

Dr. Anna Billerbeck
Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung
„Wir brauchen mehr Geschwindigkeit“
Dr. Anna Billerbeck, eine der Leitenden des Arbeitspaketes „Strom- und Energiemarktdesign auf dem Weg zu einem klimaneutralen Energiesystem“ im Projekt Ariadne, spricht im Interview darüber, welche Verteilungsfragen man bei der Finanzierung des zukünftigen Stromsystems im Blick haben muss und worauf es neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien noch ankommt.
Anna, was ist das Spannendste, woran du derzeit arbeitest?
Die aktuellen Arbeiten rund um Flexibilitätsoptionen im Energiesystem finde ich besonders spannend, den Einsatz von Energiespeichern und Lastverschiebung sowie Hemmnisse von Flexibilität und politische Maßnahmen, um Flexibilitätsoptionen anzureizen. Ich finde es auch spannend, dass wir in unserem Arbeitspaket so eng mit den anderen Kopernikus-Projekten Ensure, SynErgie und P2X in Kontakt stehen und mit ihnen gemeinsam Themen diskutieren und erarbeiten. Aktuell entwickeln wir zum Beispiel Kopernikus-übergreifend ein Positionspapier zur zukünftigen Ausgestaltung der Netzentgeltsystematik.
Worum geht es in deinem Arbeitspaket schwerpunktmäßig?
Unser Arbeitspaket behandelt die Weiterentwicklung des Strom- und Energiemarktdesigns. Wir möchten eine wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlage für die Umgestaltung und Weiterentwicklung des Energiemarktdesigns erarbeiten. Wir beleuchten die Beschleunigung und die Skalierung der Transformation aus technischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Sicht. Wie kann der Strommarkt mittel- bis langfristig ausgestaltet werden, insbesondere bezüglich der Refinanzierung von Erneuerbaren Energien, aber auch bezüglich Flexibilität? Wie kann die Finanzierung dieser Marktelemente sichergestellt werden? Wir arbeiten an vielen Handlungsoptionen, sowohl rechtlichen Rahmenbedingungen als auch an Anreiz- und Förderprogrammen für ein sektorgekoppeltes Energiemarktdesign. Und wir befassen uns mit der Frage der Finanzierung Erneuerbarer Energien. In Fallstudien beleuchten wir verschiedene Themen tiefergehend.
Mit welchen Methoden arbeitet ihr?
Wir haben einen breiten Methodenkasten. Es ist sehr viel konzeptionelle Arbeit, quantitative Modellierung, um verschiedene Effekte zu beziffern. Wir machen empirische Analysen und wenden auch ein paar qualitative Methoden an.
Was sind aktuell die größten Herausforderungen, die die Transformation unseres Stromsystem mit sich bringt?
Eine der größten Herausforderung ist die Geschwindigkeit. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien müsste deutlich schneller laufen, um die bestehende Zielsetzung zu erreichen. Es kommt immer mehr zu einer Sektorenkopplung von verschiedenen Systemen. Für das Strom- und Energiemarktdesign heißt das, dass eine integrierte Betrachtung erforderlich ist. Und bei der Ausgestaltung des Marktdesigns muss man die Entwicklung der Energiepreise stark in den Fokus setzen. In den letzten Jahren ist es zu einem gestiegenen Preisniveau gekommen und das bringt Probleme bezüglich der Sozialverträglichkeit oder der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie mit sich. Man muss diese beiden Herausforderungen gemeinsam betrachten. Denn wir brauchen ein Preisniveau, das sozialverträglich ist und gleichzeitig genug Anreize für den Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Flexibilität und des Netzes mit sich bringt.
Wie beurteilst du den kürzlichen Beschluss, dass Privathaushalte und Kleinbetriebe bei der Stromsteuer doch nicht entlastet werden?
Die Frage geht genau in dieses Spannungsfeld hinein. Wenn Haushalte einen höheren Anteil der Finanzierung tragen, weil sie nicht von der Stromsteuer befreit werden, ist das für diese Gruppe nachteilig. Dadurch hat sie weniger Anreize, in strombasierte Systeme, wie Wärmepumpen oder Elektroautos, zu investieren. Andererseits haben wir durch den Beschluss eine Entlastung der Industrie. Das gibt ihr höhere Anreize, Prozesse zu elektrifizieren. Man muss bei diesen Verteilungsfragen immer im Blick haben, dass die Finanzierung der Transformation gedeckt sein muss. Die Verschiebung der Finanzierungsbeteiligung zwischen den verschiedenen Gruppen bringt aber verschiedene Effekte mit sich. Dabei gilt es zu überlegen, wo Kosten und Nutzen im besten Verhältnis stehen. Grundsätzlich ist die Finanzierung eine große Herausforderung. Es ist aber positiv zu sehen, dass sich die neue Koalition vorgenommen hat, die Stromkosten zu senken. Ob das durch eine Reduzierung der Stromsteuer passiert oder durch eine Befreiung von anderen Strompreiskomponenten, wie Netzentgelten oder Umlagen, zum Beispiel für Wärmepumpen oder Elektroautos, muss die neue Regierung entscheiden.
