Bedarf an diplomatischer Begleitung erhöht. Dabei ist nicht nur ausschlaggebend, welche tatsächlichen materiellen Auswirkungen der CBAM auf diese Länder hätte. Auf die Bedenken der Partnerländer, insbesondere im Globalen Süden, nicht angemessen einzugehen, droht die bestehende Vertrauenskrise in der internationalen Klimapolitik zu verschärfen (Feist & Geden, 2023). Seit der Verabschiedung im Parlament ist die internationale Debatte dahingehend zwar etwas abgeebbt, aber keineswegs versiegt. So hat sich etwa Indien hat an die WTO gewandt (WTO, 2023). Der diplomatische Austausch hat sich in verschiedenen Formaten verstetigt, etwa in einem neuen Dialogformat der EU mit China (European Commission, 2023). 

3. Die Organisation der CBAM-Diplomatie

„[T]he question of how can you defend CBAM and its compatibility with international trade rules, and then a systematic focus on what this may imply for third countries and how to sell CBAM to the rest of the world.“ (Interview 2)

Lange hat sich die Europäischen Union in der internationalen Klimapolitik als Vorreiter verstanden, der bei der Emissionsreduktion mit gutem Beispiel vorangeht. Der Klimagipfel in Kopenhagen 2009 (COP 15) stellte dahingehend eine Zäsur dar, im Zuge derer sich ein stärkerer Fokus auf Vermittlung zwischen Ländern in den internationalen Verhandlungen herausbildete (Bäckstrand & Elgström, 2013; Fischer & Geden, 2015; Kulovesi, 2012; Schunz, 2015, 2019). Zentrale Loci der EU-Klimadiplomatie sind die Klimarahmenkonvention (UNFCCC), wo die EU zusätzlich zu ihren einzelnen Mitgliedsstaaten selbst Vertragspartei ist, sowie einzelne plurilaterale Plattformen wie die Gruppe der Sieben (G7) oder die Gruppe der Zwanzig (G20) (Delreux & Earsom, 2023; Oberthür & Dupont, 2021). Darüber hinaus findet die Klimadiplomatie der EU auch in ihren bilateralen und interregionalen Beziehungen statt (ebd.). Intern obliegt generell der Kommission und genauer der Generaldirektion Klimapolitik (Directorate-General for Climate Action, DG CLIMA) die Federführung für die EU-Klimadiplomatie. Ebenfalls bedeutsam ist die Gruppe Internationale Umweltaspekte (Working Party on International Environment Issues – Climate Change, WPIEI-CC), die beim Rat angesiedelt ist und die internationalen Klimaverhandlungen für die EU vorbereitet. Ähnlich wie für Deutschland (Flachsland et al., 2023; Kahlen et al., 2022) wird auch in Bezug auf die Europäischen Union das Fehlen einer kohärenten übergeordneten Strategie in der internationalen Klimapolitik bemängelt (Oberthür & Dupont, 2021).

Die vorliegende Studie erkundet anhand einer deskriptiven Analyse die interne Organisation der europäischen CBAM-Diplomatie. Sie konzentriert sich dabei auf die relevanten Institutionen innerhalb der EU: die Kommission, den Auswärtigen Dienst, das Parlament und den Rat mitsamt den Mitgliedsstaaten. Für das Aushandeln des Grenzausgleichsmechanismus innerhalb der EU waren zwar auch organisierte Industrieinteressen wichtig. Der Fokus der Studie liegt allerdings nicht auf diesen Verhandlungen, sondern auf der Organisation der begleitenden diplomatischen Aktivitäten in und zwischen den Institutionen der EU. Der Untersuchungszeitraum beginnt mit der Verkündung des Ziels der Einführung des CBAMs im Jahre 2019 durch die EU-Kommission und endet mit der Einigung über den CBAM-Vorschlag zwischen Rat und Parlament im Dezember 2022. Die Analyse basiert auf Experteninterviews. Die semi-strukturierten Interviews wurden von Februar bis Juni 2023 mit insgesamt 18 Expertinnen und Experten geführt. Dazu gehörten Mitarbeitende in der öffentlichen Verwaltung der EU-Institutionen (Kommission, Auswärtiger Dienst, Parlament, Ständige Vertretungen bei den Vereinten Nationen und Welthandelsorganisation), ausgewählter Mitgliedsstaaten (Deutschland und Frankreich) sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Universitäten, außeruniversitären Forschungsinstituten und Think Tanks. Eine Übersicht der geführten Interviews findet sich im Anhang. Der Interview-Leitfaden wurde aufbauend auf zwei zusätzlichen, explorativen Interviews entwickelt, die im Oktober 2022 geführt wurden. Die Interviews wurden mit der Auswertungssoftware MAXQDA in einem induktiven Verfahren kodiert. Sie wurden flankiert von Dokumentenrecherche zu den Aktivitäten der CBAM-Diplomatie von EU-Institutionen.

