Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Wie sehr belasten Kosten für Heizen und Warmwasser Privathaushalte tatsächlich?
- 2. Ausgleich für alle? Um wie viel die Gas-Soforthilfe über das Ziel hinausschießen könnte
- 3. Energiesparprämien: Halten sie, was man sich davon verspricht?
- 4. Rechtssichere Einordnung von Gebäuden in Energieeffizienz-klassen? Mit Energiebedarfsausweisen möglich!
- 5. Fazit
Einleitung
Der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 und seine Folgen für die Energiepreise sowie die Versorgungssicherheit in Deutschland haben verdeutlicht, wie wichtig eine strategische Koordination von Klima- und Energiepolitik ist. Es gilt seither die Maxime, dass der Übergang zu einer nachhaltigen Energieversorgung und die Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen schneller als bisher erfolgen muss. Deutlich wurde zudem, wie eng die Klima- mit der Sozialpolitik verbunden ist: Höhere Energiekosten forcieren zwar einerseits den Umstieg von fossilen auf Erneuerbare Energien, führen aber andererseits zu stärkeren Belastungen der Privathaushalte.
Wegen der infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine stark gestiegenen Energiepreise, insbesondere von Erdgas, hat die Bundesregierung drei Entlastungspakete auf den Weg gebracht, welche die Haushalte und Unternehmen in Milliardenhöhe finanziell entlasten sollen. Bei der Ausgestaltung der Entlastungspakete wurde einmal mehr deutlich, wie dürftig die Informationslage über die Energiekosten und energetischen Sanierungsbedarfe im Gebäudesektor ist – und wie sehr die Ausgestaltung politischer Maßnahmen „im Blindflug“ erfolgt und somit nicht unbedingt sozial gerecht ist. Nur wenig belastbares Datenmaterial steht zur Verfügung, um abschätzen zu können, welche finanziellen Kosten für den Staatshaushalt mit den Entlastungspaketen verbunden sind und welche Entlastungswirkungen diese bei den privaten Haushalten unterschiedlicher Einkommensgruppen entfalten.
Ein wesentlicher Schritt zur Schließung dieser Informationslücke stellt das im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kopernikus-Projekts Ariadne neu etablierte Wärme- & Wohnen-Panel1 Pressemitteilung zu den ersten Ergebnissen der Erhebungsreihe: https://ariadneprojekt.de/pressemitteilung/so-heizt-deutschland/ dar. Mit Hilfe dieser Daten kann eine Vielzahl von Fragestellungen rund um die Wärmewende untersucht werden. Seit dem Jahr 2021 werden in jährlichen Befragungen von rund 15.000 privaten Haushalten neben den sozio-ökonomischen Haushaltscharakteristika umfassende Angaben zu Gebäude- und Heizeigenschaften, energetischen Sanierungen, Energieverbrauchswerten und Energiekosten erhoben. Damit verknüpft das Panel in bislang einzigartiger Weise Gebäudecharakteristika mit den sozioökonomischen Charakteristika der Bewohnerinnen und Bewohner und ist dadurch die aktuellste und wohl auch passgenaueste Informationsquelle für politische Entscheidende zur Entwicklung kurz- und langfristiger, sozialverträglicher Klimaschutzmaßnahmen im Gebäudesektor.
Die vorliegende Ariadne-Analyse besteht aus einer Sammlung von vier vorab von den Medien aufgegriffenen Kurzanalysen zur Ausgestaltung und Wirkungsweise der drei Entlastungspakete. Konkret wurden die folgenden vier Fragestellungen mit Hilfe der aus dem Wärme- & Wohnen-Panel vorliegenden Daten aus den Jahren 2021 und 2022 beantwortet:
- Wie sehr belasten Kosten für Heizen und Warmwasser Privathaushalte tatsächlich?
- Ausgleich für alle? Um wie viel die Gas-Soforthilfe über das Ziel hinausschießen könnte
- Energiesparprämien: Halten sie, was man sich davon verspricht?
- Rechtssichere Einordnung von Gebäuden in Energieeffizienzklassen? Mit Energiebedarfsausweisen möglich!
Vorabfassungen aller vier Kurzanalysen wurden im Rahmen der Ariadne-Dialogformate zur Wärmewende diskutiert und medial aufgegriffen.2https://rp-online.de/wirtschaft/unternehmen/aktuelle-rwi-studie-gaspreisbremse-hilft-vor-allem-gutverdienern_aid-83493725 3https://www.spiegel.de/wirtschaft/soforthilfe-geht-meist-an-nichtbeduerftige-a-4cb62496-52d7-49bf-a02d-4efa9aecf5ff 4https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/energiepraemie-hilft-zum-gaseinsparen-kaum-finden-forscher-heraus-18745837.html 5https://www.bild.de/bild-plus/politik/inland/politik-inland/experte-warnt-eu-zwangssanierung-koennte-noch-mehr-haeuser-treffen-84111198.bild.html Daher beziehen sich die in einigen der Kurzanalysen genutzten Preisdaten auf die vorhandenen Daten zum Zeitpunkt der Vorabveröffentlichung. Insgesamt veranschaulicht die vorliegende Analyse den Beitrag, den die Daten des Wärme- & Wohnen-Panels zur aktuellen politischen Diskussion und zur Ausgestaltung einer kosteneffizienten, effektiven und sozial gerechten Klimaschutz- und Energiepolitik, insbesondere im Wärmesektor, leisten können.
1. Wie sehr belasten Kosten für Heizen und Warmwasser Privathaushalte tatsächlich?
1.1 Zusammenfassung
In dieser Analyse wird die stark zunehmende Belastung der privaten Haushalte infolge massiv gestiegener Kosten für Heizung und Warmwasser mithilfe der im Herbst 2022 erhobenen Daten des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels für unterschiedliche Einkommensgruppen quantifiziert. Dazu werden die Ausgaben für Heizung und Warmwasser zum Nettoeinkommen der Haushalte ins Verhältnis gesetzt, zum einen für die zurückliegende Heizperiode 2021/2022, zum anderen für die Heizperiode 2022/2023. Anhand dieser Kosten-Einkommens-Relationen werden die Wirkungen der Gas-Soforthilfe und der Gaspreisbremse diskutiert.
Erwartungsgemäß unterscheiden sich die Heizkosten deutlich je nach Einkommen. So lag die relative jährliche Heizkostenbelastung einkommensschwacher Haushalte in der vorigen Heizperiode 2021/2022 bei etwa einem Monatseinkommen, die relative Belastung wohlhabender Haushalte betrug indessen nur einen Bruchteil davon. Diese Unterschiede werden mit den für die Heizperiode 2022/2023 massiv gestiegenen Energiepreisen voraussichtlich noch deutlich zunehmen. So könnten in einkommensschwachen Haushalten mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen bis 1.200 Euro die jährlichen Heizkosten künftig mit rund 2.800 Euro deutlich mehr als zwei Monatsnettoeinkommen entsprechen. Unsere Abschätzungen verdeutlichen somit die Notwendigkeit staatlicher Unterstützungsmaßnahmen. Das gilt jedoch nicht allein für einkommensschwache Haushalte, sondern zum Teil auch für Haushalte mit mittleren Einkommen von monatlich bis 2.700 Euro netto. Es muss in Betracht gezogen werden, dass auf diese ebenfalls überproportionale Energiekosten zukommen werden, die kurzfristig die finanzielle Tragfähigkeit übersteigen könnten.
1.2 Problemstellung
In den vergangenen Jahren wurden die im Klimaschutzgesetz festgelegten Vorgaben zur Emissionsreduktion im Gebäudesektor wiederholt verfehlt, weil zu wenig an fossilen Brennstoffen eingespart wurde. Dies rächt sich in der aktuellen Energiekrise. Was die gestoppten Importe von russischem Gas mittelfristig für die Klimaziele im Gebäudesektor bedeuten, ist noch unklar. Kurzfristig sorgen die massiv gestiegenen Energiepreise in jedem Fall für hohe finanzielle Belastungen, die private Haushalte unterschiedlich stark treffen. Offen ist jedoch derzeit noch, welche Haushalte von den Preissteigerungen besonders betroffen sind und noch betroffen sein werden.
Antworten hierzu liefern die für die zweite Erhebungswelle des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels erhobenen Daten vom Herbst 2022. Auf Basis der Daten dieser Erhebung adressieren wir die folgenden vier Punkte: Basierend auf der letzten Heizkostenabrechnung für den Winter 2021/2022 ermitteln wir erstens, wie stark sich die Heizkostenbelastung nach Einkommensgruppen unterscheidet. Zweitens berechnen wir, welche Kostensteigerungen auf jene Haushalte zukommen, die bereits eine Preiserhöhung für die kommende Heizperiode 2022/2023 mitgeteilt bekommen haben. Drittens präsentieren wir eine Abschätzung der Heizkostenbelastung für jene Haushalte, die zum Zeitpunkt der jüngsten Erhebung noch keine geänderten Abschlagszahlungen hatten und somit noch nicht wussten, mit welchen höheren Kosten sie für die Heizperiode 2022/2023 rechnen müssen. Viertens untersuchen wir, welche dämpfenden Effekte die durch die Bundesregierung im Zuge des Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetz (EWSG) auf Empfehlung der Gaskommission beschlossenen Entlastungsmaßnahmen auf die Kostenbelastung der Haushalte haben.6https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/entlastung-fuer-deutschland/soforthilfe-dezember-2139268 und https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/entlastung-fuer-deutschland/strompreisbremse-2125002 Dabei betrachten wir sowohl die Gas-Soforthilfe, das heißt die Übernahme der Dezemberabschlagszahlung für Gas- und Fernwärmeverbraucher, als auch die Gaspreisbremse, bei der ab dem 1. März 2023 rückwirkend zum 1. Januar 2023 der Gaspreis für 80 % des Vorjahresverbrauchs der Haushalte auf 12 ct/kWh gedeckelt und nur der darüber hinausgehende Verbrauch zum gewöhnlichen Marktpreis veranschlagt wird.
Kürzlich erschienene Studien liefern zwar bereits wichtige Erkenntnisse zur Abschätzung der Verteilungswirkungen der Gas-Soforthilfe (vgl. Kellner et al. 2022; Schumacher et al. 2022a) sowie zur allgemeinen Heizkostenbelastung unterschiedlicher Haushaltsgruppen (Henger und Stockhausen 2022). Allerdings beruhen diese Studien auf älteren Daten, die keine Informationen über die aktuellen Heizkosten der Haushalte beinhalten.
1.3 Wärmekostenbelastung im Winter 2021/2022
Zur Berechnung der durchschnittlichen Heizkosten für die zurückliegende Heizperiode 2021/2022 betrachten wir nur die Heizkostenangaben jener Haushalte im Panel, die mit Gas heizen und die in der zweiten Jahreshälfte 2022 bis zum Zeitpunkt der Befragung noch keine Informationen über geänderte Abschlagszahlungen aufgrund erhöhter Gaspreise mitgeteilt bekommen haben. Daher dürften sich die von diesen Haushalten genannten Abschlagszahlungen auf die zurückliegende Heizperiode 2021/2022 beziehen.7Mehr als die Hälfte dieser Haushalte hat die letzte Heizkostenabrechnung vor Februar 2022 erhalten, sodass der Großteil der Heizkostenabrechnungen sich auf die Gaspreise von 2021 bezieht. Im Ergebnis zeigt sich für die vergangene Heizperiode, dass Haushalte mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen unter 1.200 Euro mit durchschnittlich rund 1.300 Euro Energiekosten im Jahr zwar absolut betrachtet am wenigsten für Heizung und Warmwasser zahlen (blaue Balken in Abbildung 1).
In Relation zu ihrem Einkommen befinden sich in dieser Bevölkerungsgruppe allerdings die am stärksten belasteten Haushalte: Das Verhältnis der Heizkosten der vergangen Heizperiode 2021/2022 zum Nettoeinkommen macht bei diesen Haushalten im Mittel rund 13 % aus (rote Punkte in Abbildung 1). Viele Haushalte der unteren Einkommensgruppen sind jedoch Bezieher von Transferleistungen in Form der Grundsicherung (Arbeitslosengeld 2, Sozialhilfe etc.) oder Wohngeld und werden dadurch entlastet.
1.4 Die künftige Wärmekostenbelastung privater Haushalte
Welche Kostensteigerungen auf die Haushalte mit der nächsten Heizkostenabrechnung für die Heizperiode 2022/2023 zukommen, lässt sich ebenfalls mit Hilfe der Daten des Wärme- & Wohnen-Panels abschätzen. Dazu betrachten wir zuerst jene Haushalte, die angegeben haben, in der zweiten Jahreshälfte 2022 bis zum Zeitpunkt der Befragung über Preiserhöhungen informiert worden zu sein, entweder direkt über ihren Gasversorger oder über ihren Vermieter bzw. die Hausverwaltung.
1.4.1 Belastungen für Haushalte mit Kenntnis der Preiserhöhungen
Basierend auf den erhöhten monatlichen Abschlagszahlungen können die jährlichen Heizkosten dieser Haushalte für die Heizperiode 2022/2023 abgeschätzt werden. Dabei unterstellen wir zur Vereinfachung, dass sich der Verbrauch der Haushalte trotz erhöhter Abschlagszahlungen im Vergleich zum Vorjahr nicht verringert. Damit werden die tatsächlichen Kostenbelastungen zwar tendenziell überschätzt, die Überschätzung dürfte sich allerdings in Grenzen halten, da Haushalte von moderaten Verhaltensreaktionen abgesehen kurzfristig kaum Möglichkeit haben, ihren Energieverbrauch substanziell zu senken.
Wie Abbildung 1 illustriert, kommen auf alle Einkommensgruppen erhebliche Kostensteigerungen zu (orangene Balken). Bemerkenswert ist, dass diese Steigerungen in absoluten Werten über alle Einkommensgruppen hinweg ähnlich hoch ausfallen.8Es gibt also keine einkommensbedingten Verzerrungen, zum Beispiel durch die Wahl besonders schlechter Verträge bei eher ärmeren Personen. Siehe https://energyathaas.wordpress.com/2022/11/21/why-are-low-income-customers-paying-higher-prices-in-retail-choice-markets/ für eine Diskussion rund um die Wahl schlechterer Stromverträge durch einkommensschwache Haushalte in den USA. Für Haushalte mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen bis 1.200 Euro bedeuten die Preissteigerungen allerdings erhebliche Mehrbelastungen: Während die durchschnittlichen Energiekosten für diese Haushalte in der vorigen Heizperiode bei 1.300 Euro pro Jahr lagen, werden ihre jährlichen Kosten für die Heizperiode 2022/2023 im Durchschnitt bei knapp 2.400 Euro liegen. Die jährlichen Kosten für die Wärmeerzeugung dieser Haushalte werden folglich künftig etwa zwei Monatsnettoeinkommen entsprechen, während die höheren Preise für die wohlhabendsten Haushalte mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von über 5.200 Euro zu jährlichen Kosten führen, die mit knapp über 3.000 Euro im Jahr noch deutlich unter dem Monatsnettoeinkommen dieser Haushalte liegen. Insgesamt ergibt sich für die relative Kostenbelastung eine große Spanne von rund einem halben bis zu zwei Monatseinkommen.
1.4.2 Belastungen für Haushalte ohne Kenntnis der Preiserhöhungen
Die orangenen Balken in Abbildung 1 zeigen nur die zukünftigen Heizkosten der mit Gas heizenden Haushalte an, die in der zweiten Jahreshälfte 2022 bis zum Zeitpunkt der Befragung bereits über geänderte Abschlagszahlungen informiert wurden. Für jene Haushalte, die seit Sommer 2022 noch keine neuen Verträge und somit keine Informationen über Preiserhöhungen erhalten haben, können wir anhand der in Abbildung 1 dargestellten durchschnittlichen Heizkosten der vergangenen Heizperiode die jährlichen Heizkosten der kommenden Heizkostenabrechnung für die Heizperiode 2022/2023 abschätzen. Unterstellt man, dass für alle mit Erdgas heizenden Haushalte, die zum Zeitpunkt der Befragung noch keine veränderten Gastarife hatten, sich der Gaspreis vom Jahr 2021 von durchschnittlich 7,06 ct/kWh auf durchschnittlich 15,29 ct/kWh im Jahr 2022 erhöht (BDEW 2022) und sich somit in etwa verdoppelt hat, könnten die Heizkosten von einkommensschwachen Haushalten mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von unter 1.200 Euro mit rund 2.800 Euro sogar deutlich mehr als zwei Monatsnettoeinkommen ausmachen (hellblaue Balken in Abbildung 2). Durch die Verdopplung der Gaspreise würden selbst solche Einkommensgruppen stark betroffen, die zuvor nur einen geringen Teil ihres Einkommens für Heizung und Warmwasser ausgeben mussten: Haushalte mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen zwischen 1.200 und 2.700 Euro müssten knapp 16 % ihres Einkommens dafür aufbringen, selbst bei Haushalten mit einem Nettoeinkommen von 2.700 bis 5.200 Euro wären im Mittel noch immer zwischen 8 und 9 % des Einkommens zur Deckung der Wärmekosten aufzuwenden (rote Punkte in Abbildung 2) im Vergleich zu rund 4 % vor der Preisexplosion. Zu beachten gilt dabei, dass durch die ebenfalls stark gestiegenen Strompreise zusätzliche hohe Belastungen hinzukommen, die an dieser Stelle nicht quantifiziert wurden.
Obgleich sich auch die jährlichen Heizkosten für die einkommensstärksten Haushalte durch neue Gastarife verdoppeln könnten, würden diese dann noch immer weniger als einem Monatsnettoeinkommen entsprechen (hellblaue Balken in Abbildung 2). Diese Aussagen wurden im Konjunktiv formuliert, weil nicht jeder der Haushalte den bei diesen Abschätzungen unterstellten hohen Durchschnittspreis von rund 15 Cent je kWh Erdgas bezahlen muss, sondern viele Haushalte noch von längerfristigen Verträgen mit niedrigen Preisgarantien profitieren. Zudem wurde bei den Abschätzungen unterstellt, dass der Erdgasverbrauch trotz der stark gestiegenen Preise nicht sinkt.
1.5 Die Effekte der Gas-Soforthilfe und der Gaspreisbremse
Auf Grundlage der Panel-Daten können wir schließlich auch eine Einschätzung abgeben, inwieweit Haushalte durch die Gas-Soforthilfe, also die Übernahme der Dezember-Abschlagszahlung durch den Staat, sowie durch die Gaspreisbremse entlastet werden. Zur Untersuchung der Gas-Soforthilfe unterstellen wir, dass die mit Gas heizenden Haushalten, die zum Zeitpunkt der Befragung noch keine Änderungen ihres Gasvertrags mitgeteilt bekommen haben, einen durchschnittlichen Gaspreis von 7,06 ct/kWh für die Heizperiode 2021/2022 haben und ermitteln den durchschnittlichen Verbrauch basierend auf den von den Haushalten angegebenen Heizkosten. Diesen Verbrauch multiplizieren wir mit dem mittleren Gaspreisniveau vom November 2022 von 17,79 ct/kWh, um eine Abschätzung für die Höhe der Dezember-Abschlagszahlung zu erhalten. Anschließend ziehen wir diesen Betrag von den jährlichen Heizkosten ab, um die Kostenbelastung nach Gewährung der Gas-Soforthilfe zu erhalten. Wenngleich Haushalte mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von bis zu 1.200 Euro durch die Einmalzahlung im Mittel um mehrere hundert Euro entlastet werden, müssen sie trotz Gas-Soforthilfe noch immer knapp über 10 % ihres Einkommens zur Deckung der Ausgaben für Heizung und Warmwasser aufbringen (grüne Punkte in Abbildung 1). Eine größere Entlastung von der nur einmal gewährten Gas-Soforthilfe konnte aber auch nicht erwartet werden. Weitere Unterstützungsmaßnahmen, wie sie mit der Gaspreisbremse vorgesehen sind, zielen hingegen auf substanziellere Entlastungen der Haushalte ab.
Im nächsten Schritt analysieren wir daher den Effekt der Gaspreisbremse auf die Kostenbelastung der Haushalte anhand der aktuellen Daten des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels. Anstelle des zuvor unterstellten Gaspreises von 15,29 ct/kWh für alle Haushalte, die zum Zeitpunkt der Befragung noch über keine Preisänderungen ihres Gasvertrags bzw. ihrer Heizkostenabrechnung informiert wurden, berechnen wir erneut die zukünftigen jährlichen Heizkosten, indem wir für 80 % des Jahresverbrauchs den gedeckelten Gaspreis von 12 ct/kWh zugrunde legen und nur für die übrigen 20 % des Jahresverbrauchs den Marktpreis von rund 15 ct/kWh annehmen.9Während der unterstellte durchschnittliche Marktpreis für einige Haushalte aufgrund längerfristiger Verträge mit niedrigen Preisgarantien voraussichtlich zu hoch ist, könnte für andere Haushalte, insbesondere Neukunden, der Marktpreis sogar höher ausfallen (Verivox 2022). Durch die Deckelung des Gaspreises auf einen fixen Betrag von 12 ct/kWh für 80 % des Gasverbrauchs im Zuge der Gaspreisbremse erfahren alle Haushalte deutliche Kostenentlastungen, wie in Abbildung 2 anhand der grünen Balken zu erkennen ist. So müssen Haushalte mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von bis zu 1.200 Euro statt voraussichtlich 2.800 Euro im Jahr im Durchschnitt nur noch 2.200 Euro an Energiekosten zahlen. Damit entsprechen die Energiekosten noch knapp zwei Monatseinkommen. Auch für Haushalte mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von 1.200 bis 2.700 Euro fällt der Anteil, den diese Haushalte von ihrem Einkommen zur Deckelung der Energiekosten aufbringen müssen, von rund 16 % auf rund 12 % (grüne Punkte in Abbildung 2).
1.6 Diskussion
Mithilfe der im Herbst 2022 erhobenen Daten des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels konnte in dieser Kurzanalyse für unterschiedliche Einkommensgruppen das Verhältnis der Ausgaben für Heizung und Warmwasser zu den monatlichen Nettoeinkommen geschätzt werden, sowohl für die Heizperiode 2021/2022 als auch die Heizperiode 2022/2023. Die Ergebnisse zeigen für verschiedene Einkommensgruppen schon bei den vergleichsweise niedrigeren Gaspreisen der Heizperiode 2021/2022 stark unterschiedliche Heizkostenbelastungen. Diese Unterschiede werden mit den für die Heizperiode 2022/2023 massiv gestiegenen Energiepreisen noch deutlich zunehmen. So könnten die jährlichen Kosten für die Wärmeerzeugung einkommensschwacher Haushalte mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen bis 1.200 Euro künftig mit rund 2.800 Euro deutlich über zwei Monatsnettoeinkommen entsprechen.
Unsere Abschätzungen zeigen, dass alle Einkommensgruppen durch die Gaspreisbremse maßgeblich entlastet werden und verdeutlichen die Notwendigkeit staatlicher Unterstützungsmaßnahmen, bei der nicht allein einkommensschwache Haushalte, sondern zum Teil auch Haushalte mit mittleren Einkommen in Betracht gezogen werden müssen. Auch auf diese Haushalte werden absehbar überproportionale Energiekosten zukommen, die kurzfristig ihre finanzielle Tragfähigkeit übersteigen könnten. Ob dies passiert, hängt schlussendlich von der individuellen Belastung der Haushalte ab, die innerhalb einer Einkommensgruppe jeweils höher oder niedriger als die von uns dargestellte durchschnittliche Belastung ausfallen kann (horizontale Verteilungswirkung). Auch wenn die gestiegenen Preise ein wichtiges Signal zum Energiesparen und Investieren in Energieeffizienz sind, muss bedacht werden, dass Haushalte bis in die mittleren Einkommensschichten hinein aufgrund verschiedener Faktoren, etwa der mangelnden Energieeffizienz des von ihnen bewohnten Gebäudes und fehlender Sanierungsmöglichkeit insbesondere in Mietverhältnissen, in Zukunft einen erheblichen Teil ihres Einkommens für Heizung und Warmwasser aufbringen müssen.
Vor diesem Hintergrund erweist sich die gezielte Entlastung von bedürftigen Haushalten als große Herausforderung, die ohne umfassende Informationen kaum bewältigt werden kann. So gilt es bei der Ausgestaltung von Entlastungsmaßnahmen zu beachten, dass viele Haushalte der unteren Einkommensgruppen Transferleistungen beziehen. Hier sind durch die Einführung des Bürgergeldes und die deutliche Stärkung des Wohngeldes für Anfang nächstes Jahr spürbare Entlastungen zu erwarten. Im Fokus bleiben daher vor allem diejenigen Haushalte, die an der Schwelle zur Anspruchsberechtigung für solche Transfers stehen.
Die hier dargestellten Ergebnisse sind dahingehend zu relativieren, als dass die Heizkosten innerhalb einer Einkommensgruppe deutlich unterschiedlich ausfallen können, sodass einige Haushalte stärker betroffen sind als durch die von uns dargestellte durchschnittliche Belastung, und andere Haushalte weniger stark (horizontale Verteilungswirkung). Auch ist das Einsparungspotenzial durch vertretbare Verhaltens- bzw. Nutzungspassungen vermutlich ebenfalls höchst unterschiedlich.
2. Ausgleich für alle? Um wie viel die Gas-Soforthilfe über das Ziel hinausschießen könnte
2.1 Zusammenfassung
Im Rahmen der beschlossenen Gas-Soforthilfe wird allen Haushalten, die Gas oder Fernwärme nutzen, die Abschlagszahlung im Dezember erlassen. Soziale Ausgewogenheit war bei der Ausgestaltung zwar ein wesentlicher Aspekt, konnte jedoch aus administrativen Gründen und wegen fehlender Daten nur sehr eingeschränkt umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich deshalb die Frage, wie zielführend die Gas-Soforthilfe wirklich ist – also welcher Anteil am Gesamtfinanzvolumen letztendlich an Haushalte geht, die tatsächlich darauf angewiesen sind. Auf Basis des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels nehmen wir eine erste empirische Abschätzung vor. Unsere Analyse zeigt, dass der Anteil zielgerichteter Soforthilfe im Fall einer am Einkommen orientierten Bemessung lediglich bei 34 % liegt, also rund einem Drittel. Diese Größenordnung unterstreicht den großen politischen Handlungsbedarf bei der Verbesserung zielgenauer Kompensation und den Wert regelmäßiger empirischer Erhebungen, wie durch das Ariadne-Panel.
2.2 Wie zielführend ist der Ausgleich für alle durch die Gas-Soforthilfe?
Bundestag und Bundesrat haben am 10. bzw. 14. November 2022 das Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetz (EWSG) beschlossen, das wesentlich auf den Empfehlungen der Gaskommission10https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/abschlussbericht.html(GK) beruht. Von der Soforthilfe profitieren Haushalte, die Gas oder Fernwärme nutzen, sowie kleine und mittelständische Unternehmen, die über Standardlastprofile abgerechnet werden und weniger als 1,5 Millionen Kilowattstunden Gas im Jahr verbrauchen. Ihnen wird die Abschlagszahlung im Dezember 2022 erlassen.11https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/soforthilfe-dezember-2139268
Soziale Ausgewogenheit war bei der Debatte um die Ausgestaltung ein zentraler Aspekt, der in der Umsetzung jedoch nur begrenzt berücksichtigt werden konnte. Gemäß Beschluss und Empfehlung des Wirtschaftsausschusses12https://dserver.bundestag.de/btd/20/043/2004373.pdf soll sie erreicht werden, indem Steuerpflichtige, die die Ergänzungsabgabe auf die Einkommensteuer (Solidaritätszuschlag) entrichten, die Entlastung im Veranlagungszeitraum 2023 versteuern (siehe Abschnitt II., S. 17 des Beschlusses). Die Höhe der Kompensation selbst allerdings ist nicht sozial ausgewogen, sondern für alle gleich. Das lag im Wesentlichen an administrativen Hürden. Diese umfassen auch die fehlende Verfügbarkeit von geeigneten Verbrauchsdaten, die laut Gaskommission für eine entsprechende Ausgestaltung erforderlich wären (GK, S. 19).
Dessen ungeachtet bleibt die Frage, welcher Anteil der Gas-Soforthilfe im Hinblick auf soziale Ausgewogenheit nicht zielführend ist – in dem Sinn, dass auch Haushalte entlastet werden, die finanziell nicht darauf angewiesen sind. Im Folgenden geben wir eine erste empirische Antwort darauf. Dafür verwenden wir die Ergebnisse der ersten Erhebungswelle des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels im Jahr 2021, da die Daten der zweiten Welle zum Zeitpunkt der Analyse noch nicht konsolidiert vorlagen.
Wir konzentrieren uns auf die Beantwortung von zwei Teilfragen: 1) Nach welchem Kriterium kann entschieden werden, wer auf Kompensation angewiesen ist? 2) Wie hoch ist – auf dieser Basis – der Anteil der Soforthilfe, der voraussichtlich als Kompensation an Nicht-Bedürftige ausgegeben werden wird, also nicht zielgerichtet ist? Unsere Analyse soll auch aufzeigen, dass eine verbesserte Datenlage für eine gezieltere Entlastung der privaten Haushalte einen maßgeblichen Mehrwert hat. Weitere Studien zu den Verteilungswirkungen der Soforthilfe, jedoch mit anderen inhaltlichen Schwerpunkten und Datenquellen, wurden von Kellner et al. (2022) und Schumacher et al. (2022a) durchgeführt.
2.3 Wer ist auf Entlastung angewiesen?
Wer auf Kompensation angewiesen ist – und wer nicht – ist eine normative Frage, die je nach zugrunde gelegtem Konzept für Verteilungsgerechtigkeit unterschiedlich beantwortet werden muss (vgl. Heyen 2022; Sommer, Mattauch und Pahle 2022). Im Fall der Gaspreisbremse steht im Vordergrund, eine „Preisentwicklung [zu verhindern], die […] Haushalte an den Rand ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit bringt oder diese finanziell überfordern kann.“ (GK, S. 2). Das impliziert, dass sich soziale Ausgewogenheit hier an Bedarfsgerechtigkeit bemessen sollte.13Dies steht im Widerspruch zur Ausgestaltung, die Gleichverteilung („alle bekommen die Nothilfe“) impliziert. Konkret: Der Verbrauch von Gas ist ein Grundbedarf, der nicht zur finanziellen Überforderung führen darf. Dies ist auch der Ansatz, der typischerweise in der Diskussion um Energiearmut zum Tragen kommt, die in Deutschland – anders als im europäischen Ausland – bisher nicht als Problem aufgefasst wurde (Schumacher, Cludius und Noka 2022b). Die Gefahr von Energiearmut wächst jedoch auch hierzulande – insbesondere für Haushalte, die mehr als 10% ihres Nettoeinkommens für Heizen, Warmwasser und Strom ausgeben (Henger und Stockhausen 2022).