Gibt es ein ideales Szenario, wie sich die Transformationskosten sinnvoll und gerecht verteilen lassen?
Wir haben nicht die eine Handlungsoption, die eine Lösung für alles ist. Aber wir haben mehrere Handlungsoptionen – insgesamt 18 – für das Strommarktdesign der Zukunft in unserem Arbeitspaket diskutiert. Das ist sehr komplex, da man Handlungsoptionen nicht isoliert betrachten kann, weil sie sich gegenseitig beeinflussen. Man braucht deshalb eine Bewertungsmethode, die alle Handlungsoptionen in den Blick nimmt und schaut, welche Kombination von politischen Maßnahmen sinnvoll ist. Wir haben das Ziel, am Ende des Projektes in einem Synthesepapier klaren Empfehlungen zu geben, welche wünschenswerte Effekte sich ergeben, wenn man verschiedene Handlungsoptionen kombiniert. Wir möchten politische Entscheidungstragende darin beraten, mit welcher Option welche Ziele besonders gut erreicht werden können.
Wie bewertest du das aktuelle Ausbautempo der Erneuerbaren Energien in Deutschland mit Blick auf die Dekarbonisierung des Stromsystems?
Grundsätzlich haben wir einen Anteil von Erneuerbaren Energien am Strommix von über 50 Prozent. Das heißt, wir sind auf einem guten Weg und wir sehen, dass die Tendenz steigend ist. Für die 2045-Ziele ist das Ausbautempo allerdings viel zu gering. Wir brauchen ein stetig ansteigendes Ausbauniveau und müssen mehr Geschwindigkeit erreichen.
Wie müssen sich Stromerzeugung und -verbrauch innerhalb Deutschlands verteilen, damit Effizienz und Versorgungssicherheit gewährleistet sind?
Es kommt nicht nur auf die Verteilung an, sondern auch auf die verschiedenen Systemkomponenten. Wir brauchen Energiespeichersysteme, zum Beispiel Batterien, saisonale Wärmespeicher oder Pumpspeicher. Und wir benötigen flexible Lasten, beispielsweise durch Elektromobilität. Wir brauchen diese Komponenten, damit wir die Flexibilität haben, die volatile Stromerzeugung optimal ins System zu integrieren. Dadurch erreichen wir eine höhere Effizienz und eine bessere Versorgungssicherheit. Unser Marktdesign muss Anreize für Investitionen in diese Flexibilitätstechnologien setzen und Verbrauchende dazu anregen, ihre Lasten flexibel einzusetzen, beispielsweise durch flexible Strompreise. Das heißt, Strom dann zu verbrauchen, wenn hohe Erzeugung aus Erneuerbaren Energien vorhanden ist. Hier muss man sowohl die Marktseite, also die Stromerzeugung, im Blick haben als auch die Netzrestriktionen, also Engpässe im Netz. Deshalb müssen wir die Übertragungs- und Verteilnetze weiter ausbauen und sicherstellen, dass der vorhandene Strom dorthin transportiert werden kann, wo er gebraucht wird.
Wo steht Deutschland deiner Einschätzung nach auf dem Weg zur Klimaneutralität?
Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, aber wir müssen das Ganze beschleunigen. Wir haben viel über Strom geredet, aber insbesondere im Bereich Wärme und Verkehr muss ein schnellerer Ausbau der Erneuerbaren Energien erfolgen. Diese beiden Sektoren hängen seit Jahren hinterher. Aktuelle Herausforderungen liegen in der Umsetzung, der gerechten Finanzierung und der Akzeptanz der Bevölkerung.
Wie blickst du in die Zukunft?
Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Energiewende in Deutschland und Europa auf jeden Fall umsetzbar ist und wir unsere Ziele erreichen. Ich finde es schön, dass wir in Ariadne mit vielen spannenden Forschungsfragen unseren Beitrag dazu leisten.
Das Interview wurde am 21.07.2025 geführt von Celine Koch.