Hintergrund: Was sind eigentlich Netzentgelte?

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Was sind eigentlich Netzentgelte?

Der Strompreis, den private Haushalte und Unternehmen zahlen, setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen: Neben den eigentlichen Energiekosten und verschiedenen Steuern und Umlagen enthält er einen weiteren wichtigen Bestandteil: die Netzentgelte. Während die Energiepreise in den letzten beiden Jahren wieder deutlich gesunken sind, sind die Netzentgelte spürbar gestiegen. Sie sind mittlerweile oft der größte Posten auf der Stromrechnung. Wofür gibt es Netzentgelte, wie werden sie ermittelt und wo besteht Reformbedarf? Antworten auf diese Fragen gibt dieser Erklärtext.

Kosten der Stromnetze. Die Netzentgelte finanzieren den Bau und den Betrieb der Stromnetze. Dabei handelt es sich um die Investitionskosten der Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber in neue Leitungen, Umspannwerke und Transformatoren. Hinzukommen aber auch die Kosten für den Netzbetrieb. Dazu gehören insbesondere Kosten für die Beschaffung sogenannter Systemdienstleistungen, die notwendig sind, um das Stromnetz stabil zu halten. Dazu gehören beispielweise Regelenergie, um Prognoseungenauigkeiten auszugleichen, Verlustenergie, die bei der Übertragung von Strom über längere Strecken anfällt, und Redispatch, welcher benutzt wird, um die Überlastungen der Stromnetze zu vermeiden. Insgesamt belaufen sich diese Kosten derzeit auf rund 50 Milliarden Euro pro Jahr. Für Privathaushalte bedeutet das heute durchschnittliche Kosten von knapp 12 Cent pro kWh – im Schnitt rund ein Drittel der Stromrechnung – und diese Kosten unterscheiden sich regional stark. In den nächsten Jahren stehen große Investitionen in das Stromnetz an, um die Transformation des Stromsystems zu bewerkstelligen. So wollen die Netzbetreiber in den nächsten 15 Jahren rund 500 Milliarden Euro investieren. Die Bedeutung der Netzentgelte dürfte daher weiter zunehmen.

Abbildung 1: Netzentgelte für Haushaltskunden im deutschen Durchschnitt (inflationskorrigiert). Eigene Darstellung auf Basis von Daten des BDEW

Netzbetreiber. In Deutschland gibt es knapp 900 Netzbetreiber. Dazu gehören zum einen die vier Übertragungsnetzbetreiber TenneT, Amprion, 50 Hertz und TransnetBW, die die Höchstspannungsnetze betreiben, zum anderen eine Vielzahl von regionalen Verteilnetzbetreibern, die die Hoch-, Mittel- und Niederspannungsnetze betreiben. Viele der kleineren Verteilnetze werden von Stadtwerken betrieben, die meisten der größeren Verteilnetze gehören zum Eon-Konzern.

Regulierung. Die Stromnetze sind nicht wettbewerblich organisiert, im Gegensatz zur Stromerzeugung und -versorgung. So kann man zwar seinen Stromlieferanten frei wählen, ist aber an den lokalen Netzbetreiber gebunden. Denn der parallele Betrieb mehrerer Netze in einer Region wäre wirtschaftlicher Unsinn. Stromnetze sind also natürliche Monopole. Als regionale Monopolisten unterliegen Netzbetreiber der staatlichen Regulierung. Die Bundesnetzagentur und Landesregulierungsbehörden legen fest, welche Erlöse Netzbetreiber erzielen dürfen. Die Bundesnetzagentur bestimmt auch die Ausgestaltung der Netzentgelte, zum Beispiel wer sie wofür zu zahlen hat. Die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur von Gesetzgeber oder Regierung sowie der Grundsatz der Diskriminierungsfreiheit ist europarechtlich vorgeschrieben.

Systematik der Netzentgelte in Deutschland. Netzentgelte können unterschiedlich ausgestaltet sein. In Deutschland gelten folgende Grundsätze:

  • Anschluss. Beim erstmaligen Anschluss an das Netz werden einmalige Netzanschluss-Entgelte fällig. Diese Entgelte decken jedoch nur die Kosten der Leitung bis zum nächsten Netzanschlusspunkt. In anderen Ländern muss darüber hinaus auch der dahinter liegende notwendige Netzausbau von den neu angeschlossenen Verbrauchenden ganz oder teilweise bezahlt werden. In Deutschland ist dies nur teilweise im Rahmen der als „Baukostenzuschuss“ bezeichneten Zahlung der Fall. Seine Höhe ist dort geringer, wo durch einen Anschluss die geringsten Kosten entstehen. Dadurch entsteht ein Anreiz, die Anlagen eben dort anzuschließen, wo das Netz am wenigsten belastet wird.  
  • Nutzung. Neben den Anschlussentgelten sind im Betrieb Nutzungsentgelte zu entrichten. Diese machen den Großteil der Einnahmen der Netzbetreiber aus.
  • Verbraucher. In Deutschland zahlen nur die Stromverbraucher Netznutzungsentgelte, nicht aber die Stromerzeuger.
  • Groß und Klein. Es gibt zwei unterschiedliche Entgeltsysteme: für Kunden mit mehr als 100 MWh Jahresverbrauch und für solche mit weniger. Erstere werden im Rahmen der registrierenden Leistungsmessung (RLM) für jede Viertelstunde des Jahres separat gemessen und abgerechnet. Dabei wird ein Entgelt für die bezogene Jahresenergiemenge (Arbeitspreis, in ct/kWh) und ein Entgelt für den größten einzelnen Leistungsbezug in einer einzelnen Viertelstunde (Leistungspreis, in €/kW) fällig. Kleinverbraucher, insbesondere private Haushalte, werden nur nach ihrem Jahresverbrauch abgerechnet. Sie zahlen einen Grundpreis pro Monat und einen Arbeitspreis pro aus dem Netz bezogener Kilowattstunde (kWh).
  • Zeitkonstant. In Deutschland sind die Netzentgelte in der Regel über das Jahr konstant, das heißt also zu jedem Zeitpunkt gleich hoch. In den meisten EU-Ländern ist das anders: Die Entgelte variieren mit der Netzauslastung, sind also zum Beispiel in den Abendstunden höher als in der Nacht. Dies nennt man zeitvariable Netzentgelte. Damit wird ein Anreiz gegeben, Strom eher dann zu verbrauchen, wenn das Netz nicht ausgelastet ist.
  • Regionale Kostenwälzung. Die Kosten des örtlichenNetzes werden grundsätzlich von den daran angeschlossenen Verbrauchern getragen. Genau genommen geschieht dies sogar nach Spannungsebenen, so dass beispielsweise die Kosten des Berliner Mittelspannungsnetzes von den direkt an diese Netzebene angeschlossenen Betrieben getragen werden. Abweichend von diesem Prinzip werden seit 2023 die Entgelte der vier Übertragungsnetzbetreiber deutschlandweit vereinheitlicht. Die mittleren Netzentgelte für die an der Höchstspannung angeschlossene Schwerindustrie können damit mit etwa 6 ct/kWh gut beziffert werden, während die Entgelte für Haushaltskunden je nach Region zwischen unter 5 ct/kWh und 20 ct/kWh schwanken.
  • Vertikale Wälzung. Bezieht ein Netz Strom aus einem vorgelagerten Netz, werden die gleichen Netzentgelte fällig wie für einen dort angeschlossenen Endverbraucher. Diese Kostenweitergabe wird als „vertikale Wälzung“ bezeichnet. Sie findet allerdings nicht in umgekehrter Richtung Anwendung. Wenn also Solarstrom von der Niederspannung in die Mittelspannung fließt, muss das Mittelspannungsnetz keine Entgelte zahlen.
  • Ausnahmen und Rabatte. Einige Stromverbraucher sind von den Netzentgelten befreit oder zahlen reduzierte Entgelte. So sind Elektrolyseure und Stromspeicher, die bis Ende 2029 in Betrieb gehen, komplett befreit. Steuerbare Nachtspeicherheizungen, Wärmepumpen und Ladegeräte für Elektro-Pkw zahlen ein reduziertes Netzentgelt, dafür darf der Netzbetreiber den Strombezug stundenweise reduzieren. Die volumenmäßig weitaus größeren Ausnahmen betreffen jedoch industrielle Großverbraucher: Ihnen werden bei „atypischem“ oder „gleichmäßigem“ Strombezug bis zu 90 % der Entgelte erlassen. Davon profitiert aktuell fast 20 % des deutschen Stromverbrauchs, die Entlastung beläuft sich auf rund zwei Milliarden Euro jährlich.

Reformbedarf. Im Gegensatz zu anderen Aspekten des Strommarkts – wie etwa dem Börsenhandel, den Regelleistungs-Auktionen, dem Ausgleichsenergiepreis oder der Erneuerbaren-Förderung – ist die Systematik der Netzentgelte seit Jahrzehnten im Wesentlichen unverändert geblieben und wurde in Branche, Politik und Wissenschaft bisher kaum diskutiert. Dadurch ist ein Reformstau entstanden, der vor allem sieben Bereiche betrifft: Die Verteilung der Kosten zwischen Netzbetreibern, die internationale Kostenteilung, den individuellen Leistungspreis, Industrie-Rabatte, dynamische Netzentgelte, lokale Anreize und Entgelte für Erzeuger. Im Folgenden gehen wir auf diese Aspekte knapp ein.

Kostenwälzung zwischen Netzbetreibern. Während die Verteilnetze früher vor allem dazu dienten, Strom aus dem Höchstspannungsnetz zu lokalen Verbrauchern zu bringen, fließt der Strom heutzutage oft auch in umgekehrter Richtung. Grund dafür ist das starke Wachstum von Wind- und Solaranlagen, die in der Regel im Verteilnetz angeschlossen sind. In Regionen mit hohem Anteil Erneuerbarer Energien werden die Verteilnetze bereits heute überwiegend für die Stromerzeugung ausgebaut. Die bestehende Kostenwälzungslogik führt dazu, dass die Kosten der Netzintegration der Erneuerbaren Energien nur von den Verbrauchern vor Ort getragen werden. Dies ist zum einen politisch schwer vermittelbar und zum anderen volkswirtschaftlich kontraproduktiv: Eigentlich sollte nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage der Strom gerade in Regionen mit Erzeugungsüberschüssen günstig sein. Um dieses Problem zu lösen, sind verschiedene Lösungen denkbar: eine Subventionierung durch den Bundeshaushalt, eine Fusion von Netzbetreibern, eine gemeinsames deutschlandweites Netzentgelt wie bei den Übertragungsnetzbetreibern, die Einführung von Entgelten für Erzeuger, die Anwendung von Entgelten auf die Rückspeisung in höhere Spannungsebenen („bidirektionale Wälzung“) oder eine Kostenteilung unter Netzbetreibern.

Aufschlag für besondere Netznutzung. Die Bundesnetzagentur hat im Sommer 2024 erstmals einen Mechanismus für die Kostenteilung unter Netzbetreibern eingeführt. Im Rahmen dieses Mechanismus können Verteilnetzbetreiber mit besonders hohen Kosten durch Erneuerbare Energien diese wälzen. Das bedeutet, dass dieser Teil der Netzkosten von allen Stromkunden deutschlandweit getragen wird. Die Kosten allein für diese EE-Netzkostenverteilung beträgt im Jahr 2025 etwa 0,9 ct/kWh.

Internationale Kostenteilung. Ein verwandtes Thema ist die Kostenteilung über Ländergrenzen hinweg. Mit zunehmender europäischer Integration haben Netzausbauprojekte immer stärkere grenzüberschreitende Effekte: Beispielsweise profitieren von der Netzanbindung eines Offshore-Windparks vor Rotterdam auch deutsche Stromverbraucher in Form niedrigerer Großhandelspreise, die Kosten werden aber bis auf einen geringen Finanzausgleich zwischen den Ländern ausschließlich über niederländische Netzentgelte finanziert. Prinzipiell wären hier ähnliche Lösungsansätze wie bei der Kostenverteilung innerhalb Deutschlands denkbar.

Leistungspreis. Alle großen Stromverbraucher zahlen einen Leistungspreis auf ihren individuellen viertelstündlichen Spitzenverbrauch pro Jahr. Dieser Leistungspreis ist problematisch, weil er die Flexibilisierung des Stromverbrauchs einschränkt. In sonnigen oder windigen Zeiten fällt der Börsenstrompreis heute oft auf ein negatives Niveau und Erneuerbare Energien werden abgeregelt. Sinnvoller wäre es, wenn Unternehmen diesen Strom wertschöpfend nutzen würden. Für ein Industrieunternehmen kann eine Verbrauchssteigerung jedoch zu exorbitant höheren Netzentgelten führen, wenn es dadurch seine Spitzenlast erhöht. Neben dem Arbeitspreis in der Größenordnung von 5 €/MWh wird dann auch ein höherer Leistungspreis fällig, was Mehrkosten von mehreren 1.000 €/MWh entspricht. Da sich der Leistungspreis an der individuellen Lastspitze und nicht an der Netzbelastung bemisst, ist dies unsinnigerweise selbst dann der Fall, wenn das örtliche Netz unausgelastet oder gar durch lokale Erzeugung überspeist ist. Damit wird eine flexible Nachfrage oft unmöglich gemacht. Statt am individuellen Spitzenverbrauch sollten sich die Netzentgelte daher künftig an der Auslastung der Netze orientieren. Dies ist die Idee dynamischer Entgelte.

Rabatte. Der Leistungspreis ist jedoch nicht die einzige Flexibilitäts-Barriere. Ein großer Teil des industriellen Stromverbrauchs – mehr als 90 TWh pro Jahr – wir mit bis zu 90 % reduzierten Netzentgelten abgerechnet, wenn die Verbraucher einen gleichmäßigen Stromverbrauch nachweisen können. Die Höhe des Rabattes bemisst sich an den Vollbenutzungsstunden (Jahresenergieverbrauch geteilt durch die individuelle Spitzenlast), die mindestens 7.000 Stunden betragen müssen. Dies bestraft eine flexible Anlagenfahrweise, weil sowohl die Einsenkung des Stromverbrauchs (zum Beispiel bei Preisspitzen) wie auch die Erhöhung des Stromverbrauchs (zum Beispiel bei negativen Preisen) die Vollbenutzungsstunden reduziert. Da eine flexible Nachfrage eine notwendige Bedingung für das Gelingen der Energiewende ist, ist es zu begrüßen, dass die Bundesnetzagentur eine überarbeitete Regelung für 2026 angekündigt hat.

Dynamische Entgelte. Heute sind die Netzentgelte in der Regel im Verlauf des Jahres konstant. Dies ist in vielen Ländern anders, wo dynamische Netzentgelte die jeweils aktuelle Netzbelastung zumindest annähernd widerspiegeln, beispielsweise in Form von Preisstufen – ähnlich früher bei Telefontarifen. Insbesondere in Verteilnetzen ist dies wohl die einzige realistische Option, Anreize für netzdienliches Verhalten zu setzen, so dass Erzeuger, Speicher und Verbraucher die Belastung der Netze reduzieren. Mit zeitvariablen Netzentgelten hätten Elektroautos und Heimspeicher an sonnigen Mittagen einen Anreiz das lokale Netz von großer Rückspeisung zu entlasten. Wärmepumpen hätten einen Anreiz ihren Pufferspeicher bereits am Nachmittag zu füllen und somit die Netzbelastung zu Spitzenlastzeiten an Winterabenden zu reduzieren. Für das Jahr 2025 hat die Bundesnetzagentur zeitvariable Netzentgelte als freiwillige Lösung   für bestimmte Verbrauchergruppen wie zum Beispiel Wärmepumpen und Elektroautos im Rahmen des §14a EnWG festgelegt.

Lokale Anreize. In vielen Ländern werden die Netzentgelte bewusst so gestaltet, dass lokale Anreize zur Netzentlastung gesetzt werden. Dies kann über Netznutzungs- als auch Netzanschlussentgelte geschehen: Wenn diese in Regionen mit strukturellem Erzeugungsüberschuss – beispielsweise die deutsche Küstenregionen – geringer sind als in Knappheitsregionen, würden neue Investitionen in Elektrolyse, Power-to-Heat oder energieintensive Industrieproduktion eher hier angesiedelt. Damit würden lokale Erzeugungsüberschüsse in Wertschöpfung umgesetzt und die Kosten für Engpassmanagement und Netzausbau reduziert. In Deutschland gibt es keine systematischen lokalen Anreize – vielmehr ergeben sich aus der regionalen Kostenweitergabe der Verteilnetzbetreiber gerade gegenteilige Anreize. Ob durch die Übertragungsnetzentgelte eine lokale Steuerung erreicht werden soll, hängt eng mit der Diskussion um die Teilung der deutschen Preiszone zusammen: Wenn nach einer Zonenteilung lokale Anreize aus dem Strommarkt kommen, scheint ein zweites Anreizsystem durch Netzentgelte weniger sinnvoll. Wenn die Preiszone jedoch nicht geteilt wird, scheinen lokale Anreize durch Netzentgelte notwendig.

Entgelte für Erzeuger. Eine weitere Frage ist, ob auch Stromerzeuger Netznutzungsentgelte zahlen sollten. Historisch war eine einseitige Belastung der Verbraucher deshalb ökonomisch zu rechtfertigen, weil diese – anders als Speicher und Erzeuger – kaum auf Strompreise reagierten, so dass eine Belastung hier kaum Verzerrungen verursachte. Dies ändert sich mit nachfrageseitigen Flexibilitäten, so dass eine einseitige Belastung nur von Verbrauchern nicht mehr zwingend erscheint.

Autorinnen & Autoren

Prof. Dr. Lion Hirth

Hertie School

Silvana Tiedemann

Hertie School

Dr. Wolf-Peter Schill

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung