Robert Poorten / Adobe Stock

Analyse: Flexibilität im deutschen Energiesystem bis 2045 – Beitrag verschiedener Technologien auf dem Weg zur Klimaneutralität

pdf
Open Publikation

Kurzzusammenfassung

Die Energiewende sorgt für einen Paradigmenwechsel von einem grundlastbasierten zu einem flexiblen Stromsystem. Die zentralen Treiber für den zunehmenden Flexibilitätsbedarf sind die Stromerzeugung durch Wind und Sonne sowie die weiterhin bestehende unflexible Stromnachfrage, die gedeckt werden muss. Die vorliegende Studie analysiert, wie im Zeitverlauf bis zum Jahr 2045 der Flexibilitätsbedarf zunimmt und wie die Betriebsweisen der verschiedenen Technologien sich anpassen können. In der Studie wird auf das Energiesystemmodell REMod zurückgegriffen, mit dem eine Analyse über die intersektorale Flexibilität bis zum Jahr 2045 möglich ist. Für kurzfristige Flexibilität können in dieser Betrachtung zum Beispiel Batterien sowie Stromimporte und -exporte eingesetzt werden. Durch die Sektorenkopplung kann bei der Wärmebereitstellung in Gebäuden ebenfalls ein erheblich angepasstes Lastmanagement erfolgen. Ein höherer Anteil an Flexibilität kann jedoch durch Stromaufnahme in Elektrolyseanlagen und die Nutzung von Power-to-X-Kraftstoffen erfolgen. So können während längerer Dunkelflauten flexible Backup-Gasturbinen eingesetzt werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Um die notwendige Integration der Flexibilitäts-Technologien in den verschiedenen Märkten (insbesondere Strommarkt) und Sektoren voranzutreiben, müssen technische Voraussetzung, Marktregeln sowie Regulatorik in Bezug auf Bau und Betrieb so angepasst werden, dass die Technologien ihr Flexibilitätspotential bestmöglich ausspielen können.

1. Einleitung und Hintergrund

1.1 Energiewende in Deutschland

Beim Umbau des Energiesystems hin zu einem klimaneutralen System gewinnt die Nutzung von Strom aus Erneuerbaren Energien eine zentrale Bedeutung. Um die von Wind und Sonne abhängige Stromerzeugung aus Photovoltaik- und Windkraftanlagen in das Stromsystem zu integrieren, muss die Nachfrage flexibilisiert und die Rolle von Energiespeichern neu definiert werden (Luderer et al. 2021). Ziel dieser Studie ist eine tiefgreifende Analyse von Flexibilitäten in Verbindung mit dem großflächigen Ausbau und Betrieb von Photovoltaik und Onshore- bzw. Offshore-Windkraftanlagen. So sollen für ein zukünftiges System in den Jahren 2030 und 2045 die Interaktionen zwischen den verschiedenen Technologien auf der Erzeugungs-, Energiespeicher- und Nachfrageseite auf stündlicher Basis analysiert werden.

Um politische Handlungsmöglichkeiten und Instrumente, wie eine Veränderung des Marktdesigns oder des regulatorischen Rahmens, abwägen zu können, werden in der Erforschung von Energiesystemen umfangreiche Energiesystemmodelle eingesetzt. Sie ermöglichen eine realitätsnahe Abbildung des Energiesystems und eine Simulation sowie Analyse von unterschiedlichen Effekten im heutigen und zukünftigen System und seinen Technologien.

1.2 Beschreibung des analysierten Szenarios

In der vorliegenden Analyse wird das Energiesystemmodell REMod des Fraunhofer ISE eingesetzt. Mit REMod wird ein Szenario für das deutsche Energiesystem, das durch einen Knoten dargestellt wird, berechnet. In diesem werden die energiebedingten CO2-Emissionen bis zum Jahr 2045 auf null gesenkt. Im Kopernikus-Projekt Ariadne wird es als ein zentrales, in seiner Technologieausrichtung als ausgewogenes („balanced“) Szenario beschrieben. Um die Analyse der Flexibilitäten einzuordnen, wird zu Beginn dieser Studie auf die Systemzusammensetzung und Systemtransformation des deutschen Energiesystems in diesem Szenario eingegangen.

Die Grundfunktionalität des Energiesystemmodells REMod beruht auf einer kosten- und simulationsbasierten Optimierung nationaler Energieversorgungssysteme, deren energiebedingte CO2-Emissionen einen vorgegebenen Zielwert und/oder Zielpfad nicht überschreiten. Das Optimierungsziel besteht darin, alle Generatoren, Speicher, Konverter und Verbraucher zu minimalen Kosten so zu dimensionieren, dass die Energiebilanz des Gesamtsystems zu jeder Stunde von heute bis 2050 erfüllt wird. Jede Technologieeigenschaft kann hierbei in beliebiger Detailtiefe abgebildet werden. So können z.B. verschiedene Ladestrategien für batterie-elektrische Fahrzeuge oder die Interaktion von thermischen Speichern und unterschiedlichster Heizungssysteme realitätsnah abgebildet werden. Im Modell wird somit neben der ökologischen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit auch die Versorgungssicherheit durch eine hohe technische Detailtiefe sowie zeitliche Auflösung berücksichtigt. Somit werden Energiebedarf und -nachfrage zu jeder Stunde über das gesamte Jahr hinweg in Einklang gebracht. Ebenso können durch einen Mehr-Knoten-Ansatz unterschiedliche Regionen in dem Betrachtungsraum abgebildet und deren Interaktion untereinander untersucht werden, wodurch Rückschlüsse auf Infrastrukturmaßnahmen möglich sind.

Zentrale Annahmen in Bezug auf die Nachfrageentwicklung sind folgende: der Stromverbrauch in klassischen Stromanwendungen (wie Licht, IT, etc.) verhält sich nahezu konstant, im Industriesektor nimmt der Bedarf an Prozesswärme leicht ab und im Verkehrs- bzw. Gebäudebereich steigen die Nutzungsanwendungen für Verkehrsbewegungen bzw. für beheizte Wohnflächen bis 2045 leicht an. Die installierte Stromerzeugungsleistung (Abbildung 1) steigt in diesem Szenario von 220 GW im Jahr 2020 auf ungefähr 940 GW im Jahr 2045. Während das heutige Stromsystem eine Mischung aus Erneuerbaren Energien (Wasserkraft, Biomasse, Photovoltaik, Onshore- und Offshore-Windkraft) und Kohle- sowie Gaskraftwerken ist, wird das System im Jahr 2045 von fluktuierenden Erneuerbaren Energien dominiert. Im vorliegenden Szenario werden für Deutschland zur Erreichung der Klimaneutralität Windenergieanlagen mit einer Leistung von 300 GW und Photovoltaik mit 440 GW, ergänzt von flexiblen Backup-Gaskraftwerken mit fast 200 GW angenommen, die im Jahr 2045 entweder mit Biogas oder Wasserstoff betrieben werden. Dies bedeutet einen Wandel von einem auf Grundlastkraftwerken basierenden System zu einem Energiesystem mit stark schwankender Stromerzeugung, da die Erzeugung vom Wind- und Solarangebot abhängt.

Abbildung 1: Entwicklung der Stromerzeugungsleistung im Balanced-Szenario von 2020 bis 2045 in GW (berechnet mit REMod)

Im zukünftigen Energiesystem wird Flexibilität durch die Anwendungssektoren bereitgestellt sowie durch den Ausbau von Energiespeichern und Elektrolyseuren, durch die eine flexible Höhe der Stromnachfrage in Deutschland möglich ist. Daher ist in Abbildung 2 der Transformationspfad der wichtigsten Flexibilitätstechnologien Speicher und Power-to-X sowie der Verbrauchssektoren Gebäude und Industrie dargestellt. Dies dient der Einordnung der Dimensionierung der einzelnen Technologien, aber auch des gesamten Energietransformationspfades im Vergleich zu anderen Studien und Arbeiten. Im Energiespeicherbereich sind Batterien und Pumpspeicherkraftwerke entscheidend. Die installierte Speicherkapazität verzehnfacht sich in den Jahren 2020 bis 2045 von insgesamt 50 GWh auf 510 GWh. Besonders interessant kann hierbei die netzdienliche Nutzung von mobilen Batterien in Elektrofahrzeugen werden. Weiterhin kann Strom in andere Energieträger wie Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe umgewandelt werden. Hierfür wird die gesamte Elektrolyseleistung im Jahr 2045 auf ca. 70 GW dimensioniert. Auch in Gebäuden ist ein flexibler Betrieb von Wärmepumpen und elektrischen Heizungen in Verbindung mit Wärmespeichern ein wichtiger Bestandteil des Energiesystems. Wie die folgende Abbildung zeigt, findet auch im Industriesektor eine starke Elektrifizierung und damit eine weitere Zunahme der Stromnachfrage statt.

(a) Installierte Kapazität von Batterien und Pumpspeicherkraftwerken(b) Installierte Kapazität von Elektrolyse- und Methansierungsanlagen
(c) Anteile der Heizungstechnologien im Gebäudesektor(d) Anteile der Technologien zur Prozesswärmebereitstel-lung im Industriebereich
Abbildung 2: Übersicht der wichtigsten Ergebnisse in Bezug auf Leistungen und Anteile in verschiedenen Bereichen des Energiesystems

1.3. Flexibilitätsbedarf aufgrund der Fluktuation Erneuerbarer Energien

Die Fluktuation der Stromerzeugung aus Wind und Sonne für jeden Zeitpunkt des Jahres ist in Abbildung 3 dargestellt. Die Tageszeit ist auf der y-Achse und der Tag im Jahr auf der x-Achse aufgetragen, so dass sowohl jahreszeitliche als auch tageszeitliche Muster erkennbar sind.

Die Fluktuationen der Stromerzeugung durch Wind und Sonne unterscheiden sich dabei stark, wie in Abbildung 3 erkennbar ist. Während die Windstromerzeugung über längere Zeiträume schwankt und vermehrt im Winter zur Verfügung steht, ist die Solarstromerzeugung vor allem im Sommer verfügbar und durch Schwankungen im Tag-Nacht-Rhythmus gekennzeichnet.

Abbildung 3: Windenergie- und Solarstromerzeugung im Jahr 2045

Neben der Stromerzeugung variiert auch der zu deckende Strombedarf im Tages- und Jahresverlauf. Der Strombedarf setzt sich dabei aus der Stromnachfrage für klassische Stromanwendungen in allen Sektoren sowie der Stromnachfrage für Gebäudewärme durch eine zunehmende Zahl an Wärmepumpen, für das Laden von Elektrofahrzeugen sowie für die Bereitstellung von industrieller Prozesswärme oder die Erzeugung von synthetischen Energieträgern aus Strom zusammen. Der Jahresverlauf des zu deckenden Strombedarfs im Jahr 2045 ist in Abbildung 4 dargestellt. Im Winter in den Abendstunden ist die Nachfrage bedingt durch die Zunahme an Wärmepumpen höher und nachts sowie im Sommer geringer. Da der Strombedarf sowie die Stromerzeugung durch Wind und Sonne unterschiedliche Tages- und Saisonabhängigkeit aufweisen, müssen Bedarf und Erzeugung durch verschiedene Flexibilitätsoptionen ausgeglichen werden. Die maßgebende Größe ist dabei die Residuallast, die als Differenz des zu deckenden Strombedarfs und der unflexiblen Stromerzeugung definiert ist. Zur unflexiblen Stromerzeugung zählen neben den fluktuierenden Erneuerbaren Energien Wind und Sonne auch andere unflexible Erzeuger wie Laufwasserkraftwerke sowie die Grundlast aus thermischen Kraftwerken, die jedoch im Zuge der Energiewende und des Kohleausstiegs abnehmen wird. Bei positiver Residuallast liegt somit ein Strommangel vor und bei negativer Residuallast ein Stromüberschuss. Der Verlauf der Residuallast für das Jahr 2045 ist ebenfalls in Abbildung 4 dargestellt. Dabei zeigt sich insbesondere der Einfluss der fluktuierenden Erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne. Tagsüber wird vorwiegend durch Photovoltaikmodule und an windigen Tagen durch Windenergieanlagen Strom erzeugt, der den Strombedarf im Jahr 2045 größtenteils decken kann und häufig zu einem Stromüberschuss führt. Damit wird vorwiegend nachts zu wenig Strom durch die fluktuierenden Erneuerbaren Energien bereitgestellt, während es tagsüber – vor allem im Sommer – zu einem Stromüberschuss kommt. Zu Beginn des Jahres ist auch eine Phase einer kalten Dunkelflaute erkennbar, in der bedingt durch eine hohe Stromnachfrage und geringer Bereitstellung von Wind- und Solarenergie über mehrere Tage hinweg ein Strommangel herrscht. Flexibilitätsoptionen sind jedoch nicht nur notwendig, um Strommangel auszugleichen, sondern insbesondere auch um den zunehmenden Stromüberschuss nutzbar zu machen, der tagsüber in den Sommermonaten, aber auch in windstarken Winterperioden entsteht.