3.1. Kommission

„It’s not a negotiation in the end. The EU will decide on a policy, and others will have to live with it, and then they can bring a case against us, and then we’ll see what happens.“ (Interview 7)

Als Angelpunkt für sowohl die innereuropäische Klimapolitik als auch die europäische Klimadiplomatie und die außenwirtschaftlichen Beziehungen steht die Kommission bei der Frage nach der internen Organisation der CBAM-Diplomatie besonders im Blickpunkt. In der Tat ist die Kommission als Policy-Entrepreneur in Bezug auf den CBAM zu sehen, der die Initiative vorangetrieben und inhaltlich geprägt hat (Interviews 2, 18). Grundsätzlich ist dabei zwischen der politischen Führung und der Arbeit in verschiedenen Generaldirektionen zu unterscheiden. Beiden Ebenen war gemein, dass ihr Vorgehen als eher prinzipientreu denn diplomatisch beschrieben wird – in dem Sinne, dass der CBAM als beschlossene Sache kommuniziert wurde und Partnerländer sich somit unabhängig ihrer Bedenken und Einwände darauf einzustellen hätten (Interviews 7, 8, 14, 18).

Auf der Ebene der politischen Führung unter der seit 2019 amtierenden Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nahm Frans Timmermans, seinerzeit Vize-Präsident und Kommissar für Klimaschutz, eine sehr prominente Rolle ein (Interviews 3, 8, 18). Beide thematisierten den CBAM in bilateralen Gesprächen mit wichtigen Partnerländern (u.a. China, Südkorea, Japan und Thailand; Interviews 7, 10, 13). Ferner fanden die Bemühungen der Kommission auch während der jährlichen UNFCCC-Klimagipfel statt, wo parallel zu den großen multilateralen Verhandlungssträngen für den CBAM geworben wurde (Interview 18), etwa auf einer Nebenveranstaltung des Europäischen Parlaments 2021 am Rande der COP 26 in Glasgow.

Auf Arbeitsebene wurde die Federführung für den Grenzausgleichsmechanismus bereits 2020 festgelegt, d.h. kurz nach Vorstellung des Green Deals. Sie obliegt der Generaldirektion Steuern und Zollunion (DG TAXUD). Dort – und nicht etwa in der Generaldirektion Klima – war der CBAM auch ursprünglich als reine CO2-Grenzausleichsabgabe (Carbon Border Tax) konzipiert worden; der explizite Bezug zum EU-ETS kam erst später hinzu (Interviews 1, 3). Zunächst erarbeitete bei DG TAXUD ein nur fünfköpfiges Team im damaligen Referat Indirekte Steuern mit Ausnahme der Mehrwertsteuer (TAXUD.C.2)3Die Bezeichnung des Referates lautet heute CBAM, Energiebesteuerung und Grüne Besteuerung. die Grundlagen für den CBAM (Interviews 3, 10). In Bezug auf die Kommunikation mit Partnerländern lag der Fokus schon in dieser früheren Phase auf der Vermittlung technischer Aspekte auf Arbeitsebene (Interviews 10, 14). In diesem Zusammenhang nahmen Vertreter der Generaldirektion an bilateralen Gesprächen mit den entsprechenden Ministerien der Handelspartner teil, aber auch in einschlägigen Institutionen und Foren wie etwa den UNFCCC-Klimaverhandlungen, die üblicherweise in den Bereich der DG CLIMA fallen, oder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), wo der Generaldirektor von DG TAXUD, Gerassimos Thomas, Ministern und Regierungschefs Fragen zur Funktionsweise des CBAMs beantwortete (Interviews 10, 18). Ziel war es, der Wahrnehmung des CBAMs als handelspolitisches Instrument entgegenzuwirken, die klimapolitischen Ziele hervorzuheben und auf Unterstützungsmöglichkeiten seitens der EU beim Kapazitätsaufbau für die technische Umsetzung von CBAM-Kompatibilität hinzuweisen (Interview 17). Schwerpunkte lagen dabei auch auf einzelnen besonders wichtigen Partnerländern. So wurde die Kommunikation zu technischen Aspekten des CBAMs mit Indien aus strategischen Erwägungen intensiviert (Interview 10).

