FORECAST Industry ist ein Bottom-up-Simulationsmodell. Es berechnet Szenarien für den Energiebedarf und die Treibhausgasemissionen des Industriesektors. Es wird hauptsächlich für Szenarien eingesetzt, die sich mit dem Klimawandel und der industriellen Transformation befassen.
Hauptzweck des FORECAST-Industriemodells ist die Berechnung von Szenarien für die industrielle Transformation vor dem Hintergrund der Eindämmung des Klimawandels. Es deckt die Europäische Union, das Vereinigte Königreich, die Schweiz und Norwegen ab und wird normalerweise innerhalb des Zeitrahmens europäischer und nationaler Klimaziele (bis 2050) angewendet. Die Hauptberechnungen finden auf der nationalen Ebene (NUTS0) statt, mit der Möglichkeit, die Ergebnisse bis auf NUTS3 zu disaggregieren. Das Modell umfasst industrielle Subsektoren (z.B. Eisen und Stahl, Zement, Zellstoff und Papier…), die für Eurostat1https://ec.europa.eu/eurostat/web/energy/database/additional-data#Energy%20balances und nationale Energiebilanzen (z. B. die deutsche AGEB2https://ag-energiebilanzen.de/daten-und-fakten/bilanzen-1990-bis-2030/) relevant sind, und fügt Details zu einzelnen Prozessen (z.B. Hochofenbetrieb) und Technologien (z.B. Wärmepumpen, wasserstoffbasierte Direktreduktion) hinzu. Die für den Industriesektor relevanten Treibhausgase (THG) werden in energiebezogene und prozessbezogene Emissionen kategorisiert und umfassen N2O, CO2, CH4 und fluorierte Treibhausgase – entsprechend der Struktur des Nationalen Inventars3https://unfccc.int/ghg-inventories-annex-i-parties/2023.
FORECAST Industry schließt jede Form des internationalen Handels aus den endogenen Berechnungen aus (dies muss in den Szenario-Annahmen/Definitionen berücksichtigt werden). Die FORECAST-Modellfamilie umfasst auch Modelle für Gebäude und Anwendungen.
Haupttreiber in FORECAST Industry sind physische Produktionsmengen energieintensiver Grundstoffe. Die jeweiligen Produktionsprozesse (z.B. Stahlerzeugung in der Hochofenroute) werden mit statistischen (Vergangenheits-)Daten und angenommenen zukünftigen Entwicklungen, die der Szenariodefinition unterliegen, kalibriert. Darüber hinaus wird die Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes verwendet, um nicht-energieintensive Industrien abzubilden. Wichtige zusätzliche Treiber für die Szenarien sind die Verfügbarkeit von Energieträgern (z.B. Biomasse, Wasserstoff) und deren Preise, technisch-ökonomische Daten zu bestimmten Produktionstechnologien, Auswirkungen von Suffizienz und Verhaltensänderungen in anderen Sektoren (Gebäude, Mobilität) auf die Nachfrage nach Grundstoffen und CO2-Preise. Diese Faktoren können mit politischen Instrumenten interagieren (siehe unten).
FORECAST Industry berücksichtigt etwa 80 industrielle Prozesse mit individuellen Eigenschaften hinsichtlich Energieintensität, Temperaturprofil des Prozesswärmebedarfs, sonstigem Energieeinsatz (z.B. Ventilatoren, Pumpen), Kühlung und prozessbedingten Emissionen. Darüber hinaus werden 8 spezifische Technologien zur Dampferzeugung (die als Querschnittstechnologie behandelt werden) und energieträgerspezifische Varianten einbezogen. Die industriellen Prozesse beinhalten Energieeffizienzpotenziale im engeren Sinne, die nach endogener Berechnung von Amortisationszeiten umgesetzt werden. Das Effizienzpotenzial wird daher als konservativ angesehen (da „automatische“ Effizienzsteigerungen nicht stattfinden). Zusätzliche Effizienzpotenziale (im weiteren Sinne) können durch die Verbreitung von Dampferzeugungstechnologien (Elektrokessel, Wärmepumpen) oder die Umstellung von Prozessen auf neue Produktionstechnologien (z.B. von Primär- auf Sekundärstahlerzeugung) realisiert werden.
