Ariadne-Europa in Berlin: Rückblick auf die Veranstaltungsreihe zu klimapolitischen EU-Themen

Mit dem Clean Industrial Deal will die EU-Kommission die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Industrie im Kontext der grünen Transformation sichern – und gleichzeitig strategische Resilienz gegenüber geopolitischen Risiken stärken. Einen Monat nach Veröffentlichung der Mitteilung war das Ziel der Veranstaltung, die Ambitionen des CID zu reflektieren, mögliche Zielkonflikte offenzulegen und Umsetzungsperspektiven aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu diskutieren.

Über 80 Teilnehmende verfolgten die Diskussion vor Ort im Europäischen Haus Berlin. Als Impulsgeberin stellte Stephanie Hiesinger (Generaldirektion Klimapolitik, Europäische Kommission) die zentralen Inhalte des CID vor. In den folgenden Kommentaren beleuchteten Dr. Ulrike Beland (DIHK, Referatsleiterin ökonomische Fragen der Energie- und Klimapolitik) und Christopher Leisinger (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Kopernikus-Projekt Ariadne) insbesondere Fragen der Zielklarheit, Finanzierungsarchitektur und Governance. Die Veranstaltung wurde moderiert von Benjamin Görlach (Ecologic Institut, Head of Economics).

• Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit sind kein Widerspruch
  Der CIF leitet kein klimapolitisches Rollback ein. Der CID bestätigt die Linie von Draghi: Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit sind kein Widerspruch. Er bekräftigt das Ziel, die EU-Emissionen bis 2040 um 90% ggü. 1990 zu senken – ein ambitioniertes Vorhaben, gerade in der aktuellen geopolitischen Lage.
• Industriewende braucht eine klare Richtung
  Der CID erkennt, dass die Industriewende eine klare Richtung braucht. Im Fokus stehen sowohl die energieintensive Bestandsindustrie als auch neue Clean-Tech-Lösungen. Allerdings fehlt dem CID weitere Differenzierung: Wo muss Europa führend werden? Welche Industrien wollen wir halten, und wo sind wir agnostisch?
• Der CID hat ein Koordinationsproblem
  Erstmals bündelt eine EU-Strategie zentrale Instrumente und Handlungsfelder der Industriewende. Doch gesellschaftliche Konflikte, Verteilungsfragen und Spannungsfelder bleiben weitgehend unberücksichtigt. Governance bleibt die große Leerstelle des CID.
• Die Achillesferse des CID ist die Finanzierung
  Der CID nennt große Summen, widmet aber im Wesentlichen bestehende Mittel um. Der entscheidende Hebel bleibt das EU-Beihilferecht – klug eingesetzt, kann es gezielt Ressourcen in Schlüsselbranchen lenken. Falsch gesteuert droht eine Fragmentierung des Binnenmarkts durch „Industrieprotektionismus“.
• Der CID muss im Gesamtbild betrachtet werden
  Der CID ist im Gesamtbild des regulatorischen Kontexts zu verstehen. Die Erwartungen an den CID waren hoch – und so finden viele das Ergebnis übersichtlich. Aber ist das ein fairer Maßstab? Der CID muss im Gesamtbild betrachtet werden: Der EU Green Deal bleibt zentraler Bezugspunkt für Europas Klimapolitik und grüne Industriewende.

Barbara Gessler, Leiterin der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin, eröffnete die Veranstaltung und stellte in ihrem Grußwort klar, dass die Kommission zu den gesetzten Klimazielen steht und eine Verwässerung der Ziele durch Flexibilisierung vermeiden möchte. Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Direktor und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), zeigte in einem Impulsvortrag die Notwendigkeit von ambitionierter Klimapolitik im Allgemeinen und eines 2040-EU-Ziels im Speziellen auf, welches maßgeblich informiert von Szenarien aus dem Ariadne-Projekt mindestens 90 % betragen sollte. Ottmar Edenhofer argumentierte, dass eine Flexibilisierung, bspw. durch CO2-Entnahmen oder internationale Zertifikate, grundsätzlich die Kosteneffizienz und Glaubwürdigkeit ambitionierter Klimaziele steigern könne. Eine unzureichende Umsetzung gefährde jedoch die Integrität der Klimapolitik und ihrer Instrumente.
 
Anschließend diskutierten Andreas Jung, MdB, CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Linda Kalcher, Executive Director, Strategic Perspectives, Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer, BDI e. V., und Viviane Raddatz, Fachbereichsleiterin Energiepolitik und Klimaschutz, WWF Deutschland, gemeinsam mit Prof. Dr. Ottmar Edenhofer die Notwendigkeit von Flexibilisierungsmechanismen für das 2040-Ziel und deren mögliche Ausgestaltung. Dr. Michael Pahle, Leiter der Arbeitsgruppe „Klima- und Energiepolitik“ am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), moderierte die Veranstaltung.

• Klares Bekenntnis zum 2040-Ziel
  Es gibt breite Zustimmung für ein (mindestens) 90%-Ziel, das auch von der Bundesregierung in der europäischen Politik unterstützt wird. Dieses Ziel schafft Planbarkeit für Unternehmen, wird der europäischen Verantwortung beim globalen Klimaschutz gerecht und kann internationale Signalwirkung entfalten.
• Flexible Wege zum Ziel sind hilfreich
  Zwar besteht grundsätzlicher Konsens über das Bekenntnis zu ambitioniertem Klimaschutz, doch die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen ist umstritten – insbesondere angesichts perspektivisch steigender Kosten bei zunehmendem Druck der Dekarbonisierung.Die Flexibilisierung durch CDR und internationale Credits kann es ermöglichen, die europäische Klimapolitik an geopolitische Realitäten anzupassen, das 90%-Ziel kostengünstiger zu erreichen und das 1.5°-Ziel langfristig – durch Netto-Negativemissionen und Umkehr des Temperatur-Overshoots – zu erreichen.
• Klare Ausgestaltung von CDR und internationalen Credits mit Freiraum für Innovationen
  Es braucht einen institutionellen Rahmen und eine klare Zertifizierung von internationalen Zertifikaten (sowohl für Emissionsreduktionen als auch Emissionsentnahmen). Für internationale Mechanismen liefert das Pariser Abkommen die notwendige regulatorische Grundlage. Die EU könnte einen eigenen regulatorischen Standard für internationale Zertifikate entwickeln, einen „Brüsseler Goldstandard“, der darüber hinaus höheren Qualitätsanforderungen genügt. Internationale Zertifikate müssen glaubwürdig, nachhaltig und überprüfbar sein, wobei eine Überregulierung der Industrie vermieden werden muss. Aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften bieten internationale Entnahmen einen geeigneteren Ausgangspunkt für die Diskussion als internationale Emissionsreduktionen.
• Internationale Kooperation ist mehr als nur Artikel 6
  Klimaschutz kann Hand in Hand gehen mit einer Absicherung vor geopolitischen Krisen. Internationale Kooperation über Emissions- und Entnahmezertifikate sollten daher gemeinsam mit anderen Mechanismen der internationalen Klimapolitik, wie zum Beispiel CBAM, und breiter, z.B. im Licht von Klimafinanzierung und internationalen (Handels-)Partnerschaften, gedacht werden, um zusätzliche Hebel für Entwicklung und Finanzierung von Klimaschutz zu schaffen.