Obschon vordergründig mit klarem Fokus auf technische Modalitäten, hatten die Gespräche der DG TAXUD letztlich auch politischen Charakter. Die Einführung des CBAMs wurde nicht grundlegend verhandelt, sondern, zumindest implizit, als gegeben dargestellt. Die Handelspartner der EU würden sich – unabhängig von ihren etwaigen Einwänden – damit abfinden und arrangieren müssen. Dieses Vorgehen stand auch unter dem Eindruck der von Juli bis Oktober 2020 abgehaltenen öffentlichen Konsultation zu einem möglichen CO2 Grenzausgleich, den die Kommission verantwortet hatte und an der sich auch Befragte aus Drittstaaten beteiligen konnten. Beim Start des Prozesses zur Weiterentwicklung der Emissionsbepreisung im Rahmen des Green Deals Anfang 2020, der schließlich zum CBAM führte, hatten sich nur wenige Stakeholder aus dem Ausland beteiligt (Interview 9). Rückblickend war in diesem Zusammenhang darüber hinaus umstritten, ob es ein guter Beginn der diplomatischen Kommunikation war, die Diskussion über den CBAM derart offen zu führen (ebd.). Statt den CBAM grundlegend zu diskutieren, sollte die Zeit nun stattdessen dazu genutzt werden, den Partnerländern das Design des CBAMs verstehen zu helfen und ihre Exporte in die EU kompatibel zu gestalten (Interviews 14, 18).

EU-intern spielte DG TAXUD auch eine Rolle in Bezug auf die EU-Mitgliedsstaaten. Während der Verhandlungen des CBAM-Kommissionsvorschlags bereitete DG TAXUD in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Dienst eine unverbindliche Handreichung mit Antworten auf häufig gestellte Fragen von Handelspartnern unter den Mitgliedsstaaten vor (Interviews 1, 2, 5, 10, 15; siehe auch Abschnitt 3.2). In diesem Zusammenhang entstand auch die oben angesprochene informelle Expertengruppe zu den Auswirkungen des CBAMs, in der Drittstaaten eine Beobachterrolle einnehmen konnten (European Commission, 2022).

Auch wenn die Entwicklung des CBAM hauptverantwortlich bei DG TAXUD angesiedelt war, nahm die Generaldirektion Klimapolitik (DG CLIMA) ebenfalls eine wichtige Rolle ein. Ihr obliegt grundlegend, neben der Gruppe Internationale Umweltaspekte (Working Party on International Environment Issues – Climate Change, WPIEI-CC), in der Regel die zentrale Zuständigkeit für die Klimadiplomatie der EU. DG CLIMA, das die Federführung für das EU-ETS innehat, war im Rahmen einer Interservicegruppe4Die Interservicegruppe bestand aus 17 Generaldirektionen sowie dem EAD und dem Juristischen Dienst und tagte bis März 2021 (Generaldirektionen CLIMA, TRADE, ENER, BUDGET, NEAR, JRC, COMP, GROW, ECFIN, INTPA, MOVE, ENV, AGRI, JUST, RTD, REA, MARE). an der CBAM-Diplomatie beteiligt (Interview 10), innerhalb derer außerdem insbesondere die Generaldirektio-nen Handel (DG TRADE), Internationale Partnerschaften (DG INTPA) und Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen (DG NEAR) relevant waren. Diese stellten während der Entwicklung des Kommissionsvorschlags sicher, dass der Blick auf Außenhandelsbeziehungen enthalten war, beispielsweise mit Blick auf WTO-Kompatibilität des CBAMs (Interview 15). Der Generaldirektion Handel (DG TRADE) oblag schließlich die Federführung für die Gespräche im Rahmen der Welthandelsorganisation (Interviews 7, 10). DG TRADE arbeitete dabei eng mit DG TAXUD zusammen. Auch nachdem die Tagungen der Interservicegruppe abgeschlossen waren und der Vorschlag in die Verhandlungen in Rat und Parlament gegangen war, blieben diese Generaldirektionen weiterhin in der CBAM-Diplomatie aktiv. Insbesondere DG CLIMA und DG TRADE nutzten, ebenso wie DG TAXUD, dabei ihre eigenen Kommunikationskanäle mit den Mitgliedsstaaten (Interview 15).