Zur Messung von Energiearmut gibt es eine Reihe von Indikatoren, zu denen auch der Anteil der Energieausgaben gehört. Im Jahr 2020 hat die EU-Kommission Empfehlungen zur Energiearmut veröffentlicht14https://energy-poverty.ec.europa.eu/observing-energy-poverty/national-indicators_de, die vier Hauptindikatoren umfasst. Einer dieser Indikatoren klassifiziert einen Haushalt als energiearm, wenn der Anteil der Energieausgaben am Einkommen mehr als das Doppelte des nationalen Medians beträgt. Einer anderen Definition nach gilt ein Haushalt als energiearm, wenn er mehr als 10 % seines Nettoeinkommens für Heizen, Warmwasser und Strom ausgibt und zudem armutsgefährdet ist (Henger 2022).
Für die Analyse werden wir beide Aspekte, den Anteil der Energiekosten am Einkommen sowie das absolute Einkommen, miteinander kombinieren. So lässt sich insbesondere erfassen, dass Haushalte, die zwar etwas mehr verdienen (niedrige mittlere Einkommen), aber (sehr) hohe Energiekosten haben, gegebenenfalls bedürftiger sind als Haushalte mit niedrigen Einkommen und (sehr) niedrigen Energiekosten.15Zu berücksichtigen sind eventuelle „Gerechtigkeitslücken“, wenn zum Beispiel Haushalte mit niedrigem Einkommen ggf. (irrational) wenig für Energie ausgeben, weil sie glauben, dass sie es sich nicht leisten können. Diese sogenannten horizontalen Verteilungseffekte können erheblich sein, wie man zum Beispiel aus Frankreich weiß (Douenne 2020).
2.4 Welcher Anteil der Soforthilfe geht an Nicht-Bedürftige?
Wir benutzen die Daten des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels, um zu illustrieren, wie hoch der Anteil der Haushalte mit unterschiedlichen Anteilen der Energiekosten am Haushaltsnettoeinkommen (HNEK) ist. Dadurch lässt sich direkt der Anteil dieser Haushaltsgruppen an den gesamten Energiekosten aller Haushalte ableiten. Wir differenzieren dabei innerhalb dieser Gruppen jeweils nach Einkommen. Für die Abschätzung haben wir jene 5.242 Haushalte der rund 15.000 Mitglieder des Panels berücksichtigt, die mit Gas heizen und Angaben zu ihren Heizkosten gemacht haben. Außerdem haben wir die Zahl der Haushalte so gewichtet, dass der Anteil der Einkommensschichten mit den entsprechenden Anteilen im Mikrozensus 2020 übereinstimmt; siehe Tabelle 2 in Frondel et al. (2022a). Weiterhin wurde pauschal angenommen, dass sich für alle Haushalte der Gaspreis verdoppelt. Das entspricht grob der voraussichtlich durchschnittlichen Verteuerung im Jahr 2022 bzw. im Dezember 2022.16Die Kosten im Jahr 2021 lagen im Durchschnitt bei 7,1 Cent/kWh und haben sich – je nach Quelle – bis September 2022 auf 15,3 Cent/kWh (BDEW Gaspreisanalyse) bzw. bis Oktober 2022 auf 13,2 Cent/kWh (Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamt) verteuert. Das Ergebnis ist in Abbildung 3 dargestellt.
Der Anteil der nicht-zielführenden Soforthilfe lässt sich wie folgt ablesen: Im ersten Schritt wird normativ festgelegt, bis zu welcher relativen Einkommensbelastung die höheren Gaspreise eine finanzielle Überlastung darstellen. Legt man sich zum Beispiel Henger & Stockhausen (2022) folgend auf 10 % fest, dann müssten alle Haushalte mit höheren Kostenanteilen kompensiert werden. Das entspricht den drei linken Balken in Abbildung 3 (Kategorien 40+, 20-40 und 10-20 %). Die Kompensation dieser Haushalte entspricht vereinfacht etwa 44 % der Gesamtentlastungskosten. Im Gegenzug wären demnach 56 % der Kompensation nicht zielführend. Differenziert man zusätzlich nach verfügbaren Einkommen, so könnte man beispielsweise Haushalte mit eine HNEK von mehr als 2.700 EUR/Monat ausnehmen, was leicht unterhalb der Grenze zwischen Mittelschicht und oberer Mittelschicht liegt17Wir differenzieren der Einfachheit halber nicht nach der Zahl der Haushaltsmitglieder, die für eine akkurate Festlegung auch noch berücksichtigt werden müsste; vgl. Niehues und Stockhausen (2022); vgl. Niehues & Stockhausen (2022). Damit wären nur noch 34 % der Soforthilfe zielgerichtet.
Beispiel Bemessungsgrenze | Anteil der Soforthilfe, die zielgerichtet ist |
---|---|
Anteil Heizkosten am HNEK ³ 10 % | 44 % |
Anteil Heizkosten am HNEK ³ 10 % UND HNEK £ 2.700 EUR/Monat | 34 % |
Anteile stellen allerdings nur einen ersten Überschlag dar, für den verschiedene Einschränkungen zu berücksichtigen sind. (1) Die Stichprobe des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels umfasst gezielt mehr Eigentümer als Mieter. Grund dafür ist, dass Investitionen in Energieeffizienz einen der Forschungsschwerpunkte bilden, die mit Hilfe des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels untersucht werden sollen. Dadurch sind wohlhabendere Haushalte, die in Ein- oder Zweifamilienhäusern auf einer vergleichsweisen großen Wohnfläche wohnen, im Panel überrepräsentiert. Um dies grob zu korrigieren, haben wir die Anteile der Haushalte in verschiedenen Einkommensschichten mit den Anteilen des Mikrozensus 2020 gewichtet. (2) Die erhobenen Heizkosten basieren zum Großteil auf den Angaben der Befragten „nach bestem Wissen“, da nur etwas mehr als ein Drittel die Energierechnung bei der Beantwortung des Fragebogens zur Hilfe genommen hat. (3) Es wird nicht berücksichtigt, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen gegebenenfalls Transferleistungen beziehen, und dass Haushalte mit hohem Einkommen (Zahlende der Solidaritätsabgabe) die Kompensation versteuern müssen. Über Letzteres wird im Detail aber erst im Jahr 2023 entschieden. Laut Bundesfinanzministerium müssen jedoch nur 3,5 % aller Steuerpflichtigen den vollen Solidaritätszuschlag zahlen.18https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/FAQ/2019-08-21-faq-solidaritaetszuschlag.html
2.5. Diskussion
Die Berechnungen zeigen, dass je nach gewähltem Schwellenwert ein mehr oder weniger großer Anteil der Kompensation an mutmaßlich Nicht-Bedürftige geht. Setzt man die Grenze für eine nicht zumutbare – also kompensationsbedürftige – Belastung beispielsweise bei einem 10 %-Anteil der Energiekosten am Haushaltsnettoeinkommen an, so sind rund 44 % des finanziellen Kompensationsvolumens zielführend. Bei zusätzlicher Einschränkung auf Haushalte mit einem Nettoeinkommen unter 2.700 EUR/Monat wären es dagegen nur rund ein Drittel (34 %).
Dass dieser Anteil überhaupt quantifiziert werden kann, unterstreicht, welchen Wert das neue Wärme- & Wohnen-Panel für die evidenzbasierte Neu- und Weiterentwicklung von Maßnahmen im Gebäude- und Energiebereich hat. Zwar besitzt Deutschland mit der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) grundsätzlich eine umfangreiche Datenbasis. Allerdings ist gerade in Krisenzeiten der Erhebungsturnus von fünf Jahren sehr langfristig: Die letzte EVS-Befragung fand im Jahr 2018 statt und liegt damit bereits vier Jahre zurück.
Weiterhin werden in jeder Welle der EVS unterschiedliche Haushalte befragt, während im Ariadne-Panel Jahr für Jahr dieselben Haushalte befragt werden, so dass beispielsweise ein Abgleich der Reaktionen auf die Hilfen im nächsten Jahr möglich ist. Zudem erfasst die EVS zwar deutlich mehr Haushalte (über 50.000), bleibt aber in Bezug auf die Höhe des Energieverbrauchs und der Energiepreise, die Haushalte individuell zu bezahlen haben, genaue Informationen schuldig. Erhoben werden lediglich die Ausgabenanteile für unterschiedliche Gütergruppen und Dienstleistungen. Zudem fragt die EVS auch keine Verhaltensaspekte (z.B. Indikatoren für mögliches irrationales Energieverbrauchsverhalten) und wohnräumlichen Charakteristika ab, die für eine sozial ausgewogene Kompensation – und Energiepolitik insgesamt – entscheidend sind.
Unsere Berechnungen werfen schließlich auch die Frage auf, ob und in welchem Umfang die Kompensation von bedürftigen Haushalten durch die Dezember-Soforthilfe zu gering ausfällt. Das ist einerseits eine normative Frage, die gerade auch im Hinblick auf die steigenden Energiekosten möglichst bald beantwortet werden sollte. Es ist aber zusätzlich eine empirische Frage in der Hinsicht, dass die tatsächlichen finanziellen Belastungen auch von Transferleistungen und eventuellen Vermögenswerten abhängen: Dies ist bisher noch nicht im Ariadne-Panel umfasst, aber für die folgenden Wellen eingeplant. Eine damit verbundene Frage ist, ob Kompensationen in (mitunter unerwarteten) Krisensituationen, wie der hier betrachteten, nach anderen normativen Gesichtspunkten erfolgen sollte als dem Vermeiden von Energiearmut in einer wirtschaftlich bzw. politisch relativ stabilen Situation. Zu diskutieren wäre insbesondere, ob die Kurzfristigkeit der Preisveränderungen eine andere Herausforderung an die Anpassungsfähigkeit darstellt als inkrementelle und eher absehbare Änderung – weshalb es angemessen sein könnte, größere Bevölkerungsgruppen zu entlasten als nur diejenigen, die dann unter Energiearmut leiden würden.
3. Energiesparprämien: Halten sie, was man sich davon verspricht?
3.1 Zusammenfassung
Vor dem Hintergrund einer möglichen Gasmangellage im Winter 2022/2023 wurden von Politik und Ökonomen vielfach Prämien für das Energiesparen vorgeschlagen und von einigen Energieversorgern tatsächlich auch ausgelobt. Die Wirkung einer solchen Prämie, die bei Erreichen eines Einsparziels ausgezahlt wird, untersucht ein anreizkompatibles Experiment im Rahmen des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels. Das Ergebnis: Private Haushalte reagieren offenbar deutlich weniger auf Einsparprämien als häufig angenommen.
Selbst bei einer sehr hohen Prämienhöhe von 1.500 EUR (umgerechnet bis zu 2 Euro pro eingesparter Kilowattstunde) entscheiden sich rund 42 % der am Experiment Teilnehmenden gegen eine Einsparprämie und stattdessen für eine sichere Zahlung von 100 Euro, die unabhängig vom Erreichen eines Einsparziels ausgezahlt wird („Uninteressierte“). Nur bei 11 % der Teilnehmenden ist die Höhe einer Einsparprämie ausschlaggebend für ihre Entscheidung („finanziell Motivierbare“). Mit 47 % wählt jedoch auch knapp die Hälfte aller befragten Haushalte die Einsparprämie – selbst dann, wenn dies gegenüber einer sicheren Zahlung keine finanziellen Vorteile bringen würde („Motivierte“).
Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Prämienprogramme zum Energieeinsparen darauf ausgerichtet sein sollten, bereits „Motivierte“ bei der Erreichung ihrer Ziele zu bestärken. Das kann bereits durch verhältnismäßig geringe Prämien erfolgen sowie durch die Möglichkeit, den Fortschritt selbstgesteckter Ziele durch Verbrauchsinformationen besser nachvollziehen zu können. Dagegen sind hohe Prämien nicht empfehlenswert: lediglich 11 % aller Teilnehmenden lassen sich so zu verstärktem Energiesparen bewegen und wollen mit durchschnittlich 0,92 ct pro kWh zusätzlicher Einsparung auch noch teuer bezahlt werden.
3.2 Problemstellung
Als im Sommer 2022 die Preise für Gas explodierten, stand gleichzeitig ein politischer Vorschlag hoch im Kurs: Energiesparprämien. Die Gaskommission19https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/Gas-Kommission/20221031-kommission-fur-gas-und-warme-legt-abschlussbericht-vor.html, die einberufen wurde, um Maßnahmen zur Entlastung der Verbraucher vorzuschlagen, sowie mehrere prominente Ökonomen hatten sich damals für eine solche Prämie ausgesprochen.20https://www.nina-scheer.de/wp-content/uploads/sites/1229/2022/06/Energiesparbonus_NS_JS.pdf 21https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-gasbonus-als-anreiz-so-koennten-private-haushalte-die-gas-krise-entschaerfen/28443564.html 22https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-warum-energieversorger-ihre-kunden-fuers-sparen-bezahlen-sollten/28651050.html 23https://blog.mcc-berlin.net/post/article/so-kommt-europa-durch-den-winter.html Wenngleich die Politik bislang keine Einsparprämie eingeführt hat, haben verschiedene Versorger, wie zum Beispiel EnBW24https://www.enbw.com/unternehmen/presse/pm_gassparpraemie.html, entsprechende Programme für ihre Kunden mit vergleichsweise geringem finanziellem Rahmen aufgesetzt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Energiesparprämien wirksam sind.
In diesem Beitrag geben wir darauf eine erste Antwort basierend auf den Daten des Wärme- & Wohnen-Panels. Im Rahmen der zweiten Panelerhebung im Oktober 2022 haben wir dafür ein anreizkompatibles Experiment durchgeführt, um sowohl Erkenntnisse über die mögliche Wirkung einer Einsparprämie zu gewinnen als auch die Motivation von Haushalten zu ermitteln, an entsprechenden Programmen teilzunehmen.
Im Fokus der Untersuchung stehen zwei Fragen. Erstens: Welche Einsparziele verfolgen Haushalte? Zweitens: Welchen Einfluss haben unterschiedliche Ausgestaltungen einer Einsparprämie darauf, insbesondere die Prämienhöhe? Unsere Ergebnisse geben Aufschluss darüber, welche Wirkung eine Einsparprämie auf die Absicht hat, Energie einzusparen. Die Ermittlung kausaler Effekte einer Prämie auf das Verbrauchsverhalten ist dagegen nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Dies wäre nur auf Basis detaillierter Verbrauchsdaten möglich, die erst nach Abschluss der Heizperiode vorliegen. Zudem hätte dieses Ziel einen anderen Forschungsansatz erfordert.25Ggf. werden die Versorger, die eine solche Prämie anboten, entsprechende Auswertungen durchführen.
3.3 Wirkung der Einsparprämie
Das Experiment wurde wie folgt konzipiert: Allen befragten Haushalten, die mit Gas heizen, wurden zwei mögliche Optionen zur Auswahl angeboten. Option 1 beinhaltete die sichere Auszahlung von 100 Euro, die nicht an irgendwelche Einsparbemühungen gekoppelt ist. Option 2 beinhaltete eine konditionale Einsparprämie, die man bei Erreichen eines bestimmten Einsparziels erreicht. Das geforderte Einsparziel wurde zufällig vorgegeben und konnte von 700 kWh, über 1.400 kWh und 2.800 kWh bis 4.200 kWh reichen. Damit Haushalte die absolut dargestellten Einsparziele einordnen und einschätzen können, wie schwierig die Zielerreichung für sie ist, wurden alle Haushalte vorab darüber informiert, wie viel ein 4-Personenhaushalt in Deutschland durchschnittlich im Jahr für Gas verbraucht. Die absoluten Einsparziele wurden so gewählt, dass sie rund 5 %, 10 %, 20 % und 30 % des durchschnittlichen Gasverbrauchs für Haushalte (BDEW 2022) entsprechen. Die dafür angebotene Prämie wurde ebenfalls zufällig aus einer Spanne von 100 bis 1.500 Euro vorgegeben.
Im Vergleich zu Option 1, der sicheren Zahlung von 100 Euro, hat die Wahl der Einsparprämie Opportunitätskosten. Die Entscheidung für die Einsparprämie ist damit nur dann rational, wenn ein Haushalt beabsichtigt, das Einsparziel auch zu erreichen. Somit erlaubt der Vergleich einer konditionalen Prämie mit einer sicheren Prämie Aussagen dazu, wie die relative Prämienhöhe ernsthafte Energiesparabsichten beeinflusst. Gar keine Zahlung als alternative Option anzugeben, würde die Aussagekraft der Entscheidungen der Haushalte verringern, weil es sich in diesem Fall immer lohnen würde, die Einsparprämie zu wählen, selbst wenn gar keine Absicht besteht, dieses Ziel auch zu erreichen.
Die Prämienspanne ist so konzipiert, dass bei Wahl der Einsparprämie statt der sicheren 100 Euro der zusätzlich durch die Prämie zu gewinnende Betrag zwischen 0 und 1.400 Euro liegt und so ungefähr den Fördersätzen von Scheer und Südekum (2022) von 20 ct/kWh entspricht (bzw. eine sinnvolle Bandbreite um 20 ct/kWh umfasst). Die impliziten Fördersätze reichten von 2 Euro/kWh (Einsparziel 700 kWh, zusätzlicher Betrag: 1.400 Euro) bis 0 Euro/kWh (zusätzlich durch die Prämie zu gewinnender Betrag im Vergleich zur sicheren Zahlung: 0 Euro). Die Anreizkompatibilität wird dadurch sichergestellt, dass die 100 EUR bzw. die Einsparprämie tatsächlich an einen zufällig ausgewählten Teilnehmenden des Experiments ausgezahlt wird, sobald die Heizperiode endet.
Die Stichprobe für die empirische Untersuchung ergab sich wie folgt: Insgesamt heizen 7.386 Haushalte mit Gas, also rund die Hälfte des Panels. Am Anfang konnten diese Haushalte entscheiden, ob sie überhaupt am Experiment teilnehmen möchten (opt-out). 2.740 Haushalte wollten nicht daran teilnehmen. 206 Haushalte, die daran teilnehmen wollten, konnten sich nicht für eine der beiden Optionen entscheiden (Angabe: „Weiß nicht“). Die übrigen 4.440 Haushalte stellen die Stichprobe für die folgenden Auswertungen dar.
Die wesentlichen Ergebnisse lauten wie folgt:
- Wenn die angebotene Einsparprämie 100 Euro beträgt, wählen je nach Einsparziel ca. 35 bis 50 % der Haushalte diese Option – und nicht die sicheren 100 Euro, die sie auch ohne Energieeinsparung erhalten würden (siehe Abbildung 4). Für diese Haushalte sind finanzielle Erwägungen bei der Wahl ihres Einsparziels offenbar nicht ausschlaggebend. Dieses Ergebnis legt nahe, dass diese Haushalte Prämien bei der Erreichung von Einsparzielen als Mittel sehen, um sich selbst zur Zielerreichung zu motivieren (Prämien als sogenannte commitment devices, siehe z.B. Allcott und Mullainathan 2010, Bryan, Karlan und Nelson 2010).
- Die Anteile der Teilnehmenden, die die Einsparprämie wählen, steigt nur sehr schwach mit der Höhe der Prämie (um ca. 10-20 Prozentpunkte insgesamt). Selbst bei einer sehr hohen Einsparprämie von 1.500 Euro entscheiden sich maximal 70 % dafür. Demnach spielt die Höhe der Prämie – und damit der monetäre Anreiz – eine eher untergeordnete Rolle für die Bereitschaft der Haushalte, ein Einsparziel zu verfolgen.
- Die Höhe der Sparziele hat den erwarteten Effekt: je stringenter das Einsparziel, desto weniger Teilnehmende wählen die Einsparprämie. Dieses Ergebnis spiegelt wider, dass ein stringenteres Einsparziel schwerer zu erreichen ist und möglicherweise nicht erreicht wird. Selbst das ambitionierte Ziel von 4.200 kWh Einsparung wird allerdings noch von rund 40 % der Teilnehmenden gewählt.
- Weiterhin zeigen sich auch Einkommenseffekte. So wird die Einsparprämie häufiger von wohlhabenden Haushalten gewählt: Rund 61 % der Haushalte mit mehr als 5.700 Euro Nettoeinkommen im Monat entscheiden sich für eine Einsparprämie, aber nur etwa 34 % der Haushalte mit weniger als 1.400 Euro Nettoeinkommen – diese entscheiden sich eher für die sichere Zahlung.