Abbildung 4: Zu deckender Strombedarf und Residuallast im Jahr 2045

Der erhöhte Bedarf an Flexibilität im Energiesystem wird ebenfalls bei Betrachtung der Jahresdauerlinien der Residuallast (Abbildung 5) deutlich. Für das modellierte Jahr 2020 (ohne Sondereffekte durch die Pandemie) ist die Jahresdauerlinie eher flach, während die Maxima sowohl für die positive als auch negative Residuallast bis 2045 ansteigen. Ab dem Jahr 2025 nimmt die Anzahl der Stunden mit negativer Residuallast, das heißt mit Stromüberschuss, stetig zu und im Jahr 2045 dominieren Zeiten mit Stromüberschuss sowohl in Bezug auf die Häufigkeit des Auftretens als auch hinsichtlich der Energiemenge. Dadurch wird zum einen der zunehmende Bedarf an Flexibilitätsoptionen deutlich, zum anderen auch die zunehmende Herausforderung, Stromüberschuss nicht nur durch das Speichern der Energie, sondern auch durch Sektorkopplung, beispielsweise durch die Umwandlung in Wasserstoff und dessen Verwendung, zum Beispiel in der Industrie, nutzbar zu machen.

Abbildung 5: Jahresdauerlinien der Residuallast

Wie Stromnachfrage und Stromerzeugung in Einklang gebracht werden, ist beispielhaft in Abbildung 6 bis Abbildung 9 dargestellt. Abbildung 6 und Abbildung 7 zeigen die Strombereitstellung und -verwendung für eine Woche im April 2045, in der überwiegend Stromüberschuss besteht, während Abbildung 8 und Abbildung 9 die Strombereitstellung und -verwendung in einer Oktoberwoche im Jahr 2045 darstellen, die sich vorwiegend durch Strommangel auszeichnet (Brandes et al. 2021).

Die Beispielwoche im April ist charakterisiert durch eine hohe Verfügbarkeit an Solarenergie (s. Abbildung 6). Ab Mitte der Woche wird auch eine große Menge an Strom aus Windenergie erzeugt. Flexibilitäten zur Stromerzeugung werden nur nachts zu Beginn der Woche eingesetzt, wenn kaum Strom aus Wind und Sonne zur Verfügung stehen. Der Strommangel wird dann durch eine Mischung aus Kraft-Wärme-Koppelungs-(KWK)-Anlagen, Batterien, Pumpspeichern, Gas- und Dampf-(GuD)-Kraftwerken, Stromimporten, Brennstoffzellen sowie Gasturbinen gedeckt.

Abbildung 6: Beispielhafte Darstellung der Strombereitstellung in Deutschland in der Kalenderwoche 15 im Jahr 2045

Da in der Aprilwoche vorwiegend Stromüberschuss vorherrscht, wird Überschussstrom durch verschiedene Flexibilitätstechnologien genutzt (s. Abbildung 7). Darunter fallen das Laden von Pumpspeichern und Batterien, die Umwandlung von Strom in Wasserstoff und andere stoffliche Energieträger in Power-to-X-Anlagen sowie der flexible Betrieb von Power-to-Heat, sowohl um Wärme in Fernwärmenetze einzuspeisen als auch in Einzelgebäuden thermische Speicher zu befüllen. Der Stromexport dient zusätzlich als Flexibilitätsoption. Gegen Ende der Woche muss Strom abgeregelt werden, da alle Speicher gefüllt sind und aufgrund von gleichzeitigem Überschussstrom in den Nachbarländern nicht exportiert werden kann. Die Flexibilitätsoptionen werden durch die hohe Erzeugung an Solarstrom vorwiegend tagsüber eingesetzt.

Abbildung 7: Beispielhafte Darstellung der Stromverwendung in Deutschland in der Kalenderwoche 15 im Jahr 2045

Für die Beispielwoche im Oktober ist charakteristisch, dass die Perioden mit Strommangel überwiegen, wie an der überwiegend positiven Residuallast in Abbildung 9 ersichtlich ist. Für diese Woche ist die Strombereitstellung in Abbildung 8 dargestellt. Solar- und Windenergie können meistens den Bedarf nicht decken, daher werden diverse Flexibilitätsoptionen zur Stromerzeugung betrieben. Brennstoffzellen und KWK-Anlagen werden beinahe konstant betrieben. Batterien und Pumpspeicher werden bei Verfügbarkeit entladen, zudem kommen Gas- und Dampfkraftwerke sowie Stromimporte und mit Wasserstoff betriebene Gasturbinen zum Einsatz.

Abbildung 8: Beispielhafte Darstellung der Strombereitstellung in Deutschland in der Kalenderwoche 42 im Jahr 2045

Da in der Beispielwoche im Oktober selten Zeiten mit Stromüberschuss (negativer Residuallast) auftreten, werden zur Stromverwendung kaum Flexibilitäten eingesetzt (s. Abbildung 9). Der Strombedarf besteht überwiegend aus der grundlegenden Last durch klassische Stromanwendungen sowie Grundbedarfe in den Endenergiesektoren Industrie, Verkehr und Gebäude (Elektrische Wärmepumpen). Lediglich in einzelnen Stunden mit negativer Residuallast werden Batterien und Pumpspeicher beladen und Elektrolyseure betrieben.

Abbildung 9: Beispielhafte Darstellung der Stromverwendung in Deutschland in der Kalenderwoche 42 im Jahr 2045

Die beispielhaften Wochen im April und Oktober verdeutlichen, dass zum Lastausgleich in einem CO2-neutralen Energiesystem ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Flexibilitätsoptionen nötig ist. Dabei kommen Flexibilitäten sowohl auf der Stromerzeugungs-, als auch auf der Stromverwendungsseite zum Einsatz. In den folgenden Kapiteln wird intensiver analysiert, welchen Beitrag einzelne Technologien dabei leisten und wie diese im Jahresverlauf eingesetzt werden.

2. Zusammenspiel verschiedener Flexibilitätsoptionen

Die Beiträge der verschiedenen Technologiegruppen zur Deckung der Flexibilität in Zeiten von Strommangel und Stromüberschuss werden in den folgenden Abbildungen dargestellt.

Hierbei wird grundsätzlich zwischen den in der folgenden Tabelle aufgelisteten Technologiegruppen unterschieden. Zudem besteht die Möglichkeit Strom mit dem Ausland auszutauschen und bei fehlendem Bedarf Strom abzuregeln, das heißt erneuerbaren Strom nicht in das Netz einzuspeisen.