3.2. Auswärtiger Dienst

„[T]he proposal is out – big splash. The whole world is interested to hear about this. We ensure that our delegations are well-equipped to reply to questions as much as possible.“ (Interview 15)

Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) setzt sich zusammen aus einerseits EU-Bediensteten und andererseits Bediensteten der nationalen auswärtigen Dienste, die die Mitgliedstaaten entsenden. Innerhalb der Klimadiplomatie der EU hat der EAD seit dem Pariser Übereinkommen an Kapazitäten gewonnen (Earsom & Delreux, 2023). Aufgabe des EADs ist es unter anderem, die externen Auswirkungen interner politischer Maßnahmen der EU abzuwägen und entsprechende Strategien zur auswärtigen Begleitung dieser Maßnahmen zu entwickeln (Interview 15). In diesem Zusammenhang hatte sich die Abteilung Green Transition (GLOBAL.GI.3), die im Ressort Global Issues (GLOBAL.GI.DMD) angesiedelt ist, von Beginn an in den Gesprächen zum CBAM-Design involviert, um die auswärtigen Effekte im Auge zu behalten (Interview 15). Im Rahmen der CBAM-Diplomatie stellte der EAD inhaltliches Material zur Verfügung, hat sich aber im Gegensatz zur Kommission den CBAM als politisches Projekt nicht zu eigen gemacht (Interview 2, 3, 18). Ziel der Bemühungen des Auswärtigen Dienstes war es stattdessen insbesondere, in der Diplomatie der EU-Mitgliedsstaaten ein gewisses Maß an Einheitlichkeit in den für CBAM vorgebrachten Argumenten herzustellen.

Insofern war der EAD vor allem koordinierend an der Schnittstelle zwischen Kommission, insbesondere DG TAXUD, und den EU-Delegationen in internationalen Organisationen und Drittländern tätig. Dazu wurden zentrale Standpunkte, politische Formulierungen und technische Erläuterungen abgestimmt, mittels derer Vorbehalten aus Drittländern begegnet und die Absichten und voraussichtlichen Effekte des CBAMs erklärt werden sollten (Interviews 2, 5, 15). Wie auch die Generaldirektionen der Kommission verfügt der EAD über eigene Kanäle, um Informationen an die Außenministerien der Mitgliedsstaaten weiterzugeben. Dazu gehörten hier insbesondere das Green Diplomacy Network, das sich als Kernelement zur Koordination europäischer Klimadiplomatie etabliert hat, sowie die Energy Diplomacy Group (Torney & Cross, 2018; Interviews 2, 15). Bilaterale Delegationen der EU ermöglichten es, Reaktionen und Fragen der einzelnen Länder zu sammeln. In Zusammenarbeit mit DG TAXUD wurden basierend auf diesen Informationen Antworten auf häufig gestellte Fragen für die EU-Mitgliedsstaaten erstellt, um ein kohärentes Auftreten in deren Außendiplomatie zu ermöglichen. Die Mitgliedsstaaten erhielten dazu Handreichungen mit abgestimmten Formulierungen. Es steht den Mitgliedsstaaten allerdings offen, ob sie diese Vorschläge gegenüber Drittstaaten anwenden (Interview 2). Insgesamt war in der Kommunikation mit der EU den Mitgliedsstaaten gegenüber DG TAXUD deutlich sichtbarer als der EAD (Interviews 1, 5). Während der internen Verhandlungen über den CBAM-Entwurf zwischen Rat und Parlament war der EAD diesen Institutionen gegenüber wenig vertreten (Interview 18).

