Als Kernelement der Energiewende in Deutschland sollen im Jahr 2030 rund 80 Prozent des Stromverbrauchs aus Erneuerbaren Energien (EE) gedeckt werden. Bei einem prognostizierten Verbrauch von 750 TWh pro Jahr muss die erneuerbare Stromerzeugung von derzeit knapp 240 TWh auf 600 TWh im Jahr 2030 fast verdreifacht werden – damit steigt der Bedarf an Flächen für Wind- und Solaranlagen. Auch wenn grundsätzlich ausreichend Flächen für den Ausbau verfügbar sind, wird derzeit vor allem dort ausgebaut, wo viel Sonne oder Wind verfügbar und Pachtpreise günstig sind. Eine untergeordnete Rolle spielen dagegen wichtige weitere Faktoren wie der Netzausbaubedarf, die lokale Akzeptanz oder Wertschöpfung. Eine verpasste Chance: Würden diese Aspekte künftig bei Standortentscheidung stärker berücksichtigt, könnten nicht nur Netze entlastet und die gesellschaftliche Akzeptanz für Erneuerbare-Energien-Anlagen erhöht werden, sondern auch die regionale Wertschöpfung über die Beteiligung lokaler Akteure an Finanzierung, Betrieb und Wartung der Anlagen gleichmäßiger über das Bundesgebiet verteilt werden.
Ausbau beschleunigen: Chancen einer regionalen Steuerung
Bereits heute gibt es Steuerungsinstrumente, die bei der konkreten Standortwahl für EE-Anlagen eine wichtige Rolle spielen. Auf Bundesebene existiert im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) das Referenzertragsmodell, das die Projektierung von Windenergie im ganzen Bundesgebiet – trotz erheblicher Unterschiede im Windertrag – attraktiv machen soll.
Darüber hinaus soll mit dem neu geschaffenen Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) das 2%-Flächenziel umgesetzt werden: Den Ländern werden hier Vorgaben gemacht über den zu erreichenden Flächenbeitragswert. Dieser kann durch Staatsverträge zwischen einzelnen Bundesländern verteilt werden.
Auf regionaler Ebene ist der Erneuerbaren-Ausbau zudem durch die jeweilige Regional-, Flächen- und Bebauungsplanung festgelegt. Diese Steuerungsinstrumente eignen sich jedoch nicht, um Netz- und Systemintegrations- sowie Akzeptanzgesichtspunkte in der regionalen Verteilung von EE-Anlagen ausreichend zu berücksichtigen. Entsprechend bleiben vorhandene Potenziale ungenutzt. Durch neue Steuerungsinstrumente könnte dieses Potenzial gehoben werden. Verschiedene Politikinstrumente für die regionale Steuerung des Erneuerbaren-Ausbaus kommen dabei in Betracht. Ein ausbalancierter Mix dieser Instrumente kann für eine volkswirtschaftlich effiziente und gerechte Verteilung Erneuerbarer Energien sorgen.
Wie neue instrumente eingesetzt werden können
Mengensteuerung
Mit regionaler Mengensteuerung, also der Festlegung von Gebieten für den Zubau von Erzeugungskapazitäten, kann die Verteilung von neuen EE-Anlagen im Bundesgebiet zielgenau bestimmt werden. Dabei ist die Flächenplanung grundsätzlich gut geeignet auch nichtmonetäre Kriterien wie lokale Präferenzen und Akzeptanz abzubilden. Dazu sollten die Möglichkeiten zur Beteiligung der Öffentlichkeit an den Planungsverfahren an das Beteiligungsparadoxon angepasst werden – durch frühzeitige und innovative Dialogformate wie Planungswerkstätten und Mediationsverfahren sowie transparente und klare Informationen an die Bevölkerung.
