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Politischer Konsens für den EU-Emissionshandel für Wärme und Verkehr – durch gerechte Ausgestaltung und ökonomisch effizienten Preis

Die Erweiterung des Emissionshandels auf den Gebäude- und Transportsektor (ETS2) ist ein Kernelement des Fit-for-55-Pakets der Europäischen Kommission, das politisch hoch umstritten ist. Ziel des ETS2 ist, durch einen technologieneutralen CO2-Preis Anreize für klimafreundliche Investitionen und Innovationen zu setzen. Über die Deckelung der Emissionen wird zudem ein klarer Pfad zur Klimaneutralität gesetzt. Teile der Einnahmen aus dem Verkauf von Zertifikaten sollen zudem über einen Social Climate Fund (SCF) zur finanziellen Entlastung von Haushalten verwendet werden. Aber wie genau die Entlastung erfolgen und wie hoch der CO2-Preis sein sollte, wird kontrovers diskutiert. Anfang Juni hat das EU-Parlament einen alternativen Vorschlag erarbeitet, der in diesen Punkten substanziell von dem Vorschlag der Kommission abweicht. Ein Konsens zu finden scheint schwierig – und gelingt dies nicht, würde das Fit-for-55 Paket an entscheidender Stelle stark geschwächt.

Fachleute vom Ecologic Institute, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change, Stiftung Umweltenergierecht, ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und dem IER Stuttgart haben in zwei aktuellen Ariadne-Publikationen verschiedene Optionen für Entlastung und Höhe des CO2-Preises analysiert – und dabei Vor- und Nachteile sowie Umsetzungsvoraussetzungen verschiedener Ausgestaltungsoptionen identifiziert. Im Fokus stehen dabei zwei politische Kernstreitpunkte, bei denen wissenschaftliche Erkenntnisse eine drohende Verhärtung der Position verhindern, und entsprechend einen für den Klimaschutz zielführenden Konsens befördern können.

Ein erster Kernstreitpunkt ist, ob der Social Climate Fund ein neuer tragender Transfermechanismus der europäischen Klimapolitik mit großem finanziellem Umfang wird – oder eher eine europäische Ergänzung zu sozialpolitische Entlastungsmechanismen in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Eine Alternative zum SCF wäre ein sogenannter „Social Climate Mechanism“. Dieser würde gewisse EU-weite Standards für eine faire Kompensation vorgeben, jedoch die Einnahmen aus dem Verkauf von Zertifikaten nicht durch den EU Haushalt leiten, sondern direkt an die Mitgliedsstaaten verteilen. Zudem könnte der finanzielle Umfang des Fonds geringer ausfallen, wenn gezielt die Haushalte kompensiert würden, die ein geringes Einkommen und hohe Energieausgaben haben. Rund 10 % der Erlöse aus der Auktionierung von Zertifikaten würden ausreichen, um alle energieintensiven Verbraucher mit einem Einkommen unterhalb des EU-weiten Durchschnitts für ihre zusätzlichen Energiekosten zu entschädigen. Im Gegensatz müssten mehr als 40 % der Einnahmen verwendet werden, wenn alle Verbraucher mit diesen Einkommen unabhängig von ihren Energiekosten einen entsprechenden Ausgleich erhielten.

Ein zweiter Kernstreitpunkt ist, ob die Notwendigkeit zur Entlastung auch dadurch reduziert werden kann, dass der Preis für ETS2-Zertifikate gedeckelt wird – oder dass Haushalte, im Gegensatz zu Unternehmen, erst später einen Preis für CO2 bezahlen müssen. Eine solche Deckelung beziehungsweise Eingrenzung würde zwar die direkte finanzielle Belastung von Haushalten reduzieren und entsprechend den Umfang des Social Climate Funds mindern. Gleichzeitig müssten dann aber ergänzende Maßnahmen wie technologische Standards oder Subventionen in großem Umfang umgesetzt werden. Die effektiven Kosten für private Verbraucher würden damit deutlich ansteigen, weil die Flexibilität fehlt, die Emissionen dort zu verringern, wo es am günstigsten ist. Ein nicht gedeckelter Preis für Zertifikate hätte allerdings den Effekt, dass manche EU Mitgliedsstaaten viel mehr vermeiden würden, also sie nach der EU Lastenteilung (ESR) zur Sicherstellung der Solidarität im Klimaschutz tatsächlich müssten. Um Solidarität zu gewährleisten, müssten Länder mit einer Übererreichung diese im Rahmen des ESR-Anrechnungssystems an reichere Länder mit ambitionierteren Zielen verkaufen können. Dieser Handel zwischen den Mitgliedstaaten ist – unabhängig vom ETS2-Preis – aus volkswirtschaftlicher Sicht wünschenswert: Fast alle Mitgliedstaaten erreichen dadurch substantielle Wohlfahrtsgewinne von bis zu 400 € pro Person. Bisher jedoch ist dieser Handel zwischen den Mitgliedsstaaten schleppend und politisch überformt, was Reformen zur Erhöhung der Liquidität und Transparenz des Marktes dringend erforderlich macht.

Das ETS2 ist ein zentraler Hebel zur Erreichung der europäischen Klimaziele. Die im vorliegenden Ariadne-Report aufgezeigten Optionen für eine gerechte Ausgestaltung des Emissionshandels könnten dazu beitragen, einen politischen Konsens für dieses Instrument zu erreichen.

Ariadne-Report

Benjamin Görlach, Michael Jakob, Katharina Umpfenbach, Mirjam Kosch, Michael Pahle, Théo Konc, Nils aus dem Moore, Johannes Brehm, Simon Feindt, Fabian Pause, Jana Nysten, Jan Abrell (2022): Ein fairer und solidarischer EU-Emissionshandel für Gebäude und Straßenverkehr. Kopernikus-Projekt Ariadne, Potsdam.

Ariadne-Analyse

Jan Abrell, Süheyb Bilici, Markus Blesl, Ulrich Fahl, Felix Kattelmann, Lena Kittel, Mirjam Kosch, Gunnar Luderer, Drin Marmullaku, Michael Pahle, Robert Pietzcker, Renato Rodrigues, Jonathan Siegle (2022): Optimale Zuteilung des CO2-Budgets der EU: Eine Multi-Modell-Bewertung. Kopernikus-Projekt Ariadne, Potsdam.