Dr. Falko Ueckerdt

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

„Wir sollten die breiten Wasserstoff-Visionen korrigieren“

Dr. Falko Ueckerdt arbeitet im Kopernikus-Projekt Ariadne im Arbeitspaket „Industriewende, Wasserstoff und Wertschöpfungsketten“. Im Ariadne-Interview erklärt er, wo die Industriewende ansetzen kann und warum beim Thema Wasserstoff in Deutschland eine Desillusionierung eingesetzt hat.

Falko, was ist das Spannendste, woran du derzeit arbeitest?

Das für mich Spannendste innerhalb der Industriewende sind die grünen Wertschöpfungsketten. Wenn man einen energieintensiven Grundstoff wie Stahl nachhaltig herstellen will, braucht es dafür verschiedene Prozessschritte. Mit erneuerbarem Strom stellt man beispielsweise Wasserstoff und dann grünes Eisen her, aus dem man Stahl fertigt. Diesen kann man dann weiter veredeln und das nennt man eine Wertschöpfungskette.

Wir analysieren, wie sich grüne Wertschöpfungsketten verändern, insbesondere da erneuerbarer Strom in Ländern wie Deutschland besonders knapp oder teuer ist. Bei energieintensiven Materialien könnte man zum Beispiel grünen Wasserstoff aus Südspanien oder grünes Eisen aus Australien importieren. Wir schauen uns an, was es mit den Kosten eines Endproduktes, mit den Arbeitsplätzen und der Wertschöpfung macht, wenn wir die ersten energieintensiven Schritte einer Wertschöpfungskette ins Ausland verlagern. Außerdem schätzen wir, wie stabil die Wertschöpfungskette dann noch ist. Kann die deutsche Stahlindustrie gerettet werden, indem sie zunehmend grünes Eisen importiert und zu Stahl weiterverarbeitet? Das ist ein sehr spannendes Thema – wissenschaftlich und politisch.

Worum geht es in deinem Arbeitspaket genau?

Neben den grünen Wertschöpfungsketten gibt es noch zwei Schwerpunkte. Der eine ist energieintensive Industrie. Da geht es vor allem um die Frage, wie wir die Stahl-, Chemie- und Zementindustrie transformieren. Dort schauen wir uns an, welche Technologien und politischen Instrumente dafür sinnvoll sind. Eine weitere Säule ist das Thema Wasserstoff. Dieser ist direkt verbunden mit der Industrie, da einige Sektoren ihn für die Transformation brauchen. Gleichzeitig schauen wir auch auf Wasserstoff aus einer Gesamtsystemperspektive. Wir fragen uns: Wer braucht Wasserstoff? Wie gelingt der Hochlauf? Was wäre eine sinnvolle Rolle für H2?

Mit welchen Methoden arbeitest du?

Wir arbeiten mit verschiedenen numerischen Modellen. Wir haben Computermodelle, die die heutigen Industriesektoren abbilden, und dann simulieren, wie sich diese unter dem Einfluss bestimmter Politikinstrumente transformieren ­ zum Beispiel, wenn man einen CO2-Preis einführt. Es gibt Modelle für Deutschland, für die europäische oder auch die globale Perspektive. Außerdem machen wir technoökonomische Analysen. Da rechnen wir Kosten von grünen und fossilen Technologien aus und vergleichen diese miteinander. Darüber hinaus arbeiten wir konzeptionell qualitativ, überlegen uns Politikoptionen und bewerten und strukturieren jene, die es bereits gibt.

Wo in der Industrie liegt das größte Transformationspotenzial?

Da ist die Frage, ob man kurzfristig oder langfristig denkt. Man könnte sagen, die größten Hebel sitzen in den Sektoren, die die meisten Emissionen verursachen. Das wäre dann beispielsweise die Zementerzeugung. Da entstehen unvermeidbare Prozess- aber auch hohe Energieemissionen. Auch die Stahl- und Chemieproduktion zählen dazu. Die machen jeweils etwa ein Viertel der gesamten Industrieemissionen aus. Gleichzeitig sind aber gerade diese drei Sektoren schwer umzustellen, weil CO2-neutrale Technologien dort noch sehr teuer sind. Die Transformation dieser Sektoren muss dennoch heute begonnen werden, da sie lange dauert.

Man könnte auch gleichzeitig fragen, wo die „Low hanging fruits“ liegen, also die Anwendungen, bei denen Klimaschutz vergleichsweise günstig sind. Dazu gehört zum Beispiel die Dampferzeugung. Und Dampf ist mit 100 bis 400 Grad Celsius gar nicht so heiß. Er wird heute vorwiegend aus Erdgas hergestellt. Aber man könnte auch elektrische Boiler oder Wärmepumpen nutzen, um das Wasser zu verdampfen. Auch das wäre ein großer Hebel, den viele kleinere Industrien nutzen könnten.

Was versteht man unter „grünen Vorprodukten“ für die Industrie?

Bei Stahl wäre das vor allem grünes Eisen. Dann gibt es noch die Düngemittelindustrie. Düngemittel werden oft auf Basis von Harnstoff hergestellt und dieser wiederum wird mit Ammoniak produziert. Grünes Ammoniak kann man an Standorten mit hohem Potenzial für Erneuerbare Energien herstellen und gut transportieren. In der sonstigen Industrie ist Methanol ebenfalls eine gute Basis-Chemikalie, die man grün herstellen und leicht importieren kann. Es könnte auch in Deutschland hergestellt werden, aber wegen dem geringeren Potenzial an Erneuerbaren Energien wären die Kosten höher als die Produktion im Ausland.

Wie realistisch bewertest du die Nationale Wasserstoffstrategie Deutschlands?

Wir sind in einer interessanten Phase. Die letzten Jahre gab es einen Wasserstoffhype mit Tendenz zur Überschätzung in Teilen der öffentlichen Debatte. Einige wissenschaftliche Akteure, darunter auch Ariadne, haben mit einer gewissen Vorsicht davor gewarnt, dass der Wasserstoffhochlauf in Deutschland relativ teuer ist und nicht so schnell geht. 2021 haben wir in einem Ariadne-Papier empfohlen, schrittweise vorzugehen und sich auf die Sektoren zu fokussieren, wo wir sicher sind, dass wir Wasserstoff wirklich brauchen. Inzwischen hat eine Desillusionierung eingesetzt, weil viele Projekte scheitern oder sich verzögern. Die Kosten sind höher und man bewertet das Thema neu. Tendenziell besteht die Gefahr einer großen Verunsicherung. Niemand weiß sicher, ob H2 in absehbarer Zeit und zu bezahlbaren Preisen verfügbar sein wird. Hauptfokus sollte nun sein, die breiten Wasserstoff-Visionen zu korrigieren und sich auf die Schaffung eines gesunden Kerns einer Wasserstoffwirtschaft zu fokussieren.

Was sagt die Bundesregierung dazu?

Von der neuen Bundesregierung gibt es gemischte Signale, wie sie zu Wasserstoff steht. Einerseits soll H2 beschleunigt werden, zum Beispiel mit dem Wasserstoffbeschleunigungsgesetz. Andererseits bekommt mit CCS (Carbon Capture and Storage) eine Konkurrenztechnologie viel Aufmerksamkeit – auch beim Thema Erdgaskraftwerke, also bei der Stromproduktion. Diese Kraftwerke waren bisher Teil der Planungen des Wasserstoffkernnetz. Und wenn der Stromsektor als Abnehmer von H2 jetzt in Frage steht, wird die Finanzierung der Wasserstoffinfrastruktur insgesamt schwieriger. Das erhöht die Verunsicherung darüber, was in Bezug auf H2 in Deutschland letztlich realisierbar ist.

Welche politischen Maßnahmen braucht es für eine erfolgreiche Industriewende?

Das Wichtigste ist, Investitionssicherheit für neue klimaneutrale Industrieprozesse zu schaffen. Dafür braucht es ein politisches Bekenntnis für die nationalen und EU-weiten Klimaziele. Dazu gehört auch, den europäischen Emissionshandel-CO2-Grenzausgleich abzusichern und allen Akteuren zu signalisieren, dass CO2-Preise weiter steigen werden. Gleichzeitig ist klar, dass CO2-Preise allein nicht ausreichen werden und somit komplementäre Instrumente wie Förderinstrumente notwendig sind, um die substanzielle Kostenlücken zwischen fossiler und grüner Produktion zu schließen. Da sind Klimaschutzverträge ein sinnvoller Ansatz. Ein drittes Element können sogenannte grüne Leitmärkte sein. Man könnte zum Beispiel eine Grünstahlquote einführen, also eine obligatorische Mindestmenge von grünem Stahl. So ein regulierender Eingriff könnte Förderbedarf reduzieren, und eine sichere Nachfrage nach grünem Stahl schaffen, die sich in Investitionssicherheit übersetzt.

Wo innerhalb der Industriewende steht Deutschland?

Bei einigen großen Sektoren ist viel Wille zur Transformation da. Zum Beispiel bei der deutschen Stahlindustrie, die wegen des globalen Wettbewerbs mit dem Rücken zur Wand steht, und mit der Transformation die Flucht nach vorn nehmen können. Im Allgemeinen jedoch hat die Transformation der Industrie noch nicht wirklich begonnen. In der Breite passiert noch kein Prozesswechsel hin zu grünen Energien – Strom oder Wasserstoff. Die leichten Emissionsreduktionen der letzten Jahre gehen vor allem auf Effizienzsteigerungen oder Produktionsrückgänge fossiler Prozesse zurück. Gleichzeitig wurden bereits einige politische Instrumente geschaffen – auf nationaler und EU-Ebene – auf deren Grundlage die Transformation in den nächsten Jahren losgehen kann.

Wie blickst du in die Zukunft?

Es gibt da Licht und Schatten. Einige Dinge laufen schon. Andere werden schnell laufen, wenn einige technologische und politische Durchbrüche erreicht werden. Und bei dritten wird es eher ein Marathon, der noch viel politischen Willen und Durchhaltevermögen braucht. Da sind technologische Revolutionen, die sich schnell verbreiten, weil sie sehr günstig geworden sind, zum Beispiel Photovoltaik im Zusammenspiel mit Lithium-Ionen-Batterien. Es ist relativ klar, dass Mobilität durch das E-Auto günstiger wird als Verbrenner zu fahren. Ähnliches gilt für E-Trucks. Auch die Elektrifizierung von Prozesswärme in der Industrie kann Fahrt aufnehmen, wenn Barrieren abgeräumt und sichtbare Beispielprojekte geschaffen worden sind. Wenn man ein paar Vorreiter hat, kann es beispielsweise bei der elektrifizierten Dampferzeugung sehr schnell gehen. Für alle Sektoren und Anwendungen, die nicht direkt elektrifiziert werden können, wird es schwieriger. Hier braucht man zum Beispiel Wasserstoff oder CCS. Diese Anwendungen werden auch langfristig nicht günstiger werden als die fossilen Anwendungen, sodass es einen stabilen politischen Rahmen braucht, um Investitionen auszulösen und die nötige Infrastruktur aufzubauen.

Das Interview wurde am 07.10.2025 geführt von Celine Koch.

Publikationen

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