Strommarktdesign
Die deutsche Großhandelsstrompreise sind im aktuellen Marktdesign für alle Standorte gleich und reflektieren daher keine regionalen Unterschiede in Ertrag und Kosten beim Transport des Stroms von der Anlage zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Mit Knotenpreisen und Gebotszonenteilung könnten regional unterschiedliche Kosten, etwa für den Netzausbau, abgebildet werden. In Knotenpreissystemen (nodal pricing) entstehen an jedem Netzknoten individuelle Preise, die effiziente Einsatzentscheidungen anreizen, wie zum Beispiel das kurzfristige Herunterfahren von Erzeugungsanlagen bei Netzengpässen. Der Einfluss auf Investitionsentscheidungen ist allerdings begrenzt. Knotenpreise allein können daher keine politisch gewollte regionale Verteilung von Erzeugungsanlagen steuern und haben auch keine Aussagekraft in Bezug auf die lokale Akzeptanz. Gebotszonen fassen eine Vielzahl von Netzknoten zusammen. In Deutschland werden alle Netzknoten in einer einheitlichen Gebotszone gebündelt. Es gibt daher einen einheitlichen Großhandelspreis für Strom – unabhängig davon, ob dieser in Brandenburg oder Bayern erzeugt wird. Gäbe es mehrere Strompreiszonen, würden bei der Preisbildung Netzengpässe und regional unterschiedliche Stromerzeugungskosten eine Rolle spielen. Konkret könnte eine Aufteilung in eine nördliche und südliche Gebotszone dazu führen, dass durch die vorhandenen strukturellen Netzengpässe im Süden höhere Strompreise entstehen und Anreize für den Ausbau von Erzeugungsanlagen in der südlichen Gebotszone geschaffen werden. Die europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden ACER hat dazu im August 2022 vier mögliche Gebotszonenzuschnitte vorgeschlagen. Diese würden die deutsche Gebotszone in zwei bis vier Zonen aufteilen.
Netzentgeltbasierte Steuerungsinstrumente
Ein von der Bundesnetzagentur festgelegtes Netzentgelt kann ein regionales Preissignal an Erzeuger und Verbrauchende übermitteln. Netznutzungsentgelte werden von Stromverbrauchenden erbracht, was sie von Netzanschlussentgelten unterscheidet – diese werden von neu angeschlossenen Erzeugern und Verbrauchenden entrichtet. Damit sie einen netzdienlichen Einfluss auf die Einsatzentscheidungen von Stromerzeugern und -verbrauchern haben, müssten sie tagesaktuell an die prognostizierten Stromflüssen im Übertragungssystem angepasst werden, was schwer umzusetzen ist. Tiefe Netzanschlussentgelte als einmalige Zahlung neuer Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen reflektieren die Kosten des Netzausbaus, die durch den neuen Anschluss entstehen. Entsprechend gering sind diese Kosten an Orten, an denen das Übertragungsnetz wenig belastet wird. So entstehen regional differenzierte Preisanreize für neue Erzeugende und Verbrauchende. Fragen lokaler Akzeptanz können mit diesem kostenbasierten Instrument dagegennicht abgebildet werden.
Auf den Punkt gebracht
Die zentrale Säule der Energiewende ist der Ausbau von Solar- und Windenergieanlagen. Bisher fand dieser in Deutschland vor allem an Standorten statt, die durch häufigen Sonnenschein oder Wind besonders ertragreich sind. Um den zukünftigen Zubau gesellschaftlich tragfähig und netzkosteneffizient zu gestalten, braucht es jedoch auch mengen-, strompreis- oder netzentgeltbasierte Steuerungsinstrumente.
Durch eine frühzeitige Berücksichtigung effektiver Beteiligungsmöglichkeiten und Netzkostenaspekten in der Flächenplanung für Erneuerbare Energien könnten Netzkosten für Verbrauchende verringert und die Akzeptanz für den Erneuerbaren-Ausbau erhöht werden. Begleitend können tiefe Netzanschlussentgelte den Ausbau von neuen Anlagen regional steuern. Strompreisbasierte Instrumente wie Knotenpreise oder der Neuzuschnitt von Gebotszonen entscheiden dagegen eher über den kurzfristigen Einsatz von Kraftwerken und können dazu beitragen, Netzkosten zusätzlich zu verringern.
Dieses Papier zitieren:
Clemens Stiewe, Silvana Tiedemann, Katja Treichel-Grass (2022): Regionaler steuern: Optionen für den Ausbau Erneuerbarer Energien – Policy Brief. Kopernikus-Projekt Ariadne, Potsdam.
Kontakt zu den AutorInnen: Katja Treichel-Grass, treichel@mcc-berlin.net
Literaturangaben
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https://www.agora-energiewende.de/veroeffentlichungen/akzeptanz-und-lokale-teilhabe-inder-
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