WärmeerzeugungStromspeicherPower-to-X
Zentral (z.B. in Fernwärmenetzen),
Dezentral (Heizungen in Gebäuden)
Mobile Batterien,
stationäre Batterien,
Pumpspeicherkraftwerke
Elektrolyseure,
Power-to-Gas,
Power-to-Fuel
Tabelle 1: Einteilung der Flexibilitätsoptionen in Technologiegruppen

Eine detailliertere Analyse einzelner Technologiegruppen erfolgt in den nachfolgenden Kapiteln, wo die Einzeltechnologien innerhalb einer Gruppe umfassend ausgewertet werden. In allen Auswertungen sind fünf verschiedene Wetterjahre berücksichtigt, um den Einfluss wetterbedingter Schwankungen auf die Analyse zu reduzieren. Dargestellt ist der Mittelwert über die fünf Wetterjahre.

Der Flexibilitätseinsatz bei der Aufnahme von Strom ist recht unterschiedlich zwischen den Technologien verteilt. Im Jahr 2030 nutzen Power-to-X-Technologien über alle Monate hinweg einen Teil des Überschussstroms. Batterien werden vorwiegend im Sommer und Power-to-Heat-Technologien (d.h. Wärmepumpen und Heizstäbe in Verbindung mit Wärmespeichern) verstärkt im Winter eingesetzt, da hier ein größerer Wärmebedarf besteht. Ein Teil des Stromüberschusses wird zudem für die Übertragung in die Nachbarländer Deutschlands genutzt.

Im Gegensatz zum Jahr 2030 nutzen Power-to-X-Technologien im Jahr 2045 den überwiegenden Teil des Überschussstroms. Gleichzeitig ist die Gesamtmenge des durch Power-to-X-Technologien genutzten Stromes deutlich höher. Auch der flexible Betrieb von Power-to‑Heat mit Einspeisung ins Wärmenetz sorgt im Frühjahr und Winter für ein erhebliches Maß an Flexibilität. Insgesamt ist im Bereich der Stromnutzung in Wärmeanwendungen eine größere saisonale Schwankung bei den zentralen Wärmeerzeugern zu beobachten. Insbesondere im Jahr 2045 werden diese zur Nutzung der Überschüsse in den kälteren Monaten eingesetzt. Dezentrale Power‑to‑Heat-Technologien werden eher konstant über das ganze Jahr betrieben. Stromspeicher werden mit einem höheren Beitrag im Sommer ebenfalls das ganze Jahr über betrieben. Beim Export ist eine jahreszeitliche Schwankung zu beobachten, die entgegengesetzt zum Einsatz der flexiblen Wärmeerzeuger ist. Auch wenn das Modell eine optimale Zusammensetzung des Energiesystems wählt, wird ein erheblicher Anteil des Stroms abgeregelt, da er nicht exportiert und auch im Energiesystem nicht genutzt werden kann. Aus Sicht der Autoren stellt dies aber eine Normalität in einem Energiesystem dar, das von Erneuerbaren Energien dominiert wird. Entsprechend müssen Stromleitungen nicht immer bis auf die letzte Kilowattstunde ausgebaut werden, sondern es sollte eine Kosten-Nutzen-Rechnung erfolgen.

Abbildung 10: Monatlicher Flexibilitätseinsatz bei Stromüberschuss in den Jahren 2030 und 2045

Hinsichtlich der Flexibilitätsnutzung zur Strombereitstellung in Zeiten des Strommangels ist ein saisonales Muster zu erkennen. Im Sommer sind die dominierenden Flexibilitätstechnologien in der Strombereitstellung die Entladung von Stromspeichern und Erzeugung aus KWK, während in den Wintermonaten flexible Kraftwerke außerhalb des Wärmenetzes und Stromimporte eine große Rolle spielen. Im Jahr 2030 wird im Sommer mehr Strom durch KWK und flexible Kraftwerke außerhalb des Wärmenetzes erzeugt als im Jahr 2045. Zudem wird weniger Strom durch Speicher zur Verfügung gestellt. Im Jahr 2045 ist die saisonale Abhängigkeit des Stromimports deutlich zu erkennen, denn er kommt vor allem im Winter zum Einsatz (s. Abbildung 11). Das netzdienliche Betreiben von Wärmepumpen in Einzelgebäuden nimmt bis 2045 zu. Damit wird die zeitliche Verschiebung des Betriebs der Wärmepumpen beschrieben, wodurch in Zeiten des Strommangels Wärme aus Wärmespeichern genutzt wird („Smart Heating“). Smart Heating findet vornehmlich im Sommer zur Bereitstellung von Warmwasser statt, da in den Wintermonaten das Flexibilitätspotential wegen allgemein hoher Heizlast eingeschränkt ist. Smart Heating spielt jedoch im Vergleich zu anderen Flexibilitätsoptionen eine untergeordnete Rolle.

Abbildung 11: Monatlicher Flexibilitätseinsatz bei Strommangel in den Jahren 2030 und 2045. Smart Heating beschreibt hier die Lastverschiebung des Einsatzes von Wärmepumpen und den dadurch in Stunden mit Strommangel eingesparten Strombedarf

3. Batterien und Pumpspeicherkraftwerke als Kurzzeitspeicher

Als Kurzzeitspeicher werden Speicher bezeichnet, die Energie nur für wenige Stunden bis Tage speichern können. Bei der Stromspeicherung sind dies die Batterien und Pumpspeicherkraftwerke, wie im folgenden Kapitel zu sehen ist. Sie kommen vor allen anderen Stromspeichern zum Einsatz.

3.1 Beitrag der Technologiegruppe Stromspeicher

Der Flexibilitätsbeitrag von Batterien und Pumpspeicherkraftwerken hängt stark davon ab, wie viel Strom vorher eingespeichert wurde. Die Analyse zeigt, dass der Anteil der Einspeicherung im Jahr 2030 bei Stromüberschuss von stationären Batterien, Pumpspeicherkraftwerken und mobilen Batterien in Fahrzeugen im Winter relativ gering ist (s. Abbildung 12). Im Sommer ist es aufgrund der tagsüber hohen Photovoltaik-(PV)-Erzeugung möglich, eine größere Energiemenge aus Batterien (sowohl mobile als auch stationäre) zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der begrenzten Kapazität für Pumpspeicherkraftwerke und deren Ausbau ist ihr Einsatz sowohl im Jahr 2030 als auch im Jahr 2045 relativ gering. Die Batteriespeicher hingegen werden in dem Zeitraum stark ausgebaut. Im Energiesystemmodell REMod werden zudem große Carnot-Batterien eingesetzt, die Strom in Wärme umwandeln und speichern und anschließend wieder in Elektrizität umwandeln. Obwohl ihr Anteil zwischen 2030 und 2045 wächst, ist ihr Einsatz im Gesamtbild jedoch eher vernachlässigbar.