Der EAD trat auch über die weltweit über 140 EU-Delegationen bei internationalen Organisationen in Erscheinung, insbesondere die Ständigen Vertretungen bei der Welthandelsorganisation (WTO) und bei den Vereinten Nationen (Interview 16). Die Ständige Vertretung bei der WTO gehört formell dem Auswärtigem Dienst an, praktisch kommen jedoch viele Gesandte von DG TRADE und sind somit personell eng mit der Kommission verbunden (Interview 7). Im Rahmen der CBAM-Diplomatie setzte die Ständige Vertretung den Grenzausgleichsmechanismus aktiv bei der WTO auf die Agenda, um Aufmerksamkeit zu schaffen (Interview 7). Im Gegensatz zur eher technischen Ausrichtung der Generaldirektorate der Kommission wurde dort jedoch vor allem „blanket diplomacy“ betrieben, die allgemeines Verständnis herstellen sollte, anstatt Gespräche über konkrete Mechanismen und Implementierungsmethoden mit einzelnen Partnerländern anzustrengen (ebd.). Mit Ländern, die den Standpunkt der EU nicht akzeptierten und mit handelsrechtlichen Schritten drohten, suchte der EAD jedoch auch gezielt das Gespräch (Interview 2). Je konkreter sich Bedenken von Drittstaaten auf technische Details bezogen, desto eher konnte der EAD darauf reagieren (Interview 7). Insgesamt verschiebt sich der Fokus der diplomatischen Bemühungen nach der Verabschiedung jetzt in der Implementierungsphase des CBAMs hin zu einer gezielteren Herangehensweise, die auf einzelne Partnerländer gerichtet ist (Interview 15).

3.3. Parlament

„Für uns viel, viel, viel mehr problematisch als dritte Länder waren unsere Länder, also unsere Mitgliedsstaaten. Und es war unser Ziel, dass unsere Mitgliedsstaaten zufrieden sind, und natürlich, dass alles legal bleibt.“ (Interview 11)

Das EU-Parlament hat in den letzten 15 Jahren eine wachsende Rolle für die internationale Klimapolitik eingenommen. Seit dem Vertrag von Lissabon hat es ein Vetorecht bei der Ratifizierung internationaler Verträge (Biedenkopf, 2015). Darüber hinaus nehmen einzelne Abgeordnete häufig an den UN-Klimaverhandlungen teil oder führen bilaterale Gespräche auf informeller Ebene (Delreux & Burns, 2019). Da die Abgeordneten aus verschiedenen Ländern stammen, ist dabei selbst die fraktionsinterne Standpunktbestimmung im Parlament zeitaufwendig (Interview 11). Der ENVI-Ausschuss mit Berichterstatter Yannick Jadot veröffentlichte einen Initiativbericht Auf dem Weg zu einem mit den WTO-Regeln zu vereinbarenden CO2-Grenzausgleichssystem (Jadot et al., 2021), den das Parlament im März 2021 annahm. Zuvor hatte das EU-Parlament in seiner Position zum European Green Deal vom 15. Januar 2020 die Absicht der Kommission unterstützt, einen WTO-kompatiblen CO2-Grenzausgleich zu erarbeiten (European Parliament, 2020).

Das Parlament befasste sich zwar in einzelnen Abstimmungen mit dem CBAM, für die Ausarbeitung war jedoch die Kommission zuständig (Interview 4). Folglich waren auch Bemühungen des Parlaments bezüglich der Absprache zum CBAM mit Partnerländern sporadisch. Der Fokus der Arbeit des Parlaments lag eher auf den Implikationen des CBAMs für die Mitgliedsstaaten und den dort ansässigen Industrien als auf auswärtigen Angelegenheiten (Interviews 11, 18). Entsprechend konzentrierte sich der Trilog mit der Kommission und dem Rat auf die Sektoren, die der CBAM umfassen sollte (Interview 10). Allerdings stachen einzelne Abgeordnete hervor, die aufgrund ihrer instrumentellen Rolle bei der EU-internen Entwicklung und Einigung über den CBAM ohnehin eng mit dem Prozess betraut waren (Interviews 4, 18). Insbesondere der seit September 2021 verantwortliche Berichterstatter für den CBAM-Vorschlag, Mohammed Chahim (S&D, Niederlande), sowie der Vorsitzende des Ausschusses für Umweltfragen, Pascal Canfin (Renew Europe, Frankreich), spielten eine prominente Rolle (Interviews 3, 9, 11, 13, 14, 18). Sowohl Berichterstatter Chahim als auch Canfin, der bei der COP 26 eine Delegation des Europäischen Parlaments leitete, tauschten sich mit Drittstaaten aus. So reiste Chahim beispielsweise im März 2022 nach Washington und sprach dort mit Kongressabgeordneten (Chahim, 2022; Interviews 5, 8 und 13). Die Kommunikation des Parlaments hatte im Vergleich zu jener der Kommission auch einen eher an die Öffentlichkeit gerichteten Charakter (Interview 14). Auch die sechs Schattenberichterstatterinnen und -berichterstatter des CBAM-Vorschlags unterhielten Beziehungen mit Botschaften und Vertretungen von Handelspartnern, u.a. von Kanada und Südkorea (Interview 11). Des Weiteren wurden sie häufig von Interessensvertretungen der europäischen Industrie kontaktiert, wie z.B. der Stahlindustrie, die Teile ihrer Produktion in Drittstaaten angesiedelt haben (Interview 4).

