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Zusammenfassung
Die Fernwärmeversorgung ist für die Wärmewende, insbesondere im verdichteten städtischen Raum, von zentraler Bedeutung. Um die Klimaziele zu erreichen, ist eine Transformation und ein beständiger Ausbau der Fernwärme essentiell. Der Ariadne-Szenarienreport sieht bis 2030 den Anschluss von 160.000 Haushalten an Fernwärmenetze pro Jahr vor (Luderer et al. 2021), im Zeitraum von 2009-2019 wurden aber nur etwa halb so viele Haushalte pro Jahr angeschlossen. Die Fernwärmeversorgung steht dabei in den nächsten Jahren vor multiplen Herausforderungen: der ohnehin notwendigen Defossilisierung der Erzeugung, einem klimapolitisch notwendigen frühzeitigen Kohleausstieg sowie der aktuellen Gaskrise.
In dieser Studie wird die Fernwärmeversorgung in Hinblick auf das Spannungsfeld Kohleausstieg, Gaskrise und Transformation der Fernwärmeerzeugung beleuchtet. Hierbei wird insbesondere der bisherige Kohleausstieg mit einem vorgezogenen Kohleausstieg 2030, der bezüglich der Reihenfolge der ausscheidenden Kraftwerke simuliert wird, verglichen. Wir identifizieren zwei Handlungsstränge, um die Ziele im Bereich Fernwärmeversorgung und Wärmewende zu erreichen: Die Stärkung bisheriger Erzeugungsstrukturen auf der einen Seite und eine beschleunigte Defossilisierung der Fernwärmeerzeugung auf der anderen Seite.
Zum einen muss die Fernwärmeerzeugung auf mittel- bis langfristige Sicht vollständig defossilisiert werden. Dies bedeutet nicht nur, dass der Anteil der Erneuerbaren Energien an der Fernwärmeversorgung bis spätestens 2045 von derzeit knapp 11% auf 100% ansteigen muss. Sondern auch, dass viele Fernwärmenetze auf niedrigere Vorlauftemperaturen umzustellen sind, da dies die Voraussetzung für die Einbindung von Erneuerbaren Energien ist.
Zum anderen muss diese Transformation unter beschleunigten Bedingungen stattfinden, wenn der Kohlausstieg auf 2030 vorgezogen werden soll. Hierfür müssen große Kapazitäten Kohle-KWK (Kraft-Wärme-Kopplung), etwa 18 GWth, schon früher als bisher im Kohleausstiegsgesetz (Bundestag 08.08.2020, S. 1818–1867) vorgesehen durch andere Energiequellen ersetzt werden. Bisher machen Kohle-KWK rund 42% der installierten Fernwärme-Erzeugungskapazität aus. Ein beträchtlicher Teil der Kapazität sollte zumindest kurz- bis mittelfristig durch Gas-KWK ersetzt werden.
Durch den Ukraine-Krieg sowie die Einstellung der Erdgaslieferungen aus Russland und die daraus resultierenden erhöhten Erdgaspreise steht diese Option nun in Frage. Sollte in den kommenden Jahren nicht ausreichend Ersatzkapazität für die ausscheidenden Kohle-KWK-Anlagen zugebaut werden, so besteht die Gefahr, dass der Umbau und Ausbau der Fernwärme stockt. Gleichzeitig stellt die derzeitige Krise auch eine Chance dar, falls der Ausbau von klimaneutraler Fernwärme entsprechend vorangetrieben und somit die Nutzung von fossilem Gas in Fernwärmeerzeugung und Gebäudeheizungen reduziert werden kann.
Hierfür bedarf es jedoch schneller und klarer Entscheidungen, gezielter Förderung sowie weiteren politischen Weichensetzungen. Die Transformation der Netze auf Niedertemperatur muss schneller als bisher umgesetzt werden. Hierbei ist eine beschleunigte Digitalisierung der Hausstationen, inklusive des hydraulischen Abgleichs der Gebäudeheizungssysteme und dem systematischen Abgleich der Temperaturen der Heizungssysteme mit den Netztemperatureinstellungen der Hausstation ein entscheidender Hebel. Im Weiteren sind die Transformationspläne für die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze sowie die kommunale Wärmeplanung eng aufeinander abzustimmen, damit bei begrenzten Ressourcen die Fokusgebiete für Wärmenetze in der kommunalen Wärmeplanung gezielt erschlossen werden können.
1. Einleitung
Die Ziele des Klimaschutzgesetzes (KSG) geben für die einzelnen Sektoren die zu erreichenden Emissionsminderungen vor, die notwendig sind, um Deutschland auf den Weg zur Klimaneutralität 2045 zu bringen. Wird die Zielerreichung nach KSG als Bewertungskriterium herangezogen, so ist der Gebäudesektor, neben dem Verkehrssektor, das zweite große Sorgenkind deutscher Klimapolitik: Sowohl 2020 als auch 2021 wurden die Klimaziele verfehlt (BMWK/BMWSB 13.07.2022).
Die Gründe für einen bislang zu langsamen Fortschritt bei der Wärmewende im Gebäudesektor sind hinreichend untersucht. Eine zu niedrige Sanierungsrate (incl. Sanierungstiefe), die verschiedenen Anreize für Mietende sowie Eigentümerinnen und Eigentümer, die Altersstruktur von Gebäudebesitzenden, Vorbehalte gegenüber Wärmepumpen, fehlende Kapazitäten im Handwerk, fehlende Finanzmittel für Investitionen und vieles mehr (Berneiser et al. 2021). Gleichzeitig gibt es jedoch auch eine Vielzahl von Instrumenten, um diese Hemmnisse zu adressieren (Meyer et al. 2021b).
Ein zentraler Baustein der Wärmewende, insbesondere im urbanen Raum, ist die Fernwärme. Zum einen ist hier die Wärmebedarfsdichte am höchsten, was sich positiv auf die wirtschaftliche Attraktivität der Fernwärme auswirkt (Blesl 2014). Zum anderen ist in Städten die Installation von Wärmepumpen oftmals auf Grund von Platzmangel bzw. Schallimmissionen eine größere Herausforderung. Darüber hinaus ist die Biomassefeuerung in vielen Städten auf Grund der Feinstaubemissionen verboten und ihre Verfügbarkeit limitiert. So bleibt fast nur noch die Fernwärme als potentiell klimaneutrale Lösung übrig. Wärmenetze machen zudem die Abwärme aus Müllverbrennung, Tiefengeothermie und Industrie sowie Umweltwärme, beispielsweise aus Flüssen und Seen, erst nutzbar (Bürger et al. 10.06.2021).
Die Nutzung von Wasserstoff im Gebäudesektor ist wirtschaftlich unattraktiv (Meyer et al. 2021a). Zudem gibt es andere Bereiche, in denen der knappe grüne Wasserstoff viel dringender als Dekarbonisierungsoption benötigt wird (Ueckerdt et al. 2021). Eine Vielzahl der aktuellen Studien zur Transformation der Wärmeversorgung gehen daher von einem steigenden Anteil der mit Fernwärme beheizten Gebäude aus, die zum einen auf einem Ausbau von Fernwärmenetzen, aber auch einer Nachverdichtung bestehender Netze durch den Zugewinn neuer Fernwärmekundschaft fußt (Maaß et al. 2021).
Gleichzeitig steht die Fernwärmeversorgung vor multiplen Herausforderungen. Zum einen muss sich die Fernwärme auf mittel- bis lange Sicht vollständig defossilisieren. Derzeit wird ein Großteil der Fernwärme durch den Einsatz fossiler Brennstoffen erzeugt. Um größere Anteile Erneuerbarer Energien in die Fernwärmeversorgung einbinden zu können, muss ein Großteil des Fernwärmenetzbetriebs auf ein niedrigeres Temperaturniveau umgestellt werden. Dies erfordert nicht nur eine Umstellung der Netze, sondern auch Anpassungen bei den Endkunden (AGFW 2020).
Erdgas-KWK spielt in vielen Wärmenetzen eine zentrale Rolle, und soll als Brückentechnologie die Kohle-KWK entsprechend des Ausstiegsplans aus der Kohleverstromung ersetzen bis Erneuerbare Energien, und der damit verbundene Strom in Form von Power-to-Heat-Anlagen in umfangend großem Maßstab eingebunden werden können (BMWI 2021).
Ein großer Faktor hierbei ist, dass durch den Ersatz der Kohle-KWK durch Erdgas-KWK zum einen die CO2-Emissionen erheblich reduziert werden können und zum anderen die Fernwärmenetztemperaturen großer Bestandsnetze von derzeit noch bis zu 130 °C kontinuierlich auf 95 °C abgesenkt werden können, ohne umfassende Umbauten der Fernwärmenetze vornehmen zu müssen. Zwar gibt es auch emissionsarme Erzeugungstechnologien wie Biomasse, Geothermie, Müllverbrennung oder industrielle Abwärme, die Fernwärme in erforderlichen Temperaturbereichen über 100 °C zur Verfügung stellen können, diese sind in ihrer Kapazität aber stark begrenzt und stehen regional nur differenziert zur Verfügung. Großwärmepumpen können unter Umständen zwar auch derart hohe Temperaturen bereitstellen, allerding sinkt deren Effizienz mit steigendem Temperaturhub stark ab (Jesper et al. 2021, S. 110646). Daher wird für viele Bestandsnetze eine Umstellung auf Fernwärmenetze mit Niedertemperaturen notwendig sein, um diese vollständig zu defossilisieren. Erdgas-KWK ist bisher fest eingeplanter Bestandteil von Übergangslösungen für Bestandsnetze gewesen, bis diese in Niedertemperaturnetze umgewidmet werden sollten (Schneller et al. 2017).
Durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine werden die Grundannahmen hinter dieser Überlegung (billiges Erdgas steht in ausreichender Menge zur Verfügung) stark in Frage gestellt. Die daraus resultierende Gas- bzw. Energiekrise wirft somit neue Fragen auf und gefährdet potentiell den weiteren Ausbau der Fernwärme sowie ggf. den Weiterbetrieb mancher bestehender Fernwärmenetze. Andererseits könnte die derzeitige Krise auch die beschleunigte Integration erneuerbarer Energiequellen in die Fernwärmeversorgung sowie eine gesteigerte Nachfrage nach Fernwärme bewirken.
Somit stellt sich die Frage, wie die aktuelle Gaskrise die Wettbewerbsfähigkeit der Fernwärme, insbesondere im Kontext des Kohleausstiegs, beeinflusst. Hierzu soll diese Analyse erste Anhaltspunkte liefern. Zudem soll untersucht werden, inwiefern die aktuelle Krise ein Katalysator für die Dekarbonisierung sowie die Umstellung der Fernwärmenetze darstellen kann, oder ob der notwendige Fernwärmeausbau durch die aktuelle Krise gehemmt wird. Diese Überlegungen müssen auch zeitnahe auf kommunaler Ebene im Rahmen von beispielsweise der kommunalen Wärmeplanung vorgenommen werden (Köhler et al. Juli 2021). Insofern kommt der Beantwortung der hier aufgeführten Fragen aktuell eine große Bedeutung zu.
2. Aktuelle Situation der Fernwärmeversorgung in Deutschland
Im Jahr 2021 betrug die Nettowärmeerzeugung der Fernwärme-/-kälteversorger insgesamt 142,8 Mrd. kWh (BDEW 2022). Hiervon wurden ca. 76 % der Nettowärmeerzeugung durch KWK-Anlagen erzeugt. Verglichen mit dem Jahr 2020 stieg witterungsbedingt die Erzeugung um 2,4 % an. Die damit verbundene KWK-Stromerzeugung betrug ca. 111,3 Mrd. kWh KWK-Strom in 2021 (AG Energiebilanzen e.V. 2022). Der Hauptteil der Fernwärmeerzeugung (47 %) wurde auf Basis von Erdgas erzeugt, gefolgt von Kohlen mit 20 %. Der Anteil der Erneuerbaren Energien (inkl. dem biogenen Anteil des Abfalls) betrug 17 % (BDEW 18.05.2022).
Auch bezüglich der installierten thermischen Kapazität der Fernwärmeversorgung wird der Großteil von Anlagen auf Basis von Kohlen und Erdgas bereitgestellt (~83 %). Erneuerbare Energien stellen derzeit nur 11 % der installierten Kapazität im Jahr 2021 (vgl. Abbildung 1).
Gut ein Viertel aller neu gebauten Wohnungen wurde 2015-2020 mit Fernwärmeanschluss gebaut. Jedoch zeigt sich seit 2019 ein leicht negativer Trend, 2021 waren es lediglich 22,7 %. Allerdings stieg gleichzeitig der Anteil von Elektro-Wärmepumpen in diesem Bereich stark an (ebd. 18.05.2022). Natürlich ist der Wohnungsbestand für die zukünftige Entwicklung der Fernwärme von deutlich größerer Bedeutung. 2021 wurden 14,1 % des Wohnungsbestands mit Fernwärme beliefert, 2010 waren es noch 12,7 % (ebd. 18.05.2022).
2019 wurden rund 40 % der erzeugten Fernwärme an private Haushalte geliefert. Rund 38 % entfiel auf industrielle Abnehmer, der Rest auf sogenannte sonstige Abnehmer (ebd. 2020). Abbildung 2 zeigt die räumliche Verteilung der Fernwärmeversorgung in Deutschland. Die räumliche Struktur der Fernwärmeversorgung ist dabei von einem starken Unterschied zwischen urbanen und ländlichen Regionen geprägt.
Das hier gezeichnete Bild zeigt, dass die Fernwärme einen zentralen Baustein der Wärmewende darstellt und dass die Erzeugung bisher auf 3 Säulen fußt: Kohle, Erdgas und Erneuerbare Energien. Im Folgenden soll darauf eingegangen werden, wie die beiden erstgenannten Energieträger durch aktuelle Entwicklungen sowie klimapolitische Notwendigkeiten vielleicht früher als gedacht nicht mehr zur Verfügung stehen könnten.
3. Transformationsdynamiken der Fernwärmeversorgung
Fernwärmeversorger in Deutschland stehen derzeit vor mehreren, sich überlagernden Herausforderungen. Zum einen sind durch den Kohleausstieg derzeit eingebundene Heizkraftwerke durch andere Energieträger und Technologien zu ersetzen. Um die Klimaziele zu erreichen, sollten diese Erzeugungskapazitäten zunächst durch Gas-KWK ersetzt werden (Luderer et al. 2021). Dies Option wirft jedoch auf Grund des derzeit quasi auf null gesunkenen Gasimports aus Russland und der damit möglichen Gasmangellage Fragezeichen auf (Burmeister et al. 2022). Zum anderen muss die Fernwärmeversorgung, wie das ganze Energiesystem, eine Transformation hin zur vollständigen Defossilisierung der Erzeugung in den kommenden 20 Jahren meistern. Da das Temperaturniveau der Fernwärmeerzeugung aus Erneuerbaren Energien in der Regel niedriger als das der konventionellen Erzeugung ist, ist ein Übergang der Fernwärmenetze zu Niedertemperaturnetzen zu bewerkstelligen. Hierfür müssen ganze Netze, inkl. der Kundenanlagen, auf diese niedrigeren Temperaturen umgestellt werden (Schneller et al. 2017).
Diese beiden Herausforderungen sind eng miteinander verwoben. Teilweise verstärken sich transformative Effekte, teilweise erzeugen sie aber auch Widersprüche, die überwunden werden müssen. Gleichzeitig bringen die aktuellen Herausforderungen aber auch Problemkomplexe der Fernwärme weiter in den Vordergrund, die ohnehin bestehen.
Hierzu zählen unter anderem lange Genehmigungsverfahren, lange Projektlaufzeiten auf Grund der kapitalintensiven Investitionen und eine hohe Kapitalbindung (Engelmann et al. April 2021). Dies ist besonders in kleineren Städten und Kommunen ein Problem, da bereits in der Planungs- und Konzeptphase hohe Kosten anfallen. Zudem besteht das Risiko geringer Anschlussquoten (Berneiser et al. 2021). Aufgrund der Durchführung von erwünschten Energieeffizienzmaßnahmen im Gebäudebestand ist zudem eine beständige Nachverdichtung und damit die Gewinnung neuer Kunden nötig.
3.1. Herausforderung Kohleausstieg
Nach dem bisherigen Kohleausstiegsbeschluss aus dem Jahr 2020 wird die installierte elektrische Leistung der Kohlen-KWK-Anlagen sukzessive abnehmen. Von den rund 38,5 GW elektrischer Netto-Leistung der Steinkohle und Braunkohle-Kraftwerken waren 2021 ca. 7,3 GW elektrische KWK-Leistung. Die KWK-Anlagen stellen zeitgleich eine gesicherte thermische Leistung von 19,5 GW bereit (vgl. Abbildung 2). Insgesamt müssen ca. 29 TWh Fernwärme an Grundlast, vor allem in der öffentlichen Versorgung, ersetzt werden (BDEW 18.05.2022).
Der tatsächliche Ausstiegspfad ist bisher insofern noch nicht festgelegt, als dass nicht klar geregelt ist, ob KWK-Anlagen oder reine Kraftwerke zuerst in die Reserve verlegt werden. Auf Basis der Daten der Bundesnetzagentur wurde eine Simulation vorgenommen, welche Kraftwerke auf Basis ihres Alters, ihres Standorts sowie ihres Brennstoffes zuerst aus der Grundversorgung in die Reserve ausscheiden werden. Diese Simulation wurde sowohl für einen Kohleausstieg nach Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung (Plan 2038) als auch für einen vorgezogenen Kohleausstieg bis 2030 (Plan 2030) vorgenommen. Daraus ergeben sich Ausstiegspfade für Kohle-KWK-Anlagen, die in Abbildung 3 für die beiden Varianten dargestellt sind.
Aus den ermittelten Ausstiegspfaden wurde für beide Varianten der Bedarf an thermischer Ersatzkapazität im zeitlichen Verlauf ermittelt. Dabei wurden Daten über den Zubau, die Stand August 2022 bei der Bundesnetzagentur vorlagen, bereits integriert (Bundesnetzagentur 2022b). Nach dem Kohleausstiegsgesetz und unter Einbeziehung der ökonomischen Anreize durch das Ausschreibeverfahren wird die elektrische netto KWK-Leistung bis zum Jahr 2025 voraussichtlich nur um rund 0,8 GW auf 6,4 GW abnehmen. Ab dem Jahr 2026 bis 2030 kommt es dann jedoch zu einer Drittelung der Leistung. Würde der Absatz der Fernwärme bis 2030 auf dem heutigen Niveau verharren, würden thermische Ersatzkapazitäten von rund 14 GW benötigt werden (vgl. Abbildung 4).
Der Ersatz der gesamten Kohlen-KWK-Anlagen erfordert einen Ersatz von knapp 20 GW thermischer Leistung. Soll der Kohleausstieg schon 2030 erfolgen, so müsste schon im Zeitraum von 2022-2027 circa 10 GW thermische Leistung als Ersatzleistung installiert werden. Die bereits getätigte Ersatzleistung erfolgt derzeit auf Basis von Erdgas-KWK-Anlagen. Nach der Bundesnetzagentur (BNetzA) sollen von 2022 bis Ende 2025 1,2 GWel Erdgas GUD-KWK Anlagen und 0,66 GWel BHKW zugebaut werden (Bundesnetzagentur 2022b).
Der Ariadne-Szenarienreport geht bis 2030 von zusätzlichen 1,6 Mio. Gebäuden aus, die an Fernwärmenetze angeschlossen werden müssten, dies entspricht circa 160.000 Neuanschlüssen pro Jahr (Luderer et al. 2021). Zum Vergleich: von 2009 bis 2019 stieg die Anzahl von Fernwärmekunden von 5,1 Mio. auf 5,9 Mio. (BDEW 2020). Die Zuwachsrate von Fernwärmekundinnen und -kunden müsste sich also in einem solchen Szenario etwa verdoppeln. Für einen derartigen Ausbau der Fernwärme werden demensprechend zusätzliche Kapazitäten benötigt. So sieht beispielsweise der 40/40-Plan des Energieeffizienzverbands für Wärme, Kälte und KWK e. V. (AGFW) vor, den Anteil der Fernwärme im Gebäudesektor bis 2050 auf 40 % zu bringen (AGFW 2018). Dies liegt in etwa im Rahmen von anderen Studien, die einen Ausbau der Fernwärme prognostizieren.
Legt man die Werte dieser Studie für einen Ausbau der Fernwärmekapazitäten an, so ergibt sich ein noch größerer Bedarf an thermischer Kapazität, die in den kommenden Jahren geschaffen werden muss (vgl. Abbildung 5). Bedenkt man, dass bereits das Erreichen der nötigen Ersatzkapazitäten für die ausscheidenden Kohle-KWK-Anlagen eine Herausforderung darstellt, so wird klar, dass die Fernwärmeversorgung nicht ohne beträchtliche Anstrengungen weiter ausgebaut werden kann.
An einem zeitnahen, vorgezogenen Ausstieg aus der Kohle-Nutzung für die Strom- und Wärmeerzeugung ist aus Klimaschutzgründen festzuhalten. Laut §54 des Kohleausstiegsgesetzes muss die Bundesregierung den Kohleausstieg anhand wissenschaftlicher Kriterien jeweils zum 15.08. der Jahre 2022, 2026, 2029 und 2032 prüfen. Dabei soll unter anderem die Versorgungssicherheit, die Aufrechterhaltung der Wärmeversorgung, das Strompreisniveau sowie die Einhaltung der Klimaschutzziele betrachtet werden.
Bezüglich der Wärmewende befindet sich die Bundesregierung hier in einem Zielkonflikt. Auf Grund der derzeit starken Abhängigkeit von russischem Gas, die es zu reduzieren gilt, ist ein möglichst langer Weiterbetrieb der Kohlen-KWK-Anlagen wünschenswert. Dies wiederum würde zu deutlich mehr Emissionen führen. Dies entspräche einer 180°-Wende von der Strategie, Gas als Übergangs- bzw. Brückentechnologie zu nutzen, um Kohlekraftwerke frühzeitig stillzulegen.
3.2. Herausforderung Gaskrise
Im Jahr 2021 wurden 6 % des Primärenergieverbrauchs an Erdgas in Deutschland in der öffentlichen Wärmeversorgung bzw. 12 % zur öffentlichen Stromerzeugung eingesetzt. Zum Vergleich: Die Haushalte verbrauchten circa 29 %, die Industrie circa 38 % (AG Energiebilanzen e.V. 2022). Damit ist der Anteil der öffentlichen Wärmeversorgung am Gesamtgasverbrauch vergleichsweise gering. Wird jedoch berücksichtigt, dass die öffentliche Stromerzeugung Erdgasmengen der Stromerzeugung von Erdgas-KWK enthält, die zeitgleich in der öffentlichen Wärmeerzeugung eingesetzt werden, steigt der Anteil des Erdgases in der öffentlichen Wärmeerzeugung incl. der KWK-Stromerzeugung auf 12,6 % an (vgl. Abbildung 6).
Vor dem Hintergrund der aktuellen Gaskrise ergibt sich die Frage, ob die Ersatzkapazitäten, die derzeit als Gas-KWK Anlagen geplant werden, überhaupt genug Erdgasmengen für den Betrieb erhalten können, zu welchen Kosten und ob ein Ersatz der wegfallenden Kapazitäten überhaupt noch mit Gas-KWK erfolgen kann bzw. sollte. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass das Ziel Klimaneutralität im Vergleich zum Beschluss des Kohleausstiegs in der Zwischenzeit von 2050 auf 2045 vorgezogen wurde. Dies erhöht den Druck auf die ohnehin geplante Dekarbonisierung sowie den damit verbundenen Umbau der Netze, sich nochmals zu beschleunigen.
Wird anstatt der Arbeit die Leistung betrachtet, so ergibt sich auf Basis der monatlichen Erdgasmengen (Schölles et al. 2022) und einer Gewichtung der Mengen mit den Gradtagstunden ein maximaler Leistungsbedarf an Erdgas im Januar des Jahres 2021 von 253 GW. Hiervon entfallen 31 GW bzw. 12,5 % auf die öffentliche Wärmeversorgung incl. der KWK-Stromerzeugung. Würde der Ersatz der thermischen Leistung der Kohle-KWK von 20 GWth, bzw. der noch verbleibenden ca. 17 GWth wie bisher geplant mittels Erdgas-KWK-Anlagen und einer Stromkennzahl von eins erfolgen, erhöht sich der Kapazitätsbedarf an Erdgas auf 65 GW oder 26 % des max. heutigen Leistungsbedarfs an Erdgas. Damit hätte die öffentliche Wärmeversorgung auf Basis der Erdgas-KWK einen nicht unerheblichen Anteil an der Versorgungssicherheit mit Erdgas aufgrund der Must-run Eigenschaft der Wärmeversorgung.
Im Zuge der Ukraine-Krise sind die Gaspreise massiv angestiegen, auch wenn es zeitweise immer wieder zu Phasen niedrigerer Preise kam (Fischedick 2022, S. 262–269). Gerade im Lauf des Oktobers 2022 sanken die Gaspreise zwar wieder, wobei die Preise für Futures immer noch deutlich über dem Vorkriegsniveau lagen (vgl. Abbildung 7). Bereits im Dezember deutet sich ein erneuter Preisanstieg bzw. die Etablierung der Preise auf einem sehr hohen Niveau ab. Zudem ist aus Sicht der Versorgungssicherheit insbesondere der kommende Winter 2023/2024 kritisch (Luderer et al. 2022).
Die Frage, die derzeit nicht gesichert beantworten kann, ist, wie lange diese derzeit hohen Gaspreise anhalten werden. Von dieser Frage wird maßgeblich abhängen, wie groß die Probleme für Fernwärmenetzbetreiber werden könnten. Besonders relevant ist, wie sich dies auf die Planung für die zweite Hälfte der 2020er Jahre auswirken wird (Schölles et al. 2022). Größere Erdgas-KWK-Anlagen haben Planungshorizonte von circa 5 Jahren, kleinere Anlagen liegen in der Regel bei 2-3 Jahren. Sollte die Erwartung vorherrschen, dass auch in den kommenden Jahren nicht erneut wieder mit preisgünstigem Erdgas zu rechnen sei, so könnten Planungen verzögert oder geändert werden.
Im ungünstigsten Fall kommt es dadurch zu einer Verzögerung des Umbaus der Fernwärmeversorgung. Wichtige Prozesse, wie die innerstädtische Nachverdichtung und periphere Erweiterungen, könnten ebenfalls hinausgezögert werden, weitere Fernwärmekunden könnten schwerer zu gewinnen sein. Gleichzeitig ist die Fernwärme aber ein wichtiger Baustein der Wärmeversorgung für verdichtete urbane Räume, in denen die Installation anderer klimaneutraler Wärmeerzeuger eventuell nicht umsetzbar sind (Thamling et al. 2020).
Die aktuell hohen Gaspreise werden sich über sogenannte Preisgleitklauseln auch auf den Fernwärmepreis der Endkunden auswirken. Allerdings greifen diese Klauseln erst mit einer gewissen Verzögerung, oftmals von mindestens einem Jahr oder mehr. Somit wäre es denkbar, dass die hohen Gaspreise zurückgehen, die Fernwärmepreise aber durch den zeitlichen Versatz länger hoch bleiben. Dies könnte die Attraktivität der Fernwärme auch über die akute Gasknappheit hinaus weniger attraktiv machen und die Gewinnung neuer Kundinnen und Kunden weiter verzögern (Roll 29.09.2022).
Die von der Bundesregierung eingesetzte „ExpertInnen Kommission für Gas und Wärme“ hat dies berücksichtigt. Daher wurde im Abschlussbericht vorgeschlagen, nach dem Schema des viel diskutierten Gaspreisdeckels ebenfalls einen Fernwärmepreisdeckel einzuführen. Dabei gilt für Fernwärme im Vergleich zu Gas ein etwas niedrigerer Garantie-Brutto-Preis von 9,5 ct/kWh, die für 80 % des der Abschlagszahlung aus September 2022 zugrunde gelegten Verbrauchs gewährt wird (BMWK 10.10.2022). So könnte der sich nachziehende Preiseffekt etwas abgemildert oder im besten Fall verhindert werden.
Es ist daher denkbar, dass die derzeitige Gas- und Energiekrise einen Schub für die Fernwärme darstellt und somit der Zwischenschritt mit Gas-KWK als Brückentechnologie nur bedingt genutzt wird. Stattdessen könnte sich ein Schub für Niedertemperatur-Netze ergeben, der zu einer beschleunigten Defossilisierung der Fernwärmeerzeugung beitragen könnte. Immerhin wird durch die gestiegenen Gaspreise auch das direkte Heizen mit Gas massiv teurer, so dass die Nachfrage nach günstigerer, geopolitisch unbedenklicher und umweltfreundlicher Energie steigen könnte. Schon vor der derzeitigen Krise konnte im Rahmen von Willingness-to-Pay-Untersuchungen nachgewiesen werden, dass Konsumierende Fernwärme aus erneuerbaren Quellen präferieren, gefolgt von Fernwärme aus fossilen Quellen, Wärmepumpen und fossilen Einzelheizungen (Krikser et al. 2020, S. 4129).
Dies erfordert allerdings rasche Entscheidungen auf Grund der langen Planungszeiten, als auch der Notwendigkeit, Hausübergabestationen und Endkunden auf die zukünftig niedrigeren Temperaturniveaus einzustellen. Vor dem Hintergrund des Kohleausstiegs 2030 und dem zu erwartenden Rückgang der Kohle-KWK-Kapazitäten in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre ist Eile geboten.
Hierfür müssen auch bestehende Instrumente überdacht und überarbeitet werden. Obwohl die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) schon ein Schritt in die richtige Richtung geht, basiert ein Teil der Förderung immer noch auf dem Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz (KWKG). Bei der Förderung nach KWKG besteht aber nicht automatisch ein Anspruch auf eine defossilisierte Erzeugung. Mit der BEW werden zum einen Transformationspläne gefördert, die auf eine Defossilisierung der Fernwärmenetze bis 2045 hinzielen. Zudem gibt es auch Förderungen für den Neubau von Wärmenetzen, die zum Großteil auf Erneuerbaren Energien basieren, sowie für Bestandsnetze, die bereits einen Transformationsplan vorlegen können (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle 2022).
3.3. Notwendige Transformation der Fernwärmenetze
Derzeit werden circa 17 % der Fernwärme aus Erneuerbaren Energien gewonnen (BDEW 18.05.2022). Bis 2030 besteht das Ziel, diesen Anteil auf 45 % zu steigern (Thamling et al. 2020). Für die Defossilisierung der Fernwärmeerzeugung kommen als erneuerbare Energiequellen zum einen Biomasse oder Biogas in Frage. Eine andere Möglichkeit stellt der direkte Einsatz von Strom in Power-to-Heat (P2H) oder über Großwärmepumpen dar. Als Wärmequelle für die Wärmepumpen gibt es die Möglichkeit, Wärme aus Oberflächengewässern zu nutzen, Abwärme-Quellen einzubinden (Industrie, Abwasser) oder Umgebungswärme zu nutzen. Weitere Optionen sind die direkte Einbindung von industrieller Abwärme, Solarthermie oder Geothermie (oberflächennahe und -tiefe). Darüber hinaus können synthetische Kraftstoffe wie Wasserstoff oder synthetisches Gas genutzt werden, beispielsweise in KWK-Anlagen (Viebahn et al. 2018).
Aufgrund des hohen Anteils fossiler KWK-Anlagen beträgt die derzeitige Netztemperatur in vielen Fernwärme-Netzen über 110 °C. Um langfristig den Anteil erneuerbarer Erzeuger erhöhen zu können, ist eine Absenkung der Netztemperaturen notwendig, das heißt eine Umstellung der Wärmenetze auf Niedertemperaturnetze (vgl. Abbildung 8).
Die Transformation der Wärmeversorgung ist zu weiten Teilen eine planerische, strategische Aufgabe. In der Vergangenheit hat die Politik auf allen Ebenen diese planerische Rolle jedoch kaum für sich angenommen. Wärmeversorgung wurde weitgehend als Thema betrachtet, das von den Gebäudeeigentümern und durch Eigeninitiative von Wärmeversorgungsunternehmen oder Querverbundsunternehmen gelöst werden musste. Der kommunale Gedanke und damit die Anforderungen des Umbaus in Richtung einer klimaneutralen Wärmeversorgung wurde insbesondere von den Gemeinden und in der Stadtentwicklung nicht berücksichtigt. Mögliche Flächenkonkurrenz zwischen erneuerbarer Energieerzeugung, Infrastrukturen und Verkehrsplanung sowie Siedlungsbau fanden in den Gemeinden wenig Beachtung. Mit der kommunalen Wärmeplanung und den Transformationsplänen der BEW gibt es Ansätze, dass die strategische Wärmeplanung als Leitinstrument in der Stadtentwicklung umsetzungsorientiert eingeführt wird.
Bezüglich der Umstellung der Wärmenetze auf Niedertemperaturnetze existieren bereits gesetzliche Vorgaben zur Erstellung von Netztransformationsplänen. So müssen zum Beispiel in Thüringen Fernwärmeversorger konkrete Durchführungsschritte entwickeln und vorlegen, mit dem Ziel, 2040 klimaneutral zu sein. Auf Bundesebene werden teilweise Netztransformationspläne nur im Zusammenhang mit Förderprogrammen wie der BEW relevant. Konkret heißt das, dass hierfür in den meisten Fällen eine Absenkung der Vorlauftemperaturen in Fernwärmenetzen für Gebäudewärme schrittweise auf bis zu 60 °C notwendig (Niedertemperaturnetze) ist. Lediglich in Netzen, in denen klimaneutrale Hochtemperatur-Quellen, wie beispielsweise Tiefengeothermie oder Müllverbrennung, in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen, kann der Absenkung der Vorlauftemperatur zunächst eine geringere Priorität eingeräumt werden (Ochse 29.09.2022).
Für die Umstellung der Bestandsfernwärmenetze sind eine Reihe von Maßnahmen notwendig. Diese umfassen zum Beispiel die Aufteilung in mehrere Teilnetze, Abtrennung von nicht absenkbaren Prozesswärmebedarfen oder eine Erhöhung der Pumpenleistung. Durch das niedrigere Temperaturniveau müssen teilweise auch Hausanschlussstationen (HAST) ausgetauscht werden. Zudem kann es zu empfehlen sein, die Verstärkung des Netzes durch zusätzliche Ringschlüsse sicherzustellen.
4. Fazit und Handlungsempfehlungen
Die Fernwärmeversorgung ist eine zentrale Stellgröße für die Umstellung auf klimaneutrale Energieträger im Gebäudesektor. Die Dekarbonisierung der Fernwärme stellt hohe Herausforderungen an die Transformationsgeschwindigkeit sowohl der Defossilisierung der Erzeugung als auch an die Umstellung der Netze auf Niedertemperaturnetze dar. Kohleausstieg und Gaskrise verschärfen die Situation zusätzlich, da bisher angedachte Übergangslösungen nun schneller wegbrechen oder wenig attraktiv sind. Gerade kurz- bis mittelfristig droht der Fernwärmeausbau zu stocken, der für viele Transformationsszenarien eine enorm wichtige Rolle für die Wärmewende darstellt.
Im Gegensatz zu mit Gas beheizten Gebäuden haben mit Fernwärme versorgte Kunden in der derzeitigen Energiekrise zu keinem Zeitpunkt ernsthaft die Versorgungssicherheit gefährdet gesehen. Trotz dessen könnte der Preisanstieg der Fernwärme deren Attraktivität verringern. Der Fernwärmepreis soll nach den Vorschlägen der „ExpertInnen Kommission Gas und Wärme“ zunächst gedeckelt werden, um die schlimmsten Auswirkungen der Gaskrise abzumildern.
Damit die Fernwärmeerzeugung auf Basis der KWK-Gas-Technologien im Falle von langanhaltender (Erd-)Gasknappheit überhaupt möglich, müssten Synfuels bzw. Wasserstoff gesichert bis 2030 in erheblichen Umfang wirtschaftlich wettbewerbsfähig zur Verfügung stehen. Die Chancen hierfür stehen derzeit nicht sehr gut, mindestens bis 2030 wird Wasserstoff selbst bei einem exponentiellen Markthochlauf ein knappes Gut bleiben (Odenweller et al. 2022).
Somit ergeben sich unterschiedliche Handlungsstränge, um die Ziele bezüglich der Fernwärmeversorgung und Wärmewende zu erreichen: Die Stärkung bisheriger Erzeugungsstrukturen auf der einen Seite und eine beschleunigte Defossilisierung der Fernwärmeerzeugung auf der anderen Seite.
In die erste Kategorie fällt die Diversifizierung der fossilen Erzeugung in der Übergangszeit. Die Nutzung von noch existierenden Kohlen-KWK sollte so weit wie möglich gestreckt werden, das heißt, KWK-Anlagen, die zentral für die Versorgung ihres Wärmenetzes sind, sollten zuletzt aus der Versorgung gehen. Stattdessen sollten reine Kondensations-Kohle-Kraftwerke früher außer Betrieb genommen werden. Sollte dies über ökonomische Anreize (Ausschreibungsrunden des Kohleausstiegsgesetzt) nicht erreichbar sein, so muss hier gegebenenfalls durch den Staat eingegriffen werden.
Eine weitere Maßnahme wäre eventuell eine kurz-bis mittelfristige Verfeuerung von Öl in Gas-KWK Anlagen, wo dies technisch machbar und ordnungsrechtlich erlaubt ist (Burmeister et al. 2022). Darüber hinaus können der Einsatz von Wärmespeichern und Demand-Side Management mittelfristig dazu führen, dass weniger Lastspitzen entstehen, die mit Erdgas-KWK oder Erdgas-Kesseln bedient werden müssen (Guelpa & Verda 2021, S. 119440).
Gleichzeitig müssen sowohl die Umstellung auf Erneuerbare Energien bei der Erzeugung der Fernwärme, als auch der Netzumbau auf Niedertemperaturnetze mit deutlich größerer Geschwindigkeit vorangetrieben werden. Zentrale Bausteine sind hier die BEW und die damit verbundenen Transformationspläne. Hier ist besonders eine enge Verzahnung von kommunaler Wärmeplanung und BEW anzustreben. Konzepte, die im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung erarbeitet werden, sollten bereits die Transformationspläne der BEW enthalten bzw. direkt dort eingehen.
Insgesamt sollte die Umsetzung von kommunalen Infrastrukturmaßnahmen in Einklang mit den Veränderungen an den Wärmenetzen geplant werden. Dies ist auch aufgrund der hohen Investitionsaufwendungen, die allgemein die Verlegung kommunaler Infrastrukturen infolge der Tief- und Straßenbaumaßnahmen und deren Koordination im öffentlichen Raum erfordern, notwendig. Dadurch könnten die Kosten der Umstellung auf Niedertemperaturnetze von ca. 10 Mrd. € reduziert bzw. die Kosten des Ausbaus der Fernwärme von ca. 32 Mrd. € um bis zu 30 % reduziert und somit auch schneller umgesetzt werden. Insgesamt trägt die Festlegung des kommunalen Wärmeplans auf Fokusgebiete dazu bei, dass die Transformation des Wärmemarktes schneller und effizienter von statten geht. Eine detaillierte Analyse der Transformation der Wärmenetze, inklusive Potential- und Kostenabschätzungen, wird im Rahmen des Ariadne-Projektes zeitnah erscheinen.
Darüber hinaus stehen diverse ordnungsrechtliche Maßnahmen zur Verfügung, um den Anteil von Erneuerbaren Energien am Erzeugungsmix zu erhöhen, wie EE-Quoten oder CO2-Grenzewerte für Fernwärmeversorger (Meyer et al. 2021b; Agora Energiewende 2019). Bei CO2-Grenzwerten ist zu bedenken, dass das Festhalten an Kohle-KWK und die etwaige Substitution von Gas durch Öl die CO2-Emissionsfaktoren von bestimmten Netzen kurzfristig erhöhen könnten.
Um Großwärmepumpen, unabhängig von der Nutzung des Eigenstroms von KWK-Anlagen, langfristig als Versorgungsoption der Fernwärmeversorgung zu etablieren, ist im Weiteren eine Abgabenbefreiung des Wärmepumpenstroms hilfreich, da dadurch eine direkte Umstellung der Fernwärmeversorgung ohne einen derzeitigen fossilen Zwischenschritt erfolgen kann.
Das Ausmaß und die Dauer der derzeitigen Gaskrise sind noch nicht abschließend abzusehen. Sollten sich die bisherigen Transformationsszenarien unter den neuen Rahmenbedingungen in Bezug auf den Fernwärmeausbau als unrealistisch erweisen, so ist zu evaluieren, inwiefern sich hierdurch die Wärmewende insbesondere in urbanen Zentren verzögert.
Die vorliegende Ariadne-Analyse wurde von den oben genannten Autorinnen und Autoren des Ariadne-Konsortiums ausgearbeitet. Die Analyse spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des gesamten Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider. Die Inhalte der Ariadne-Publikationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erstellt.
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