Abbildung 12: Monatsauswertung der Einspeichermenge an Strom in Energiespeichern in den Jahren 2030 und 2045

Bei allen Technologien deckt sich die Flexibilitätsbereitstellung mit der Einspeicherung. Es ist also auch bei der Ausspeicherung eine starke Saisonabhängigkeit vorhanden. Die Rolle von stationären und mobilen Batterien als wichtige Flexibilität zur Strombereitstellung nimmt vor allem in den Sommermonaten im Jahr 2045 stark zu und zeigt damit eine hohe saisonale Ausprägung (vgl. Auswertung der Monatswerte für die Jahre 2030 und 2045 in Abbildung 13). Die ausgespeicherten Energiemengen sind aufgrund von Speicherverlusten generell etwas geringer als die eingespeicherten Energiemengen.

Abbildung 13: Monatsauswertung der Entlademengen von Energiespeichern in den Jahren 2030 und 2045

3.2 Betrieb der Energiespeicher im Jahresverlauf

In der folgenden Abbildung 14 wird in Blau das Beladen und in Rot das Entladen der mobilen sowie stationären Batterien zu jeder Stunde des Jahres dargestellt. Dabei wird bei den mobilen Batterien nur das netzdienliche Laden betrachtet. Das bedeutet, dass die Ladevorgänge nicht betrachtet werden, bei denen kein aktives Verschieben des Ladevorgangs auf eine vorteilhafte Zeitperiode geschieht. Bei Betrachtung des netzdienlichen Ladens ist zu sehen, dass sowohl mobile als auch stationäre Batterien vorwiegend im Sommer vormittags hierfür eingesetzt werden. Mobile Batterien werden über einen längeren Zeitraum geladen als die stationären Batterien. Beide Batteriearten werden vorwiegend nachmittags und im Sommer vor allem abends netzdienlich eingesetzt bzw. entladen. Im Jahr 2045 werden sie vermehrt auch im Sommer nachts entladen.

Abbildung 14: Betriebsstunden für netzdienliche Be- und Entladung von stationären (unten) und mobilen (oben) Batterien im zeitlichen Verlauf für 2030 und 2045 (positive Werte stehen für Ladevorgänge, negative Werte für Entladevorgänge)

Im Vergleich zu den Batterien sieht der Betrieb der Pumpspeicher anders aus, da die Leistungskapazität meist vollständig genutzt wird. Sie werden im Sommer die meiste Zeit tagsüber geladen und vor allem nachts entladen. Im Jahr 2030 werden sie häufiger vor 24 Uhr entladen und im Jahr 2045 vermehrt nach 24 Uhr. An einzelnen Wintertagen wird zudem auch nachts Energie (aus Windkraft) eingespeist.

Abbildung 15: Betriebsstunden für Be- und Entladung für Pumpspeicherkraftwerke im zeitlichen Verlauf für 2030 und 2045

Die Ladezyklen der stationären Batterien sind sowohl im Jahr 2030 als auch 2045 insgesamt im Durchschnitt bei ca. 230 pro Jahr. Die mobilen Batterien werden mit netzdienlichen Ladezyklen bei ca. 70 pro Jahr (also ungefähr 1,5 Ladezyklen pro Woche) eingesetzt. Das bedeutet, dass die stationären Batterien bezogen auf ihre Speichergröße eine deutlich höhere Systemintegration und Flexibilität liefern.

Speichertechnologie20302045
Mobile Batterien: nur netzdienliche Ladezyklen7773
Stationäre Batterien232224
Tabelle 2: Äquivalente Ladezyklen der verschiedenen elektrischen Speicher für die Jahre 2030 und 2045

3.3 Treiber des Flexibilitätseinsatzes

Um die Treiber für den flexiblen Betrieb der verschiedenen Technologien zu analysieren, wurde die Korrelation zwischen Wind- und Solarstromerzeugung und nicht-flexibler Stromnachfrage innerhalb von fünf verschiedenen Wetterjahren untersucht.

Die Korrelationsanalyse zeigt, dass die Entladung von Stromspeichern in Zeiten des Strommangels in den Jahren 2030 und 2045 nicht mit dem unflexiblen Strombedarf korreliert. Die Entladung der Stromspeicher findet nur in Zeiten mit geringer Wind- und Solarstromerzeugung statt und die Korrelation dieser Kennzahlen ist daher negativ. Dennoch gibt es Stunden mit sehr geringer Stromerzeugung durch Solar- und Windenergie und keiner Entladung der Stromspeicher. Das sind dann vor allem Stunden, in denen auch die Stromlast relativ gering ist oder die Stromspeicher bereits entleert sind. Die Korrelationsmuster in den Jahren 2030 und 2045 gleichen sich, wobei im Jahr 2045 die Energiemengen sowohl bei der Ausspeicherung als auch bei der Erzeugung und im Bedarf zunehmen (s. Abbildung 16 und Abbildung 17).

Abbildung 16: Korrelationen der Speicherentladung im Jahr 2030
Abbildung 17: Korrelationen der Speicherentladung im Jahr 2045

In Abbildung 18 und Abbildung 19 werden die Lademengen von Stromspeichern gegenüber der PV- bzw. Winderzeugung und der unflexiblen Nachfrage zum Zeitpunkt des Ladens dargestellt. Insgesamt sind die Korrelationen hier stärker ausgeprägt als in der Darstellung der Entladung in Abbildung 16 und Abbildung 17, da im Energiesystem öfter ein Stromüberschuss als ein Strommangel vorherrscht (s. Abbildung 5). Das Laden der Stromspeicher korreliert in beiden Jahren stark mit der Solarstromerzeugung. Während im Jahr 2030 das Laden der Stromspeicher mit der unflexiblen Stromnachfrage nicht korreliert, korreliert es sehr gering positiv mit der Erzeugung aus Windenergie. Im Jahr 2045 ändert sich dieses Bild: Das Laden der Stromspeicher korreliert negativ mit der Windenergie und schwach positiv mit der unflexiblen Stromnachfrage. Somit ist im gesamten Zeitraum eine deutliche Korrelation zwischen Erzeugung aus Photovoltaik und dem Speicherbetrieb zu beobachten.

Abbildung 18: Korrelationen Beladen von Energiespeichern im Jahr 2030
Abbildung 19: Korrelationen Beladen von Energiespeichern im Jahr 2045

4. Elektrolyse und Power-to-X im Zentrum der Sektorenkopplung

4.1 Flexibilitätsbeitrag von Elektrolyse und Power-to-X-Technologien

Ein CO2-neutrales Energiesystem zeichnet sich unter anderem auch dadurch aus, dass die Energiebereitstellung für die einzelnen Sektoren nicht mehr weitgehend unabhängig voneinander stattfindet, sondern im Rahmen der Sektorenkopplung in vielfältige Wechselwirkung zueinander tritt. Eine Säule dafür sind Power‑to-X-Technologien, durch die erneuerbarer Strom in stoffliche Energieträger (Wasserstoff, Methan und Flüssigkraftstoffe) umgewandelt wird. Während die stofflichen Energieträger insbesondere in der Industrie, aber auch für Luft- und Schifffahrt, in Fernwärmenetzen oder zur Rückverstromung in Zeiten mit Dunkelflaute benötigt werden, stellt der Betrieb der Power-to-X-Anlagen auch ein großes Flexibilitätspotential in Zeiten mit Überschussstrom dar. Dabei wird im Jahr 2045 etwa die Hälfte des verfügbaren Überschussstroms durch diese Anlagen aufgenommen (siehe Abbildung 10). In Abbildung 20 ist dargestellt, wie sich die Energiemengen auf die drei Technologien zur Erzeugung von Wasserstoff (Elektrolyseure), Gas (Methanisierung) und Flüssigkraftstoffe (Power-to-Fuel) in den Jahren 2030 und 2045 zusammensetzen.

Abbildung 20: Flexibilitätsbeiträge der Power-to-X-Technologien zur Herstellung von Wasserstoff (Elektrolyseure), SynGas (Methanisierung) und eFuels (Power-to-Fuel) in den Jahren 2030 und 2045.

Den größten Beitrag leisten dabei Elektrolyseure, deren erzeugter Wasserstoff unter anderem essenziell zur Dekarbonisierung der Industrie (z.B. in der Chemieindustrie als Rohstoff, in der Stahlindustrie zur Direktreduktion) ist. Einen erheblichen Flexibilitätsbeitrag bei der Stromnutzung leisten zudem Power‑to-Fuel-Anlagen, die eFuels für die Luft- und Schifffahrt bereitstellen. Im Jahr 2030 werden pro Monat zwischen 1,7-3,9 TWh Strom durch Power-to-X-Anlagen aufgenommen. Dieser Wert steigt im Jahr 2045 um fast das 10-fache auf 13,2-25,0 TWh an. Auffallend ist dabei der Betrieb im Dezember, in dem in beiden Jahren deutlich mehr Strom durch Power‑to‑X‑Anlagen aufgenommen wird als in den anderen Monaten. Dies lässt sich zum einen durch einen reduzierten Strombedarf zwischen den Jahren, zum anderen durch häufig sehr gute Windbedingungen im Dezember erklären. Methanisierungsanlagen spielen sowohl im Jahr 2030 als auch 2045 nur eine untergeordnete Rolle.

4.2 Betrieb von Elektrolyse und Power-to-X im Jahresverlauf

Der Betrieb der Elektrolyseure und Power-to-Fuel-Anlagen im Jahresverlauf ist in Abbildung 21 und Abbildung 22 dargestellt. Bei Betrachtung der Tagesverläufe wird im Vergleich zu den Erzeugungsmustern von Wind und Photovoltaik (Abbildung 3) deutlich, wie beide Power‑to‑X‑Technologien sowohl durch Wind- als auch durch Solarstrom betrieben werden. In den Sommermonaten erkennt man eine starke Nutzung der Elektrolyse während den Tageszeiten mit Stromerzeugung aus Photovoltaik. In den Wintermonaten zeigen sich durchgehende Erzeugungsmuster, die mit der Winderzeugung einhergehen. Diese Winderzeugung zeigt sich durch längere Perioden der Stromerzeugung (s. Abbildung 3). In zahlreichen Stunden des Jahres 2045 werden die Elektrolyse oder Power-to-Fuel-Anlagen aber auch komplett abgeschaltet. Aus der Analyse lässt sich übergeordnet ableiten, dass zum Betrieb der Power‑to‑X‑Anlagen mit Solar- und Windstrom eine hochflexible Fahrweise notwendig ist, und die Anlagen möglichst entsprechend designt werden sollten.

Abbildung 21: Stromverwendung der Elektrolyseure im Jahr 2045
Abbildung 22: Stromverwendung durch Power-to-Fuel im Jahr 2045

Für den wirtschaftlichen Betrieb von Power-to-X-Anlagen ist die Zahl der Volllaststunden ein wichtiger Indikator. In der Simulation mit REMod werden für Elektrolyseure im Jahr 2030 rund 4.200 Volllaststunden berechnet, die im Jahr 2045 auf 3.700 abnehmen. Im Gegensatz dazu steigen die Volllaststunden für Power-to-Fuel-Anlagen von 2.100 im Jahr 2030 auf 2.800 im Jahr 2045 an (s. Tabelle 2).

20302045
Elektrolyse4.2003.700
Power-to-Fuel2.1002.800
Tabelle 3: Vollaststunden der Stromnutzung durch Power‑to‑X-Technologien für die Jahre 2030 und 2045

4.3 Treiber des Flexibilitätseinsatzes

Abbildung 23: Betrieb von Elektrolyseuren auf der x-Achse in Abhängigkeit von Erzeugung aus PV und Wind sowie unflexiblem Bedarf auf der y-Achse für 2030 (oben) und 2045 (unten). Zudem ist jeweils die Regressionsgerade eingezeichnet.

Um genauer zu analysieren, welche Faktoren den Einsatz von Elektrolyseuren und anderen Power-to-X-Anlagen treiben, wird in Abbildung 23 der Einsatz von Elektrolyseuren der Erzeugung von Solar- und Windstrom sowie der unflexiblen Stromnachfrage gegenübergestellt. Für 2030 und 2045 zeigt sich das gleiche Bild: Der Einsatz von Elektrolyseuren korreliert stark mit der regenerativen Stromerzeugung aus Wind und PV, nicht aber mit der unflexiblen Stromnachfrage. Dies bestätigt den in Kapitel 4.2 beschriebenen Betrieb von Elektrolyseuren, die sowohl Wind- als auch PV-Strom aufnehmen.

Zudem zeigt die Häufung der Datenpunkte bei 0 und 8 GW (2030) bzw. 50 GW (2045), dass die Elektrolyseure in vielen Stunden entweder gar nicht oder mit maximaler Auslastung betrieben werden. Weiterhin ist für das Jahr 2045 eine Häufung der Datenpunkte bei ca. 45 GW bzw. ca. 90 % der Elektrolyseleistung zu erkennen. Dies liegt an der modellseitigen Abbildung des Hochfahrens der Elektrolyseure, wenn diese in den Stunden zuvor nicht in Betrieb waren. Das Hochfahren der Elektrolyseleistung aus dem Stillstand auf Volllast benötigt eine gewisse Zeit und in dieser Zeit sinkt die Produktionsleistung des Elektrolyseurs (Sterchele 2019).