3.4. Rat und Mitgliedsstaaten

„[F]rom the council perspective, […] it’s a bit like each country does its own diplomacy. […] I mean, I’m not a diplomat, but I don’t think the diplomacy at the EU level is extremely well coordinated.“ (Interview 5)

Die unterschiedlichen Prioritäten Deutschlands und Frankreichs bezüglich der Einführung des CBAMs prägten den Prozess auf Rats- und Mitgliedsstaatenebene. Im Rat wurden Meinungsunterschiede zum CBAM zwischen den Mitgliedsstaaten ausgetragen, bis der Rat eine gemeinsame Position erarbeiten konnte, die dann mit dem Parlament verhandelt werden kann (Interview 2). Frankreich war schon lange Befürworter der Einführung eines CBAMs und übernahm insbesondere während seiner Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 das Agenda Setting. Unter französischer Präsidentschaft erzielte der Rat Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) Einvernehmen über eine allgemeine Ausrichtung. Deutschland hingegen stand der Idee zu Beginn skeptisch gegenüber und präferierte einen Klimaclub zumindest als ergänzendes Kooperationsformat (Interviews 1, 5). Während der Trilog-Verhandlungen führte Deutschland bilaterale Gespräche mit der Kommission zur Ausgestaltung des CBAMs, um offene Fragen zu klären. Die Positionen der anderen Mitgliedsstaaten reichten von Befürwortung, zur Billigung bis hin zur Ablehnung der allgemeinen Ausrichtung, etwa durch Polen. Auch nationale Wirtschaftsinteressen verschafften sich in der Phase Gehör in den einzelnen Mitgliedsstaaten. So war die europäische Industrie über mögliche handelsrechtliche Sanktionsmaßnahmen besorgt (Interview 14). Der Vorstoß Frankreichs setzte sich schließlich auch gegen anfängliche Bedenken in der Kommission durch (Interview 3), bis diese sich den CBAM mit Amtsantritt der Präsidentin Ursula von der Leyen schließlich zu eigen machte.

In Bezug auf die Mitgliedsstaaten der EU gab es lange wenig Ownership am CBAM (Interview 14). Bis zur französischen Präsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2022 war entsprechend auch wenig CBAM-Bezogenes im Rat zu beobachten. Einzelne Mitgliedsstaaten führten bilaterale Gespräche zum CBAM, allerdings oft in Verquickung mit anderen Themen, wie etwa dem G7-Klimaclub oder dem Inflation Reduction Act in den USA (Interview 1). Dabei vertraten sie, entgegen der durch den Auswärtigen Dienst bereitgestellten Orientierung, durchaus unterschiedliche Positionen (ebd.). Frankreich nutzte auch seine eigenen diplomatischen Kanäle, um außerhalb der EU für den CBAM zu werben (Interview 14).

Die Diskussion um einen möglichen Klimaclub fiel zeitlich ebenfalls in die Phase der internationalen Gespräche zum CBAM. Die Gründung eines Klimaclubs war mit Beginn der neuen Regierung in Deutschland in 2021 als Ziel im Koalitionsvertrag verankert (SPD et al., 2021). Kanzler Olaf Scholz hatte sich bereits 2020, damals als Bundesfinanzminister, für einen Klimaclub ausgesprochen und die Idee im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft 2022 forciert – trotz Bedenken innerhalb der Bundesregierung und schwacher Aussichten innerhalb der G7 (Dröge & Feist, 2022; Feist, 2023).5Der G7-Klimaclub ist schließlich formell gegründet worden, allerdings in drastisch anderer Form als ursprünglich skizziert (Feist, 2023). Unklar war dabei zunächst das angedachte Verhältnis zwischen Klimaclub und CBAM. So äußerte Kommissar Timmermans im September 2022 die Möglichkeit, dass die EU und die USA unter bestimmten Voraussetzungen einen Klimaclub gründen könnten und somit die USA vom CBAM ausgenommen bleiben würden (Simon, 2022). Letztlich haben sich die diplomatischen Stränge zum CBAM und zum G7-Klimaclub weder signifikant ergänzt noch gegenseitig beschränkt oder auch nur überschnitten. Deutschland blockierte die Ausarbeitung des CBAMs keineswegs, zog sich aber aus der aktiven Mitarbeit am Text zurück (Interview 5). Ähnlich war Frankreich nicht grundsätzlich gegen den G7-Klimaclub, hatte aber Bedenken dahingehend, dass alle Mitglieder automatisch vom CBAM ausgenommen würden (ebd.). 

