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Report: Klimainstitutionen in vergleichender Perspektive – Zusammenfassung

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Forschungslücke und warum die vergleichende Analyse von Klimainstitutionen wichtig ist

Länder auf der ganzen Welt haben sich in den letzten Jahren zunehmend ehrgeizige Emissionsreduktions- und Treib-hausgasneutralitätsziele gesetzt, um die globale Erderwärmung auf deutlich unter 2°C zu beschränken. Um diese Ziele zu erreichen, wurden weltweit (i) neue klimapolitische Maßnahmen eingeführt, (ii) die Stringenz bzw. das Ambitionsniveau bestehender Maßnahmen erhöht und (iii) „Klimainstitutionen“ geschaffen. Die einschlägige wissenschaftliche Literatur zu den ersten beiden Phänomenen ist sehr umfassend. Die Rolle von Klimainstitutionen im politischen Prozess ist hingegen verhältnismäßig wenig erforscht – trotz der Tatsache, dass ihre Zahl in den letzten zwei Jahrzehnten signifikant zugenommen hat. Diese Lücke in der wissenschaftlichen Fachliteratur ist deshalb von Bedeutung, weil diese Institutionen den klimapolitischen Prozess formalisieren sowie die Formulierung, Implementierung und Evaluierung von Klimapolitik maßgeblich steuern.

Die vorhandene wissenschaftliche Literatur enthält weder eine systematische und empirisch leicht operationalisierbare Definition von Klimainstitutionen noch ein theoretisches Rahmenwerk, das eine länderübergreifende Analyse verschie-dener Klimainstitutionen ermöglicht. Die meisten Studien konzentrieren sich indes auf einen einzigen Typ von Klimainstitution, wie zum Beispiel Klimarahmengesetze oder Klimaräte (Duwe and Evans 2020; Weaver, Lötjönen, and Ollikainen 2019; Evans and Duwe 2021), und deren Auswirkungen auf einen einzelnen Aspekt des klimapolitischen Prozesses (z.B. Transparenz, glaubwürdige Selbstbindung). Andere Studien operieren indes mit breiten Definitionen – die einerseits mehrere Klimainstitutionen umfassen (MacNeil 2021), doch andererseits wichtige Unterschiede zwischen formellen und informellen Institutionen nivellieren – und untersuchen Korrelationen zwischen Klimainstitutionen und den Ergebnissen des politischen Prozesses, wie beispielsweise dem allgemeinen klimapolitischen Ambitionsniveau (Guy, Shears, and Meckling 2023). Es mangelt daher an (i) einer Definition, die mehrere klimapolitische Institutionen umfasst und zugleich eine klare Unterscheidung zwischen formellen und informellen Institutionen ermöglicht, sowie (ii) einem theoretischen Rahmenwerk, das es uns erlaubt, die unter-schiedlichen Effekte von Klimainstitutionen – anstatt nur einer Klasse von Effekten – auf den politischen Prozess zu untersuchen.