5. Lastmanagement in Gebäuden und Fernwärme

5.1 Beitrag der Technologiegruppe

Im Gebäudesektor wird Strom für den Betrieb von Wärmepumpen und das Beladen von Wärmespeichern genutzt. Flexibilität entsteht hier durch eine Verschiebung der Wärmeerzeugung auf Stunden mit günstigen Strompreisen bzw. mit Stromüberschuss. Diese Verschiebung kann durch die Be- und Entladung von Wärmespeichern erreicht werden. Diese Flexibilität steht in größerem Maßstab vorwiegend im Winterhalbjahr bei einem entsprechenden Heizbedarf zur Verfügung (s. Abbildung 24). Der ganzjährige Warmwasserbedarf ist auch mit dieser Flexibilität verknüpft, ist in der Größenordnung jedoch deutlich unter den benötigten Heizleistungen an kalten Wintertagen. Deutlich wird in Abbildung 24 auch, dass der Anteil der Stromeinspeisung ins Wärmenetz im Jahr 2045 an Bedeutung gewinnt und vor allem im Winter stattfindet.

Abbildung 24: Dezentrale und zentrale Wärmeversorgung durch Strom in den Jahren 2030 und 2045.

5.2 Beitrag der Technologien im Jahresverlauf

Der Strom für die Deckung des Warmwasserbedarfs in Gebäuden wird im Sommer vor allem vormittags durch Solarenergie bereitgestellt. Der Strom für den Heizbedarf hingegen wird größtenteils durch Windenergie bereitgestellt (vgl. Abbildung 25 und Abbildung 3). Die Schaubilder zeigen auch, dass die Stromnutzung im Gebäudesektor insgesamt stark ansteigt zwischen 2030 und 2045.

Abbildung 25: Stromnutzung im Gebäudesektor in den Jahren 2030 und 2045

Die Stromnutzung in der Fernwärme ist stark saison- und tageszeitabhängig. In Abbildung 26 ist zu sehen, dass im Sommer kaum Strom zur Wärmeerzeugung in Fernwärmenetzen benötigt wird. Entsprechend ist das Flexibilitätspotential sehr gering. Im Winter wird vor allem nachts Strom zur Erzeugung von Fernwärme über Großwärmepumpen und Elektrodenheizungen aufgenommen. In den Jahren 2030 und 2045 ist in den Tagesverläufen der Fernwärmeverfügbarkeit kein Unterschied zu erkennen.

Abbildung 26: Nutzbare Fernwärme für Gebäudewärme und Warmwasser in den Jahren 2030 und 2045

6. Im- und Exporte

6.1 Flexibilitätsbeitrag von Im- und Exporten im Jahresverlauf

Neben dem Einsatz flexibler Kraftwerke leisten Stromimporte im Jahr 2045 in den Wintermonaten den größten Beitrag zur flexiblen Deckung von Strommangel (s. Abbildung 11). Durch Stromexporte aus Deutschland in die Nachbarländer kann hingegen Überschussstrom aus Deutschland in diesen Ländern nutzbar gemacht werden (s. Abbildung 10). Auffallend ist dabei, dass die Stromimporte zwischen 2030 und 2045 zunehmen, während die Stromexporte sinken und stattdessen der Strom vermehrt abgeregelt wird. Dies kann dadurch erklärt werden, dass im Jahr 2045 die Energiewende auch in den deutschen Nachbarländern weitgehend abgeschlossen sein wird, sodass tagsüber dort auch Stromüberschuss entsteht und überschüssiger Solarstrom aus Deutschland nicht mehr exportiert werden kann.

Abbildung 27: Stromimporte und -exporte in den Jahren 2030 und 2045. Positive Werte stellen Stromimport nach Deutschland, negative Werte Stromexport aus Deutschland in die Nachbarländer dar.

Dieser Effekt wird auch in Abbildung 27 deutlich, in der die Importe und Exporte im Jahresverlauf für die Jahre 2030 und 2045 dargestellt sind. Im Jahr 2030 wird in den Mittagsstunden sowie in Zeiten hoher Windstromverfügbarkeit Strom exportiert, während in windschwachen Nächten Strom importiert wird. Im Jahr 2045 bleibt das Importmuster gleich, jedoch wird in den Mittagsstunden deutlich seltener Strom in die Nachbarländer exportiert, da auch dort ein Überschuss an Solarstrom vorhanden ist. Die Menge an ausgetauschtem Strom steigt dabei in einzelnen Stunden, was durch einen angenommenen Ausbau der Kupplungskapazität Deutschlands mit den Nachbarländern von 27 GW im Jahr 2030 auf 44 GW im Jahr 2045 ermöglicht wird.

7. Flexible Kraftwerke

7.1 Beitrag der Technologiegruppe

Gaskraftwerke dienen in einem erneuerbaren Energiesystem als flexible Backup-Kraftwerke, die Strom bereitstellen, wenn alle anderen Flexibilitätsoptionen ausgeschöpft sind. Sie werden zunächst mit Erdgas betrieben und müssen bis 2045 auf den Betrieb mit Wasserstoff und Biogas umgerüstet werden. Die Gaskraftwerke können dabei sowohl zentral in der öffentlichen Energieversorgung als auch dezentral als Industriekraftwerke angesiedelt sein. In Abbildung 28 ist der Betrieb von Gaskraftwerken (GuD-Kraftwerke und reine Gasturbinen) in den einzelnen Monaten in den Jahren 2030 und 2045 dargestellt.

Abbildung 28: Beitrag flexibler Gaskraftwerke (GuD und Gasturbinen) zum Lastausgleich in den Jahren 2030 und 2045. Gaskraftwerke können dabei sowohl mit Erdgas als auch mit biogenem oder synthetischem Gas sowie Wasserstoff betrieben werden.

Den größeren Beitrag leisten dabei effizientere Gas- und Dampfkraftwerke (GuD). Hochflexible Gasturbinen decken lediglich Spitzenlasten in einzelnen Stunden ab. Sie zeichnen sich jedoch durch geringe Kapitalkosten und kurze Hochfahrzeiten aus und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Stabilität des Stromsystems.

Wie in Abbildung 28 ersichtlich, werden Gaskraftwerke vor allem in den Wintermonaten benötigt und im Sommer kaum eingesetzt. Der Einsatz in den Wintermonaten bleibt dabei in den Jahren 2030 und 2045 nahezu identisch und nimmt in den Sommermonaten bis 2045 ab. Dies verdeutlicht, dass die Backup-Kapazitäten durch Gaskraftwerke bereits in einem frühen Stadium der Energiewende, noch deutlich vor Erreichen der CO2-Neutralität, benötigt werden.

