Prof. Dr. Tom Brown

Technische Universität Berlin

„Energiesicherheit steht nicht im Gegensatz zu Klimaschutz“

Prof. Dr. Tom Brown, Ko-Leiter des Arbeitspaketes „Szenarien und Pfade“ im Kopernikus-Projekt Ariadne von der Technischen Universität Berlin, erklärt, warum der Ausbau von Erneuerbaren Energien und die Elektrifizierung von Nachfrage nicht nur beim Klimaschutz hilft, sondern auch die Energiesicherheit erhöht, lokale Arbeitsplätze schafft und für saubere Luft in den Städten sorgt.

Prof. Dr. Brown, was ist das Spannendste, woran du derzeit arbeitest?

Es ist immer am spannendsten, wenn wir neue Erkenntnisse gewinnen, die anderen nicht bewusst waren. Wir haben im Szenarienreport gezeigt, dass der Stromnetzausbau sehr wichtig ist, aber nicht so groß werden muss, wie gedacht. Die Netzbetreiber haben Investitionspläne in einer Größenordnung von 300 Milliarden Euro veröffentlicht. Wir haben gezeigt, dass man circa ein Drittel davon sparen kann. Das ist genau die Größe des Verteidigungspaketes der Zeitenwende und damit eine ziemlich große Sache.

Worum geht es in deinem Arbeitspaket Szenarien und Pfade?

Ich würde die Szenarien als Gedankenexperimente sehen, wie die Welt aussehen könnte. Dabei betrachten wir zum Beispiel eine Welt mit mehr Elektrifizierung oder mehr Suffizienz, also weniger Nachfrage. Wir zeigen, wie das Energiesystem in diesen verschiedenen Welten aussieht und welche Konsequenzen das hat. Was bedeutet es für die Ausgaben im Bereich Strom, Wärme und Verkehr, wenn wir weniger konsumieren? In Computermodellen kann man so etwas simulieren. So können wir auch sehen, wie viel der Staat oder private Haushalte investieren müssen. Daraus entsteht ein Bild, was aktuelle Herausforderungen sind und worauf sich politische Maßnahmen fokussieren sollten.

Mit welchen Methoden arbeitest du?

Das ist relativ heterogen. Im Projekt haben wir langfristige Optimierungsmodelle und Modelle, die das Verhalten von Individuen oder Unternehmen simulieren, insbesondere für die Bereiche Verkehr und Industrie. Das besondere an unserem Modell ist, dass wir die Regionen Deutschlands auflösen, sodass man den Infrastrukturbedarf zum Beispiel für Netze auch abschätzen kann. Dazu kommt, dass es open source ist. Das bedeutet: Alle können es sich herunterladen. Unsere Vision ist, dass unser Modell von vielen Interessenten genutzt wird, um bestimmte Aspekte der Energiewende zu untersuchen. Dazu zählen NGOs, Unternehmen, Ministerien und noch mehr.

Welche Szenarien beinhaltet dein Arbeitspaket?

Mittlerweile sind es sechs Szenarien. Wir haben ein Basisszenario mit existierenden Politikmaßnahmen, ein Szenario mit mehr Elektrifizierung, mit mehr Wasserstoff, einem Technologiemix und Szenarien mit mehr oder weniger Nachfrage. Das Basisszenario brauchen wir, um zu sehen was passiert, wenn wir keine schärferen Maßnahmen treffen. Die anderen Szenarien bilden den Vergleich, was die Konsequenzen und Mehrkosten davon sind, wenn wir versuchen unsere Ziele zu treffen. Weil die Rolle von Wasserstoff gerade sehr unsicher ist, haben wir uns für drei Szenarien mit unterschiedlicher Wasserstoffnutzung entschieden. Die Nachfrageszenarien zeigen Welten, in denen es einfacher oder schwieriger wird. Ersteres wäre eine Welt, in der Menschen sich nachhaltiger ernähren oder wohnen. Zweiteres wäre eine Welt, in der Menschen beispielsweise jedes Jahr nach Thailand in den Urlaub fliegen oder in immer größeren Wohnungen wohnen.

Warum ist die Rolle von Wasserstoff derzeit unsicher?

Die Kostenprognosen, die Forschende vor fünf Jahren gemacht haben, waren zu optimistisch. Die Elektrolyseure sind viel teurer und auch der Strom ist teurer geworden. Wasserstoff muss über Pipelines transportiert und gespeichert werden. Die Technik, um Wasserstoff in das System zu integrieren, ist komplizierter als wir vor fünf Jahren dachten. Mit jeder neuen Technologie hat man diese Unsicherheiten. Wasserstoff wird aber wahrscheinlich nur dort zum Einsatz kommen, wo eine vollständige Elektrifizierung nicht möglich ist, beispielsweise in der Chemieindustrie oder in Backup-Kraftwerke im Stromsystem.