Forschungsfragen und Methoden

Dieser Bericht versucht daher, drei Forschungsfragen zu beantworten. Erstens: Was sind Klimainstitutionen und wie können wir ihre deskriptiven Merkmale und Funktionen länderüber-
greifend erfassen? Zweitens: Welche Effekte haben Klimainstitutionen auf die Klimapolitik? Drittens: Welche Erkenntnisse lassen sich aus unserer Analyse für die deutsche Klimapolitik ableiten und welche institutionellen Reformoptionen könnten die deutsche Klimagovernance verbessern? Im Folgenden entwickeln wir daher eine Definition von Klimainstitutionen sowie ein theoretisches Rahmenwerk für die Analyse und den Vergleich ihrer Effekte. Wir wenden unser Rahmenwerk auf eine Stichprobe von vier Ländern an: Deutschland, das Vereinigte Königreich, Schweden und Australien. Wir haben wohlhabende Demokratien ausgewählt, die zwar Klima-institutionen etabliert haben, sich aber hinsichtlich ihres makropolitischen Kontextes deutlich unterscheiden. Deutschland und Schweden sind korporatistisch geprägt, sind EU-Mitgliedsstaaten und haben koordinierte Marktwirtschaften; das Vereinigte Königreich und Australien weisen pluralistische Interessensgruppensysteme auf, sind keine EU-Mitgliedsstaaten und haben liberale Marktwirtschaften. Diese Fallauswahlstrategie trägt der Tatsache Rechnung, dass makropolitische institutionelle Merkmale die Ergebnisse der Klimapolitik beeinflussen können. Dadurch, dass wir gemeinsame Merkmale von Klimainstitutionen in unterschiedlichen makropolitischen Kontexten identifizieren, können wir auch notwendige Bedingungen herausarbeiten, die eine Institution erfüllen muss, um als Klimainstitution klassifiziert zu werden. Somit hilft uns die makropolitisch diverse Fallauswahl, eine mehrere Institutionen umfassende, aber empirisch klar operationalisierbare Definition zu formulieren. Unsere Fallstudien stützen sich auf 22 Interviews mit Klimapolitikexpert:innen (~5 pro Land) und eine umfassende Review der einschlägigen Literatur zu allgemein politischen und spezifisch klimapolitischen Institutionen, mit besonderem Augenmerk auf die von uns untersuchten Fälle.

Definition von Klimainstitutionen

Wir definieren eine Klimainstitution als eine formale, staatliche Institution, die eingerichtet wurde, um die Formulierung und / oder Umsetzung sektorübergrei-fender, nationaler Klimapolitik zu steu-ern. Folgende Institutionen erfüllen diese Kriterien: (i) Klimarahmengesetze, (ii) Klimaräte, (iii) Klimaministerien, (iv) ministeriumsinterne / innerbehördliche Klimareferate, (v) inter-ministerielle Koordi-nationsgremien für Klimapolitik, (vi) parlamentarische Ausschüsse für Klimapolitik. Wir tragen länderspezifischen Eigenheiten Rechnung, indem wir relevante, aber nicht durch die sechs oben genannten Kategorien abgedeckte Institutionen in der Kategorie „Sonstige“ auflisten. Obwohl diese Definition nicht alle für die Klimapolitik bedeutsame Institutionen umfasst, ermöglicht sie es uns, die Auswirkungen von Klimainstitutionen von anderen (z.B. informellen, nichtstaatlichen, sektoralen) klimabezogenen Institutionen zu unterscheiden. Der enge Geltungsbereich unserer Definition sowie ihr Fokus auf formelle Merkmale gewährleisten auch ein hohes Maß an Replizierbarkeit, das heißt Institutionen werden den unterschiedlichen Kategorien auf der Basis von verhältnismäßig leicht beobachtbaren Kriterien zugewiesen – anstatt von Kriterien, die ein erhebliches Maß an subjektiven Klassifikationsentscheidungen erfordern. Ein hohes Maß an Replizierbarkeit ist wichtig, um die verschiedenen Arten von Institutionen in den vier Ländern unserer Stichprobe klar zu identifizieren. Zudem erleichtert eine leicht operationalisierbare Definition die Anwendung unseres theoretischen Rahmenwerks auf weitere Länder in zukünftigen Arbeiten.