3.4 Diskussion
Im Hinblick auf die Wirksamkeit der Einsparprämie lassen sich drei Gruppen unterscheiden: Die erste Gruppe umfasst die Haushalte, die sich unabhängig von der Prämienhöhe immer für die Einsparprämie entscheiden. Diese Gruppe sieht offenbar auch einen nicht-finanziellen Nutzen der Prämie und sieht sie als commitment device – also als einen Mechanismus, um die Umsetzung bereits bestehender Absichten zu festigen. Man kann die Personen in dieser Gruppe daher als „Motivierte“ bezeichnen. Diese Gruppe umfasst je nach Einsparziel und Prämienhöhe ca. 35-50 % der Teilnehmenden; im Mittel über die untersuchten Einsparziele sind es 47 %.
Die zweite Gruppe umfasst die Haushalte, die sich erst dann für die Energieeinsparprämie entscheiden, wenn sie ihnen hoch genug ist. Man kann die Personen in dieser Gruppe daher als „finanziell Motivierbare“ bezeichnen. Wer nur die finanziellen Anreize der Prämie im Blick hat, würde annehmen, dass die meisten Haushalte in diese Gruppe fallen: jeder versucht die Prämie zu erhalten, wenn sie nur ausreichend hoch ist. Tatsächlich umfasst diese Gruppe je nach Einsparziel und Prämienhöhe jedoch nur ca. 5-20 % der Teilnehmenden; im Mittel sind es 11 %. Dass der prozentuale Anteil dieser Gruppe so gering ist, zeigt, dass monetäre Anreize nicht zentral für die Wirksamkeit der in dieser Studie untersuchten Einsparprämien sind.
Die dritte Gruppe umfasst die Haushalte, die sich selbst bei einer sehr hohen Einsparprämie von umgerechnet bis zu 2 Euro pro kWh nicht dafür entscheiden, sondern für eine festgelegte sichere Zahlung. Ein möglicher Grund dafür ist, dass diese Haushalte den finanziellen Nutzen einer Prämie als gering wahrnehmen im Vergleich zu dem Verlust von Annehmlichkeiten bei der Umsetzung von Einsparungen. Man kann die Mitglieder dieser Gruppe daher als an Einsparprämien „Uninteressierte“ bezeichnen. Diese Gruppe umfasst je nach Einsparziel und Prämienhöhe ca. 30-50 % der Teilnehmenden; im Mittel sind es 42 %. Mit Blick auf die Erwartungen an die Wirkungen einer Einsparprämie ist diese Gruppe erstaunlich groß.
Die Größe dieser drei Gruppen legt den Schluss nahe, dass eine Einsparprämie nur beschränkt effektiv ist, Haushalte zu umfangreicheren Einsparungen anzuregen. Wie unsere Studie zeigt, ist die Gruppe der „finanziell Motivierbaren“ sehr klein. Zudem ergeben weitere Analysen, dass die notwendige Prämie für Einsparungen im Mittel bei mindestens 92ct/kWh liegen müsste, damit sie weitere Haushalte zur Akzeptanz ambitionierterer Einsparziele motiviert – was in etwa dem 4,5-fachen des Gaspreises für Haushalte Ende Dezember (BDEW 2023) entspricht.26Bei dieser Prämienhöhe sind Haushalte indifferent zwischen einem stringenteren Ziel und einer höheren Prämie. Sie berechnet sich aus der Reaktion der Haushalte auf ein stringenteres Einsparziel (-6,8 Prozentpunkte/1000 kWh), relativ zu der Reaktion auf eine höhere Prämie (7,4 Prozentpunkte/1000 EUR). Dazu kommt, dass eine relativ große Gruppe („Uninteressierte“) sich selbst dann nicht für die Einsparprämie entscheidet, wenn sie sehr hoch ist. Auch die Einführung eines großzügigen Prämienmodells würde diese Gruppe also nicht erreichen – wohl aber die Zahlungen an alle anderen Teilnehmer erhöhen und dadurch das Programm insgesamt verteuern.
Der großen Zahl an „Uninteressierten“ steht eine etwa ebenso große Zahl von „Motivierten“ gegenüber. Diese nehmen am hier zur Wahl gestellten Prämienprogramm selbst dann teil, wenn es keine finanziellen Vorteile im Vergleich zu einer festgelegten sicheren Zahlung für sie bietet. Bei diesen Teilnehmenden besteht also eine Intention, Energie einzusparen. Das Einsparziel wird dabei als ein Mittel gesehen, das bei der Zielerreichung hilft. Programme, die Haushalten durch das Setzen von Zielen („goal setting“) und die Möglichkeit der Selbstbindung („commitment devices“) unterstützen, werden in der verhaltensökonomischen Literatur und der wirtschaftspolitischen Praxis schon länger vorgeschlagen (siehe u.a. Andor und Fels 2018, Andor und Löschel 2022). Unser Ergebnis legt nahe, dass solche Programme verstärkt genutzt werden sollten, um Haushalte beim Energiesparen zu unterstützen. Sie wären zudem kostengünstig umsetzbar, da sie keine großzügigen Prämien erfordern würden. Die Unterstützung bei der Zielerreichung könnte dabei nicht nur über Möglichkeit der Nutzung von „commitment devices“ geschehen, sondern auch die Bereitstellung aktueller Verbrauchsinformationen, die motivierten Haushalten bei Erreichung ihrer Einsparziele helfen. Solche Informationsangebote haben sich in bisheriger Forschung als effektiv erwiesen, insbesondere, wenn sie tagesaktuell und möglichst disaggregiert erfolgen (Gerster, Andor und Götte et al. 2020).
Zusammengefasst wecken die Studienergebnisse Zweifel an der Kosteneffektivität großzügiger Prämienprogramme. Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht zu begrüßen, dass die Politik derartige Prämienprogramme erst einmal nicht aufgesetzt hat. Dennoch könnte der Vorschlag bei einer entsprechenden Versorgungslage im Winter 2023/2024 durchaus wieder zur Diskussion gestellt werden. Tritt dieser Fall ein, sollte man insbesondere solche Ausgestaltungen in Erwägung ziehen, die den motivierten Haushalten eine Zielsetzung und eine Selbstverpflichtung auf diese Ziele in einer kostengünstigeren Form ermöglichen. Das ist nicht nur mit Blick auf die entstehenden Kosten angebracht, sondern auch aus einer Verteilungsperspektive: Haushalte mit niedrigeren Einkommen planen zwar im Durchschnitt stärkere Einsparungen, entscheiden sich jedoch häufiger nur für die sichere Prämie von 100 EUR.
Zwar erlaubt diese Untersuchung keine Rückschlüsse auf die Höhe aggregierter Einspareffekte, die aus Einsparprämien resultieren. Hierfür müsste man das tatsächliche Verhalten von vergleichbaren Haushalten mit und ohne Prämie vergleichen. Allerdings ist in unserem Studiendesign die zusätzliche Einsparintention der Gruppe der „finanziell Motivierbaren“ als Reaktion auf höhere Prämien kausal interpretierbar. Aufschlüsse über aggregierte Einspareffekte könnten gegebenenfalls auch bereits aus den bestehenden Prämienprogrammen der Energieversorger gewonnen werden. Hier bleibt noch abzuwarten, ob und in welcher Weise diese wissenschaftlich ausgewertet werden können.
4. Rechtssichere Einordnung von Gebäuden in Energieeffizienz-klassen? Mit Energiebedarfsausweisen möglich!
4.1 Zusammenfassung
Das Europäische Parlament hat sich jüngst auf strengere Vorgaben für die neu zu fassende EU-Gebäuderichtlinie geeinigt, nach der es in den europäischen Mitgliedsländern zur Pflicht werden soll, Wohngebäude mit geringer Energieeffizienz energetisch zu modernisieren. Nach Auswertungen des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels könnten von der Sanierungsverpflichtung ab dem Jahr 2030 19,8 % und ab dem Jahr 2033 34,4 % des aktuellen Wohngebäudebestandes in Deutschland betroffen sein. Damit stellt sich alsbald die Frage nach einem Instrument zur rechtssicheren Identifizierung von Gebäuden, die ab 2030 nicht mehr den Mindestenergiestandards entsprechen und der Pflicht zur energetischen Modernisierung unterliegen. Energieausweise könnten hierfür ein taugliches Instrument sein, zumindest dann, wenn sie den theoretischen Energiebedarf des Gebäudes attestieren, der nutzerunabhängig erfolgt. Dies ist derzeit jedoch allein bei den Energiebedarfsausweisen der Fall, nicht aber bei den ebenfalls gültigen Energieverbrauchsausweisen. Der Bedarfsausweis bewertet den Energiebedarf, der sich aus dem Zustand des Gebäudes ergibt. Der Verbrauchsausweisen bewertet den Energieverbrauch, der von der Nutzung der Bewohner abhängt. Hinzu kommt das Problem, dass Energieausweise und speziell die Energiebedarfsausweise nicht flächendeckend für alle Gebäude vorliegen. Durch die Untersuchung des Einflusses der Energieeffizienz auf die Heizkostenbelastung zeigen wir in diesem Kapitel, dass eine flächendeckende Verbreitung von Energiebedarfsausweisen dazu beitragen könnte, Haushalte zielgenauer bei den Heizkosten zu entlasten. Darüber hinaus sollten Energiebedarfsausweise künftig auch rechtssicher die Energieeffizienz der Gebäude entsprechend der Gebäuderichtlinie identifizieren, um neben den Sanierungspflichten auch Kompensationen adressieren zu können.
4.2 Problemstellung
Dieses Kapitel zeigt auf Grundlage der zweiten Erhebung des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels im Herbst 2022, dass zur Verbesserung der Zielgenauigkeit staatlicher Entlastungen von Haushalten nicht allein Informationen zum Haushaltsnettoeinkommen vorliegen sollten, sondern auch bezüglich der Energieeffizienz der von den Haushalten bewohnten Gebäude.27Objekteigenschaften wie der Gebäudetyp, die Energieeffizienz und die Wohnfläche sowie Haushaltseigenschaften wie die Personenanzahl, das Alter und die Eigentumsform (Miete oder Eigentum) beeinflussen die Heizkosten stark (vgl. Schmitz und Madlener, 2016, anhand von SOEP-Daten für die Jahre 1996 bis 2014). Durch die Untersuchung des Einflusses der Energieeffizienz auf die Heizkostenbelastung zeigen wir, dass eine flächendeckende Verbreitung von Energiebedarfsausweisen es ermöglicht, Haushalte zielgenauer zu entlasten, da Bedarfsausweise eine objektive Bewertung der Gebäudeenergieeffizienz gestatten. Darüber hinaus wären Energiebedarfsausweise künftig zudem geeignet, Gebäude mit einer zu schlechten Energieeffizienz zu identifizieren. Dies wird in wenigen Jahren relevant werden, wenn die EU-Gebäuderichtlinie umgesetzt wird, in der die Mitgliedstaaten über Mindestenergiestandards (Minimum Energy Performance Standards, MEPS) den Eigentümern von Gebäuden mit schlechter Energieeffizienz Modernisierungspflichten auferlegen müssen.28BfEE/BMWK, 2022, Mindestvorgaben für die Gesamteffizienz von Bestandsgebäuden, Kurzgutachten, https://www.bfee-online.de/SharedDocs/Downloads/BfEE/DE/Effizienzpolitik/ww_vorgaben_bestandsgebaeude_bericht.pdf;jsessionid=0D00B6AA9C69672E7D7E812275375D69.intranet241?__blob=publicationFile&v=2 Zur Novellierung der EU-Gebäuderichtline legte die EU-Kommission im Dezember 2021 einen Vorschlag vor, der Mindeststandards in Bestandsgebäuden vorsieht. Nach diesem Vorschlag sollen Wohngebäude spätestens ab dem 1.1.2030 mindestens die Energieeffizienzklasse F und ab dem 1.1.2033 mindestens die Energieeffizienzklasse E erreichen. Im März 2023 hat das EU-Parlament für strengere Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden gestimmt, nach denen Wohngebäude ab dem Jahr 2030 mindestens die Energieeffizienzklasse E und ab 2033 mindestens die Klasse D aufweisen müssen (Europäisches Parlament, 2023). Es ist jedoch unsicher, ob die vom EU-Parlament beschlossene Verschärfung auch von der EU-Kommission mitgetragen wird, insbesondere da Zweifel darin bestehen, ob nicht mit anderen Instrumenten die Klimaschutzziele zu volkswirtschaftlich geringeren Kosten erreicht werden können.
4.3 Energieausweise, Gebäudeeffizienz und Wärmekostenbelastung
Ein zentraler Faktor beim Energieverbrauch und den damit verbundenen Kosten ist die Energieeffizienz des Gebäudes. Hierbei geht es um die Frage, wie viel an Wärmeenergie durch die Außenhülle des Gebäudes verloren geht, und wie effizient die eingesetzten Heizungsanlagen funktionieren. Um diesbezüglich mehr Transparenz bei Kauf oder Anmietung einer Immobilie herzustellen, muss in Deutschland ein Energieausweis erstellt werden, der Gebäude in Energieeffizienzklassen (auch Gebäudestandard) einteilt. Seit der Energieeinsparverordnung (EnEV) 2014 bestehen neun Energieeffizienzklassen von A+ (< 30 kWh/m²a) bis H (> 250 kWh/m²a). Dabei entspricht der Standard der Effizienzklasse C etwa einem Gebäude, das nach Vorgaben der dritten Wärmeschutzverordnung von 1995 errichtet wurde. Derzeit existieren in Deutschland zwei Arten von Energieausweisen: Bedarfsausweise und Verbrauchsausweise.29Für Neubauten sowie für Altbauten, die die Erste Wärmeschutzverordnung aus dem Jahr 1977 nicht einhalten und weniger als fünf Wohneinheiten aufweisen, sind die sogenannten Bedarfsausweise obligatorisch (§ 80 Abs. 3 GEG). Für die anderen Wohngebäude und alle Nichtwohngebäude besteht dagegen die Wahlfreiheit zwischen dem Bedarfs- und dem Verbrauchsausweis. Die bedarfsorientierten Ausweise (§ 81 GEG) werden auf Basis einer Bewertung der energetischen Qualität der Gebäudehülle in Verbindung mit der Gebäudetechnik und einem genormten Nutzerverhalten angefertigt. Die Erstellung von Energiebedarfsausweisen ist deutlich aufwendiger und kostenintensiver als die Ausstellung von Verbrauchsausweisen, da für Bedarfsausweise in der Regel eine Begehung vor Ort durch einen Sachverständigen notwendig ist. Der verbrauchsorientierte Ausweis (§ 82 GEG) bildet den mittleren Energieverbrauch für Heizung und Warmwasserbereitung von drei zusammenhängenden Heizperioden ab. Der Vorzug der Bedarfsausweise ist, dass mit ihnen Gebäude objektiv miteinander verglichen werden können, da sie vom individuellen Nutzerverhalten abstrahieren. Der Vorteil von Verbrauchsausweisen ist, dass man mit ihnen auf die zu erwartenden Heizkosten schließen kann.
Allerdings besitzen die Energieausweise bei den Bürgerinnen und Bürgern nur eine geringe Akzeptanz (Henger et al. 2017). Die Hauptgründe hierfür liegen, neben den beiden unterschiedlichen Berechnungsansätzen, in der großen Komplexität und Fehleranfälligkeit der Ausweise (BBSR, 2022). Zudem besteht die Tendenz, dass Verkäufer und Vermieter Informationen über energetisch schlechte Immobilien strategisch zurückhalten, indem sie die Energiekennwerte des Energieausweises nicht im Verkaufs- oder Vermietungsprozess kommunizieren (Frondel et al. 2020). So wurden trotz der Angabepflicht nur bei 37,1 % aller Inserate der in Fachkreisen etablierten Immobilienmarktdatenbank der Value AG30Eine der größten Datenbanken für Angebotsdaten der Branche, die bundesweit Immobilienanzeigen aus mehr als 100 Quellen, inklusive der großen Onlineportale, erfasst. für „Wohnungen zur Miete“ im Jahr 2021 ein Energiekennwert angegeben. Das bedeutet zwar nicht zwangsläufig, dass keine Energieausweise vorliegen, deutet aber darauf hin, dass in vielen Fällen auf die Ausstellung oder zumindest Vorlage der Energieausweise verzichtet wird. Auch die Ergebnisse des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels zeigen, dass der Anteil der vorliegenden Energieausweise gering ist. So gab in den Jahren 2021 und 2022 nur etwa jeder vierte Teilnehmende (25,5 % von 13.131 Befragten) an, dass für ihr Gebäude ein Energieausweis vorliegt. Dabei ist der Anteil der vorliegenden Energieausweise bei Eigentümern mit 31,0 % (von 8.817) etwa doppelt so hoch wie bei Mietern 15,1 % (von 4.314). Auffällig ist auch, dass 4,1 % der Eigentümer die Option „weiß nicht/keine Angabe“ auswählten und 21,7 % der Mieter. Der Informationsstand ist demnach bei Mietern bezüglich des Energieausweises deutlich geringer.
Um trotz des spärlichen Vorliegens von Energieausweisen eine Einschätzung zur Energieeffizienz des Gebäudes möglichst vieler Haushalte des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels zu erhalten, wurden alle Befragten, die keinen Energieausweis vorliegen hatten oder keine Angaben zu den darin genannten Energiekennwerten machen konnten, um eine Selbsteinschätzung der Energieeffizienz ihres Gebäudes gebeten.31Konkret wurden die Teilnehmenden in der Befragung gefragt, ob ein Energieausweis vorliegt, und welche Angaben dieser enthält. Gefragt wurde nach der Art des Energieausweises (Bedarfsausweis, Verbrauchsausweis) und dem Endenergiekennwert. Wenn kein Energieausweis vorlag oder keine Angaben zu den darin genannten Energiekennwerten gemacht werden konnte, wurden die Teilnehmenden gebeten, die Energieeffizienzklasse ihres Gebäudes zu schätzen. Die Selbsteinschätzungen sind dabei schlechter als die Einteilungen nach den Energieausweisen, was bedeutet, dass sich anteilig mehr Haushalte in die Gebäudeklassen D bis H einstufen und anteilig weniger in die Klassen A+ bis C. Die strukturell schlechtere Selbsteinschätzung betrifft dabei interessanterweise Mieterhaushalte. Die Ursachen für diese Verzerrung sollen in Ariadne in Zukunft vertieft untersucht werden.
Abbildung 5 zeigt die Häufigkeitsverteilung der Energieeffizienzklassen der Haushalte im Wärme- & Wohnen-Panel. Auf der Skala von A+ bis H haben die meisten Wohnungen einen mittleren Standard C (23,7 %) oder D (18,8 %).32Die gezeigte Verteilung kombiniert die Angaben aus den Energieausweisen der Haushalte, die solch ein Dokument vorliegen hatten, und der Selbsteinschätzung der Haushalte, die keinen Ausweis vorliegen hatten oder zumindest keine Angabe zu den Kennwerten im Energieausweis machen konnten. Zur Überprüfung der Plausibilität der Werte haben wir die Verteilung einmal nur für die Angaben aus den Energieausweisen und ohne die Selbsteinschätzung der Befragten erstellt. Die Verteilungen ähneln sich stark und deuten auf eine gute Selbsteinschätzung der Befragten hin. Mit 19,8 % ist knapp jede fünfte Wohnung einer der Klassen F, G oder H zugeordnet, die im Rahmen der EU-Gebäuderichtlinie ab 2030 nicht mehr erlaubt sein soll (Minimum Energy Performance Standards (MEPS), EPDG 2021). Ab dem Jahr 2033 sollen Wohngebäude nicht nur Klasse E, sondern mindestens die Energieeffizienzklasse D aufweisen. Das würde die energetische Modernisierung von weiteren 14,4 % des Wohnungsbestandes erfordern. Insgesamt wären damit 34,2 % betroffen (Vergleiche mit VZBV, 2023). Der Anteil an Wohnungen, die modernisiert werden müssen, ist dabei im vermieteten Bestand größer. Während 28,5 % der selbstgenutzten Wohnungen nicht Klasse D erreichen, sind es bei den vermieteten Wohnungen 45,4 %. Noch ist jedoch nicht geklärt, ob die in Deutschland bestehende Effizienzklassen-Systematik der Energieausweise 1:1 als Bemessungsgrundlage herangezogen werden wird. Die KfW setzt zwar bereits an der bestehenden Systematik an und definierte alle Gebäude mit Effizienzklasse H als Worst Performing Buildings (KfW, 2023). Die EU-Gebäuderichtlinie gewährt den Mitgliedstaaten jedoch diesbezüglich viele Freiheiten33Text des Europäischen Parlaments zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Neufassung): „Die unionsweiten Mindestvorgaben für die Gesamtenergieeffizienz sollten auf harmonisierten Gesamtenergieeffizienzklassen beruhen. Indem die Gesamtenergieeffizienzklasse G als die bei der Gesamtenergieeffizienz am schlechtesten abschneidenden 15 % des nationalen Gebäudebestands des einzelnen Mitgliedstaats definiert wird, …“ (Europäisches Parlament, 2023), sodass die Chance besteht, dass in Deutschland auf Grundlage des Bedarfs Gebäude eingeordnet werden können.
Abbildung 6 illustriert den Zusammenhang zwischen Energieeffizienzklasse und Heizkosten in Euro je m² Wohnfläche. Wenig überraschend unterscheiden sich die Heizkosten deutlich zwischen den Energieeffizienzklassen. Während in der höchsten Effizienzklasse A+ etwa 0,95 Euro pro m2 monatlich an Heizkosten anfallen, sind es in der niedrigsten Klasse H mit 1,86 Euro fast doppelt so viel. Auf das Jahr gerechnet reicht die Spanne an Heizkosten damit für eine Wohnung mit 100 m² von 1.140 bis 2.232 Euro.
Ein detaillierter Blick auf die Daten zeigt schlussendlich, dass sich die Heizkosten auch erheblich innerhalb der Effizienzklassen unterscheiden. Die in Abbildung 7 dargestellten Dichtefunktionen zeigen für jede Energieeffizienzklasse die Wahrscheinlichkeit, dass ein Haushalt in der jeweiligen Effizienzklasse bestimmte Heizkosten pro m² hat. Die Verteilung zeigt, dass in besseren Effizienzklassen niedrige Heizkosten wahrscheinlicher sind. Außerdem wird eine große Streuung der Heizkosten innerhalb der Effizienzklassen deutlich: das kann einerseits an den unterschiedlichen Verbräuchen liegen, welche unter anderem durch die Anzahl an Personen im Haushalt beeinflusst wird, aber auch aufgrund von verschiedenen Heizverhalten (z.B. Temperatureinstellungen und An-/Abwesenheiten). Eine weitere Rolle kann die Heizungsart spielen, bei der mit Erdgas, Heizöl, Fernwärme etc. unterschiedliche Energieträger mit divergierenden Preisentwicklungen und unterschiedlichen Wirkungsgraden, die einen großen Einfluss auf die Heizkosten nehmen, vorliegen können. Ein weiterer Grund sind die genannten Selbsteinstufungen, die jedoch nicht systematisch mehr streuen als die Einteilungen nach den Energieausweisen. Nicht zuletzt könnte sich auch die Fehleranfälligkeit der Ausweise und Informationsmängel in den Verteilungen zeigen. Die große Streuung verdeutlicht insgesamt die Schwierigkeit, homogene Effizienzklassen zu bilden, innerhalb derer ähnliche Gebäude hinsichtlich ihrer Charakteristika und Verbrauchswerte zusammengefasst werden können.
4.4 Diskussion
Mit der Novellierung der EU-Gebäuderichtlinie soll ab dem Jahr 2030 in den EU-Mitgliedsländern die Pflicht eingeführt werden, Gebäude mit geringer Energieeffizienz energetisch zu modernisieren. Offen ist jedoch, mit welchen Nachweisinstrumenten die Einteilung der Gebäudeeffizienz erfolgen soll. Energieausweise könnten hierfür ein taugliches Instrument sein, liegen jedoch in Form von Bedarfs- und Verbrauchsausweisen vor, die zu unterschiedlichen Einstufungen führen können und jeweils gewisse Vor- und Nachteile aufweisen, die einem Kurzgutachten vom BfEE/BMWK (2022)34 BfEE/BMWK, 2022, Mindestvorgaben für die Gesamteffizienz von Bestandsgebäuden, Kurzgutachten, https://www.bfee-online.de/SharedDocs/Downloads/BfEE/DE/Effizienzpolitik/ww_vorgaben_bestandsgebaeude_bericht.pdf;jsessionid=0D00B6AA9C69672E7D7E812275375D69.intranet241?__blob=publicationFile&v=2 diskutiert werden. Nach unserer Einschätzung überwiegen die Vorteile von Energiebedarfsausweisen, da nur mit ihnen die energetischen Gebäudeeigenschaften nutzerunabhängig und objektiv beurteilt werden können. Das Hauptproblem ist jedoch, dass Energieausweise bislang noch nicht flächendeckend für alle Gebäude verpflichtend vorliegen, wie die geringe Verbreitung nach den Daten der Value AG und des Ariadne Wärme- & Wohnen-Panels zeigt.35Siehe auch die Energieausweisdatenbank des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt). Nicht zuletzt aus diesem Grund sollten Energieausweise grundlegend weiterentwickelt werden. Nur wenn eine flächendeckende Verbreitung vorliegt, können Kompensationen auch in der Breite alle privaten Haushalte erreichen, beispielweise indem zukünftig Gebäude einer schlechten Energieeffizienzklasse zielgenaue Förderungen erhalten, um die Sanierungspflichten zu erfüllen. Aber auch andere Politikmaßnahmen erfordern flächendeckende, rechtsichere und praktikable Nachweisverfahren, die auf Energiebedarfen aufbauen, damit die Gebäudeeffizienz objektiv und unabhängig vom Nutzerverhalten verglichen werden können. Da diese nicht vorliegen, musste beispielsweise in der neu eingeführten Klimakomponente im Rahmen der Wohngeldreform 2023 auf einen differenzierten Ansatz verzichtet werden. Auch bei Einführung des CO2-Kosten-Stufenmodell musste mit der Heizkostenabrechnung auf eine alternative lediglich verbrauchsbasierte Datengrundlage zurückgegriffen werden (Frondel et al., 2022b).
5. Fazit
Die Energiekrise des Jahres 2022 hat wieder einmal deutlich gezeigt, wie sehr es an empirischen Daten mangelt, um zum Beispiel kurzfristig Fragen zur Wirkung von Entlastungsmaßnahmen im Wärmesektor beantworten zu können. Aber auch zur Beantwortung langfristiger Fragen rund um die Gestaltung einer effektiven, effizienten und sozial gerechten Wärmewende fehlen Informationen, wie auch in der jüngsten Debatte um das Heizungsgesetz verdeutlicht wurde. Diese Datenlücke soll durch das seit 2021 etablierte Ariadne Wärme- & Wohnen-Panel geschlossen werden. Die vorliegende Analyse hat anhand von vier Fragestellungen beispielhaft veranschaulicht, inwiefern Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und der effizienten Erreichung von Klimaschutzzielen im Wärmesektor mit dem Paneldatensatz untersucht werden können.
Durch die Verknüpfung aktuellster Daten zu sozio-ökonomischen Haushaltscharakteristika und Gebäudeinformationen lassen sich mit dem Ariadne Wärme- & Wohnen-Panel einerseits Antworten auf akute Fragestellungen, wie die Verteilungswirkung von Energiepreisschocks und die Zielgenauigkeit von Entlastungsmaßnahmen in einer Energiekrise, liefern. So zeigt die erste Kurzanalyse, dass die gestiegenen Gaspreise untere Einkommensgruppen mit Kosten in Höhe von zwei Monatsnettoeinkommen sehr stark, aber selbst Haushalte bis in die mittlere Einkommensschicht stark belasten könnten. Ein erster Versuch, die Zielgenauigkeit der Gas-Soforthilfe zu quantifizieren, deutet aber auch an, dass das Kompensationsvolumen einer Gas-Soforthilfe „für alle“ zu rund 60 % an Haushalte ging, die gemäß ihrem Einkommen nicht darauf angewiesen wären. Wenngleich diese Abschätzung der zweiten Kurzanalyse Einschränkungen unterliegt, wie etwa fehlende Informationen zu Transferleistungen und einer von Werturteilen abhängigen Definition von Energiearmut, zeigt sie den Mehrwert der Paneldaten für die Bewertung und Ausgestaltung von Politikinstrumenten im Gebäude- und Energiebereich auf, da die Daten erstmalig ermöglichen, solch eine Abschätzung überhaupt vorzunehmen.
Die Untersuchungen machen zudem deutlich, wie wertvoll das Panel für die zukünftige Neu- und Weiterentwicklung von Politikinstrumenten im Wärmesektor ist. So deutet die experimentelle Analyse einer Einsparprämie an, dass diese Maßnahme nur bedingt geeignet ist, um Haushalte in großer Zahl zu Energieeinsparungen zu bewegen. Zumindest aber können dadurch zur Energieeinsparung ohnehin „Motivierte“ in der Erreichung ihrer Einsparziele bestärkt werden. Damit scheint die Wirksamkeit eines Instruments beschränkt, das in Deutschland vor allem zur Abfederung einer bevorstehenden Gasmangellage diskutiert wurde, die auch im kommenden Winter wieder relevant sein könnte, zumindest für mit Gas heizende Haushalte. Neben der Möglichkeit von energiesparendem Verbrauchsverhalten spielt bislang vor allem die Energieeffizienz von Gebäuden eine wichtige Rolle in der deutschen Klimapolitik. Die vierte Teilanalyse zeigt, dass Energieausweise gemäß der Haushaltsangaben im Wärme- & Wohnen-Panel noch zu wenig etabliert sind. Für die Identifikation sanierungspflichtiger Gebäude gemäß EU-Gebäuderichtlinie und zum Erreichen der Klimaziele im Gebäudesektor sind diese aber dringend notwendig.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Analysen nicht nur illustrieren, wie das Ariadne Wärme- & Wohnen-Panel genutzt werden kann, um die Wirksamkeit von Politik- und Entlastungsmaßnahmen zu evaluieren. Vielmehr hilft es auch, evidenzbasiert über die Ausgestaltung der Wärmewende und auch Klimaschutz- und Energiepolitik im Allgemeinen zu diskutieren, fehlende Rahmenbedingungen aufzuzeigen und neue, wegweisende Fragen aufzuwerfen.
Die vorliegende Ariadne-Analyse wurde von den oben genannten Autorinnen und Autoren des Ariadne-Konsortiums ausgearbeitet. Die Analyse spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des gesamten Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider.
Die Inhalte der Ariadne-Publikationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erstellt.
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