4. Zusammenfassung und Diskussion

Abb. 1: Überblick über die interne Organisation der CBAM-Diplomatie

Der Schwerpunkt der Bemühungen um den CBAM lag im kritischen Zeitraum auf dem Aushandeln der Details innerhalb der EU, d.h. zwischen den Mitgliedsstaaten und einzelnen EU-Institutionen, insbesondere der Kommission. Darauf wurde das Gros an politischen Ressourcen aufgewendet (Interviews 3, 14, 18). Der Entwurfstext für den CBAM wurde nicht wesentlich abgeändert, um den Bedenken von Partnerländern Rechnung zu tragen (Interview 2). Auswärtige Gespräche mit den Handelspartnern der EU, die sich auf den CBAM einstellen müssen, hatten eine eher niedrigere Priorität. Mehr noch: Insbesondere die Kommission hatte kein erkennbares Interesse, Bedenken anderer Länder in den Prozess einfließen zu lassen und stellte den CBAM stattdessen als gegebenes Faktum hin, mit dem sich Handelspartner zu arrangieren haben.

CBAM-Diplomatie wurde formell und faktisch hauptsächlich von der Kommission unternommen. Einzelne Generaldirektorate hatten dabei zwar einen spezifischen Fokus und führten Partnerländer an die technischen Elemente des CBAMs heran (Interview 17). Über die EU insgesamt hinweg war der Prozess jedoch fragmentiert und nur eingeschränkt koordiniert. Sofern von Arbeitsteilung gesprochen werden kann, betrifft sie die technische Kommunikation, vornehmlich durch DG TAXUD, versus politische Kommunikation mit Partnerländern durch die Führungsriege der Kommission und einige wenige Parlamentarier. Eine Koordinierung oder Arbeitsteilung nach Ländern oder Ländergruppen gab es nicht (Interview 18). Die EU ging mit ihrer CBAM-Diplomatie eher reaktiv auf aufkommende Widerstände ein, als dass sie von sich aus von Beginn an strategisch vorgegangen wäre (Interview 14). Eine umfassende Outreach-Strategie wurde erst für den Zeitraum nach dem formellen Start von CBAM im Oktober 2023 entwickelt (Interview 10). Der Auswärtige Dienst bemühte sich, die Grundlage für eine einheitliche Kommunikation zur diplomatischen Begleitung der internen Verhandlungen zu schaffen und ging vor allem auf technische Fragen von Partnerländern ein. Einzelne Parlamentarier stachen bei ihren diplomatischen Bemühungen besonders hervor, insgesamt war aber auch die Sichtweise des Parlaments eher nach innen gerichtet.

Damit schlagen sich die bekannten Defizite der EU bei der Koordination interner Zuständigkeiten beim CBAM ebenso nieder wie sie es in anderen Bereichen der EU-Klimadiplomatie tun. „EU external action in international fora remains the purview of a series of different venues that do not necessarily share the same priorities, constituents or working methods, nor do they regularly coordinate with each other.” (Delreux & Earsom, 2023) Die relative Isolation der EU-Institutionen untereinander behindert eine umfassendere Klimadiplomatie (ebd.). Überdies haben diese Institutionen nicht unbegrenzte klimadiplomatische Kapazitäten, was die Auswirkungen mangelnder Koordinierung noch verschärft (Delreux & Earsom, 2023; Feist, 2023). Die interne Organisation der CBAM-Diplomatie ist der Forderung nach einer proaktiven Grand Climate Strategy für die Europäische Union (Oberthür & Dupont, 2021) nicht gerecht geworden. Die Priorisierung des CBAMs in der externen Kommunikation war unter Mitgliedsstaaten sowie unter den beteiligten EU-Institutionen keinesfalls einheitlich (Interview 14).