Theoretisches Rahmenwerk für dievergleichende Analyse von Klimainstitutionen

Auf der Grundlage eines Überblicks über die Literatur zur politischen Entschei-dungsfindung im Allgemeinen und zu Klimainstitutionen im Besonderen entwickeln wir ein theoretisches Rahmenwerk zur Analyse der Auswirkungen von Klimainstitutionen. Strategische Herausforderungen sind die erste zentrale konzeptionelle Säule dieses Rahmenwerkes. Die Klimapolitik ist durch eine Reihe von komplexen Herausforderungen gekennzeichnet. Dazu gehören: die Notwendigkeit, sich glaubwürdig auf langfristige Ziele zu verpflichten („commitment“); die Verlierer der Klimapolitik zu entschädigen; die Umsetzung in allen Wirtschaftssektoren zu koordinieren; und die Notwendigkeit, Wissen zu teilen („common knowledge“) und Transparenz in der Klimapolitik zu schaffen. In Anlehnung an die Arbeiten von u.a. Averchenkova und Nachmany (2017) sowie MacNeil (2021) verstehen wir Klimainstitutionen als ein mögliches Mittel, um diese strategischen Herausforderungen zu adressieren. Eine klassische Antwort auf die Herausforderung der glaubwürdigen Selbstbindung besteht beispielsweise darin, politische Entscheidungen an unabhängige Institutionen zu delegieren (Gilardi 2002). Abbildung 1 fasst die Liste der strategischen Herausforderungen zusammen, die wir der Literatur zu Klimainstitutionen und ihren Effekten auf die politische Entscheidungsfindung entnommen haben.

Abbildung 1: Strategische Herausforderungen unseres konzeptionellen Rahmenwerkes
Quelle: Eigene Darstellung

Die zweite Säule unseres Rahmenwerkes ist die stilisierte Kausalkette, die veranschaulicht, wie Klimainstitutionen – verstanden als Mittel zur Bewältigung der oben gelisteten strategischen Herausforderungen – die Klimapolitik beeinflussen können. Die Kausalkette (Abbildung 2) besteht aus der Funktion der Institution – den Aufgaben, die sie qua Mandat oder entsprechender Gesetzgebung erfüllen soll –, dem Mechanismus, durch den sie den klimapolitischen Prozess beeinflusst, einer intervenierenden Variable, die wiederum den Effekt der Institution beeinflusst, und schlussendlich dem Effekt auf die strategische Herausforderung selbst (z.B. die Erhöhung von Transparenz). Abbildung 2 zeigt auch, dass Effekte auf strategische Herausforderungen wiederum Auswirkungen auf die Politik bzw. „policy outcomes“ haben können. So kann zum Beispiel eine Klimainstitution die Fähigkeit der Regierung zur glaubwürdigen Selbstverpflichtung erhöhen; diese erhöhte „commitment capacity“ kann dann ein höheres Ambitionsniveau zeitigen. Klimainstitutionen sowie andere Institutionen (informelle oder nicht-staatliche Institutionen, wie z.B. NGOs) können auch noch andere Auswirkungen haben, die wir allerdings hier nur der Vollständigkeit halber erwähnen, nicht aber analysieren, wie die gestrichelten Linien zeigen.

Abbildung 2: Theoretisches Rahmenwerk
Quelle: Eigene Darstellung

Ergebnisse

Wir fassen unsere Ergebnisse bezüglich der Rolle von Klimainstitutionen in drei Schritten zusammen. Zunächst beleuchten wir die Effekte der Klimainstitutionen innerhalb jedes Landes in unserer Stichprobe, um dann die (i) Funktionen und (ii) Effekte der Institutionen in den vier Ländern zu vergleichen.

Kurzzusammenfassung der Fallstudien

Im Gegensatz zu der einschlägigen Fachliteratur, die sich primär auf zwei Typen von Institutionen (Klimarahmengesetze und Klimaräte) konzentriert, zeigt unsere Analyse, dass Deutschland, das Vereinigte Königreich, Schweden und Australien – selbst unter Anwendung einer verhältnismäßig engen und formalistischen Definition – eine große Bandbreite an Klimainstitutionen aufweisen. Die folgende Abbildung (Abbildung 3) zeigt vier stilisierte Ketten, die veranschaulichen, wie vier unterschiedliche Arten von Klimainstitutionen den Regierungen in diesen vier Ländern helfen, verschieden strategische Herausforderungen zu adressieren.

Abbildung 3: Beispiele stilisierter Kausalketten in jedem der vier Länder
Quelle: Eigene Darstellung

Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Funktionen von Klimainstitutionen

Die größten Unterschiede bezüglich ihrer Funktionen weisen Klimarahmengesetze und Klimaräte auf (vgl. Tabelle 1). Klimarahmengesetze unterscheiden sich darin, ob sie mittel- bzw. langfristige Emissionsreduktionsziele vorschreiben, die Regierungen dazu verpflichten, Klimastrategien oder Klimaschutzprogramme zu verabschieden, und ob sie die rechtliche Basis für die Einführung oder die verstärkte Nutzung bestimmter klimapolitischer Instrumente (bspw. Emissionshandelssysteme) schaffen. Alle Klimaräte führen Ex-post-Analysen durch, unterscheiden sich aber darin, inwieweit sie Ex-ante-Analysen durchführen und Ex-ante-Politikvorschläge unterbreiten. Andere Arten von Institu-tionen – wie Klimaministerien und parlamentarische Ausschüsse – erfüllen in allen vier Ländern vergleichsweise ähnliche Funktionen.

Tabelle 1: Gemeinsamkeiten und Unterschiede gemäß Mandat oder Gesetzgebung (Stand: Juni 2023)

Eine alle Institutionen betreffende Erkenntnis ist, dass verschiedene Arten von Klimainstitutionen die Funktion haben, einen regelmäßigen Prozess für die Formulierung, Implementierung und Evaluierung der Klimapolitik zu etablieren. Klimagesetze geben beispielsweise einen Zeitplan vor, gemäß dem die Klimapolitik formuliert und umgesetzt wird – zum Beispiel durch fünfjährige Kohlenstoffbudgets im Vereinigten Königreich, jährliche Berichte an das australische Parlament und Klimastrategien, die alle vier (Schweden) oder fünf (Deutschland) Jahre veröffentlicht werden müssen beziehungsweise werden sollen. Die Klimaräte veröffentlichen ihre Berichte ebenfalls in einem regelmäßigen, meist jährlichen, Rhythmus und tragen so zu einem gesetzlich festgelegten Prüfungsrhythmus bei. Auch andere Klimainstitutionen tragen zu diesem politischen Prozess bei: so veröffentlichen Klima-behörden (bspw. die Swedish Environmental Protection Agency) Emissionsdaten und Klimaministerien erarbeiten Strategien. Mit der Verbreitung von Klimainstitutionen kommt es also zu der Konsolidierung eines „klimapolitischen Zyklus“, der wiederum aus mehreren Zyklen des (meist jährlichen) „Monitoring“ und der (meist fünf-jährigen) Strategieplanung besteht.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Effekte von Klimainstitutionen

Unsere vergleichende Analyse der Auswirkungen von Klimainstitutionen zeigt, dass die meisten Klimainstitutionen (i) aufmerksamkeitsbezogene und (ii) epistemische oder wissensbezogene strategische Herausforderungen adressieren. Alle Arten von Klimainstitutionen zeitigen einen Agenda-Setting- bzw. Agenda-Seeding-Effekt in allen vier untersuchten Ländern, indem sie unter anderem konkrete Vorschläge zur Wahl oder dem Design klimapolitischer Instrumente generieren und / oder sicherstellen, dass die Klimapolitik in regelmäßigen Abständen auf der politischen Agenda erscheint, wodurch der oben beschriebene klimapolitische Prozess gestärkt wird. Des Weiteren erhöhen viele Klimainstitutionen die Transparenz – sowohl innerhalb der Regierung als auch für die Öffentlichkeit – und tragen zur Schaffung von „common knowledge“ über die Implikationen von Zielen und den Zielkonflikten zwischen verschiedenen klimapolitischen Instrumenten bei.

Tabelle 2 fasst die Institutionen und ihre Effekte in den verschiedenen Ländern zusammen, wobei die Zellen nach der Anzahl der Länder in unserer Stichprobe gefärbt sind, in denen wir die jeweiligen Effekte empirisch festgestellt haben.

Tabelle 2: Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Effekte von Klimainstitutionen in der Stichprobe

Es gibt jedoch nur wenige Institutionen, die die Integration und Koordination von Klimapolitik fördern. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass ein „Klimakabinett“ – mit dem Potential, die Integration zu verbessern – in zwei unserer Fälle (Deutschland und Schweden) in der Vergangenheit geschaffen und anschließend wieder aufgelöst wurde. Mit Ausnahme der neu geschaffenen „National Net Zero Authority / Economy Agency“1Am 14. Juni 2023 gab die australische Regierung bekannt, dass “[the authority] has been established as an interim step whilst a statutory Net Zero Authority is established. The Agency will also undertake work to design and establish the statutory Authority.” (PM&C 2023) in Australien, die wir aufgrund ihrer Neuartigkeit in unserer Analyse nicht beachtet haben, gibt es keine Klimainstitutionen, die die Kompensation der Verlierer:innen der Klimapolitik sicherstellen. Schließlich sind Klimarahmengesetze das wichtigste institutionelle Mittel, mit dem Regierungen ihre Fähigkeit zu glaubwürdiger Selbstverpflichtung („commitment capacity“) bezüglich langfristiger klimapolitischer Ziele stärken. Zu guter Letzt sei erwähnt, dass Klimainstitutionen in nur sehr begrenztem Ausmaß die Accountability – die (rechtlich) wirksame Sanktionierung von Regierungen bei Zielverfehlung – befördern.

Institutionelle Reformoptionen für die deutschen Klimainstitutionen

Ende März 2023 hat die Bundesregierung ihre Absicht verkündet, mit der „Klimaschutznovelle“ eine Änderung des Bundes-Klimaschutzgesetzes oder des KSG (Koalitionsausschuss 2023) zu verabschieden, die potentiell tiefgreifende Konsequenzen für das Gefüge der deutschen Klimainstitutionen haben könnte. Mithilfe unseres theoretischen Rahmenwerks sowie unserer vergleichenden empirischen Analyse können wir, trotz aller bestehenden Unsicherheiten, strukturiert analysieren, welche Defizite – und wie – der deutschen Klimagovernance durch die Klimaschutznovelle wahrscheinlich behoben beziehungsweise vermindert und welche bestehen bleiben würden. Wir zeigen auf, wie die Novelle Deutschland helfen könnte, fünf strategische Herausforderungen – Integration, horizontale Koordinierung, Transparenz, Accountability und Agenda-Setting / Agenda-Seeding – besser zu bewältigen und nutzen unsere vergleichende Analyse, um institutionelle Reformoptionen zu identifizieren, die darauf abzielen, einige der wichtigsten verbleibenden Defizite zu adressieren.

Klimaschutznovelle: Integration und horizontale Koordinierung

Die Klimaschutznovelle hat das Potential, integrationsbedingte Defizite zu reduzieren, indem sie bei der Ausarbeitung von Sofortprogrammen einen sektor- und ressortübergreifenden – anstatt einen sektor- und ressortspezifischen – Ansatz verfolgt: Sie schafft die sogenannten Sektorziele, rechtlich verbindliche, jahresscharfe und sektorspezifische Emissionsreduktionsziele, ab und erwähnt ausdrücklich die Möglichkeit, dass Ministerien sektorübergreifende Maßnahmen zum Einhalten der Emissionsreduktionsziele vorschlagen. Die Novelle enthält jedoch weder konkrete prozedurale Vorschläge zur Ausarbeitung und Bewertung von sektorübergreifenden Sofortprogrammen, noch Vorschläge zur Verbesserung der Koordination zwischen den Ministerien bei der Erarbeitung und Umsetzung solcher Programme. Um diese beiden be- und entstehenden institutionellen Lücken zumindest teilweise zu schließen, skizzieren wir die folgenden vier Reformoptionen.

  • Option 1: Etablierung eines Verfahrens für die Ausarbeitung sektorübergreifender Sofort- und Förderprogramme. Eine Reformoption bestünde darin, einen iterativen, zweistufigen Prozess für die Ausarbeitung dieser Programme zu etablieren. Zunächst könnte die Regierung neue sektorübergreifende Maßnahmen beschließen oder bestehende sektorübergreifende Maßnahmen anpassen. In einem zweiten Schritt könnte sie sektorspezifische Maßnahmen in Erwägung ziehen, um die Lücke zwischen den Emissionsreduktionen, die zur Erreichung der (jährlichen) Reduktionsziele erforderlich sind, und den durch die sektorübergreifenden Maßnahmen wahrscheinlich erbrachten Emissionsreduktionen zu schließen. Durch einen solchen Prozess könnten die Sofort- und Förderprogramme die Integration durch sektorübergreifende Klimapolitik verbessern.
  • Option 2: Verwendung zusätzlicher Kriterien für die Bewertung sektorübergreifender Sofort- und Förderprogramme. Die Bandbreite der Kriterien, die für die Bewertung von Sofort- und Förderprogrammen berücksichtigt werden, könnte erweitert werden. Zusätzliche Bewertungskriterien – über das Emissionsreduktionspotential einzelner Maßnahmen hinaus – könnten die fiskalischen Kosten, die Kosteneffizienz und die Verteilungswirkungen der Programme sein – sowie die mit unterschiedlichen Politikpfaden verbundenen Zielkonflikte zwischen diesen (und weiteren möglichen) Bewertungskriterien.
  • Option 3: Einrichtung und Konsolidierung von intra- und inter-ministeriellen Arbeitsgruppen zur Verbesserung der Koordination und Integration der Klimapolitik. Diese Arbeitsgruppen könnten als Dialogforen dienen, um Informationen und Einschätzungen aller Ressorts zu sammeln sowie relevante externe Expertise zu synthetisieren. Dadurch würden ministeriums-interne und -übergreifende Arbeitsgruppen ein koordiniertes Vorgehen bei der Ausarbeitung, Umsetzung und Evaluation der Klimapolitik befördern, das darauf abzielt, Kohärenz zwischen klimapolitischen und anderen politisch relevanten Zielen herzustellen.
  • Option 4: Wiedereinführung des Klimakabinetts. Mehrere Länder – darunter auch Deutschland – haben in der Vergangenheit versucht, die strategische Herausforderung der horizontalen Koordinierung durch die Schaffung von „Klimakabinetten“ zu bewältigen: kabinettsinterne und auf mehreren Hierarchieebenen operierende Foren, bestehend aus den Ministerien mit Verantwortung für Ressorts, die für die Formulierung und Umsetzung der Klimapolitik relevant sind. Ähnlich wie intra- und inter-ministerielle Arbeitsgruppen dienen solche Sub-Kabinette dazu, die Aufmerksam-keit, die relevante, aber nicht primär mit Klimapolitik befasste Ministerien der Klimapolitik widmen, zu erhöhen, und die über verschiedene Ministerien hinweg verteilten Informationen zu aggre-gieren. Allerdings wäre die Wiedereinführung mit dem Einsatz erheblichen politischen Kapitals verbunden – insbesondere in einer aus drei Parteien bestehenden Koalition wie der jetzigen Ampelkoalition.

Klimaschutznovelle: Transparenz und Accountability

Die Ex-ante-Accountability – also die Möglichkeit, die Regierung für die erwartete Nicht-Einhaltung der Emissionsziele (rechtlich) wirksam zu sanktionieren – ist in der ursprünglichen Fassung des KSG relativ schwach ausgeprägt. Ein Grund dafür ist, dass dem Expertenrat für Klimafragen (ERK) zunächst ein nur begrenztes Mandat zur Ex-ante-Analyse politischer Maßnahmen zugestanden wurde. Dieses Defizit wird durch zwei bestehende Limitationen der vom Umweltbundesamt (UBA) in Auftrag gegebenen und von einem Forschungskonsortium durchgeführten Modellierung zur Erstellung der Projektionsdaten (prognostizierte Emissionen) verschärft: Zum einen ist die Modellierung für Außenstehende nicht transparent; zum anderen beschränkt sich das UBA (weitestgehend) darauf, die Wirkung von (i) schon umgesetzten und (ii) von der Regierung angekündigten Maßnahmen auf die Emissionen zu analysieren. Andere Politik-bündel bzw. -pfade werden kaum analysiert. Die Klimaschutznovelle erhöht potenziell die informelle Ex-ante-Accountability, indem sie dem ERK das Recht einräumt, Ex-ante-Analysen politischer Maßnahmen ohne ausdrücklichen Auftrag der Regierung oder des Bundes-tags durchzuführen (Initiativrecht). Das Vorzeichen des Gesamteffekts der Klimaschutznovelle auf die Accountability lässt sich jedoch nicht eindeutig bestimmen, da die darin vorgesehene Abschaffung der rechtlich verbindlichen Sektorziele auch die formelle Ex-post-Accountability schwächt. Um die Transparenz und die Accountability – ex ante sowie ex post – zu erhöhen, skizzieren wir zwei Reformoptionen.

  • Option 5: Verbesserung der Ex-ante-Analyse durch transparentere Modellierung. Die Transparenz könnte verbessert werden, indem einerseits die der Modellierung des UBA zugrundeliegenden technischen Details für externe Forschende zugänglich gemacht werden; andererseits könnte der Umfang der untersuchten Szenarien um klimapolitische Maßnahmen erweitert werden, die von der jeweils amtierenden Regierung nicht berücksichtigt werden.
  • Option 6: Stärkung der Analysekapazität des ERK, um die wirksame Nutzung des Initiativrechts zu gewährleisten. Das Evaluieren unterschiedlicher im politischen und fachwissenschaftlichen Diskurs relevanter Politikpfade – also die wirksame Nutzung des Initiativrechts – ist mit beträchtlichen analytischen Herausforderungen verbunden. Für Ex-ante-Analysen dieser Art bedarf es Modelle, die es dem ERK erlauben, die Wirkungen verschie-dener Kombinationen klimapoli-tischer Instrumente zu untersuchen. Die Analysekapazitäten des ERK über die Nutzung der vom UBA in Auftrag gegebenen Modellierung hinaus zu erweitern – beispielsweise durch Aufstockung der Ressourcen für Auftragsforschung, durch Zusammenarbeit mit anderen Expertengremien oder durch Ausstattung des ERK mit internen Modellierungskapazitäten – könnte eine Möglichkeit sein, diesen Herausforderungen gerecht zu werden

Klimaschutznovelle: Agenda-Setting / Agenda-Seeding

Das in der Klimaschutznovelle verank-erte Initiativrecht würde nicht nur die Ex-ante-Accountability-Kapazität des ERK erhöhen; es würde ihm auch ermöglichen, dem Beispiel anderer Klimaräte, insbesondere dem des UK CCC, zu folgen, indem er eine größere Rolle bei der Verbreitung von Ideen zur Klimapolitik und der Gestaltung der klimapolitischen Agenda spielt. Wir halten daher folgende Reformoption für vielversprechend.

  • Option 7: Stärkung des Agenda-Setting und -Seeding durch aktiveres politisches Unternehmertum („policy entrepreneurship“) seitens des ERK. Der ERK könnte als „politischer Unternehmer“ agieren, indem er sich beispielsweise aktiver in Konsultationen mit Interessengruppen einbringt. Ein solch aktiveres politisches Unternehmertum birgt jedoch die Gefahr, dass der ERK als aktivistisch wahrgenommen wird, was seine Glaubwürdigkeit unterminieren könnte. Allerdings ist das Vermeiden von aktiverem „policy entrepreneurship“ ebenfalls mit Kosten verbunden: Es könnte den ERK daran hindern, das durch das Initiativrecht geschaffene Potential für verstärktes Agenda-Seeding- und Agenda-Setting auszuschöpfen. Der Ausbau der Analysekapazitäten des ERK könnte dazu beitragen, den Zielkonflikt zwischen Glaubwürdigkeit und dem wachsenden Bedarf an „policy entrepreneurship“ zu reduzieren; es würde dadurch sichergestellt, dass sich die Empfehlungen des ERK auf wissenschaftlich rigorose Analysen stützen.

Fazit

Diese Studie hat einerseits zum Ziel, einen Beitrag zur der noch im Entstehen begriffenen wissenschaftlichen Literatur zu Klimainstitutionen zu leisten und andererseits die politische Debatte über die deutschen Klimainstitutionen zu verbessern. Indem wir eine Definition von Klimainstitutionen und ein theoretisches Rahmenwerk für die komparative Analyse ihrer Effekte entwickeln, nehmen wir uns zwei Desideraten der fachwissenschaftlichen Literatur an – nämlich, dass bis dato ein konzeptionelles Instrumentarium fehlte, um (i) Klimainstitutionen in verschiedenen Ländern zu identifizieren und (ii) ihre Effekte auf den klimapolitischen Prozess zu vergleichen. Die Ergebnisse unserer vergleichenden Analyse verbessern unser Verständnis der Klimapolitik in den vier Ländern, während unsere Analyse des deutschen Falles speziell zur aktuellen Debatte über die wahrscheinlichen Auswirkungen der Klimaschutznovelle beiträgt. Durch die Anwendung unseres theoretischen Rahmenwerkes auf die deutschen Klimainstitutionen zeigen wir außerdem, dass dieses Rahmenwerk dazu genutzt werden kann, gangbare Reformoptionen zu formulieren, indem zunächst die Defizite – die nicht adäquat adressierten strategischen Herausforderungen – identifiziert und dann eigene Vorschläge auf Basis der Erfahrungen anderer, aber vergleichbarer Länder entwickelt werden. Unser Rahmenwerk bietet daher auch eine klare Struktur für weiteres „Lernen“ von anderen Ländern.


Jacob Edenhofer ist Master-Student an der University of Oxford und hat als Mitglied des Ariadne-Projektteams an der Hertie School zu diesem Bericht beigetragen.

Der vorliegende Ariadne-Report wurde von den oben genannten Autorinnen und Autoren des Ariadne-Konsortiums auf Grundlage der Wortbeiträge der Teilnehmenden der Fokusgruppen ausgearbeitet. Er spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des gesamten Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider. Die Inhalte der Ariadne-Publikationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erstellt.

Literaturangaben

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Duwe, M., & Evans, N. (2020). Climate Laws in Europe [Report]. Ecologic Institute, Institute for Sustainable Development and International Relations. https://www.ecologic.eu/17233

Evans, N., & Duwe, M. (2021). Climate Governance Systems in Europe: The role of national advisory bodies [Report]. Ecologic Institute, Institute for Sustainable Development and International Relations. https://www.ecologic.eu/18093

Gilardi, F. (2002). Policy credibility and delegation to independent regulatory agencies: A comparative empirical analysis. Journal of European Public Policy, 9(6), 873–893. https://doi.org/10.1080/1350176022000046409

Guy, J., Shears, E., & Meckling, J. (2023). National models of climate governance among major emitters. Nature Climate Change, 13, 189–195. https://doi.org/10.1038/s41558-022-01589-x

Koalitionsausschuss. (2023). Modernisierungspaket für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung. https://www.wiwo.de/downloads/29065906/3/ergebnis-koalitionsausschuss-28-marz-2023_230328_200642.pdf

MacNeil, R. (2021). Swimming against the current: Australian climate institutions and the politics of polarisation. Environmental Politics, 30(sup1), 162–183. https://doi.org/10.1080/09644016.2021.1905394

PM&C. (2023, June 14). Appointment of Net Zero Economy Agency and Advisory Board | Prime Minister of Australia. https://www.pm.gov.au/media/appointment-net-zero-economy-agency-and-advisory-board

Weaver, S., Lötjönen, S., & Ollikainen, M. (2019). Overview of national climate change advisory councils. The Finnish Climate Change Panel Report. https://helda.helsinki.fi/bitstream/handle/10138/317713/Overview_of_national_CCCs.pdf?sequence=1

Autorinnen & Autoren

Claudia Zwar

Hertie School

Jacob Edenhofer

Hertie School

Viktorija Ruzelyte

Hertie School

Dr. Duncan Edmondson

Hertie School