Im Flug- oder Schiffsverkehr sollen insbesondere synthetische Kraftstoffe wie E-Fuels zum Einsatz kommen. Haben wir ausreichend erneuerbaren Strom, um diese Kraftstoffe herzustellen?

Im Prinzip gibt es in Deutschland genug Fläche, um Erneuerbare Energien aufzubauen. Aber das kollidiert mit Spannungen in der Bevölkerung und mit Kosten. Es gibt genug Platz auf der ganzen Welt. Es ist nur die Frage, ob wir den Strom hier in Deutschland erzeugen, wo die Kosten höher sind, oder in Ländern, wo die Potenziale und der Platz für Erneuerbare Energien besser sind. Ich denke eher, dass man E-Fuels für den Flug- und Schiffsverkehr in anderen Ländern herstellen wird.

Die Energiepotenziale von Sonne und Wind schwanken in Deutschland regional und saisonal stark. Gibt es Lösungen, um das auszugleichen?

Für die regionale Verfügbarkeit sind Stromnetze oft die günstigste Lösung. Aber es ist sehr wichtig, dass wir Preissignale haben, die diese Flüsse steuern. Zum Beispiel, dass die Preise teurer werden, wenn wir Knappheiten im Süden haben und umgekehrt. Saisonale Schwankungen müssen wir zum einen durch eine gute Kombination aus Solar- und Windenergie ausgleichen. Für sogenannte Dunkelflauten brauchen wir zum anderen Speicher, und zwar keine Batterien – die wären für mehrere Tage zu teuer –, sondern Energieträger wie Wasserstoff oder vielleicht auch synthetisches Methanol oder Ammoniak. Denn diese H2-Derivate lassen sich in der Nähe von Kraftwerken in großen Mengen einfach speichern.

Welches der betrachteten Szenarien ist das wahrscheinlichste?

Wenn man die Geschichte betrachtet, waren wir in manchen Bereichen zu pessimistisch und in anderen zu optimistisch. Meine Erwartung ist, dass bestimmte Dinge schneller laufen werden als gedacht. Das sehen wir zum Beispiel bei der Solarenergie. In anderen Bereichen geht es dafür langsamer. Ich erwarte eine Mischung aus verschiedenen Geschwindigkeiten in verschiedenen Bereichen. Im Gebäude- oder Verkehrssektor läuft die Entwicklung gerade zu langsam. Aber das kann schnell kippen, beispielsweise, wenn Elektroautos günstiger werden. Meine Hoffnung ist, dass wir diese Kipppunkte für Photovoltaik und im Verkehrssektor erreichen. Aber es ist schwierig, etwas zu prognostizieren. Energiesicherheit ist gerade ein sehr sensibles Thema, besonders weil sich die geopolitische Lage zuspitzt. Hier müssen wir kurzfristig eine Priorität setzen, aber zum Glück gibt es eine große Überlappung mit Klimaschutzmaßnahmen: lokale Erneuerbare ausbauen, Importe von fossilen Brennstoffen reduzieren.

Wo steht Deutschland deiner Einschätzung nach aktuell in Sachen Energiewende?

Das ist sehr durchmischt. Wir haben im Ausbau der Erneuerbaren Energien einen sehr guten Fortschritt gemacht. Die Genehmigungsprozesse für Wind- und Solarenergie sowie Netzausbau sind gut vorangekommen. Aber es hakt natürlich noch immer im Verkehrs- und Gebäudesektor. Im Verkehr bin ich zuversichtlich, dass wir das gelöst bekommen. Denn die Elektroautos werden immer günstiger. Aber im Gebäudesektor wird es ein Kampf werden, alle Gebäude klimatüchtig zu machen. Das wird ein Eingriff in Millionen von Gebäuden. Da liegt meine große Sorge.

Wie blickst du in die Zukunft?

Ich sehe das Energiesicherheitsthema als zunehmend wichtig. Aber ich bin relativ zuversichtlich, dass das nicht im Gegensatz zu Klimaschutz steht. Wir können beides vereinen, indem wir Erneuerbare ausbauen und unsere Nachfrage elektrifizieren. Das ist die Lösung für beide Probleme. Und nicht nur dafür, sondern auch für die Luftverschmutzung in unseren Städten und die Absicherung von Arbeitsplätzen. Ich hoffe, dass die neue Bundesregierung das kapiert.

Publikationen

Report: Die Energiewende kosteneffizient gestalten – Szenarien zur Klimaneutralität 2045

mimadeo / Adobe Stock

Der vorliegende Ariadne-Szenarienreport spannt den Optionenraum für die deutsche Energiewende auf. Dazu werden fünf Szenarien modelliert, die Klimaziele und Klimaneutralität erreichen. Ein sechstes Szenario Existierende Politiken bildet nur bereits implementierte Klimapolitiken ab – und zeigt, dass so das Ziel der Klimaneutralität 2045 verfehlt wird.