Effektive europäische Klimadiplomatie erfordert jedoch Kohärenz zwischen den EU-Mitgliedsstaaten und EU-Institutionen (Oberthür & Dupont, 2021; Schunz, 2019). Eine solche Koordinierung der CBAM-Diplomatie hätte mehr Sensibilität gegenüber dem internationalen Kontext erlaubt (siehe Schunz, 2015). Wenn es aus Sicht der EU die zentrale Frage war, „how to sell CBAM to the rest of the world“ (Interview 2), schließt sich die Frage an: To whom? Welche Form der Diplomatie letztlich geeignet ist, hängt schließlich wesentlich damit zusammen, als was die jeweiligen Drittländer den intendierten Wirkmechanismus des CBAMs verstehen (Kulovesi, 2012; Pander Maat, 2022) – als Ermöglichungsmaßnahme für EU-internen Klimaschutz, als protektionistische Maßnahme, als unilaterales Instrument mit internationalen Auswirkungen? Die Antwort der EU auf die Reaktionen muss auf das jeweilige Land abgestimmt sein (Interview 8). Welche Partnerländer sollen angesprochen werden und welche Interessen haben sie (Dokk Smith et al., 2023; Petri, 2020)? Das ausreichend zu beantworten erfordert Konsultationen mit Handelspartnern, Wissenstransfer und Kapazitätsaufbau sowie fortlaufende Dialoge in den einschlägigen internationalen Organisationen (UNFCCC, WTO usw.) unter Berücksichtigung des sich verändernden geopolitischen Kontexts (Dröge & Panezi, 2022).

Die Koordinierung der CBAM-Diplomatie wurde durch das zeitliche Zusammenfallen der EU-internen Aushandlung und der internationalen Reaktionen auf den Entwurf erschwert (Interviews 1, 13, 17). Da es intern noch keine Einigung zum CBAM gab, konnte es auch kaum kohärentes Auftreten nach außen geben: „[The CBAM] adds uncertainty around trade partners. It’s one of those rogue things where no one really understands what it is because it is nothing yet, it’s a negotiation.“ (Interview 14) „You cannot immediately have an external position directly.“ (Interview 17) Die CBAM-Diplomatie reiht sich damit in die Geschichte der internationalen Klimakooperation der EU ein, in der die komplexen internen politischen und institutionellen Gegebenheiten im stetigen Wechselverhältnis zu den Beschränkungen und Möglichkeiten der externen Bemühungen stehen (Oberthür & Pallemaerts, 2010). Sofern die eher unkoordinierte und einseitige Auseinandersetzung mit Drittländern jedoch dazu beigetragen hat, dass der CBAM als im Wesentlichen unveränderlich wahrgenommen wird, kann das in den Partnerländern durchaus intern als nützliche Legitimation ambitionierter Klimaschutzpolitik dienen und somit weitere Strahlkraft entfalten (Interview 10). So kann die Rigidität der EU-internen Abstimmung gegenüber den internationalen Bedenken auch zum Vorteil gereichen. Insofern der CBAM vor allem Ausdruck des Führungsanspruchs der EU bei ambitionierter Klimapolitik zu verstehen ist (Pirlot, 2022), haben die Umstände den CBAM vor Abschwächung angesichts internationalen Drucks geschützt.

Für die weitere Forschung ist vor diesem Hintergrund besonders interessant, welche Aspekte der CBAM-Diplomatie im gegebenen Kontext letztendlich die entscheidende Wirkung hatten. So ist es denkbar, dass der initiale internationale Aufschrei überzogen war und die tatsächliche handels- und klimapolitische Brisanz des CBAMs nicht akkurat widergespiegelt hat. Wie es sich aktuell darstellt, hat sich allerdings, sofern das Gros der handelspolitischen Auswirkungen nicht erst noch bevorsteht, die CBAM-Diplomatie der EU – geplant oder zufällig – in Art und Umfang im Ergebnis als eine effektive Reaktion erwiesen, da der technische Fokus der Gespräche den politischen Bedenken keine unmittelbare Angriffsfläche geliefert hat.

Anhang: Interviewliste


Die vorliegende Ariadne-Analyse wurde von den oben genannten Autorinnen und Autoren des Ariadne-Konsortiums ausgearbeitet. Die Analyse spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des gesamten Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider.
Die Inhalte der Ariadne-Publikationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erstellt.

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Autorinnen & Autoren

Dr. Marian Feist

Hertie School

Ann-Kathrin Kühner

Hertie School