Die Erzeugung von Nieder- bis Mitteltemperatur-Prozesswärme (Heißwasser und Dampf) wird in einem Bestandsmodell abgebildet, das einen expliziten Austausch von Technologien in Abhängigkeit von der Lebensdauer (Entscheidung, ob Anlagen ersetzt werden sollen) und den Gesamtbetriebskosten (Entscheidung, womit die Anlage ersetzt werden soll) vorsieht. Die Technologiewahl basiert auf einem diskreten Entscheidungsproblem mit Logit-Formulierung. So werden die verfügbaren Optionen nach ihrem Nutzwert (wie nützlich sie für den gewünschten Zweck sind, was ihre Gesamtkosten einschließt) geordnet. Die am höchsten eingestufte Option erhält den größten Marktanteil, die anderen folgen entsprechend ihrem Rang. Diese Struktur ermöglicht es, sowohl Preissensibilität und Marktführer als auch Nischenanwendungen zu berücksichtigen. Diese Methodik zur Ableitung von Marktanteilen wird auch auf Hochtemperaturwärme angewandt, allerdings in Bezug auf Energieträger.
Der Bottom-up-Ansatz von FORECAST Industry eignet sich gut für instrumentenbasierte Analysen, die bestimmte Subsektoren, Energieträger oder Technologien untersuchen (z. B. EU-ETS, IPCEI, CCfDs, Ecodesign, Maßnahmen zur Kreislaufwirtschaft). Es wird beispielsweise für die Ex-ante-Bewertung des deutschen Policy Mixes im Rahmen der Dokumentationspflichten der Verordnung (EU) 2018/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über die Governance der Energieunion und Klimaschutzmaßnahmen genutzt. Neben instrumentenbasierten Analysen wird FORECAST Industry häufig für explorative Szenarien und in Kombination mit anderen Sektor- und Energiesystemmodellen eingesetzt.
FORECAST Industry ist ein Bottom-up-Simulationsmodell. Daher verwendet das Modell hoch disaggregierte Daten („bottom“) über industrielle Prozesse (z.B. spezifischer Energieverbrauch der Stahlproduktion), um beobachtbare Zahlen auf hoher Ebene („up“, z.B. Stromverbrauch in der Industrie) zu erklären. Der Hauptansatz ist also die Annahme, dass die Summe aller einzelnen industriellen Aktivitäten den gesamten Industriesektor darstellt. Simulation bedeutet, dass sich das Modell bemüht, wichtige Aspekte der Entscheidungsfindung (z.B. Investitionen in neue Technologien) nahe am tatsächlichen Prozess abzubilden – einschließlich Ineffizienzen, Informationsmangel und unvollkommener Entscheidungen.
FORECAST Industry basiert auf europäischen oder nationalen Energiebilanzen (z.B. Eurostat, AGEB (Deutschland)). Darüber hinaus werden techno-ökonomische Daten aus der Literatur und Produktionsstatistiken verwendet, um die Eigenschaften von etwa 80 industriellen Prozessen abzubilden (z. B. Energieintensität, eingesetzte und potenzielle zukünftige Technologien). Aus der Kombination dieser technisch-ökonomischen Daten und szenariobasierten Annahmen über die industrielle Tätigkeit (physische Herstellung bestimmter Produkte) ergibt sich der Energiebedarf pro Produkt, Prozess und Subsektor. Dieser Energiebedarf kann durch Energieeffizienz, Umstellung auf andere Brennstoffe (aufgrund von Brennstoffpreisen oder Vorschriften), Ersatz von Technologien (z.B. Elektrokessel anstelle von erdgasbefeuerten Kesseln) oder vollständige Umstellung von Prozessen (z.B. wasserstoffbasierte Direktreduktion anstelle von Hochofenbetrieb) beeinflusst werden – all dies kann durch die in den Szenarien enthaltenen politischen Maßnahmen beeinflusst werden.
Bei diesem Berechnungsprozess werden den statistischen Daten, mit denen das Modell begann, zusätzliche Informationen hinzugefügt – daher wird der Prozess als „Disaggregation von Energiebilanzen“ bezeichnet. Die disaggregierte Beschreibung des Industriesektors wird verwendet, um mögliche Zukünfte in Szenarien zu berechnen. In einem letzten Schritt werden die Modellergebnisse wieder auf die Ebene der Energiebilanzen aggregiert und auf ein bestimmtes Basisjahr kalibriert. Die Ergebnisse stellen somit eine strukturell kompatible Erweiterung der Basisstatistik in die Zukunft entlang der im Projekt definierten Szenarien dar, mit den Haupt-Ergebnissen Endenergiebedarf, Energieträgeranteile und THG-Emissionen nach Quellen (kompatibel mit National Inventory Reports (NIR)).