7.2 Beitrag der Technologien im Jahresverlauf

Backup-Gasturbinen werden bei Strommangel eingesetzt, nachdem alle anderen Flexibilitätsoptionen genutzt wurden. Ein typischer Jahresverlauf für Gasturbinen ist in Abbildung 29 dargestellt. Im Jahr 2030 werden sie im Sommer nachts und vor allem im Winter an einzelnen Tagen eingesetzt. Im Jahr 2045 nimmt ihr Einsatz im Sommer ab und sie werden nur noch während kalter Dunkelflauten im Winter benötigt. Dies liegt daran, dass überwiegend ausreichend Strom aus fluktuierenden erneuerbaren Energien zur Verfügung steht und die Stromerzeugung durch andere Flexibilitätsoptionen, zum Beispiel im Sommer insbesondere durch Batterien als Kurzzeitspeicher, effizient verschoben werden kann. Verdeutlicht wird dies auch durch die stark sinkende Volllaststundenzahl (s. Tabelle 4).

Abbildung 29: Betrieb von Backup-Gasturbinen im Jahresverlauf in den Jahren 2030 und 2045
20302045
Backup-Gasturbinen2360940
Tabelle 4: Vollaststunden der Stromerzeugung durch Backup-Gasturbinen für die Jahre 2030 und 2045

8. Schlussfolgerungen

Das vorliegende Papier, das auf den Ergebnissen des Ariadne-Reports „Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045“ basiert, liefert eine eingehende Analyse zur Rolle von Flexibilitätsoptionen im deutschen Energiesystem. Die methodische Grundlage dieser Untersuchung bildete das Energiesystemmodell REMod, das eine detaillierte sektorübergreifende Analyse mit einer hohen zeitlichen Auflösung für die zukünftige Entwicklung ermöglicht. Die Ergebnisse, die verschiedene Technologien berücksichtigen, zeichnen ein kohärentes Gesamtbild:

Zunächst wird eine deutliche Abhängigkeit von der Verfügbarkeit von Solarstrahlung und Windenergie deutlich. Mit steigenden Mengen der Stromerzeugung durch diese Quellen steigt auch die aus Flexibilitäten bereitgestellte bzw. aufgenommene Strommenge. Dies unterstreicht die zentrale Bedeutung von Flexibilität für die erfolgreiche Integration erneuerbarer Energiequellen in das Energiesystem. Gleichzeitig verdeutlicht es den steigenden Bedarf an flexibel steuerbaren Verbrauchseinheiten bis zum Jahr 2045.

Die Ergebnisse zeigen zudem, dass sämtliche untersuchte Technologien zur Flexibilität beitragen können. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf der Nutzung des Überschussstroms liegen. Daher sollte in den kommenden Jahren insbesondere die Kopplung von Wärmeanwendungen, Elektromobilität und Elektrolyse mit Preissignalen aus dem Strommarkt bzw. an die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien gestärkt werden. Insbesondere bei Batteriespeichern wird erwartet, dass die Ausbaugeschwindigkeit aufgrund der Preisschwankungen im Strommarkt in den kommenden Jahren erheblich steigen wird. Möglich ist die gesamte Systemintegration und Sektorkopplung jedoch nur, wenn die Preissignale über intelligente Technologien und Steuerungssysteme in den Verbrauchssektoren ankommen. Nur durch gute Kommunikation und Vernetzung der Anlagen kann das volle Potenzial der Flexibilität ausgeschöpft werden.

Diese Schlussfolgerungen unterstreichen die Bedeutung von Flexibilitätsoptionen und den Potentialen in den einzelnen Anwendungen. Die Studie zeigt verschiedene Bereiche und zentrale Technologien im Energiesystem auf, deren Potenziale genutzt werden müssen, um das Stromsystem effizienter, nachhaltiger und flexibler zu gestalten.

Zentrale Handlungsfelder für politische Maßnahmen verbleiben in der Übersetzung aller Markt- und Preissignale, die flexiblen Betrieb von Anlagen fördern, um die Nachfrage zu dynamisieren. Das bedeutet insbesondere alle Themen um flexible Stromtarife, inklusive aller Preisbestandteile, aber auch die Möglichmachung von geeigneter Steuerung und Kommunikation über verschiedene Wege (nicht nur Smart Meter) und die Reduktion von Regelungen zur Verkomplizierung. Maßnahmen, die beispielsweise einen unflexiblen Betrieb von Elektrolyseanlage oder Ladevorgängen von Elektrofahrzeugen fördern, sind zu vermeiden. Forschungstechnisch sind alle Maßnahmen notwendig, die flexiblen Betrieb von einzelnen Technologien technisch erforschen und die die Systemintegration und Vernetzung befördern.


Die vorliegende Ariadne-Analyse wurde von den oben genannten Autorinnen und Autoren des Ariadne-Konsortiums ausgearbeitet. Die Analyse spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung des gesamten Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider.
Die Inhalte der Ariadne-Publikationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erstellt.

Literaturangaben

Brandes, Julian; Haun, Markus; Wrede, Daniel; Jürgens, Patrick; Kost, Christoph; Henning, Hans-Martin (2021): Wege zu einem klimaneutralen Energiesystem – Update Klimaneutralität 2045. Die deutsche Energiewende im Kontext gesellschaftlicher Verhaltensweisen. Hg. v. Fraunhofer ISE. Freiburg. Online verfügbar unter https://www.ise.fraunhofer.de/content/dam/ise/de/documents/publications/studies/Fraunhofer-ISE-Studie-Wege-zu-einem-klimaneutralen-Energiesystem-Update-Klimaneutralitaet-2045.pdf, zuletzt geprüft am 26.01.2022.

Luderer, Gunnar; Günther, Claudia; Sörgel, Dominika; Kost, Christoph; Benke, Falke; Auer, Cor-nelia et al. (2021): Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045. Szenarien und Pfade im Modellvergleich. Ariadne-Report. Hg. v. Gunnar Luderer, Christoph Kost und Dominika Sör-gel. Online verfügbar unter https://doi.org/10.48485/pik.2021.006, zuletzt geprüft am 08.02.2023.

Sterchele, Philip (2019): Analysis of Technology Options to Balance Power Generation from Vari-able Renewable Energy. Case Study for the German Energy System with the Sector Coupling Model REMod. 1. Auflage. Düren: Shaker (Schriftenreihe der Reiner Lemoine-Stiftung).

Autorinnen & Autoren

Patrick Jürgens

Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme

Jael Sepúlveda Schweiger

Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme

Nourelden Gaafar

Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme

Dr. Christoph Kost

Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme