Eike Zimmermann

Ariadne kompakt: Bürgerbeteiligung in der politikberatenden Forschung

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Wissenschaftliche Politikberatung, die in einem innovativen Beteiligungsprozess auch die Perspektiven der Bürgerinnen und Bürger in die Forschung einbezieht, schafft Orientierungswissen für gesellschaftlich tragfähige Zielpfade hin zu Klimaneutralität.

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2045 Klimaneutralität in Deutschland zu erreichen. Dafür sind Politikoptionen erforderlich, die Treibhausgasemissionen nachhaltig reduzieren und gesellschaftlich mitgetragen werden. Wissenschaftliche Forschung hilft neue Politikoptionen zu entwickeln und Auswirkungen von Maßnahmen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt besser zu verstehen. Über den Bürgerdeliberationsprozess im Kopernikus-Projekt Ariadne werden zusätzlich Perspektiven der Menschen in den Forschungsprozess integriert. Für die wissenschaftliche Politikberatung ergibt sich hieraus ein Raum, in dem wissenschaftliche Evidenz und gesellschaftliche Werte gemeinsam abgewogen und mehrheitsfähige Handlungsoptionen entwickelt werden können. Dazu gestaltet Ariadne einen gesamtgesellschaftlichen Lernprozess, in dem von Anfang an zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger aus ganz Deutschlandbeteiligt sind, um ihre Ansichten, Werte und ihr Erfahrungswissen in den Forschungsprozess zu Fragen der Verkehrswende, der Wärmewende und der Finanzierung von Klimamaßnahmen einzubringen.

Deliberation

Deliberation bedeutet „Beratschlagung“, „Überlegung“. Menschen tauschen ihre unterschiedlichen Sichtweisen und Argumente aus und lernen voneinander. Es geht nicht um Mehrheitsabstimmung, sondern um einen Verständigungsprozess.1 Kowarsch, Martin; Garard, Jennifer; Riousset, Pauline; Lenzi, Dominic; Dorsch, Marcel J.; Knopf, Brigitte; Harrs, Jan-Albrecht; Edenhofer, Ottmar (2016): Scientific assessments to facilitate deliberative policy learning. Palgrave Communications 2:16092 (Special Issue on Scientific advice to governments, guest edited by Sir P. Gluckman and J. Wilsdon). Open access: https://www.nature.com/articles/palcomms201692.

Warum die Zivilgesellschaft einbezogen wird

Die Energiewende braucht eine starke wissenschaftliche Basis. Wissenschaft allein kann aber weder Ziele noch Mittel festsetzen, wie die Transformation gelingen kann. Zivilgesellschaftliche Werturteile, Unsicherheiten und politische Ermessensspielräume prägen die Auswahl geeigneter Handlungsoptionen maßgeblich. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Dialogs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, um unterschiedliche Perspektiven, Werte und Wissensbestände einzubinden. Ziel ist dabei nicht zwangsläufig ein Konsens, sondern die konstruktive Auseinandersetzung mit Konflikten und die Beratung über Vor- und Nachteile verschiedener Alternativen. Im Austausch über Forschungsergebnisse und gesellschaftliche Wertvorstellungen wird ein Perspektivwechsel angestoßen und gegenseitiges Verständnis gefördert. So erhalten sowohl die am Prozess Beteiligten als auch die Adressaten wissenschaftlicher Politikberatung eine umfassendere Einschätzung gesellschaftlicher Auswirkungen und tragfähiger Entwicklungspfade. Bürgerdeliberation unterstreicht damit den gesamtgesellschaftlichen Auftrag und Gestaltungsspielraum der Energiewende.

Wie werden die Perspektiven in den Lernprozess integriert

Der erste Bürgerdeliberationsprozess startete zu Projektbeginn in 2020 mit den Themen Strom- und Verkehrswende. Ein Bürgergipfel mit Paneldiskussionen und einer Ausstellung stellte die Ergebnisse aus der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Gesellschaft der breiteren Öffentlichkeit vor und wurde im März 2023 erfolgreich abgeschlossen.

Den Auftakt des zweiten Bürgerbeteiligungsprozesses im Kopernikus-Projekt Ariadne bildete im Juni 2024 eine Bürgerkonferenz in Fulda. Jeweils 50 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger aus ganz Deutschland sprachen in den Themenforen Verkehrswende, Wärmewende und Finanzierung von Klimapolitik über ihre Einstellungen zu einzelnen Politikmaßnahmen.

  • Im Themenforum „Verkehrswende“ diskutierten die Bürgerinnen und Bürger zur Förderung von Elektromobilität und zum Deutschlandticket.
  • Im Themenforum „Wärmewende“ standen das Gebäudeenergiegesetz, energetische Sanierung und der CO2-Preis im Fokus.
  • Ob Klimamaßnahmen langfristig aus Steuerreformen oder neuen Schulden finanziert werden und welche Rolle die CO2-Bepreisung spielt, waren Fragen des dritten Themenforums „Finanzierung von Klimapolitik und Verteilungsgerechtigkeit“.

Die Ergebnisse der Bürgerkonferenz fließen in die weitere Forschung, in Publikationen und Dialogveranstaltungen mit Stakeholdern aus Politik und Verwaltung, Wirtschaft sowie organisierter Zivilgesellschaft ein. Ebenfalls bilden sie die Grundlage zur Weiterentwicklung des Deliberationsprozesses.

Im Frühjahr 2025 fand im Rahmen von Online-Deliberationen eine Vertiefung der Diskussionen mit jeweils 40 Bürgerinnen und Bürgern statt. Die Mehrheit von ihnen war bereits auf der Bürgerkonferenz anwesend. In den jeweiligen Themenbereichen wurden auf Basis wissenschaftlich erarbeiteter Einzelmaßnahmen von den Bürgerinnen und Bürgern Politikmixe erstellt, die aus ihrer Sicht gesellschaftlich tragfähig sind und zur Erreichung der Klimaziele beitragen.

Im letzten Schritt werden im Frühjahr 2026 in weiteren Online-Workshops die finalen Ergebnisse diskutiert und für den Bürgergipfel im Juni 2026 aufbereitet. Der Bürgergipfel öffnet den Diskussionsraum mit Entscheidungstragenden aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und soll gemeinsame Reflexionen voranbringen.

Auf den punkt gebracht

Im Projekt Ariadne werden Bürgerinnen und Bürger von Anfang an und über den gesamten Projektverlauf beteiligt. Dabei gibt es einen fortlaufenden Wechsel zwischen Bürgerveranstaltungen, wie den Online-Diskussionen und den Bürgerkonferenzen, und Forschungsphasen. Im Vordergrund steht die gemeinsame Verständigung zu den Herausforderungen und Lösungsansätzen der Energiewende. Das daraus entwickelte Orientierungswissen für politische Entscheidungstragende verbindet Fachwissen zur Wirkung von Instrumenten mit den Wertvorstellungen und Perspektiven der Menschen.


Dieses Papier zitieren:
Katja Treichel, Martin Kowarsch, Mareike Blum (2025): Bürgerbeteiligung in der politikberatenden Forschung. Kopernikus-Projekt Ariadne, Potsdam.

Kontakt zu den AutorInnen: Katja Treichel-Grass, Katja.Treichel-Grass@pik-potsdam.de

Autorinnen & Autoren

Katja Treichel-Grass

Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Dr. Martin Kowarsch

Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change

Dr. Mareike Blum

Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change